Illegale Drogen eine Übersicht (Teil 1)



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14 Originalarbeit Illegale Drogen eine Übersicht (Teil 1) Michael Kretzschmar 1, Silke Kretzschmar 2 1 Interdisziplinäres Schmerzzentrum am SRH Waldklinikum Gera ggmbh 2 Praxis für Arbeitsmedizin Gera eingereicht am 16.08.2011, Review: 24.08.2011, angenommen am 09.09.2011 Foto: Sven Bähren - Fotolia.com... Das Verlangen der Menschen nach Wohlbefinden und Zufriedenheit, ihr Wunsch nach einem Leben ohne Schwierigkeiten, Schmerz und Leid bestehen offenbar unabhängig von nationaler, religiöser oder rassischer Zugehörigkeit. Im Bestreben, diese Wünsche zu erfüllen, sind schon immer einige der Faszination des Irrealen erlegen und haben Rauschmittel benutzt, um mit deren Hilfe, wenn auch nur für kurze Zeit, aus der Realität zu flüchten. 1 1 Einleitung Nach wie vor gibt es erhebliche Unklarheiten zum Umgang mit Mitarbeitern, die unter dem Verdacht des gelegentlichen oder regelmäßigen Konsums illegaler Drogen stehen. Gesetzliche Regelungen gibt es hierfür nicht, sieht man von einigen wenigen Vorschriften (z. B. Unfallverhütungsvorschrift für Wachleute) ab. Entscheidend ist nach den Unfallverhütungsvorschriften die Fähigkeit, die Arbeit verrichten zu können, ohne andere oder sich selbst zu gefährden ( 15 Abs. 2, 3 Unfallverhütungsvorschrift BGV A 1). Der Umgang mit illegalen Drogen im Betrieb sollte durch eine Betriebsvereinbarung geregelt werden, so wie dies teilweise schon für die legale Droge Alkohol geschieht. In solchen Vereinbarungen wird z. B. ein absolutes Alkoholverbot geregelt. Klarheit über den Umgang mit Drogen ist für alle Beteiligten wichtig. Kommt es unter Einfluss von Rauschmitteln zu einem Unfall, stellt sich die Frage nach der Haftung (z. B. fahrlässige Körperverletzung, Regress der Berufsgenossenschaft, Arbeitnehmerhaftung, Verletzung der Aufsichtspflicht durch Vorgesetzte, Abmahnung, Kündigung). Große Unsicherheit besteht häufig, wenn bei einem Mitarbeiter erkennbare Anzeichen bestehen, dass ein sicheres Arbeiten nicht mehr gewährleistet ist (z. B. verdächtige Fehlhandlungen ). Es ist hier eine Regelung zu treffen, die einerseits die Persönlichkeitsrechte wahrt und andererseits den ggf. entstehenden besonderen Gefahren für die Sicherheit im Betrieb Rechnung trägt.

Originalarbeit 15 Zusammenfassung Neben den gesellschaftlich akzeptierten Substanzen wie Nikotin und Alkohol werden illegale Drogen entweder als Monosubstanzen, vielfach aber auch in Kombination konsumiert. Dabei muss der gelegentliche Konsum von regelmäßigem Gebrauch (im Rahmen einer Suchterkrankung) unterschieden werden. Ein Missbrauch von illegalen Drogen bei der Arbeit führt in der Regel zu arbeitsrechtlichen Konsequenzen, da durch den Konsum die Fähigkeit, die Arbeit verrichten zu können, ohne andere oder sich selbst zu gefährden, in aller Regel beeinträchtigt ist. An dieser Stelle nimmt der Betriebsarzt eine Schlüsselrolle ein. Einerseits ist er der Arbeitssicherheit verpflichtet, andererseits aber auch den Interessen des betroffenen Arbeitnehmers. Diese Übersicht soll den Arbeitsmediziner/Betriebsarzt mit der Vielfalt der auf dem illegalen Markt erhältlichen psychotropen Substanzen vertraut machen. Im Teil 1 werden die biochemischen, pharmakologischen und toxikologischen Grundlagen des Drogenkonsums und der Abhängigkeitserkrankung dargestellt. Dabei wird auf die Langzeitfolgen des Drogenkonsums eingegangen. Die Einteilung der abhängigkeitserzeugenden Stoffe erfolgt nach unterschiedlichen Kriterien (Struktur, Wirkung). Weiterhin werden die zur Verfügung stehenden Nachweisverfahren unter Beachtung der arbeitsrechtlichen Grenzen eines generellen Drogenscreenings am Arbeitsplatz vorgestellt. Die Problematik einer Risikobewertung für die Gesellschaft einerseits sowie am Arbeitsplatz andererseits wird diskutiert. Schlüsselwörter Drogen Drogenabhängigkeit Drogenscreening betriebliches Gesundheitsmanagement Arbeits- und Leistungsfähigkeit Illicit drugs a review (part 1) Abstract Beside the socially "accepted" substances like nicotine and alcohol illicit drugs either as mono substances, often, however, also in combination are consumed. Besides, the "occasional" consumption must be distinguished from regular use (within the scope of a drug addiction). The abuse of illicit drugs at work interferes with the general safety at work, as people endanger others or themselves and therefore leads to legal consequences. At this point the occupational health practitioner takes a key role. On one hand he is obliged to the safety at work, on the other hand, however, also to the interests of the affected employee. This review should give the occupational health consultant an overview of the variety of the psychotropic substances available at the black market. This article is an introduction to the biochemical, pharmacological and toxicological basics of the drug consumption and the drug dependence including the long time consequences. It also gives an overview of the available techniques for drug testing and the permission in law of a general drug screening at the work place. Dependence-generating substances can be divided according to their structure or effect. Furthermore the problems of a risk assessment for the society on the one hand as well as in the safety at work on the other hand are discussed. Keywords Illicit Drugs Drug addiction Drug screening Occupational health management Working ability and efficiency Lesen Sie Teil 2 dieses Artikels in Ausgabe 6/2011. Das Literaturverzeichnis folgt in Teil 3. Kann er/sie den Verdacht nicht ausräumen, sollte als Entlastungsmöglichkeit ein Testverfahren (z. B. Drogenscreening) angeboten werden. Dies ist von Bedeutung, wenn arbeitsrechtliche Schritte anstehen, um sich vom ungerechtfertigten Vorwurf eines Fehlverhaltens zu entlasten. 2, 3 Ein allgemeines, anlassunabhängiges Drogenscreening ist aus rechtlichen Gründen in Deutschland (noch) nicht möglich. Über die moralischen, ethischen und juristischen Probleme von Test auf Alkohol und illegale Drogen am Arbeitsplatz wird auch international schon lange und kontrovers diskutiert. 4 In den USA wurden erstmals 1988 Drogentests am Arbeitsplatz bei Staatsangestellten durchgeführt und die dafür erforderlichen Standards festgelegt. Das Federal Workplace Testing Program (U.S. Department Health and Human Services Drug Testing Standards) regelt die Untersuchung von Haar-, Speichel-,

16 Originalarbeit Schweiß- und Urinproben auf Tetrahydrocannabinol, Kokain, Phencyclidin, Opiaten (mit Schwerpunkt Heroin) und Amphetaminen am Arbeitsplatz unter Verwendung von Schnelltests. 5 In Finnland wurde im Jahr 2004 eine entsprechende Gesetzgebung verabschiedet. 6 Über eine sehr ähnliche Gesetzgebung verfügt Italien. 7 Ein Missbrauch von illegalen Drogen bei der Arbeit führt in der Regel zu arbeitsrechtlichen Konsequenzen. Neben der Nichtzahlung des Lohnes für die Zeit der Entfernung vom Arbeitsplatz kommen auch Abmahnungen und ggf. eine Kündigung in Betracht. Kann der Betroffene sein Verhalten allerdings nicht mehr steuern, weil eine Suchterkrankung vorliegt, scheiden diese Maßnahmen aus. In Betracht kommt dann eine auf die Krankheit gestützte personenbedingte Kündigung, deren Rechtfertigung an andere, insgesamt strengere Voraussetzungen geknüpft ist. Da sich meistens nicht von vornherein sagen lässt, ob eine Suchterkrankung vorliegt oder nicht, gibt es in vielen Betrieben und Dienststellen des öffentlichen Dienstes sog. Stufenpläne, durch die möglichst frühzeitig Probleme angegangen werden sollen. Diese Stufenpläne bieten den Betroffenen auf der einen Seite Chancen, da sie mit Hilfsangeboten (Kontakt mit betrieblichen oder externen Suchtberatern, Entziehungskuren) verbunden sind. An dieser Stelle nimmt der Betriebsarzt eine Schlüsselrolle ein. Einerseits ist er der Arbeitssicherheit verpflichtet, andererseits aber auch den Interessen des betroffenen Arbeitnehmers. Diese Übersicht soll dem Betriebsarzt mit der Vielfalt der auf dem illegalen Markt erhältlichen psychotropen Substanzen vertraut machen. 2 Allgemeines zur Drogenproblematik 2.1 Sucht und Abhängigkeit (Tabelle 1) Drogen erzeugen Abhängigkeit, indem sie Lernprozesse im Gehirn verändern. Dafür genügt gelegentlich schon eine Einzeldosis der Droge. Kauer et al. 8 suchten experimentelle Hinweise für die Hypothese, dass eine Drogenabhängigkeit dadurch entsteht, dass Drogen Tabelle 1: Abhängigkeitspotential verschiedener Drogen (in Anlehnung an 1 ) Substanzgruppe Psychische Abhängigkeit Lernprozesse im Gehirn verändern. Diese Veränderung setzte häufig schon mit der ersten Applikation ein und blieb dauerhaft erhalten. So blockierte u. a. Morphin eine Schlüsselstelle für das Gedächtnis im Gehirn. Sucht ist daher eine Form pathologischen Lernens, schlussfolgerten die Autoren. Es konnte in den Untersuchungen festgestellt werden, dass Morphin den Informationsaustausch zwischen zwei bestimmten Nerventypen in der Ventral Tegmental Area und im Nucleus accumbens ( Belohnungszentrum ) des Gehirns beeinflusst: Es stoppt die Entstehung der sogenannten Langzeitpotenziale (LTP). Diese Signale sind für das Speichern von Informationen ausschlaggebend, also für Lernen und Gedächtnis. Wenn sich zwischen den betroffenen Nervenzellen einmal hemmende Neuronen, zum anderen dopaminerge Neuronen keine LTP-Synapsen bilden, kommt es zur ungebremsten Dopaminausschüttung und einem sofortigen Glücksgefühl. Da die LTP-Blockade noch anhielt, nachdem längst kein Morphium mehr im Biosystem vorhanden war, ist davon auszugehen, dass der Wirkstoff einen Lernprozess in Gang gesetzt hat: Das Gehirn hat durch den ersten Drogenkontakt gelernt, nach Drogen zu gieren. Diese Veränderungen lassen sich auch bei anderen Drogen (Meskalin, Cannabis, Tropanalkaloide) sowie bei Alkohol und Nikotin nachweisen. Diese Befunde könnten auch erklären, warum ehemalig Drogenabhängige noch Jahre nach dem Entzug ein Verlangen nach Drogen haben. Dementsprechend definiert die WHO Sucht wie folgt: Physische Abhängigkeit Opiate +++ +++ +++ Kokain +++ ++ ++ Ethanol ++ +++ ++ Barbiturate* ++ ++ ++ Amphetamine ++ (+) +++ Cannabis + 0 (+) Halluzinogene + 0 +++ *einschließlich weiterer sedierend-hypnotisch wirkender Psychotropika Toleranzentwicklung der überwältigende Wunsch oder Zwang, den betreffenden Stoff weiter einzunehmen und sich ihn mit allen Mitteln zu verschaffen die Tendenz, die Dosis zu steigern eine psychische und gewöhnlich auch physische Abhängigkeit von Effekten des Stoffes ein Effekt, der für das Individuum und die Gesellschaft von hoher Gefahr ist 1 Bei der Entstehung der Abhängigkeit unterscheidet man die physische von der psychischen Abhängigkeit (siehe Tabelle 1). Bei der physischen Form der Abhängigkeit beobachtet man einen Dauergebrauch der entsprechenden Substanz mit der Notwendigkeit einer kontinuierlichen Dosissteigerung. Bei Dosisreduktion bzw. Abstinenz kommt es zu schweren Entzugserscheinungen. Die Merkmale der physischen Abhängigkeit lassen sich wie folgt zusammenfassen: ein starkes Verlangen oder eine Art Zwang, die Substanz zu konsumieren verminderte Kontrolle über den Substanzgebrauch, d. h. über Beginn, Beendigung und Menge des Konsums ein körperliches Entzugssyndrom, wenn die Substanz reduziert oder abgesetzt wird, mit den für die Substanz typischen Entzugssymptomen Toleranzentwicklung gegenüber den Substanzeffekten (Dosissteigerung) Einengung auf den Substanzgebrauch, deutlich an der Aufgabe oder Vernachlässigung anderer wichtiger Interessenbereiche erkennbar anhaltender Substanzgebrauch trotz eindeutiger schädlicher Folgen 1

Originalarbeit 17 Bei der psychischen Form der Abhängigkeit steht das Verlangen, die durch den Wirkstoff ausgelöste Euphorie wieder herbeizuführen. Es besteht ein innerer Zwang nach Wiederholung. Im Unterschied zur psychischen Abhängigkeit gibt es bei Abstinenz keine Entzugserscheinungen. Dementsprechend definiert sind die Abhängigkeitstypen (ICD 10): Abhängigkeit vom Morphintyp Abhängigkeit vom Kokaintyp Abhängigkeit vom Cannabistyp Abhängigkeit vom Amphetamintyp Abhängigkeit vom Barbiturattyp Abhängigkeit vom Alkoholtyp Abhängigkeit vom Halluzinogentyp Abhängigkeit vom Khattyp (Schnüffeln von organischen Lösungsmitteln) (Polytoxomanie) 2.2 Langzeitfolgen Genetische Risikofaktoren und Änderungen der Genexpression im Zusammenhang mit Drogenmissbrauch werden immer noch schlecht verstanden. Neben Herz-Kreislauf-Komplikationen sind neurologische und psychiatrische Symptome die häufigsten Erscheinungsformen der Drogentoxizität. Ein breites Spektrum von Änderungen mit Auswirkungen auf das Zentralnervensystem kann bei Drogenabhängigkeit gesehen werden. Die wesentlichen Veränderungen ergeben sich aus den Folgen von Ischämie und zerebrovaskulären Erkrankungen. Die Ätiologie dieser zerebrovaskulären Veränderungen wird nach wie vor nicht vollständig verstanden mit Ausnahme einiger Fälle von Vaskulitis. Der Missbrauch von Amphetamin, Methamphetamin und Methylendioxymethamphetamin (MDMA) wird im Zusammenhang mit Neurotoxizität bei Langzeitkonsumenten gebracht und wurde als Risiko für die Entwicklung der Parkinson-Krankheit identifiziert. Systematische histologische, immunhistochemische und morphometrischer Untersuchungen haben tiefgreifende morphologische Veränderungen in den Gehirnen von Langzeitkonsumenten mit multiplem Substanzgebrauch gezeigt. Die wichtigsten Ergebnisse umfassen neuronale Verluste, neurodegenerative Veränderungen, eine Reduktion der Zahl der Glial-Fibrillären Saure Protein-immunopositiven Astrozyten, axonale Schäden mit damit verbundener mikroglialer Aktivierung als auch reaktive und degenerative Veränderungen des zerebralen Mikrogefäßsystems. Diese Beobachtungen zeigen, dass Drogen eine Kaskade der Interaktion von toxischen, vaskulären und hypoxischen Veränderungen hervorrufen, die schließlich zu ausgedehnten Störungen innerhalb des komplexen Netzwerks der Zell-Zell-Interaktionen im Zentralnervensystem führen. 9 Demgegenüber steht die Tatsache, dass Cannabis oft zur Grundversorgung Jugendlicher gehört. Dabei handelt es sich um eine gefährliche Einstiegsdroge, deren langfristiger Konsum zudem Psychosen auslösen kann. 10 Häufig bleibt es dann nicht beim Konsum von Cannabis, die meisten User kombinieren mit Alkohol oder greifen zu den härteren Drogen. Die Betroffenen geraten dann in einen Teufelskreis der Drogenabhängigkeit. Es ist auffallend, dass Menschen mit Drogenkonsum Gedächtnisprobleme haben und die geistige Leistungsfähigkeit generell abnimmt. 9 Aus der Arbeitsgruppe Prof. Büttner aus dem Institut für Rechtsmedizin Rostock wurden Befunde bekannt, dass im Rahmen von Drogentests bei 2800 Kraftfahrern 22 % der untersuchten Blutproben positiv ausgefallen waren. Diese Autofahrer fielen durch ihr Fahrverhalten auf, seien zu schnell und risikoreich oder unkonzentriert gefahren. Ihre Feinmotorik sei beeinträchtigt (persönliche Mitteilung). 2.3 Charakteristik und Einteilung abhängigkeitserzeugender Stoffe Im Hinblick auf die Drogenwirkung steht u. a. das limbische System im Blickpunkt des Interesses. Es befindet sich an der Grenze zwischen dem Neocortex und dem Paleocortex. Der Begriff wurde 1878 von Paul Broca eingeführt, der einen limbischen Lappen definierte. Der Name limbisch leitet sich von lateinisch limbus ( Saum ) ab, da die dazugehörigen Strukturen einen doppelten Ring um die Basalganglien und den Thalamus bilden. Seit den 1990er Jahren steht das Konzept des limbischen Systems in zunehmender Kritik. Zum Limbisches System Hirnstamm Rückenmark Abbildung 1: Limbisches System einen wird darauf verwiesen, dass es kein unabhängiges und allgemein anerkanntes Definitionskriterium gibt sei es anatomisch oder funktional, das für alle zum limbischen System gezählten Gebiete zutrifft. Deshalb wurde das Konzept eines extended limbic system vorgeschlagen, das auch Teile der Großhirnrinde und des Hirnstamms umfasst. Zum anderen finden sich Befunde dafür, dass Emotionen kein monolithisches Phänomen sind. Eher scheint es so zu sein, dass ganz unterschiedliche neuronale Substrate z. B. der Furcht oder dem Suchtverlangen zugrunde liegen. Die Strukturen des limbischen Systems bilden einen doppelten Ring um die Basalganglien und den Thalamus. Es wird gebildet aus phylogenetisch alten Anteilen der Großhirnrinde (Paläopallium und Archipallium und subkortikalen Strukturen, die medial der Hemisphären liegen (Abbildung 1)). Die Reizung bestimmter Fasern kann Lustempfinden und in Kooperation mit dem Cortex auch zu Belohnungs- und Motivationsgefühlen führen. Kommt es zur Stimulation durch Drogen, sind Gefühlsstörungen, Halluzinationen, Depersonalisationsund Derealisa tionserlebnisse möglich. Die Signalübertragung erfolgt durch Neurotransmitter, wobei sechs Transmissionssysteme dafür von besonderer Bedeutung sind (Tabelle 2). 10 Dadurch können die Akutwirkungen der verschiedenen Drogen recht gut erklärt, aber auch aus dem klinischen Bild eines Drogennotfalls Rückschlüsse über den konsumierten Wirkstoff gezogen werden (Abbildung 2). Da psychoaktive Substanzen komplexe, völlig verschiedenartige Wirkmechanismen und Effekte aufweisen, sind mehrere Formen der Klassifizierung möglich, wobei jede Klassifizierung nur bestimmte Aspekte einer Substanz Quelle: NLshop - fotolia.com

18 Originalarbeit Tabelle 2: Substanz-Transmitter-Interaktionen (in Anlehnung an Giannini 2000) * Neurotransmitter Substanzklasse GABA 5-HT NA ACh β-endorphin Dopamin Opiate X X Dissoziativa X X X X X Psychedelics X Stimulantien X X Alkohol, Sedativa, Tranquilizer X X X X * weitere beteiligte Neurotransmitter: Glutamat, Glycin, Anandamide, Enkephaline, α-endopsychosin Tabelle 3: Aktivitäten der Neurotransmitter mit klinischen Effekten (in Anlehnung an Giannini 2000) Neurotransmitter Rezeptoren Klinische Effekte Azetylcholin m- und n- ACh-Rezeptoren Koordination, Kurzzeitgedächtnis, REM-Schlaf, affektiver Ausdruck, Lernfunktion Dopamin DA-Rezeptoren Kognitive Integration, Bewegungsauslösung, Arbeitsgedächtnis GABA GABA-Rezeptoren Hemmung der Funktion von Großhirnrinde, Kleinhirn, Hippocampus und limbischem System Noradrenalin α 1, α 2, β 1, β 2 -Rezeptoren Durchschlafen, Modulation der Stimmung β-endorphin (Leu-Enkephalin, Dynorphin) μ 1, μ 2, δ, κ, σ-rezeptoren Analgesie, Euphorie, Sedierung, Atemdepression, Hypothermie Serotonin Alle 5-HT-Rezeptoren Einschlafen, Modulation der Stimmung, Schmerzmodulation, Aggression, Angstkontrolle, Aufmerksamkeit betrachten kann. Zur Abschätzung der generellen Wirkung sowie möglicher Risiken einer Substanz ist es daher meist nötig, ihre Einordnung innerhalb mehrerer Klassifizierungen zu betrachten (Abbildung 3). Im Folgenden werden jeweils besonders verbreitete oder bekannte Substanzen beispielhaft aufgelistet. Aufgrund der chemischen Struktur lassen sich Drogen verschiedenen Stoffklassen zuordnen. Die Mehrzahl der Drogen kann den Alkaloiden oder den Terpenoiden zugerechnet werden. Innerhalb einer Stoffklasse weisen psychoaktive Substanzen oft einen gemeinsamen Aspekt der Wirkung auf; so sind etwa alle Amphetamine unter anderem stimulierend und die meisten Tryptamine halluzinogen. Drogen lassen sich anhand ihrer pharmakologischen Zuordnung nach psychischer Wirkungsweise einteilen, wobei einige Drogen mehreren Gruppen angehören. Diese Klassifizierung ist die allgemeinste und am häufigsten verwendete; zur genaueren Abschätzung der zu erwartenden Wirkung kann die Stoffklasse hinzugezogen werden (Abbildung 2). Ein stark vereinfachter Ansatz unterteilt Drogen in Upper (stimulierende Substanzen), Downer (dämpfende Substanzen) und Halluzinogene (bewusstseinsverändernde Substanzen), wobei die Übergänge je nach Substanz und Dosierung fließend sein können. Drogen können sowohl direkt als Naturstoffe aus Pflanzen (seltener aus Tieren) gewonnen, auf der Grundlage solcher Naturstoffe synthetisiert, wie auch vollsynthetisch hergestellt werden. Insgesamt ist ein Trend hin zum Konsum synthetischer Drogen (vor allem Amphetamine) beziehungsweise zum Medikamentenmissbrauch (hier insbesondere Opioide und Benzodiazepine) zu beobachten. 11 Zur Verbreitung halluzinogener Substanzen existieren hingegen bisher keine gesicherten Daten. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Anzahl der Konsumenten im Vergleich zu Nutzern reiner Upper und Downer relativ gering ist, da ein gewohnheitsmäßiger langfristiger Konsum aufgrund der intensiven bewusstseinsverändernden Effekte eher ungewöhnlich sein dürfte. Es könnte allerdings durch die problemlose Beschaffbarkeit psychoaktiver Pilze, Salvia divinorum und anderer Psychedelika seit den späten 1990er Jahren durchaus zu einer Popularisierung gekommen sein. Die meisten traditionell genutzten Drogen sind pflanzlichen Ursprungs. Fast alle psychoaktiven beziehungsweise in psychoaktiven Zubereitungen verwendeten Pflanzen werden gezielt gezüchtet und angebaut. Meist werden Pflanzenteile direkt konsumiert (durch Verzehr, Rauchen oder Bereitung eines Tees) oder als wirksamer Bestandteil einer Zubereitung verwendet. Bei einigen biogenen Drogen ist es in Hinsicht auf die Erlangung eines Rauschzustandes üblich, den Hauptwirkstoff zwecks Wirkungsverstärkung oder besserer Dosierbarkeit zu extrahieren. 12 Einige psychoaktive Substanzen werden ausgehend von Naturstoffen synthetisiert. Auch einige an sich biogene Drogen (z. B. Kokain) können durch Partialsynthese aus natürlichen Präkursoren hergestellt werden. Hierzu ist allerdings ein grundlegend ausgestattetes Labor sowie Zugang zu Ausgangschemikalien nötig, welche ihrerseits aufgrund eben der Möglichkeit der Herstellung illegaler Drogen gesetzlich reguliert sein können. Trotz solcher Hindernisse bedienen

Originalarbeit 19 zahlreiche versteckt betriebene Labors ( Drogenküchen ) die Nachfrage nach illegalen halb- und vollsynthetischen Drogen. 13 Sehr viele Drogen werden ohne Zuhilfenahme eines natürlichen Ausgangsproduktes vollsynthetisch hergestellt. In diese Kategorie fallen viele Wirkstoffe, die als Medikamente entwickelt wurden, Substanzen sowie die meisten verkehrsfähigen Medikamente, aber auch sogenannte Designerdrogen, welche gezielt auf eine entsprechende Wirkung hin konzipiert wurden. Die Einnahme erfolgt meist oral, gelegentlich nasal. 2.4 Risikobewertung (Abbildung 4) Lange Zeit stand keine rationale, evidenzbasierte Methode zur Risikobewertung von Drogen zur Verfügung. Nutt et al. definierten die Hauptfaktoren, die das Schadenspotenzial des Konsums einer Droge ausmachen: 14 der (körperliche und gesundheitliche) physische Schaden für das Individuum, den die Droge verursachen kann; das potenzielle Ausmaß der Abhängigkeit des Individuums von der Droge; die möglichen Auswirkungen des Drogengebrauchs auf die Familie, die Gemeinde und die Gesellschaft, in welcher der Drogennutzer lebt, also der soziale Schaden. Jede dieser Kategorien ist wiederum in drei Unterkategorien unterteilt. Psychiater und unabhängige Experten vergaben für alle Substanzen 0 bis 3 Punkte in jeder Unterkategorie. Die gemittelten Bewertungen aller Kategorien wurden für jede Substanz addiert, um einen Wert für das generelle Schadenspotenzial zu erhalten. Beachtenswert ist, dass im Ergebnis die legalen Drogen (Alkohol und Tabak) unter den zehn schädlichsten Drogen zu finden sind. Im November 2010 wurde im Lancet eine Folgestudie basierend auf verbesserter Methodik veröffentlicht. Das Schadenspotenzial setzte sich nunmehr aus 16 gewichteten Einzelfaktoren zusammen, welche sich auf die Gruppen physischer, psychischer und sozialer Schaden innerhalb der Dimensionen Selbstschädigung und Abbildung 2: Einteilung psychotroper Wirkstoffe nach pharmakologischen Kriterien - Wechselwirkung mit den Transmittersystemen des ZNS (in Anlehnung an 29 ) Abbildung 3: Klassifizierung geläufiger Drogen nach Stoffklasse, Wirkung und Herkunft Quelle: LordToran (de.wikipedia.org)

20 Originalarbeit Fremdschädigung verteilen. Als Droge mit dem insgesamt größten Schadenspotenzial wurde Alkohol mit einer Bewertung von 72 von 100 Punkten identifiziert, gefolgt von Heroin (55) und Crack (54). Das hohe Schadenspotenzial von Alkohol insbesondere in der Dimension Fremdschädigung lässt sich möglicherweise mit der leichten Verfügbarkeit und dem weit verbreiteten und akzeptierten Konsum erklären. Andere Drogen mit insgesamt hoher Risikobewertung weisen hingegen ein höheres absolutes Selbstschädigungspotenzial auf. Dies dürfte vor allem auf die bei diesen Drogen ausgeprägte Gefahr einer schnellen Abhängigkeitsentwicklung zurückzuführen sein. 15 2.5 Nachweis des Konsums von illegalen Drogen (Tabelle 5) Meistens werden vorgefertigte Urin- Teststreifen verwendet, die nur noch in die Probe eingetaucht werden müssen und die nach einigen Minuten eine Verfärbung an einer oder mehreren Stellen (teilweise auch zur Kontrolle für ein negatives Testergebnis) anzeigen. Es gibt sowohl Tests, die nur nach einer Substanz suchen, als auch Tests, die gleich auf mehrere Substanzen testen. Üblicherweise werden Teststreifen für Opiate (Heroin, Codein, Morphin etc.), Methadon, Speed (Amphetamin), Ecstasy (MDMA, MDA, MDEA etc.), Methamphetamin, Kokain, Cannabinoide, Barbiturate, Benzodiazepine, PCP und trizyklische Antidepressiva angeboten. Die Teststreifen funktionieren nach dem Prinzip des Kompetitiven Immunoassays und haben jeweils eine Nachweisgrenze (cut off), ab der eine bestimmte Konzentration der Droge bzw. ihrer Stoffwechselprodukte im Urin nachgewiesen werden können. Solche Schnelltests funktionieren auch mit Schweißproben, die in Deutschland überwiegend bei der Polizei Anwendung finden. Für spezielle Fragestellungen können Urinproben auch an forensisch-toxikologische Laboratorien eingesandt werden. Dann kann auch eine Aussage zur Höhe der Konzentration der Drogen bzw. deren Metaboliten getroffen werden daraus kann man wiederum Abbildung 4: Schadensklassifizierung psychotroper Substanzen nach Nutt et al. 2010 Schlüsse auf die Menge und Häufigkeit 16, 17, 18 des Konsums ziehen. In Haaren (alle Körperhaare) ist der Konsum verschiedener Substanzen praktisch zeitlich unbegrenzt nachweisbar (Alkohol ist nur ca. 3 Monate und Poppers sowie GHB gar nicht im Haar nachweisbar). Zur Untersuchung von Haaren nach Drogen und Metaboliten von Drogen dienen u. a. Radioimmunoassays bzw. GC/MS-Verfahren (Gaschromatographie/Massenspektrometrie). Alle Testverfahren unterscheiden sich nur unwesentlich in ihrer Aussagefähigkeit. Als ebenfalls sehr geeignet gilt das FPIA (Fluoreszenzpolarisationsimmunoassay), welches in der Lage ist, zahlreiche Drogenmetaboliten nachzuweisen. Für die Analyse reicht schon eine Haarmenge von 50 mg pro nachzuweisendem Stofftyp aus. Dieses entspricht plastisch in etwa der Menge eines 1 cm langen, bleistiftdicken Haarstranges. Je länger jedoch die Haare sind, desto länger lässt sich auch der Drogenkonsum nachweisen, da die Zerfallsprodukte im 17, 20, 21, 22 Haar konserviert werden. Generell kann festgestellt werden, dass die Nachweiszeiten sowohl von der Dosis, von der Dauer des Konsums, vom Untersuchungsmaterial, von der zu identifizierenden Substanz, der Matrix (Urin, Speichel) und den interindividuellen Variationen des Substanzabbaus im Organismus abhängen. Die Nachweiszeit ist am längsten in den Haaren, gefolgt von Urin, Schweiß und Speichel. Im Blut können die meisten illegal konsumierten Drogen im niedrigen Nanogramm/ml -Bereich innerhalb von ein bis zwei Tagen nachgewiesen werden. Im Urin beträgt die Nachweiszeit für eine Einzeldosis ein bis vier Tage. Bei regelmäßigen Konsumenten können Quelle: Thomas Wydra (de.wikipedia.org)

Originalarbeit 21 10, 11, 13, 29 Tabelle 4: Klassifizierung psychotroper Substanzen nach Herkunft Droge Hauptwirkung Vorkommen Biogene Drogen pflanzlichen Ursprungs Alkohol Delirantium durch Hefen oder Bakterien vergorene pflanzliche Zucker und Stärke Dimethyltryptamin Psychedelikum Ayahuasca, Psychotria virides, verschiedene Akazien- und Mimosen Harmalin MAO-Hemmer Ayahuasca, Banisteriopsis capii, Steppenraute Koffein Stimulans Kaffee, Tee, Kakao Kokain Stimulans Kokastrauch (Erythroxylon) LSA (Ergin) Psychedelikum Hawaiianische Holzrose (Argyreia nervosa), Ololiuqui (Samen der Turbina corrymbosa) Mescalin Psychedelikum Peyote-Kaktus (Lophophora williamsii) Mitragynin Sedativum Kratom Nikotin Stimulans Tabak Opiate (Morphin, Codein) Hypnotikum Samenkapseln des Schlafmohns (Papaver somniferum), aus denen natürliche Opiate (Opium) gewonnen werden Salvinorin A Dissoziativum Azteken-Salbei (Salvia divinorum) Scopolamin Delirantium Brugmansia spec., Datura stramonium Tetrahydrocannabinol Sedativum Hanf (Cannabis sativa var. indica) Biogene Drogen aus Pilzen Muscimol Delirantium Fliegenpilz (Amanita muscaria) Psilocybin Psychedelikum Spitzkegeliger Kahlkopf (Psilocybe semilanceata), Dunkelrandiger Düngerling (Panaeolus subbalteatus) Biogene tierische Drogen Bufotenin (5-Methoxy-N,Ndimethyltryptamin) Psychedelikum Colorado-River-Kröte (Bufo marinus), im DreamFish (Kyphosus fuscus) Halbsynthetische Drogen Synthetische Drogen LSD Psychedelikum Mutterkornalkaloide Heroin Hypnotikum, Analgetikum Amphetamin Stimulans Amph Metamphetamin Stimuans Crystal Schlafmohn (Papaver somniferum) Benzodiazepine Hypnotikum Diazepam, Flunitrazepam, Lorazepam Diphenhydramin Delirantium Dimethoxyamphetamine Entaktogen DOB und DOM sowie Methylendioxyamphetamine, z. B. MDA und MDMA (Ecstasy) Dimethoxyphenylethylamine, Entaktogen, Psychedelikum Dimethoxyphenylethylamine, z. B. 2C-B,2C-E und 2C-T-7 Gammahydroxybutyrat Entaktogen Liquid Ecstasy Distickstoffoxid Dissoziativum Lachgas Lösemittel Dissoziativum Tetrachlormethan NMDA-Antagonisten Opioide Amylnitrit Dissoziativum, Psychedelikum Hypnotikum, Analgetikum Tonikum, Aphrodisiakum Ketamin, Phencyclidin Fentanyl, Methadon, Tilidin, Tramadol Poppers

22 Originalarbeit Tabelle 5: Nachweiszeiten für den Konsum von illegalen Drogen in Blut und Urin Cannabis (THC) Speed (Amphetamin) Ecstasy (MDMA) Nachweis im Blut THC: 12 bis zu 36h Abbauprodukt THC-COOH: 2-3 Tage (gelegentlicher Konsum) 3 Wochen (regelmäßiger Konsum) Nachweis im Urin 24-36h (einmalig) 5-20 Tage (mäßiger Konsum) 8-12 Wochen (Dauerkonsum) 8-24h 1-4 Tage (bis zu 1 Woche) bis zu 24h 1-4 Tage (Ausscheidung ph-wertabhängig) LSD bis zu 12h bis 4 Tage, wird in Speziallabors durch Radioimmunoassay = RIA getestet Kokain Heroin 6 24h Abbauprodukte 2-3 Tage bis 12h (Abbauprodukte bis 24h) 7 Tage Kokain einige Stunden, Abbauprodukt bis zu 4 Tagen 15-22 Tage (häufiger Konsum) 3-4 Tage 5-7 Tage (bei hohen Dosen + täglichem Konsum) Barbiturate einige Stunden bis Tage ca. 24h (kurz wirksame) bis zu 3 Wochen (lang wirksame) Benzodiazepine einige Stunden bis Tage 3-7 Tage 4-6 Wochen (nach Langzeiteinnahme) Crystal (Methamphetamin) bis zu 24h 1-3 Tage bis zu einer Woche Methadon bis zu 48h bis 3 Tage (ph-wert-abhängig) Codein GHB/GBL/BDO mehrere Stunden (stark dosisabhängig) bis 6h (mit aufwendigen Testverfahren) bis zu 7 Tage bis 12 Stunden (mit aufwendigen Testverfahren) Ketamin einige Stunden 1-4 Tage (auf Anforderung im Labor) 2C-B wenige Stunden bis zu 3 Tage Poppers wenige Stunden bis zu 12 Stunden Psilos einige Stunden 2-4 Tage Opiate allgemein Alkohol bis 8 Stunden nach letztmaligem Konsum (Nachweis von Morphin) Der menschliche Organismus baut etwa 0,1 bis 0,15 pro Stunde ab. Dies ist jedoch stark abhängig von Körpergewicht, Alter, Geschlecht. etwa 2-4 Tage nach letztmaligem Konsum, bei regelmäßigem Konsum nahezu immer! Nachweiszeiten sind generell von der konsumierten Menge und Konsumhäufigkeit sowie bei Urintests meist vom ph-wert und Konzentration des Harns abhängig. Die Angaben wurden zusammengestellt aus: Musshoff und Madea (2006), Lehrmann et al. (2008) und Verstraete (2004). Weitere Informationen unter www.drogentest.de und www.drogenscreening.info die Substanzen im Urin für etwa eine Woche nach dem letzten Konsum festgestellt werden (bei Cocain und Tetrahydrocannabinol auch länger). Im Speichel können illegale Drogen 5 bis 48 Stunden im niedrigen Nanogramm/ ml- level nach der letzten Einnahme nachgewiesen werden, die Nachweismöglichkeit für Gammahydroxybutyrat ist jedoch kürzer. Nach einer Einzeldosis von Flunitrazepam kann mit sehr sensitiven Methoden der Nachweis für den Metaboliten 7-Aminoflunitrazepam bis zu vier Wochen im Urin geführt werden. 17 2.6. Fahrtauglichkeit Die Kriterien der Fahreignung hat der Gesetzgeber in 2 Abs. 4 StVG festgelegt. Einzelheiten zur weiteren Definition und Klarstellung in Bezug auf Drogen finden sich in der Fahrerlaubnisverordnung (FeV), hier insbesondere in 11 Abs. 1 S. 2 in Verbindung mit Anlage 4 und 5. Das Fehlen dieser Eignung, also die Nichteignung zum Führen eines Kraftfahrzeuges, führt zur Nichterteilung, zum Entzug oder zur Nichtwiedererteilung durch die Fahrerlaubnisbehörde. Die Haaranalyse als Drogenscreening ist für den Nachweis der (mangelnden) Fahreignung das zuverlässigste Beweismittel, da auch Wochen und Monate zurückliegender Drogenkonsum erfasst werden kann. Auch das Konsumverhalten des Betroffenen kann nachvollzogen werden, da zeitliche Zuordnungen anhand von Haarsegmentuntersuchungen möglich sind. Die Behauptung eines einmaligen Betäubungsmittelkonsums kann ggf. widerlegt werden. Im Rahmen der Beurteilung der Fahreignung ist nach der Fahrerlaubnisverordnung zu unterscheiden zwischen Cannabis und anderen Betäubungsmitteln. Für Cannabis sind in 14 Abs. 1 S. 4 und in der Anlage 4 FeV Sonderregelungen aufgestellt. Die FeV (Ziff. 9.1 der Anlage 4) macht bei der Einnahme von (Nicht-Cannabis)-Betäubungsmitteln keine Unterschiede hinsichtlich der verschiedenen Konsumfrequenzen (regelmäßig, gelegentlich oder einmalig). In allen Fällen ist von der Nichteignung auszugehen. Anders ist dies für Canna-

Originalarbeit 23 bis. Hier gilt eine gewisse Toleranz siehe Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes vom 21.12.2004 1 BvR 2652/03. Die Entscheidung berücksichtigt den von Wissenschaftlern empfohlenen Grenzwert von 1,0 ng THC/ml Blut, bei dessen Überschreitung erst von einer eingeschränkten Fahrtüchtigkeit auszugehen ist. Das Urteil bezieht sich zwar auf einen akuten Konsumentenzustand, besagt aber auch, dass man als Kraftfahrzeugführer nicht THC-abstinent leben muss. So wurde auch schon in früheren Urteilen des BVerfG befunden. Beispielsweise wurde in einer Entscheidung am 20.06.2002 (Urteil BVerfG) allgemein festgestellt dass aus dem Konsum von Cannabis zwar erhebliche Gefahren für die Sicherheit des Straßenverkehrs hervorgehen können, wobei jedoch nach Art und Intensität des Konsums zu unterscheiden sei.. Dies besagt auch die Anlage 4 Ziff. 9.2.2 FeV, nach der die gelegentliche Einnahme von Cannabis dann nicht zur Ungeeignetheit führt, wenn Trennung von Konsum und Fahren und kein zusätzlicher Gebrauch von Alkohol und anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen und keine Störung der Persönlichkeit und kein Kontrollverlust vorliegen. Dazu noch einmal ein Auszug des BVerfG vom 20.06.2002: Es ist nach derzeitigem Erkenntnisstand bei einmaligem oder gelegentlichem Cannabiskonsum auch nicht überwiegend wahrscheinlich, dass der Betroffene außer Stande ist, eine drogenkonsumbedingte zeitweilige Fahruntüchtigkeit rechtzeitig als solche zu erkennen oder trotz einer solchen Erkenntnis von der aktiven Teilnahme am Straßenverkehr abzusehen.. Einmaliger oder gelegentlicher Cannabiskonsum ohne konkrete Verknüpfung mit der Teilnahme am Straßenverkehr gibt für sich allein keinen ausreichenden Anlass zur Anforderung eines Drogenscreenings (Bundesverwaltungsgericht vom 5.7.2001, BA 2002, 133). Im Zweifelsfall hilft hier die Haaranalyse weiter (Grenzwert für THC auf 0,4 ng/ mg Haar). 23 2.7 Definitionen Im Folgenden werden einige Begriffe, die im Zusammenhang mit illegalem Drogenkonsum bzw. einer Suchterkrankung wesentlich sind, in ihrer Bedeutung erklärt: 24, 25 Sucht: Als eine Suchterkrankung wird eine chronische Erkrankung mit Verhaltens-, kognitiven und körperlichen Phänomenen, die sich nach wiederholtem Gebrauch von psychotropen Substanzen entwickelt, definiert. Synonyma sind: psychische Abhängigkeit; psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen bzw. Substanzmissbrauch. Der Genuss von psychotropen Substanzen bewirkt angenehme Gefühlsänderungen oder Freiheit von Distress. Als weitere Kriterien der Suchterkrankung gelten unabweisbar zwanghafter Gebrauch, Drogenhunger ( craving ), Kontrollverlust und fortgesetzter Gebrauch trotz Schädigung. Toleranz: Verlust von Substanzwirkung bei wiederholtem Gebrauch, die durch Dosiserhöhung kompensiert werden kann. Kreuztoleranz: Mit Kreuztoleranz wird der Wirkungsverlust von Wirkstoffen bezeichnet, der primär durch wiederholte Gabe einer ähnlich wirkenden Substanz ausgelöst wurde. Kreuztoleranz ist nicht streng gruppenspezifisch, z. B. können Sedativa beim Alkoholabhängigen weniger wirksam sein. Körperliche (physische) Abhängigkeit: Aufgrund der physiologischen neuronalen Gegenregulation auf den ständigen Konsum von ZNS-dämpfenden psychotropen Substanzen entsteht ein körperliches Entzugssyndrom. Es manifestiert sich, wenn der Substanzmissbrauch unterbrochen wird. Physische Abhängigkeit gibt es auch bei anderen Substanzen und ist nicht zwingend mit einer psychischen Abhängigkeit verbunden. Entzugssyndrom: Hierunter werden Symptome unterschiedlicher Art und Ausprägung zusammengefasst, die nach Entzug einer psychotropen Substanz, die dauerhaft konsumiert wurde, auftreten. Die Unterbrechung des Konsums führt vorwiegend zu körperlichen Symptomen. Bei ZNSstimulierenden Substanzen überwiegen psychische Symptome. Distress: Darunter wird eine Reaktion auf eine anhaltende psychische, körperliche oder soziale Überforderungssituation verstanden. Es treten vegetative und endokrine Dysregulation und Verhaltensänderungen auf, die zu erheblicher emotionaler Beeinträchtigung führen. Reinforcement: Unter diesem psychologischen Begriff werden motivationale Faktoren zusammengefasst, die eine Suchtentstehung und -unterhaltung begünstigen. Als negativer Verstärker gelten Substanzen, die Distress, depressive ängstliche Zustände oder Dysphorie verringern oder aufheben. Als positive Verstärker gelten Substanzen, wenn Rauschzustand, Euphorie oder Enthemmung ausgelöst werden. Craving: Craving bezeichnet das unbezwingliche Verhalten, um die psychotrope Substanz zu erlangen. Synonym: zwanghafter Drogenhunger. Abstinenz: Völlige Freiheit von psychotropen Substanzen ( clean ). Die Autoren Priv.-Doz. Dr. med. habil. Michael Kretzschmar Facharzt für Anästhesiologie, spezielle Schmerztherapie, Intensiv-, Notfall- und Palliativmedizin, Facharzt für Pharmakologie und Toxikologie Interdisziplinäres Schmerzzentrum am SRH Waldklinikum Gera ggmbh Straße des Friedens 122 07548 Gera Silke Kretzschmar 2. Vorsitzende des BsAfB e.v. Fachärztin für Arbeitsmedizin Leitung der Praxis für Arbeitsmedizin Kretzschmar Heinrichstraße 46 07545 Gera