Stellungnahme Deutschlands zum Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die ökologische/biologische Produktion und die Kennzeichnung von ökologischen/biologischen Erzeugnissen sowie zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. XXX/XXX des Europäischen Parlaments und des Rates [Verordnung über amtliche Kontrollen] und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 834/2007 des Rates vom 20. Juni 2014 Der ökologische Landbau ist eine besonders nachhaltige Form der Landwirtschaft. Er leistet wichtige Beiträge sowohl zur Erhaltung und Schonung der natürlichen Ressourcen als auch zur Erhöhung der biologischen Vielfalt. Darüber hinaus fordert er die Anwendung hoher Tierschutzstandards und umfassende Kenntnisse in der guten landwirtschaftlichen Praxis für die Produktion sicherer Lebensmittel. Damit erbringt der ökologische Landbau wichtige gesellschaftliche Leistungen, die politische Anerkennung verdienen und Unterstützung erfordern. Die Gewährleistung eines klaren, angemessenen und verlässlichen europäischen Rechtsrahmens ist ein wichtiges Instrument zur Förderung des ökologischen Landbaus. Er trägt wesentlich zur Stärkung der Wettbewerbsstellung der in der Biobranche tätigen Unternehmen sowie zum Abbau und zur Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene bei. Der europäische und weltweite Biomarkt hat sich in den vergangenen 20 Jahren auf der Grundlage der jeweils geltenden europäischen Rechtsvorschriften für den ökologischen Landbau sehr positiv entwickelt. Die Rechtsregelungen der Europäischen Union waren auch außerhalb der Europäischen Union Leitlinie für die Ableitung von rechtlichen Normen für Produktion, Verarbeitung, Handel, Kennzeichnung und Kontrolle von Bioprodukten. Der Rechtsrahmen hatte eine maßgebliche Bedeutung für die positive Branchenentwicklung. Das Wachstum des Biomarktes und die stärker werdenden weltweiten Handelsverflechtungen stellen neue Herausforderungen an die Branche und erfordern gezielte Verbesserungen hinsichtlich der rechtlichen Regelungen. Auf der Basis einer kritischen Analyse der derzeitigen Regelungen und der Identifikation von Schwachstellen ist es wichtig, die für die Biobranche geltenden europäischen Rechtsvorschriften Problem bezogen kontinuierlich weiterzuentwickeln. Deutschland begrüßt insofern grundsätzlich das Ziel der Kommission, die Rechtsvorschriften und die Kennzeichnung entsprechender Erzeugnisse zu verbessern und damit die nachhaltige Entwicklung der ökologischen Lebensmittelwirtschaft sowie den fairen Wettbewerb für Landwirte und Unternehmer zu fördern und das Verbrauchervertrauen in diese Erzeugnisse zu erhalten bzw. zu stärken. In diesem Zusammenhang sollten bei der Novelle der Verordnung insbesondere auch bereits vorhandene Umweltmanagementsysteme anerkannt werden, soweit sie die Konformität mit Umweltrechtsvorschriften sicherstellen, die betrieblichen Abläufe verbessern
SEITE 2 VON 5 und eine kontinuierliche Verbesserung der Leistungen in Bezug auf Umwelt- und Naturschutzaspekte erfordern (so die Verordnung (EG) 1221/2009). Die Entwicklung spezieller Umweltmanagementsysteme für die ökologische Landwirtschaft ist in Bezug auf die genannten Aspekte zumindest fraglich. In welchem Maße der von der Kommission präsentierte Legislativvorschlag zur erneuten vollständigen Revision der erst seit 2009 in Kraft getretenen revidierten Rechtsvorschriften für die ökologische Lebensmittelwirtschaft zur Zielerreichung beiträgt und welche ökonomischen Auswirkungen damit verbunden sind, lässt sich noch nicht vollständig abschätzen, da eine Reihe von zentralen Regelungsinhalten derzeit noch offen sind. Es zeichnet sich jedoch deutlich ab, dass die Realisierung des Vorschlags in der vorliegenden Form zu deutlichen Beschwernissen in der Erzeugung, Verarbeitung und im Handel mit Bio-Produkten führen und die weitere positive Entwicklung des ökologischen Landbaus sowohl innerhalb als auch außerhalb Deutschlands abschwächen würde. Die tatsächlich erforderlichen Verbesserungen in den Rechtsgrundlagen könnten durch eine gezielte, problembezogene Weiterentwicklung der Rechtsvorschriften der ökologischen Lebensmittelwirtschaft, die sich an den Prinzipien des ökologischen Landbaus orientiert, erreicht werden. Als wichtigste Kritikpunkte an dem KOM-Vorschlag seien die folgenden Punkte genannt: Sowohl für die in der Bio-Branche tätigen Unternehmen im Bereich der Erzeugung, Verarbeitung und des Handels als auch für die Kontrollbehörden würden die Rechtsänderungen und umstrukturierungen zu Verunsicherungen und Rechtsunsicherheiten führen. Sie erfordern darüber hinaus erneut einen ungeheuren Kommunikationsaufwand zwischen allen beteiligten Personengruppen sowohl auf der Seite der Rechtsanwender als auch bei den Rechtsunterworfenen, um Fragen und rechtliche Unbestimmtheiten zu klären und Einigungen herbeizuführen. Deutschland ist der Auffassung, dass durch eine gezielte Problem bezogene Weiterentwicklung der Rechtsregelungen, Schwachstellen beseitigt und den zukünftigen Herausforderungen begegnet werden kann. Die Kommission schlägt eine vollständige Ausgliederung der Spezialregelungen zur Öko- Kontrolle aus den Rechtsvorschriften für die ökologische Produktion vor. Deutschland ist sich bewusst, dass die Glaubwürdigkeit der ökologischen Produktion von einer effizienten Kontrolle abhängt und spricht sich gegen eine derartige Trennung dieser eng miteinander verbundenen und parallel entwickelten Regelungsbereiche aus. Denn im Gegensatz zu Kontrollen in anderen Bereichen der Lebens- und Futtermittelwirtschaft, bei denen es um Kontrolle des Endprodukts geht, baut der Ökolandbau auf der Kontrolle von Prozessabläufen auf. Die Durchführung der Bio-Kontrolle stellt zudem besondere Anforderungen sowohl an die Prüfabläufe als auch an die fachliche Expertise der Prüfer.
SEITE 3 VON 5 Die Kommission sieht vor, dass zukünftig für Bio-Produkte gesonderte Schwellenwerte für Rückstände aus im Ökolandbau nicht zugelassenen Betriebsmitteln (z.b. chemischsynthetische Pflanzenschutzmittel) gelten sollen. Generell ist zunächst anzumerken, dass Deutschland die Zielsetzung der Kommission, Risiken durch Pflanzenschutzmittel generell zu reduzieren, ausdrücklich unterstützt. Im Hinblick auf die vorgeschlagene spezielle Regelung für den ökologischen Landbau befürchtet Deutschland jedoch, dass aus diesem Vorschlag erhebliche ökonomische Auswirkungen resultieren könnten und lehnt die Einführung einer derartigen Regelung ab. Eine solche Regelung hätte ein großes Risiko für alle in der Wertschöpfung beteiligten Unternehmen zur Folge. Diesem Risiko könnte lediglich durch eine massive Steigerung der Analysen begegnet werden. Da dies mit enorm hohen Kosten verbunden wäre, ist davon auszugehen, dass sich eine Vielzahl insbesondere kleinerer Unternehmen von der Bio-Produktion abwenden würde, da weder die Risikoabdeckung noch die höheren Analysekosten langfristig über höhere Verbraucherpreise zu decken wären. Die Produktion von Bio-Produkten würde demnach deutlich zurückgehen. Es stellt sich in diesem Zusammenhang insbesondere die Frage der Notwendigkeit und der Berechtigung einer Einführung von gesonderten Schwellenwerten generell für Bio-Produkte auf dem Niveau von Babykost. Die besonderen gesellschaftlichen Leistungen der Bioproduktion ergeben sich in erster Linie auf Grund ihrer Wirkung auf das Ökosystem. Darüber hinaus würden Biobetriebe - sofern keine Betrugsfälle vorliegen - mit Kosten belastet und für Probleme haftbar gemacht, die sie nicht selber verursacht haben. Gemäß KOM-Vorschlag sollen die in der RL 2006/125/EG festgelegten Höchstgehalte für Pflanzenschutzmittelrückstände in Säuglings- und Kleinkindernahrung Anwendung finden. Es handelt sich bei den dort genannten Höchstgehalten um aus gesundheitlichen Erwägungen festgelegte Höchstgehalte für die besonders schützenswerte Verbrauchergruppe Säuglinge und Kleinkinder, während im Fall der Bio-Produkte Schwellenwerte als Qualitätsstandards verbindlich festgelegt werden sollen, um die Anwendung von unzulässigen Pflanzenschutzmitteln zu kontrollieren. Die Feststellung von Rückständen oberhalb dieser Schwellenwerte in ökologisch erzeugten Produkten begründet lediglich einen Anfangsverdacht auf Anwendung nicht zugelassener Pflanzenschutzmittel und löst eine gezielte Suche nach der Ursache aus, da auch andere Expositionsquellen, wie z. B. eine Umweltkontamination für die auftretenden Rückstände verantwortlich sein können. Im Verordnungsentwurf ist die Möglichkeit vorgesehen, dass die Mitgliedstaaten im Rahmen nationaler Zahlungen Verluste ausgleichen können, die infolge der Kontaminierung durch unzulässige Erzeugnisse oder Stoffe auftreten können, wenn der Landwirt angemessene Maßnahmen zu deren Vermeidung getroffen hat. Dies würde einen erheblichen bürokratischen Aufwand bedingen. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass es auch im lebensmittelrechtlichen Bereich Situationen gibt, in denen Höchstgehaltsüberschreitungen durch eine unbeabsichtigte Kontamination ausgelöst werden. Hier werden jedoch bislang keine Entschädigungszahlungen ermöglicht.
SEITE 4 VON 5 Die Kommission schlägt vor, EU-weite und nationale Ausnahmen für landwirtschaftliche Betriebe weitestgehend abzuschaffen. Grundsätzlich wird die kontinuierliche kritische Überprüfung der Ausnahmeregelungen unterstützt. Anpassungsmöglichkeiten auf Grund technischen Fortschritts und positiver Marktentwicklung biologischer Alternativen im Produktions- und Verarbeitungsprozess sollten zur weiteren Einschränkung der Ausnahmeregelungen führen. Deutschland spricht sich jedoch für eine differenzierte Regelung bezüglich der Ausnahmen und Übergangsregelungen aus. Die Kommission schlägt eine extrem schlanke Verordnung vor. Viele Aspekte sollen erst über delegierte Rechtsakte und Durchführungsrechtsakte geregelt werden. Deutschland spricht sich deutlich dagegen aus. Es handelt sich in vielen Fällen um wesentliche Regelungen, die in der Verordnung selbst geregelt werden müssten und nicht einer Regelung durch die KOM vorbehalten werden können. Die Änderungsvorschläge zu den Importen geben keine Antworten auf die derzeit zu beobachtenden Schwachstellen. Insbesondere für die notwendige Verbesserung der Überwachung der in Drittländern tätigen Öko-Kontrollstellen bietet die KOM in ihrem Verordnungsvorschlag keine Konzepte an. Im Gegensatz zur vorgesehenen strafferen Bindung der Öko-Kontrollstellen an die zuständigen Behörden in der EU ist aus dem KOM-Vorschlag in Bezug auf die Kontrollen der Öko-Produktion in Drittländern eine weitere Liberalisierung, ein Abbau von Beschränkungen und ein Ausbau der Selbstständigkeit der Drittlandkontrollstellen abzulesen, ohne dass eine mit dem Niveau in der EU vergleichbare Überwachung der Tätigkeit der Kontrollstellen vorgesehen ist. Darüber hinaus schlägt die KOM im Hinblick auf die Anerkennung von Drittlandkontrollstellen eine Abkehr von der Äquivalenz zu einem Regime strikter Konformität mit den EU- Rechtsvorschriften für die ökologische Produktion vor. Die Einhaltung derartig konformer Produktionsstandards wäre in vielen Regionen der Welt, insbesondere in den Entwicklungsländern, aufgrund der unterschiedlichen geografischen, klimatischen, administrativen und kulturellen Bedingungen kaum möglich. Insoweit ist zu befürchten, dass der Import, insbesondere aus Entwicklungsländern, stark behindert würde. Andererseits könnte die vorgebliche Konformität in Folge der fehlenden Überwachung der Drittlandkontrollstellen zu einem intransparenten Qualitätsverfall der Öko-Produkte aus Drittländern führen. Durch die fehlende Überwachung und den drohenden Qualitätsverfall würde das Vertrauen der Verbraucher in Drittlandprodukte und damit in Bio-Produkte generell gefährdet. Der Revisionsprozess sollte genutzt werden, um die Kontrolle von Drittlandimporten zu stärken.
SEITE 5 VON 5 Die Chancen der Landwirtschaft und Lebensmittelwirtschaft auf den Märkten für Bio-Produkte sind sehr gut. Die Erschließung dieser Chancen hat eine hohe politische Priorität. Durch eine gezielte problembezogene Weiterentwicklung der Rechtsvorschriften kann das Verbrauchervertrauen gefördert werden, was die Basis für eine stabile Branchenentwicklung ist.