Gesundheitsversorgung im AsylbLG: Hinweise zur aktuellen Rechtslage und Rechtsprechung



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Transkript:

Gesundheitsversorgung im AsylbLG: Hinweise zur aktuellen Rechtslage und Rechtsprechung Stand: April 2014 Vorbemerkung: Im Koalitionsvertrag von CDU/ CSU und SPD ist eine zügige Neufassung des AsylbLG vorgesehen, mit der das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Juli 2012 umgesetzt werden soll. Diese Neuregelung besser wäre die Abschaffung des AsylbLG ist überfällig. Auch wenn sich im Laufe des Jahres also voraussichtlich beim AsylbLG deutliche Veränderungen ergeben möchten wir Sie mit den folgenden Erläuterungen über einige aktuelle Aspekte hinsichtlich der Gesundheitsversorgung im AsylbLG informieren, die für ihre Beratungspraxis von Bedeutung sein können. H.Löhlein Das Bundesverfassungsgericht hat am 12. Juli 2012 festgestellt, dass die Grundleistungen nach 3 AsylbLG verfassungswidrig sind, da Art. 1 GG in Verbindung mit Art 20 GG ein Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums begründet. Dieses Menschenrecht umfasst sowohl die physische Existenz des Menschen als auch die Sicherung der Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben. Leider hat das höchste bundesdeutsche Gericht in diesem ansonsten wegweisenden Urteil nichts dazu gesagt, ob die eingeschränkten Krankenhilfeleistungen nach 4 und 6 AsylbLG mit dem Menschenrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vereinbar sind obwohl Leistungen zur Sicherung der Gesundheit unzweifelhaft Teil des Menschenrechts auf Sicherung der physischen Existenz ist. In der Praxis führt die Frage, welche Leistungen das Sozialamt für die Krankenhilfe gem. 4 und 6 AsylbLG zu erbringen hat, immer wieder zu Streit: Die Kostenübernahme wird abgelehnt, weil sie nicht der Behandlung einer akuten oder schmerzhaften Erkrankung dienen würden, oder weil sie nicht vor der Behandlung beantragt worden seien. Antragsteller/-innen wird entgegengehalten, dass nicht die Ursache der Erkrankung behandelt werden müsse, sondern auch die Einnahme von Schmerzmitteln ausreichend sei, oder die Krankheit auch nach einer Ausreise behandelt werden könne. Es liegt auf der Hand: Die Regelungen zu den Krankenleistungen des AsylbLG dienen nicht in erster Linie dazu, die bestmögliche Gesundheitsversorgung sicher zu stellen, sondern sind Teil einer sozialrechtlichen Ausgrenzungssystematik. Das menschenwürdige Existenzminimum wird in vielen Fällen faktisch nicht gewährleistet. Im Folgenden sollen einige Punkte dargestellt werden, die in der Praxis regelmäßig zu Streit führen, die allerdings mittlerweile gerichtlich einigermaßen geklärt sind.

Zudem besteht seit dem 1. August 2013 eine neue Rechtslage, nach der es für Leistungsberechtigte nach dem AsylbLG nach einer (auch kurzfristigen) versicherungspflichtigen Beschäftigung oder nach dem Ausscheiden aus einer Familienversicherung die Möglichkeit zur Weiterversicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung gibt.

LSG NRW: Übernahme der Kosten für eine erforderliche Behandlung auch dann, wenn sie nicht vorab genehmigt worden ist Beispiel: Eine 18jährige junge Frau ist im Besitz einer Duldung und erhält Grundleistungen nach dem AsylbLG. Ihre zweieinhalbjährige Tochter hat ebenfalls eine Duldung. Die Tochter muss wegen unterschiedlicher Erkrankungen immer wieder stationär und ambulant behandelt werden. Unter anderem leidet sie unter immer wieder kehrenden Mandel- und Mittelohrentzündungen. Der Kinderarzt schlägt deshalb vor, während einer nicht akuten Krankheitsphase eine Mandel- und Polypenoperation im Krankenhaus durchführen zu lassen. Für diese Operation ist das Kleinkind für eine Woche stationär untergebracht. Die Mutter hat diese stationäre Behandlung nicht vorab vom Sozialamt genehmigen lassen, obwohl es sich um eine planbare Behandlung gehandelt hat. Das Krankenhaus stellte erst nach Abschluss der Behandlung dem Sozialamt die Kosten in Rechnung. Dieses lehnte eine Kostenübernahme in einem Bescheid an die Mutter ab. Begründung: Es habe sich nicht um einen Notfall gehandelt, sondern um einen planbaren Eingriff. Eine Kostenübernahme sei von der vorherigen Zustimmung des Sozialamtes abhängig. Das nachträglich eingeschaltete Gesundheitsamt hat zwar daraufhin festgestellt, dass die Behandlung prinzipiell geeignet und sogar unerlässlich gewesen sei aber sie sei eben dennoch planbar gewesen. Daraufhin stellte das Krankenhaus der Mutter eine Privatrechnung über die Behandlungskosten in Höhe von 2.136,40 aus. Das Amtsgericht verurteilte sie zur Zahlung. Das Landessozialgericht NRW hat im Klageverfahren gegen das Sozialamt mittlerweile entschieden, dass im Rahmen von 4 bzw. 6 AsylbLG eine vorherige Zustimmung des Sozialamtes keine Voraussetzung ist. Das Sozialamt muss der Mutter die Kosten erstatten, obwohl sie keinen vorherigen Antrag gestellt hat. (LSG NRW, Urteil vom 6.5.2013 L 20 AY 145/11) Der Grund: Im AsylbLG ist an keiner Stelle geregelt, dass bestimmte Leistungen erst ab Antragstellung oder ab Kenntniserlangung durch das Sozialamt erbracht werden müssten. Dies wäre daher nur dann der Fall, wenn 18 SGB XII auch im Bereich des AsylbLG Anwendung finden würde. Dieser regelt für die Sozialhilfe nach dem SGB XII: (1) Die Sozialhilfe ( ) setzt ein, sobald dem Träger der Sozialhilfe oder den von ihm beauftragten Stellen bekannt wird, dass die Voraussetzungen für die Leistung vorliegen. Aber: Nach Auffassung des LSG NRW bieten 4 bzw. 6 AsylbLG keinerlei Anhaltspunkt für die Notwendigkeit einer vorherigen Kenntniserlangung des Leistungsträgers. Für die Flüchtlingsberatung bedeutet dies: Auch nach einer bereits erfolgten planbaren Behandlung sollte in jedem Fall die Kostenübernahme beim zuständigen Sozialamt

beantragt werden. Gegen Ablehnungen, die damit begründet werden, es habe keine vorherige Genehmigung gegeben, sollten unbedingt Rechtsmittel (Widerspruch und Klage) eingelegt werden. Allerdings gilt es natürlich dennoch zu beachten, dass eine vorherige Zustimmung zur Behandlung sinnvoll ist, da dies viel Ärger und viel Aufwand erspart.

Die Rechtsprechung des BSG: Ist eine vorherige Zustimmung zur Behandlung erforderlich? Ist der Nothelferpararagraf anwendbar? Das oben genannte Urteil des LSG NRW ist zwar noch nicht rechtskräftig und beim Bundessozialgericht anhängig. Aber es ist kaum denkbar, dass das BSG eine andere Auffassung vertreten wird. Denn in einem Urteil vom 30. Oktober 2013 (Aktenzeichen: B 7 AY 2/12 R ) also nach der LSG-NRW-Entscheidung hat auch das Bundessozialgericht bereits sehr eindeutig festgestellt: 18 SGB XII ist (...) im AsylbLG jedoch nicht analog anzuwenden. Eine solche Regelung, die für Berechtigte nach dem SGB XII einen niedrigschwelligen Zugang zum Sozialhilfesystem sicherstellen will, sei auch gar nicht erforderlich. Vielmehr setze das AsylbLG für die Frage eines Leistungsanspruchs allein an den Aufenthaltsstatus (und das Bestehen eigenen Einkommens oder Vermögens) an: Dem entspricht es auch, dass 1 AsylbLG die "Leistungsberechtigung" an den Aufenthaltsstatus koppelt, nicht aber an die Kenntnis vom Bedarfsfall. Das Bundessozialgericht hat in diesem Urteil allerdings eine weitere wichtige Feststellung getroffen, die die bislang überwiegende Rechtsauffassung zur Kostenerstattung gegenüber Krankenhäusern als Nothelfer über den Haufen geworfen hat: Beispiel: Ein Mann mit nigerianischer Staatsangehörigkeit lebte nach einem erfolglosen Asylverfahren und langen Jahren der Duldung zuletzt papierlos in Deutschland. Er erhielt während der Zeit des illegalisierten Aufenthalts zwar keine Leistungen nach dem AsylbLG, gehörte aber dem Grunde nach dennoch zum Personenkreis der Leistungsberechtigten ( 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG), was auch das BSG bestätigt. Bei einer Polizeikontrolle versuchte der Mann durch einen Sprung aus dem Fenster zu entkommen und verletzte sich schwer. Er lag daraufhin über sechs Wochen im Krankenhaus, die Krankenhausrechnung beläuft sich auf 22.786,83. Der Mann trat seinen Anspruch auf Übernahme der Kosten für die Notfallbehandlung an das Krankenhaus ab. Das Krankenhaus beantragte daraufhin selbst die Kostenübernahme beim Sozialamt. Die Rechtsgrundlage hierfür sei 25 SGB XII, der folgendes feststellt: Hat jemand in einem Eilfall einem Anderen Leistungen erbracht, die bei rechtzeitigem Einsetzen von Sozialhilfe nicht zu erbringen gewesen wären, sind ihm die Aufwendungen in gebotenem Umfang zu erstatten (...). Dieser so genannte Nothelferparagraf sei auch im Rahmen des AsylbLG entsprechend anzuwenden. Das Bundessozialgericht urteilte nun im Gegensatz zur bislang vorherrschenden Rechtsprechung, dass der Nothelferparagraf im AsylbLG keine Anwendung finde. Die Begründung: Eine Anwendung sei gar nicht erforderlich, da ja der Mann selbst einen Anspruch gegenüber dem Sozialamt haben könne, obwohl er die Behandlung sich nicht vorab habe genehmigen lassen. Denn schließlich sei ja auch 18 SGB XII nicht anzuwenden (siehe oben).

Diese in sich durchaus logische Argumentation führt zu folgender Konstellation: Der Mann muss selbst seinen Anspruch auf Übernahme der Krankenbehandlungskosten gegenüber dem Sozialamt geltend machen. Falls die Kostenübernahme bewilligt wird (was in diesem Fall zwingend gegeben sein dürfte), kann der Betrag auch direkt an das Krankenhaus ausgezahlt werden. Aber das Krankenhaus kann eben nicht einen eigenen Anspruch gegenüber dem Sozialamt geltend machen, obwohl es rechtlich selbstverständlich zur Notfallbehandlung verpflichtet gewesen ist. Das genannte Urteil hat für einige Aufregung gesorgt. Die Krankenhausgesellschaft NRW hat bereits in einem Rundschreiben die Sorge geäußert, dass die Krankenhäuser aufgrund ihres gesetzlichen und sittlichen Auftrags zur Krankenhausbehandlung gleichzeitig verpflichtet wären, diese Behandlung unentgeltlich vorzunehmen. Dies ist natürlich nicht der Fall. Allerdings müssten sie gegenüber dem AsylbLG-Berechtigten ihren Anspruch geltend machen, der wiederum seinen persönlichen Anspruch gegenüber dem Sozialamt geltend machen muss. Und: Dieser höchstpersönliche Anspruch besteht eben unabhängig davon, ob die Kostenübernahme zuvor beantragt worden ist oder nicht sofern ein Behandlungsanspruch aus 4 oder 6 AsylbLG gegeben ist. Allerdings dürfte das Urteil in der Praxis negative Folgen haben: Die Krankenhäuser können nun anders als früher nicht mehr davon ausgehen, dass sie eine Notfallbehandlung nachträglich mit dem Sozialamt abrechnen können. Die Krankenhäuser werden daher künftig verstärkt darauf bestehen, dass die Kostenübernahme vorab durch die zu Behandelnden geklärt ist, was bei Menschen in der Illegalität mit der Aufdeckung der Illegalität verbunden wäre. Als Folge droht die Gefahr, dass die Betroffenen selbst künftig Behandlungen auch im Notfall nach Möglichkeit vermeiden. Dies ist nicht akzeptabel. Der Gesetzgeber ist daher gefordert, auch im AsylbLG einen entsprechenden Nothelferparagrafen einzuführen, durch den eine Notfallbehandlung von Menschen in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität auch nachträglich über das Sozialamt abgerechnet werden kann.

Umfang des Behandlungsanspruchs aus 4 und 6 AsylbLG 4 AsylbLG sieht zwar lediglich einen Kostenübernahmeanspruch vor, wenn es sich um eine erforderliche Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände einschließlich der Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln sowie sonstiger zur Genesung, zur Besserung oder zur Linderung von Krankheiten oder Krankheitsfolgen handelt. Die Behandlung chronischer Erkrankungen ohne Schmerzen wäre demnach ausgenommen. Allerdings schreibt zusätzlich 6 AsylbLG vor: Sonstige Leistungen können insbesondere gewährt werden, wenn sie im Einzelfall zur Sicherung des Lebensunterhalts oder der Gesundheit unerlässlich, zur Deckung besonderer Bedürfnisse von Kindern geboten oder zur Erfüllung einer verwaltungsrechtlichen Mitwirkungspflicht erforderlich sind. Dies kann nichts anderes heißen als: Nahezu der gesamte Umfang der medizinischen Behandlung, der auch in der Gesetzlichen Krankenversicherung vorgesehen ist, muss erbracht werden! Auch wenn die Kommentierung zum AsylbLG und erst Recht die Praxis oft anders aussehen: Einschränkungen, die einen Anspruch auf Krankenbehandlung unterhalb des Niveaus der Gesetzlichen Krankenversicherung bedeuten würden, wären wohl kaum mit der Sicherstellung des menschenwürdigen physischen Existenzminimums vereinbar! Das LSG NRW sieht in seinem oben bereits erwähnten Urteil in 6 AsylbLG ausdrücklich eine Auffangvorschrift im Sinne einer Öffnungsklausel mit dem Ziel, den unterschiedlichen Lebenssachverhalten und der nach Art. 1 Abs. 1 i.v.m. Art. 20 Abs. 1 GG gebotenen Sicherstellung eines menschenwürdigen Existenzminimums im Einzelfall gerecht zu werden. Dass eine Einschränkung des Leistungsumfangs der GKV in aller Regel eine Unterschreitung des menschenwürdigen Existenzminimums bedeuten würde, ergibt sich bereits aus einer allgemeinen Regelung im Krankenversicherungsrecht: Im Falle von Beitragsschulden von mehr als zwei Monaten reduziert sich gemäß 16 Abs. 3a SGB V der Krankenversicherungsschutz auf die Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände sowie Vorsorgeuntersuchungen und die Leistungen bei Schwangerschaft und Mutterschaft. Dies entspricht weitgehend dem Leistungsspektrum des 4 AsylbLG. Allerdings reduziert sich das Leistungsspektrum trotz der Beitragsrückstände ausdrücklich nicht, wenn Versicherte hilfebedürftig im Sinne des SGB II oder XII werden und damit ihr Grundrecht der staatlichen Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums in Anspruch nehmen müssen. Nichts anderes kann für Leistungsbezieher/-innen nach dem AsylbLG gelten.

Neue Rechtslage: Obligatorische Weiterversicherung nach Ende einer Versicherungspflicht jetzt unabhängig von Vorversicherungszeiten Am 1. August 2013 ist mit 188 Abs. 4 SGB V eine neue Rechtslage in Kraft getreten, durch die nun in deutlich mehr Fällen auch für Leistungsbezieher/-innen nach dem AsylbLG die Möglichkeit besteht, einen gesetzlichen Krankenversicherungsschutz zu erlangen. 188 Abs. 4 S. 1 und 2 SGB V: Für Personen, deren Versicherungspflicht oder Familienversicherung endet, setzt sich die Versicherung mit dem Tag nach dem Ausscheiden aus der Versicherungspflicht oder mit dem Tag nach dem Ende der Familienversicherung als freiwillige Mitgliedschaft fort, es sei denn, das Mitglied erklärt innerhalb von zwei Wochen nach Hinweis der Krankenkasse über die Austrittsmöglichkeiten seinen Austritt. Der Austritt wird nur wirksam, wenn das Mitglied das Bestehen eines anderweitigen Anspruchs auf Absicherung im Krankheitsfall nachweist. Das bedeutet: Nach dem Ende einer versicherungspflichtigen Beschäftigung oder nach dem Ausscheiden aus der Familienversicherung bleibt automatisch eine nun obligatorische freiwillige Weiterversicherung bestehen. Diese Regelung gilt unabhängig von Vorversicherungszeiten und unabhängig davon, ob innerhalb einer bestimmten Frist ein Antrag auf freiwillige Weiterversicherung gestellt worden ist. Nur, wenn innerhalb einer Frist von zwei Wochen eine anderweitige Absicherung im Krankheitsfall nachgewiesen wird, greift die Weiterversicherung nicht. Beispiel 1: Herr J. ist im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach 25 Abs. 5 AufenthG. Er hatte in der Vergangenheit Leistungen nach 2 AsylbLG bezogen. Er war zwar im Besitz einer Krankenkassenkarte, aber nicht Mitglied der Krankenversicherung das Sozialamt musste seine Behandlungskosten in tatsächlicher Höhe gegenüber der Krankenkasse erstatten. Zwischen Dezember 2013 und Februar 2014 hatte er für drei Monate eine versicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt. Hierdurch ist er Pflichtmitglied der gesetzlichen Krankenkasse geworden. Nach dem Ende der Beschäftigung bleibt er gem. 19 Abs. 2 SGB V für einen Monat ohnehin Mitglied der GKV. Aber auch danach bleibt er nun trotz Ende der Versicherungspflicht Mitglied der Krankenkasse gem. 188 Abs. 4 SGB V, da er keine anderweitige Absicherung im Krankheitsfall hat. Den Versicherungsbeitrag wird das Sozialamt im Rahmen der Leistungen nach 2 AsylbLG übernehmen. In einem gemeinsamen Rundschreiben des Spitzenverbandes der Gesetzlichen Krankenversicherungen vom 31.7.2013 (GKV-Spitzenverband) wird diese Rechtsauffassung bestätigt (Nr. 1.1.3):

Beispiel 2: Frau K. Ist im Besitz einer Duldung. Sie hatte in der Vergangenheit Grundleistungen nach 3 AsylbLG bezogen und gem. 4 bzw. 6 AsylbLG Anspruch auf eingeschränkte Krankenleistungen vom Sozialamt. Eine Versichertenkarte hatte sie nicht. Zwischen Dezember 2013 und Februar 2014 hatte sie für drei Monate eine versicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt. Hierdurch ist sie Pflichtmitglied der Gesetzlichen Krankenkasse geworden. Nach dem Ende der Beschäftigung bleibt sie übergangsweise ebenfalls gem. 19 Abs. 2 SGB V für einen Monat Mitglied der GKV. Auch danach bleibt sie nun trotz Ende der Versicherungspflicht Mitglied der Krankenkasse gem. 188 Abs. 4 SGB V, wenn sie keine anderweitige Absicherung im Krankheitsfall hat. Für diese Konstellation ist die Rechtslage nicht ganz so eindeutig, wie im Beispiel 1. Nach Auffassung des GKV-Spitzenverbands würde ein Leistungsanspruch nach 3 AsylbLG als anderweitige Absicherung im Krankheitsfall gelten womit die obligatorische Weiterversicherung nicht greifen würde. Aus diesem Grund sollte mit einem AsylbLG-Antrag bis nach Ablauf der einmonatigen Nachwirkungsfrist gem. 19 Abs. 2 SGB V gewartet werden. Doch selbst dann ist nicht garantiert, dass die gesetzliche Krankenkasse die obligatorische Weiterversicherung als gegeben ansieht: Auch dann, wenn in einem bestimmten Zeitraum kein Leistungsbezug bestehen sollte, könnte die Auffassung vertreten werden, dass ein Leistungsanspruch dem Grunde nach bereits als anderweitige Absicherung im Krankheitsfall ausreiche. Aufgrund der nicht ganz eindeutigen Rechtslage werden ggf. die Gerichte entscheiden müssen. Trotz dieser Unwägbarkeiten sollte der Weg über die obligatorische Weiterversicherung zumindest versucht werden. Aus mehreren Kommunen gibt es bereits Berichte, nach denen die Kassen die Betroffenen in der Regel aufnehmen. Und das bedeutet eine klassische win-win-situation : Die Betroffenen haben eine bessere Absicherung im Krankheitsfall. Und das Sozialamt der Kommune spart Geld, da die Beiträge in der Regel günstiger sind als die Übernahme der tatsächlichen Behandlungskosten. Die obligatorische Weiterversicherung gilt im Übrigen auch im Falle einer vorherigen (auch kurzfristigen) Familienversicherung. Beispiel 3: Herr L. war im Besitz einer Duldung und erhielt Grundleistungen nach dem AsylbLG. Er übte für einige Monate eine versicherungspflichtige Beschäftigung aus und war damit pflichtversichert. Seine Ehefrau und zwei gemeinsame Kinder waren damit

familienversichert. Nun ist der Mann in den Libanon zurückgekehrt, seine Pflichtversicherung endete, damit auch die Familienversicherung für Ehefrau und Kinder, die in Deutschland blieben. Über 188 Abs. 4 SGB V bleibt die Frau nun in der obligatorischen Weiterversicherung, die Kinder sind über sie familienversichert. Autor: Claudius Voigt GGUA e.v. Gemeinnützige Gesellschaft zur Unterstützung Asylsuchender e.v. Südstraße 46 48153 Münster E-Mail: voigt@ggua.de Tel.: 0251/ 144 86 26 Das Projekt Q wird gefördert aus Mitteln des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und kofinanziert durch Mittel der Europäischen Union, Europäischer Flüchtlingsfonds. Diese Veröffentlichung gibt nicht die Rechtsauffassung der Bundesregierung oder der Europäischen Kommission wieder. Ansprechpartner beim Paritätischen Gesamtverband: Harald Löhlein, Leiter der Abteilung Migration und internationale Kommunikation, e-mail: almik@paritaet.org