Vorbeugender und Einstweiliger Rechtschutz A. Vorbeugender Rechtschutz I. Besondere Zulässigkeitsvoraussetzungen 1. Statthaftigkeit Vorbeugender Rechtschutz = wenn sich der Kläger gegen zukünftiges Verwaltungshandeln richtet In diesem Bereich gibt es keine spezielle Rechtschutzform, sondern der Kläger muss auf die in der VwGO genannten Klagearten zurück greifen Bsp.: Gewerbetreibende G rechnet mit Gewerbeuntersagung nach 35 I GewO Nicht statthaft ist vorbeugende Anfechtungsklage, da hierfür immer ein bestehender VA vorausgesetzt wird Statthaft im Rahmen des präventiven Rechtschutzes ist die allgemeine Leistungsklage in Form der vorbeugenden Unterlassungsklage o Die allgemeine Leistungsklage kann nicht nur auf die Unterlassung schlichhoheitlichen Verwaltungshandelns gerichtet sein, sondern auch auf: Unterlassung eines VA Unterlassung einer untergesetzlichen Norm (Satzungen, Rechtsverordnungen) 2. Klagebefugnis Im Falle einer (vorbeugenden) Unterlassungsklage gilt 42 II VwGO analog wie bei der allgemeinen Leistungsklage Klagebefugnis (+), wenn für den Kläger die Möglichkeit besteht, dass das in Rede stehende künftige Verhalten des Beklagten rechtwidrig ist, und den Kläger in seinen Rechten verletzt 1
3. Besonderes Rechtschutzinteresse Grundsatz: VwGO geht nur von der Gewährung repressiven (nachträglichen) Rechtschutzes aus Die Gewährung präventiven Rechtschutzes ist die Ausnahme Deshalb bedarf jede Form des vorbeugenden, präventiven Rechtschutzes eines besonderen Rechtschutzbedürfnisses: o Begehungs- bzw. Wiederholungsgefahr Bei erstmaligen Handeln des Beklagten, muss tatsächliche Begehungsgefahr bestehen (Bsp.: Ernsthafte Androhung einer Handlung durch Behörde) Bei bereits wiederholtem Verhalten des Beklagten, muss eine Wiederholungsgefahr bestehen o Unzumutbarkeit der Verweisung auf repressiven Rechtschutz Verweisung auf repressiven (nachträglichen Rechtschutz) muss für den Kläger unzumutbar sein = wenn Gefahr besteht, dass der Beklagte durch sein Verhalten vollendete Tatsachen schafft oder dass sein Verhalten Folgen hat, die nicht oder nur noch schwer rückgängig zu machen sind o Bei künftigen VA oder Rechtsnormen meist (-), da Verweisung auf nachfolgende Anfechtungsklage oder nachfolgenden Normkontrollantrag zumutbar; aber: Ausnahmen! o Anders: tatsächliches Verhalten hier ist repressiver Rechtschutz meist unzureichend (Werturteile sind Widerspruch nicht zugänglich, Tatsachenbehauptungen können zwar widerrufen werden, aber nicht ungeschehen gemacht werden) o Aber: Abwehr der Wiederholung schlichthoheitlichen Handelns wird die Verweisung auf nachträglichen Rechtschutz für zumutbar gehalten II. Begründetheit Die vorbeugende Unterlassungsklage ist begründet, wenn die in Rede stehende zukünftige Handlung rechtswidrig wäre, und den Kläger in seinen Rechten verletzen würde 2
B. Vorläufiger Rechtschutz Die bisher dargestellten Klagearten und Rechtschutzformen dienen einer abschließenden und endgültigen Klärung des Rechtstreits Aber: VwGO stellt auch noch Rechtschutzformen zur Verfügung, die den von behördlichen Entscheidungen und Betroffenen zunächst einmal vorläufigen Rechtschutz bis zur endgültigen (gerichtlichen) Entscheidung ermöglichen I. Vorläufiger Rechtschutz gegen Verwaltungsakte 1. Die aufschiebende Wirkung nach 80 I VwGO 80 I VwGO aufschiebende Wirkung von Verwaltungsakten bei Erhebung eines Widerspruchs oder einer Anfechtungsklage (Suspensiveffekt) Suspensiveffekt = hemmt die Bestandskraft des angefochtenen VA und erzeugt einen Schwebezustand d.h. es wird jedermann untersagt, aus dem angegriffenen VA unmittelbare, mittelbare, tatsächliche oder rechtliche Folgerungen, gleich welcher Art zu ziehen. Genaue Wirkung jedoch strittig: o H.L.: Wirksamkeitshemmungstheorie = der angefochtene VA wird so behandelt als sei er gar nicht wirksam geworden (bleibt so lange bestehen, bis über Streitigkeit rechtskräftig entschieden wurde) o BVerwG: Vollzugshemmungstheorie = angefochtener VA bleibt wirksam, darf nur nicht vollzogen werden (Vollzug wird denkbar weit verstanden) wenn Verfahren bestandskräftig abgeschlossen, entfällt die aufschiebende Wirkung ex tunc Ausgehend von Sinn u. Zweck des 80 I VwGO tritt Suspensiveffekt nur hinsichtlich belastenden Teils des VA ein (Problematik des VA mit Doppelwirkung siehe Wolff/Decker, Studienkommentar VwGO/VwVfG, 80 Rn. 24f.) 2. Entfallen und Nichteintritt der aufschiebenden Wirkung Der Suspensiveffekt tritt nicht ein, wenn ein Fall nach 80 II VwGO vorliegt Wichtigster Fall: kraft behördlicher Anordnung, 80 II S. 1 Nr. 4 VwGO: o Hier entfällt Suspensiveffekt kraft behördlicher Anordnung o Kein eigenständiger VA, sondern nur Annex zur eigentlichen Sachentscheidung o Anordnung muss nach 80 III VwGO besonders begründet werden 3
Suspensiveffekt tritt nach h.m. auch außerhalb des 80 II VwGO nicht ein, wenn der eingelegte Rechtsbehelf offensichtlich unzulässig ist 3. Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung nach 80 II S. 1 Nr. 4 VwGO ( 80 III VwGO) Zweck des Begründungserfordernisses: o Warnfunktion: Behörden auf Ausnahmecharakter der Aufhebung des Suspensiveffekts hinzuweisen und Behörde zu sorgfältiger Prüfung zu bewegen o Schutzfunktion: Dem Betroffenen die Kenntnis für die Vollziehungsanordnung maßgeblichen Gründe zu vermitteln und ihm so Rechtsverteidigung zu ermöglichen o Feststellung, ob rechtfertigendes öffentliches Interesse für Sofortvollzug vorliegt Deshalb bedarf es einer schlüssigen konkreten Auseinandersetzung im Einzelfall unter substantiierter Darlegung der wesentlichen rechtlichen und tatsächlichen Erwägungen bzgl. der Abwägung des Vollzuginteresses um Form des 80 III VwGO genüge zu tun Ausnahme der Begründungspflicht bei Gefahr im Verzug, 80 III S. 2 VwGO Problematik: Heilung von Begründungsfehlern möglich? o H.Lit.: Heilung der fehlenden/fehlerhaften Begründung nicht möglich wg. Schutzzweck der Begründungspflicht o Rspr.: Heilung möglich, wg. Rechtschutzinteresse des Widerspruchsführers, Art. 19 IV GG Falls fehlerhaft, ist Anordnung des Sofortvollzuges nach h.m. aufzuheben 4. Einstweiliger Rechtschutz durch die Behörden ( 80 IV VwGO) Neben Möglichkeit einstweiligen Rechtschutz durch die Gerichte zu erlangen, ist bei Anfechtungswiderspruch und Anfechtungsklage, auch der einstweilige Rechtschutz durch die Behörde eröffnet 5. Einstweiliger Rechtschutz nach 80 V bis VIII VwGO durch die Verwaltungsgerichte a) Allgemein Antrag nach 80 V VwGO ist ein Institut des vorläufigen Rechtschutzes und setzt Anfechtungssituation voraus 80 V VwGO findet in 2-gliedrigen Verwaltungsrechtsverhältnissen Anwendung, bei Fällen mit Drittbeteiligung kommt 80 a III VwGO in Betracht Beachte: Die 80, 80a VwGO behandeln die Anfechtung einer Anordnung des sofortigen Vollzuges abschließend! 4
b) Prüfungsschema 80 V VwGO A. Zulässigkeit I. Allgemeine Zulässigkeitsvoraussetzungen 1. Verwaltungsrechtsweg 40 VwGO 2. Zuständiges Gericht, 80 V VwGO 3. Im übrigen nach Problemlage wie bei Anfechtungsklage II. Besondere Zulässigkeitsvoraussetzungen 1. Statthaftigkeit, 123 V VwGO Antrag nur statthaft, wenn in Hauptsache Anfechtungswiderspruch oder Anfechtungsklage gegeben sind; Abgrenzungskriterium ist 123 V VwGO Antrag kann schon vor Erhebung der Anfechtungsklage gestellt werden, 80 V S. 2 VwGO 2. Zumindest Erhebung eines Widerspruchs Strittig, ob auch schon vor Erhebung des Widerspruchs möglich, da sonst ja noch kein Suspensiveffekt eingetreten ist; Aber: möglich, sofern Einlegung des Widerspruchs noch nachgeholt wird und Frist für Widerspruchseinlegung noch nicht abgelaufen ist (Strittig) 3. Ordnungsgemäße Antragsstellung 80 V S. 1, 81, 82 VwGO 4. Antragsbefugnis, 42 II VwGO analog Antragsbefugt ist nur derjenige, der vortragen kann, durch den angefochtenen VA und seine sofortige Vollziehung in eigenen Rechten verletzt zu sein, wobei Rechtsverletzung gerade in sofortiger Vollziehung liegen muss 5. Vorheriger Antrag an die Behörde im Falle des 80 II S. 1 Nr. 1 VwGO gem. 80 VI VwGO Grundsatz: nicht notwendig in den Fällen des 80 II S. 1 Nr. 2-4, ergibt sich aus 80 VI VwGO 6. Einhaltung einer Frist in gesetzlich geregelten Sonderfällen Generell muss keine Frist eingehalten werden; nur in gesetzlich vorhergesehenen Fällen Aber: Zumindest muss Widerrufsfrist eingehalten werden (s.o.; dann jedoch Problem des Rechtschutzbedürfnisses) 7. Rechtschutzbedürfnis, insbes. Keine Bestandskraft des angefochtenen VA B. Begründetheit I. Richtiger Antragsgegner, 78 VwGO analog II. Evtl. Formelle Rechtmäßigkeit der Vollzugsanordnung, 80 II S. 1 Nr. 4 VwGO Frage der formellen Rechtmäßigkeit der Vollzugsanordnung stellt sich nur im Fall des 80 II S. 1 Nr. 4 VwGO 1. Zuständigkeit Nach 80 II S. 1 Nr. 4 VwGO zunächst die Ausgangsbehörde 2. Verfahren Problem: vorherige Anhörung notwendig? o Strittig, aber h.m. (-), da Anordnung des Sofortvollzuges kein eigenständiger VA 3. Form Ausreichende Begründung nach 80 III VwGO Siehe obige Ausführungen zu 80 III VwGO III. Materielle - Rechtmäßigkeit: Eigene Ermessensentscheidung des Gerichts Interessenabwägung zw. Aussetzungsinteresse der Behörde und Suspensivinteresse des Beschwerdeführers Erfolgt durch Summarische Prüfung der Hauptsache: o Falls Anfechtungsklage für Kläger zulässig und begründet, überwiegt Suspensivinteresse o Falls Anfechtungsklage unzulässig oder unbegründet, überwiegt Vollzugsinteresse o Falls Erfolgsaussichten offen, reine Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Interessen 5
II. Erlass einstweiliger Anordnungen, 123 VwGO 1. Allgemein Abgrenzung für Anwendungsbereich des 123 VwGO, ist 123 VwGO o Sofern in Hauptsacheverfahren keine Anfechtungsklage oder Normenkontrolle gegeben ist, ist einstweiliger Rechtschutz nur über 123 VWGO zu erlangen o Somit: Einstweilige Anordnung kommt nur in Betracht, wenn im Hauptsacheverfahren, Verpflichtungswiderspruch, Verpflichtungsklage, oder allgem. Leistungsklage statthaft ist Arten der einstweiligen Anordnung: o Sicherungsanordnung ( 123 I S. 1 VwGO) Wird beantragt, wenn Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragsstellers vereitelt, oder wesentlich erschwert werden könnte (Gerichtet auf Erhaltung des status quo defensiven Charakter) o Regelungsanordnung ( 123 I S. 2 VwGO) Wird beantragt, zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, zur Abwendung wesentlicher Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint (Gerichtet auf Veränderung des status quo offensiver Charakter) o Abgrenzung meist schwierig und nicht klar trennbar 6
2. Aufbauschema für eine einstweilige Anordnung nach 123 VwGO A. Verwaltungsrechtsweg und zuständiges Gericht I. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs, 40 I 1 VwGO II. Zuständiges Gericht, 123 II, I, 45, 52 VwGO Grundsatz: Gericht der Hauptsache B. Zulässigkeit des Antrags I. Statthafte Verfahrensart 1. Antragsbegehren, 88 VwGO analog 2. Vorläufiger Rechtschutz nach 123 VwGO oder 80 V, 80a III VwGO? Zur Abgrenzung siehe obige Ausführungen 3. Sicherungs- oder Regelungsanordnung? II. Antragsbefugnis, 42 II VwGO analog Möglichkeit der Geltendmachung eines Anordnungsanspruchs und Anordnungsgrundes 1. Subjektiv-öffentliches Recht 2. Möglichkeit der Verletzung oder Gefährdung (möglicher Anordnungsanspruch) Schlüssigkeit d. Anordnungsanspruchs (Prüfung des 42 II VwGO) 3. Eilbedürftigkeit (möglicher Anordnungsgrund) Antragssteller muss dartun, dass eine einstweilige Anordnung für ihn erforderlich ist, weil einer der in 123 I S. 1 oder S. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt, und eine Hauptsacheentscheidung möglicherweise zu spät kommen würde. III. Vorverfahren Kann erhoben werden, wenn in Hauptsache noch keine Klage erhoben wurde, dann kann Kläger aber aufgegeben werden, nach 123 III VwGO i.v.m. 926 ZPO Klage in der Hauptsache zu erheben Aber: Antrag auf einstweilige Anordnung scheidet dann aus, wenn zuvor Verwaltungs- oder Widerspruchsverfahren stattzufinden hat; hier muss Gericht Antragssteller Frist zur Erhebung des Widerspruchs setzen, 123 III VwGO i.v.m. 926 I ZPO IV. Frist und Form, insbes. 123 III VwGO i.v.m. 920 ZPO Antrag nach 123 VwGO grundsätzlich nicht fristgebunden Formgemäßer Antrag nach 123 III VwGO i.v.m. 920 ZPO muss eingereicht werden V. Partei- und Prozessfähigkeit, 61, 62 VwGO VI. Rechtschutzbedürfnis C. Begründetheit I. Passivlegitimation, 78 I VwGO analog II. Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruch Antragssteller muss zunächst Bestehen eines zu sichernden Rechts (Anordnungsanspruch) glaubhaft geltend machen glaubhafte Geltendmachung, dass ihm ein Anspruch zusteht Glaubhaftmachung gem. 294 ZPO = geringerer Grad der Beweiswürdigung, wonach es für das Gericht überwiegend wahrscheinlich sein muss, dass der behauptete Anordnungsanspruch gegeben ist Im Ergebnis: summarische Prüfung der Begründetheit des Hauptsacherechtsbehelfs III. Glaubhaftmachung des Anordnungsgrunds Anordnungsgrund ist dann gegeben, wenn es dem Antragssteller nicht zumutbar ist, eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren abzuwarten und er dies glaubhaft macht Zur Glaubhaftmachung s.o. Maßgeblicher Zeitpunkt = Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts Interessenabwägung zw. entgegenstehenden Interessen IV. Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache Einstweilige Anordnung darf nicht Hauptsache vorwegnehmen Ausnahme: o Schwere und unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile (nachträgliche Beseitigung nicht mehr möglich) 7