Verwirklichung eines nationalen strategischen Gesamtkonzepts zur Reduzierung der Armut in Deutschland



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Transkript:

Verwirklichung eines nationalen strategischen Gesamtkonzepts zur Reduzierung der Armut in Deutschland Erfüllung der Ex-ante Konditionalität 9.1 gemäß Verordnung (EU) Nr. 1303/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Dezember 2013, Anhang XI A. Einleitung Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat. Dieses Sozialstaatsprinzip ist als Staatsziel in Artikel 20 Abs. 1 des Grundgesetzes festgeschrieben. Als Sozialstaat hat die Bundesrepublik Deutschland die soziale Gerechtigkeit und Sicherheit seiner Bürgerinnen und Bürger gemäß Verfassung zum Ziel und verwirklicht dieses Ziel mit entsprechenden gesetzgeberischen Maßnahmen sowie materiellen Unterstützungsleistungen. Diese Sozialstaatsklausel verpflichtet die Bundesrepublik Deutschland, Bürgerinnen und Bürger, die sich in sozialen oder wirtschaftlichen Schwierigkeiten befinden, das menschenwürdige Existenzminimum zu gewährleisten. In der Beschreibung des Grundrechts ist ausschließlich von Hilfebedürftigen die Rede. Es ist also keine Differenzierung nach der Ursache der Hilfebedürftigkeit möglich. Deshalb sind auch keine unterschiedlichen Niveaus des menschenwürdigen Existenzminimums für unterschiedliche Personengruppen begründbar. Es gibt nur ein menschenwürdiges Existenzminimum. Dieses menschenwürdige Existenzminimum ist der Ausgangspunkt für die Konkretisierung des von der Sozialhilfe und der Grundsicherung für Arbeitsuchende zu deckenden Bedarfs. Es muss so hoch sein, dass eine soziale Ausgrenzung des Leistungsbeziehenden ausgeschlossen ist. Dieses Prinzip des Sozialstaates, das auf der sozialen Gerechtigkeit aufbaut, bildet neben der Garantie auf Menschenwürde sowie der Menschenrechte die Grundlage der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Die Staatsziele Menschenwürde, Menschenrechte und Sozialstaatlichkeit genießen im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland die Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG. Das bedeutet, dass diese verankerten Grundrechte nicht durch das Parlament geändert oder aufgehoben werden können. Die strategischen Ansätze und Vorhaben der Bundesregierung zur Ausgestaltung des Sozialstaatsprinzips sind darauf ausgerichtet, die soziale und ökonomische Teilhabe für alle Mitglieder der Gesellschaft zu verbessern. Im Spannungsfeld zwischen staatlicher Fürsorge einerseits sowie Freiheit und Eigenverantwortung des Einzelnen andererseits 1

besteht in Deutschland ein umfassendes institutionelles Netz aus gesetzlichen Regelungen und individuellen Ansprüchen sowie Unterstützungs- und Integrationsleistungen. Das Sozialstaatsprinzip äußert sich in einem ganzheitlichen Ansatz zur Armutsbekämpfung, welcher nicht nur eine ausreichende Einkommensunterstützung umfasst, sondern auch die Integration erwerbsfähiger Personen in den Arbeitsmarkt fördert sowie den Zugang aller zu hochwertigen Dienstleistungen ermöglicht 1. Im Rahmen dieses Ansatzes werden gesetzliche Leistungen zur Einkommenssicherung und zur Unterstützung erwerbsfähiger Menschen bei der Eingliederung in Beschäftigung mit vielfältigen flankierenden Aktivitäten verknüpft. Hierbei werden insbesondere die verschiedenen Lebensphasen sowie die spezifischen Problemlagen von Personengruppen, die überdurchschnittlich von Armut bedroht bzw. betroffen sind, berücksichtigt. Nicht erwerbsfähige Menschen erhalten Hilfe zum Lebensunterhalt oder Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (Sozialhilfe), Menschen mit Behinderung darüberhinaus auch zusätzliche ergänzende Leistungen sowie Integrationsangebote. B. Strategie der aktiven Eingliederung und Armutsbekämpfung in Deutschland Deutschland verfügt über einen hochentwickelten Sozialstaat. Von der Geburt bis ins Alter stellt der Sozialstaat Unterstützung für die Bürgerinnen und Bürger bereit. Die sozialen Rechte und damit die Rechte auf Sozialleistungen sind im Sozialgesetzbuch (SGB) normiert. Die Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums erfolgt im rahmen der steuerfinanzierten und bedarfsorientierten Mindestsicherungssysteme: Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch: Deren Leistungen können alle erwerbsfähigen leistungsberechtigten Personen im Alter von 15 Jahren bis zur gesetzlich festgelegten Altersgrenze zwischen 65 und 67 Jahren erhalten, sofern Hilfebedürftigkeit im Sinne des SGB II vorliegt. Personen die nicht erwerbsfähig sind und mit einem erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben, können bei Vorliegen von Hilfebedürftigkeit Sozialgeld nach dem SGB II erhalten. Hilfebedürftige Personen, die die Regelaltersgrenze erreicht haben oder auf Dauer voll erwerbsgemindert sind, erhalten Leistungen der Grundsiche- 1 Dieser Ansatz entspricht den drei Pfeilern einer umfassenden Strategie zur aktiven Eingliederung der aus dem Arbeitsmarkt ausgegrenzten Personen, wie sie in der entsprechenden Empfehlung 2008/867/EG der Kommission vom 3. Oktober 2008 zum Ausdruck kommt. 2

rung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII. Besteht eine volle Erwerbsminderung auf Zeit, werden Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt gewährt. Leistungen der Sozialhilfe in Form der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch erhalten Personen, die nach dem SGB XII hilfebedürftig und für eine befristete Zeitdauer voll erwerbsgemindert sind. Leistungen der Sozialhilfe in Form der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung erhalten Personen, die ebenfalls nach dem SGB XII hilfebedürftig sind, wenn sie volljährig und dauerhaft voll erwerbsgemindert sind bzw. ein Lebensalter erreicht haben, das der jeweiligen Regelaltersgrenze (zwischen 65 und 67 Jahre) entspricht. Diese drei Existenzsicherungssysteme bilden das letzte Sicherungsnetz bei der Absicherung vor existenzgefährdenden Risiken. Den Mindestsicherungssystemen vorgelagert sind vor allem die Absicherung der großen Lebensrisiken Alter und Invalidität, Krankheit und Pflegebedürftigkeit durch die Sozialversicherung und die Absicherung bei Arbeitslosigkeit durch Arbeitslosenversicherung und Arbeitsförderung. Darüber hinaus gibt es Leistungen der sozialen Entschädigung, beispielsweise bei Gesundheitsschäden als Folge von Gewalttaten sowie Leistungen der Familienförderung, Zuschüsse für eine angemessene Wohnung und Leistungen der Jugendhilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche sowie Leistungen der Sozialhilfe für vielfältige Notlagen, darunter auch für Teilhabe von Menschen mit Behinderung. Das Wohngeld ist ein integraler Bestandteil einer grundsätzlich marktwirtschaftlich ausgerichteten Wohnungs- und Mietenpolitik. Es wird geleistet, damit einkommensschwächere Haushalte mit einem Einkommen oberhalb der Mindestsicherungssysteme die Kosten für angemessenen und familiengerechten Wohnraum tragen können. Der Kinderzuschlag wurde für Familien eingeführt, die trotz vorhandenem Einkommen vor allem wegen ihrer Kinder auf Grundsicherungsleistungen angewiesen wären. Zusammen mit dem Wohngeld ermöglicht er Familien mit niedrigen Einkommen, Hilfebedürftigkeit im Sinne des SGB II zu überwinden. Das Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) ermöglicht die Finanzierung eines Studiums oder einer Ausbildung zum Meister/in. Die Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) stellt als unterstes soziales Netz ein Kernelement des Gesamtsystems der sozialen Sicherung dar. Die Sozialhilfe hat einzugreifen, wenn unabhängig von den hierfür verantwortlichen Ursachen keine Ansprüche gegen ein anderes soziales Sicherungssystem bestehen und die jeweilige Notlage nicht aus eigenen Kräften und Mitteln überwunden werden 3

kann. Aufgrund ihrer Sonderstellung im sozialen Sicherungssystem enthält das Sozialhilferecht im SGB XII ein breit gefächertes Leistungssystem, um für durch unterschiedliche Lebenslagen verursachte Bedarfssituationen in Art und Umfang angepasste Hilfen bereit zu stellen. Dies sind Leistungen zur Bestreitung des Lebensunterhalts in Form der Hilfe zum Lebensunterhalt und der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Darüber hinaus beinhaltet die Sozialhilfe mit den Hilfen zur Gesundheit die Bereitstellung erforderlicher Gesundheitsleistungen und unterstützt mit der Hilfe zur Pflege auch pflegebedürftige Personen, indem sie die mit der Pflege verbundenen Kosten ganz oder teilweise übernimmt. Diese wird aber nur geleistet, wenn der Pflegebedürftige die Pflegeleistungen weder selbst tragen kann noch sie von anderen z.b. der Pflegeversicherung erhält. Für Menschen mit Behinderungen sieht die Sozialhilfe mit der Eingliederungshilfe ein breites Spektrum an Hilfen vor. Aufgabe der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen ist es, eine drohende Behinderung zu verhüten oder eine vorhandene Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und die Menschen mit Behinderungen in die Gesellschaft einzugliedern. Ferner unterstützt die Sozialhilfe Menschen in besonderen sozialen Schwierigkeiten und anderen Notlagen. Neben Hilfen und Unterstützung umfassen die Leistungen der Sozialhilfe auch Beratung. Darüberhinaus gibt es eine Reihe hinausgehender, besonderer Regelungen des Sozialrechts, die zugunsten behinderter und von Behinderung bedrohter Menschen gezielt auf deren Selbstbestimmung und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ausgerichtet sind. Die Regelungen zur Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderung im SGB IX stellen dabei den Menschen in den Mittelpunkt. Anstelle von Fürsorge und Versorgung tritt die selbstbestimmte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft in den Vordergrund. Es gibt zahlreiche Regelungen, die Mitwirkung oder Beteiligung von Menschen mit Behinderung und ihrer Organisationen vorsehen. So ist z. B. das Wunsch- und Wahlrecht der Berechtigten bei Leistungen zur Teilhabe ausdrücklich geregelt. Anstelle von Sach- oder Dienstleistungen können Leistungsberechtigte die benötigten Leistungen auch in Form von Geldbeträgen oder Gutscheinen bekommen. Das SGB IX umfasst ein weites Spektrum an Leistungen zur Teilhabe, für die im deutschen gegliederten System der Sozialleistungsträger jeweils unterschiedliche Träger zuständig sind. Diese Leistungen lassen sich in folgende Gruppen einteilen: 4

Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, (u.a. Behandlungen durch Ärzte, Zahnärzte oder Angehörige anderer Heilberufe, Arznei- und Verbandmittel, Heilmittel einschließlich Sprach- und Beschäftigungstherapie etc.); unterhaltssichernde und andere ergänzende Leistungen; Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft (u.a. Hilfen zur Förderung der Verständigung mit der Umwelt, Hilfe bei der Beschaffung, dem Umbau, der Ausstattung und der Erhaltung einer Wohnung, Hilfen zur Teilhabe am kulturellen Leben); Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben sind insbesondere Hilfen zur Erhaltung oder Erlangung eines Arbeitsplatzes einschließlich Leistungen zur Beratung und Vermittlung, Trainingsmaßnahmen und Mobilitätshilfen; Berufsvorbereitung einschließlich einer wegen der Behinderung erforderlichen Grundausbildung; individuelle betriebliche Qualifizierung im Rahmen unterstützter Beschäftigung; berufliche Anpassung und Weiterbildung; berufliche Ausbildung; Gründungszuschuss; Hilfen zur Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben, um eine angemessene und geeignete Beschäftigung oder eine selbständige Tätigkeit zu ermöglichen und zu erhalten. Die soziale Sicherung im Rahmen der Sozialversicherung und die genannten Transferleistungen schützen die Bürgerinnen und Bürger nicht nur vor materieller Armut im Falle von Krankheiten, Unfällen oder Arbeitslosigkeit. Die genannten Leistungen sichern darüber hinaus die soziale Teilhabe hilfebedürftiger Menschen, wie etwa eine angemessene Wohnung, berufliche oder gesundheitliche Rehabilitation oder Beratungs- und Unterstützungsleistungen in der Jugend- und Sozialhilfe. Darüber hinaus leisten Betreuungs- und Bildungsinfrastrukturen durch Bildungsvermittlung und die Ermöglichung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf einen wesentlichen Beitrag zur Reduzierung von Armutsrisiken. 5

(1) Angemessene Einkommensunterstützung für ein menschenwürdiges Leben Die Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) sowie die Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel und die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) sehen bei Hilfebedürftigkeit alle für die Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums erforderlichen Leistungen vor. Wesentlicher Bestandteil dieses steuerfinanzierten staatlichen Fürsorgesystems sind dabei vorrangig Leistungen zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt bzw. eine Beschäftigung für erwerbsfähige Leistungsberechtigte. Daneben haben erwerbsfähige Leistungsberechtigte, die trotz intensiver Bemühungen keinen Arbeitsplatz finden können oder mit ihrer Erwerbstätigkeit ein nicht bedarfsdeckendes Einkommen erzielen, Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts als Arbeitslosengeld II, das auch als ergänzende (aufstockende) Leistung zum Einkommen zu gewähren ist. Was dem Einzelnen dabei in den steuerfinanzierten und bedarfsabhängigen Mindestsicherungssystemen zusteht, ist gesetzlich in Regelbedarfen festgelegt. Der Regelbedarf deckt pauschal die Bedarfe für Ernährung, Kleidung, Haushaltsenergie (ohne Heizung und Warmwassererzeugung), Körperpflege, Hausrat, Bedürfnisse des täglichen Lebens sowie auch Beziehungen zur Umwelt und die Teilnahme am kulturellen Leben ab. Hinzu kommen die angemessenen tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung. Daneben werden für besondere Lebensumstände wie Behinderung, Schwangerschaft, Alleinerziehung oder aus gesundheitlichen Gründen erforderliche kostenaufwändige Ernährung Mehrbedarfe gewährt. Darüberhinaus können einmalige Leistungen wie Erstausstattung für die Wohnung, für Bekleidung, bei Schwangerschaft und Geburt, die Anschaffung und Reparaturen von orthopädischen Schuhen, Reparaturen von therapeutischen Geräten und Ausrüstungen sowie die Miete von therapeutischen Geräten in Betracht kommen. Zusätzlich zum Regelbedarf werden im SGB II und SGB XII für Kinder und Jugendliche Bildungs- und Teilhabeleistungen für Schulausflüge und Klassenfahrten, Schulbedarf, Schülerbeförderung, Lernförderung, Schulmittagessen, Kultur, Sport usw. erbracht. Die Höhe dieser Leistungen orientiert sich am Konsumniveau von Haushalten mit geringem Einkommen, die ihren Lebensunterhalt unabhängig von Leistungen nach dem SGB II oder dem SGB XII decken. Gemessen wird das Konsumverhalten dieser Referenzhaushalte an deren statistisch nachgewiesenen Verbrauchsausgaben, die alle fünf Jahre 6

in der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) repräsentativ erhoben werden. Sofern diese für die Bestreitung des menschenwürdigen Existenzminimums als erforderlich angesehen werden, bilden sie in der Summe die Regelbedarfe, also die pauschalierte Lebensunterhaltsleistung. Durch diese Leistungen nach dem SGB II und SGB XII wird eine menschenwürdige Lebensführung ermöglicht. Die Leistungen beschränken sich aber nicht allein auf die Behebung elementarer materieller Mängel, sondern beziehen auch in gewissen Umfang die kulturelle und soziale Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft mit ein. Dieser umfassende Ansatz gewährleistet eine wahrnehmbare und somit auch diskriminierungsfreie Teilhabe am gesellschaftlich Leben. Damit wird es Leistungsberechtigten in der Sozialhilfe ermöglicht, ein Leben vergleichbar mit Personen im unteren Einkommensbereich selbstbestimmt zu führen. In der Grundsicherung für Arbeitsuchende können durch den haushaltsbezogenen Ansatz neben der/dem erwerbsfähigen Leistungsberechtigten auch die mit ihr/ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Angehörigen bei Hilfebedürftigkeit Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts entweder als Arbeitslosengeld II oder als Sozialgeld erhalten. Bund und Länder gestalten ihre flankierenden Aktivitäten zunehmend so aus, dass die gesamte Familie im Leistungsbezug in den Blick genommen wird, um Armutskarrieren von Kindern und Jugendlichen frühzeitig entgegen zu wirken. Diese flankierenden Aktivitäten umfassen bspw. spezifische Beratungs- und Coachingmaßnahmen und individuelle Familienbegleitungen. (2) Integrative Arbeitsmärkte und das Armutsreduzierungsziel der Bundesrepublik Deutschland Mit der Grundsicherung für Arbeitsuchende wurde ein Sozialleistungssystem geschaffen, das bei Hilfebedürftigkeit Hilfe zur Selbsthilfe anbietet. Die Zielsetzung der deutschen Strategie der aktiven Eingliederung besteht darin, Leistungen zur Eingliederung in Arbeit zu erbringen, damit die Betroffenen ihren Unterhalt aus eigener Arbeit bestreiten können. Die Arbeitsmarktinstrumente sind so ausgestaltet, dass sie die ausbildungs- oder arbeitsuchenden Personen mit der für sie richtigen Maßnahme unterstützen. Dabei wird der erste Arbeitsmarkt stärker in den Blick genommen, um mehr Menschen Chancen auf eine nachhaltige Teilhabe an der Erwerbsarbeit zu eröffnen. Die tief greifenden Änderungen 7

bei Umfang und Altersstruktur der inländischen Erwerbsbevölkerung in den nächsten Jahren eröffnen Beschäftigungschancen, die gezielt genutzt werden müssen. Aber auch diejenigen, denen es wegen gravierenderer Vermittlungshemmnisse auch mittelfristig nicht möglich ist, eine Beschäftigung aufzunehmen, werden systematisch unterstützt. Dies ist angesichts der Bedeutung von Erwerbstätigkeit für Vermeidung von Einkommensarmut und sozialer Ausgrenzung grundlegend. Insbesondere Langzeitarbeitslosigkeit ist in Deutschland eine der gravierendsten Ursachen für Armutsrisiken. Die Bundesregierung hat sich deshalb im Rahmen der Europa 2020-Strategie zur Bekämpfung der Armut in den Mitgliedstaaten der EU in ihrem Nationalen Reformprogramm das Ziel gesetzt, die Langzeitarbeitslosigkeit in Deutschland weiter zu verringern. Ausgehend vom Durchschnitt des Jahres 2008 soll eine Reduzierung um 20 Prozent bis zum Jahr 2020 erreicht werden. Von den Langzeitarbeitslosen verfügen rund 47 Prozent über keine abgeschlossene Berufsausbildung, rund 39 Prozent sind 50 Jahre oder älter. Auch Alleinerziehende sind besonders lange im Leistungsbezug der Grundsicherung für Arbeitsuchende, ohne dass sie zwingend (langzeit-)arbeitslos sind. Menschen mit Migrationshintergrund und Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen haben ebenfalls ein erhöhtes Risiko. Die Problemlagen der von Langzeitarbeitslosigkeit Betroffenen sind in der Regel vielschichtig und individuell sehr unterschiedlich. Ihre Integration fällt in der Regel schwerer als bei Menschen, die nur kurze Zeit ohne Beschäftigung waren. Gleichwohl sind die Anstrengungen aller Beteiligten gerade auch bei Langzeitarbeitslosen in erster Linie auf eine Integration in den ersten Arbeitsmarkt gerichtet. Die (Wieder-)Eingliederung in den Arbeitsmarkt umfasst Instrumentarien in den Bereichen Aktivierung und berufliche Eingliederung, Berufswahl und Berufsausbildung, berufliche Weiterbildung, Aufnahme einer Erwerbstätigkeit, besondere Maßnahmen zur Teilhabe behinderter Menschen und Beschäftigung schaffende Maßnahmen. Bei Ausbildungssuchenden, von Arbeitslosigkeit bedrohten Arbeitsuchenden und Arbeitslosen kann die Teilnahme an Maßnahmen gefördert werden, die ihre berufliche Eingliederung durch Heranführung an den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt, Feststellung, Verringerung oder Beseitigung von Vermittlungshemmnissen, Vermittlung in eine versicherungspflichtige Beschäftigung, Heranführung an eine selbständige Tätigkeit oder Stabilisierung einer Beschäftigungsaufnahme unterstützen (Maßnahmen zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung). 8

Diese in den Sozialgesetzbüchern II und III geregelten Instrumentarien der aktiven Arbeitsmarktpolitik sind auch auf Personengruppen, die in besonderen Maße von Armut betroffen bzw. bedroht sind (Alleinerziehende, Menschen mit Migrationshintergrund, Ältere, Menschen mit Behinderung etc.), ausgerichtet und werden durch weitere unterstützende - auch durch den ESF geförderte - Maßnahmen flankiert. Dabei wird ein ganzheitlicher Ansatz verfolgt, der alle Lebensphasen umfasst. Mit dem Gesetz zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt wurde der Gestaltungsspielraum insbesondere für die Eingliederung von Langzeitarbeitslosen in Arbeit zum 1. April 2012 erweitert. Gleichzeitig wurde das Ziel der Eingliederung in den ersten Arbeits- und Ausbildungsmarkt sowie der präventive Ansatz stärker betont. Eine größere Flexibilität in den arbeitsmarktpolitischen Instrumenten ermöglicht mit Blick auf die sehr unterschiedlichen persönlichen Voraussetzungen der Ausbildungs- und Arbeitsuchenden und die Aufnahmefähigkeit der regionalen Arbeitsmärkte einen noch passgenaueren Instrumenteneinsatz. In der Grundsicherung für Arbeitsuchende wurden insbesondere die Fördermöglichkeiten im Rahmen der Freien Förderung nach 16f SGB II für den Personenkreis der langzeitarbeitslosen Menschen und jungen Menschen unter 25 Jahre mit schwerwiegenden Vermittlungshemmnissen erweitert. Mit dem Sonderprogramm IFLAS (Initiative zur Flankierung des Strukturwandels) der Bundesagentur für Arbeit werden unterstützend gezielt geringqualifizierte Arbeitslose hin zu solchen Berufsabschlüssen oder anerkannten Teilqualifikationen zu einem Berufsabschluss (Module) gefördert, die zur Deckung des regionalen Fachkräftebedarfs benötigt werden. Hier werden auch gezielt Personen mit Migrationshintergrund und Berufsrückkehrende angesprochen. Als Mittelvolumen stehen für das Jahr 2014 erneut 400 Mio. Euro zur Verfügung (2013 und 2012: je 400 Mio. Euro, 2011: 350 Mio. Euro, 2010: 250 Mio. Euro). Im Rahmen des Programms werden auch modellhaft in sich abgeschlossene und zertifizierte Module für bestimmte Berufe entwickelt, die zu einem anerkannten Berufsabschluss hinführen. Hierdurch kann insbesondere geringqualifizierten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern die Perspektive auf einen Berufsabschluss eröffnet werden, die eine Berufsausbildung an einem Stück nicht erfolgreich durchlaufen können. Die im Februar 2013 gestartete Initiative zur Erstausbildung junger Erwachsener ( AusBILDUNG wird was - Spätstarter gesucht ) der Bundesagentur für Arbeit hat das Ziel, abschlussorientierte Qualifizierungen in der Gruppe der 25-34-Jährigen deutlich zu 9

erhöhen. In dieser Altersgruppe gibt es ca. 1,4 Mio. junge Menschen, die keine Berufsausbildung besitzen, fast jeder Fünfte von ihnen (rund 310.000) ist arbeitslos gemeldet. Angestrebt wird, dass innerhalb von 3 Jahren 100.000 junge Erwachsene in den Rechtskreisen SGB II und III eine Weiterbildung mit dem Ziel Berufsabschluss beginnen. Schwerpunkt ist die zielgerichtete, passgenaue Förderung abschlussorientierter beruflicher Weiterbildungen (Voll- und Teilzeitqualifizierungen in einem anerkannten Ausbildungsberuf, Externenprüfung, modulare Teilqualifizierungen). Die Initiative richtet sich nicht nur an arbeitslose, sondern auch an beschäftigte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die noch nicht über eine Berufsausbildung verfügen. Auch behinderte junge Erwachsene können von der Initiative profitieren. Zur Stärkung der Qualifizierung von beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern führt die Bundesagentur für Arbeit seit 2006 das Sonderprogramm WeGebAU durch. Als Mittelvolumen stehen in 2014, wie bereits in den letzten beiden Jahren, 280 Mio. Euro zur Verfügung. Gefördert werden kann die Qualifizierung insbesondere älterer Beschäftigter in kleinen und mittelständischen Unternehmen sowie geringqualifizierter Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Das Programm soll Beschäftigungsfähigkeit sichern bzw. erhöhen und Arbeitslosigkeit vermeiden. Weiterhin soll das Programm einen Beitrag zur Deckung des Fachkräftebedarfs leisten und Anreiz für die Unternehmen sein, durch berufliche Weiterbildung die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen zu verbessern. Durch das Gesetz zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt wurde die gesetzliche Grundlage für die berufliche Weiterbildungsförderung älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in kleinen und mittleren Unternehmen entfristet. Zudem können befristet bis 2014 auch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer unter 45 Jahren gefördert werden, wenn sich der Arbeitgeber mit mindestens 50 % an den Lehrgangskosten beteiligt. In Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung ( 16d SGB II) werden zusätzliche und im öffentlichen Interesse liegende Arbeiten, z.b. bei Gemeinden, Vereinen, Kirchen oder Wohlfahrtsverbänden angeboten. Durch eine Arbeit mit Mehraufwandsentschädigung können Langzeitarbeitslose berufliche Erfahrungen sammeln, Kenntnisse erweitern und soziale Kontakte knüpfen. Für jede geleistete Arbeitsstunde in einer Arbeit mit Mehraufwandsentschädigung wird zusätzlich zum Arbeitslosengeld II eine finanzielle Entschädigung gezahlt. Weiterhin können Arbeitgeber mit einem Zuschuss zum Arbeitsentgelt unterstützt werden, falls sie förderungsbedürftige langzeitarbeitslose Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einstellen, deren Vermittlung auf dem Arbeitsmarkt aus individuellen Gründen sehr 10

erschwert ist ( 16e SGB II). Die Förderung kann bis zu einer Höhe von 75 Prozent des regelmäßig gezahlten Arbeitsentgelts sowie des pauschalierten Arbeitgeberanteils am Gesamtsozialversicherungsbeitrag für die Dauer von längstens 24 Monaten geleistet werden. Besondere Regelungen gelten für behinderte und schwerbehinderte Menschen; hier kann der Eingliederungszuschuss anfänglich bis zu 70 Prozent des Arbeitsentgeltes betragen und für bis zu 60 Monate, für ältere schwerbehinderte Menschen sogar bis zu 96 Monaten geleistet werden ( 90 Absatz 2 SGB III). Flankierend werden im Rahmen des Bundesprogramms Perspektive 50plus Beschäftigungspakte für Ältere in den Regionen seit 2005 langzeitarbeitslose Personen zwischen 50 und 64 Jahren bei der Rückkehr auf den allgemeinen Arbeitsmarkt unterstützt. Diese im Rechtskreis des SGB II arbeitslos gemeldeten Älteren sollen aus der Hilfebedürftigkeit herausgeführt werden, indem ihnen eine Perspektive auf existenzsichernde Arbeit im regulären Arbeitsmarkt geboten wird. Hierfür wurden unterschiedliche regionale Strategien und Konzepte entwickelt und erprobt, die kontinuierlich weiterentwickelt werden. Verbindende Elemente dieser regionalen Lösungswege sind die Konzentration auf die Stärken und Potentiale der Personen in der Zielgruppe und eine auf das Individuum ausgerichtete intensive Aktivierung mit dem Ziel, den Älteren die Möglichkeit zu eröffnen, ihre eigenen Fähigkeiten herauszuarbeiten, auszubauen und erfolgreich auf dem Arbeitsmarkt einzusetzen. Zurzeit werden 78 regionale Beschäftigungspakte gefördert, an denen über 400 Grundsicherungsstellen beteiligt sind. Das Bundesprogramm startete im Oktober 2005 und läuft mittlerweile in der dritten Programmphase (2011-2015). Weiterhin wurden über den ESF zusätzliche Beschäftigungsmöglichkeiten für Langzeitarbeitslose geschaffen. 2 2 So konnten durch das Bundesprogramm Kommunal-Kombi, mit dem in den Jahren 2008 und 2009 sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsmöglichkeiten in 101 Regionen mit besonders hoher und verfestigter Langzeitarbeitslosigkeit geschaffen wurden, fast 16.000 langzeitarbeitslose Bezieherinnen und Bezieher von Arbeitslosengeld II für die Dauer von drei Jahren sozialversicherungspflichtig beschäftigt werden. 11

(3) Weitere zielgruppenbezogene Maßnahmen zur Reduzierung von Armut und Armutsrisiken im Rahmen der Strategie der aktiven Eingliederung Alleinerziehende haben mit 37% (EU-SILC 2011) ein mehr als doppelt so hohes Armutsrisiko wie der Durchschnitt der Bevölkerung. Alleinerziehende benötigen deshalb umfassende Unterstützungs- und Hilfemaßnahmen, um durch Eingliederung in Arbeit oder Stabilisierung ihrer Beschäftigung die eigene Hilfebedürftigkeit und die ihrer Kinder zu beenden oder zumindest verringern zu können. Die Bundesregierung, die Bundesagentur für Arbeit und die meisten Bundesländer haben daher Alleinerziehende, die besonders häufig von materieller Armut bedroht sind, als eigene Zielgruppe definiert und besondere Angebote für diese geschaffen. So hat die Bundesagentur für Arbeit seit 2010 bundesweit flächendeckend die Erschließung von Beschäftigungschancen für Alleinerziehende zu einem ihrer sechs geschäftspolitischen Schwerpunkte in der Grundsicherung für Arbeitsuchende erklärt und wird die eingeleiteten Maßnahmen als herausgehobenes Handlungsfeld auch in Zukunft fortsetzten. Darüber hinaus haben die Partner des 2010 für vier weitere Jahre verlängerten Ausbildungspaktes am 6. Februar 2013 folgende gemeinsame Erklärung beschlossen: Neben zahlreichen anderen Maßnahmen wollen sich die Paktpartner für eine stärkere Nutzung der betrieblichen Teilzeitberufsausbildung, insbesondere für alleinerziehende Mütter und Väter, einsetzen und junge Eltern und Betriebe verstärkt für eine (Teilzeit-)Berufsausbildung gewinnen. Auch in den Berufsschulen werden die entsprechenden Strukturen weiter ausgebaut, um mehr Lernen in Teilzeit zu ermöglichen. Ausreichende Möglichkeiten der Kinderbetreuung sind eine weitere wichtige Voraussetzung für eine erfolgreiche Berufsausbildung. 3 Im Jahr 2010 waren rund 1,3 Mio. Kinder und Jugendliche in Paarhaushalten und 1,2 Mio. Kinder und Jugendliche aus Alleinerziehendenhaushalten von einem unter dem statistischen Schwellenwert liegenden Äquivalenzeinkommen betroffen. Außerdem sind Familien mit Migrationshintergrund nach einer Sonderauswertung des Mikrozensus 2009 deutlich häufiger von einem relativ geringen Einkommen betroffen. Hinsichtlich der materiellen Armutsgefährdung von Familien lassen sich zwei wesentliche Bestimmungsfaktoren in Deutschland identifizieren, die miteinander korrelieren: der Familientyp und die Erwerbsbeteiligung der Eltern. So ist z.b. ein hoher Anteil relativ nied- 3 Weiterhin konnten durch den mit ESF-Mitteln geförderten Ideenwettbewerb "Gute Arbeit für Alleinerziehende" sowie die ESF-Förderung von bundesweit 102 Netzwerken wirksamer Hilfen für Alleinerziehende positive Initialwirkungen zur Vernetzung der Bemühungen aller relevanten Akteure vor Ort entfaltet werden. 12

riger Einkommen in Haushalten von Alleinerziehenden festzustellen, der mit Erwerbslosigkeit oder einem sehr geringen Beschäftigungsumfang von Alleinerziehenden einhergeht. Darüber hinaus sind Familien mit drei und mehr Kindern häufiger von Armut betroffen. Mit der Aufnahme einer Vollzeitbeschäftigung durch die erwerbsfähigen Haushaltsmitglieder oder auch mit der Aufnahme zusätzlicher Teilzeitbeschäftigung sinkt der Anteil von Familien mit Kindern mit einem relativ geringen Einkommen von rund 70 Prozent auf bis zu fünf Prozent (EU SILC 2011). Bei vielen Frauen in der Familienphase besteht auch ein hohes Interesse an Erwerbsarbeit. So wünschen sich in Teilzeit unterhalb von 20 Stunden arbeitende und nicht berufstätige Mütter deutlich mehr Arbeitsstunden als bisher realisiert (Quelle: Befragungsergebnisse von Allensbach 2010, siehe 4.ARB, Seite 193). Viele Frauen machen dabei von ihrem Recht zur Reduzierung der Arbeitszeit Gebrauch. Die Rückkehr in Vollzeit verläuft dagegen oft nicht reibungslos, weil die bestehenden rechtlichen Ansprüche auf Rückkehr noch unzureichend sind. Das Teilzeit- und Befristungsgesetz wird deshalb mit dem Ziel überprüft, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf weiter zu verbessern. Erreichbar ist dieses Ziel dadurch, dass Beschäftigte künftig auch einen Anspruch auf befristete Teilzeit erhalten. Nach Ablauf dieses Zeitraumes soll die Arbeitnehmerin/der Arbeitnehmer berechtigt und verpflichtet sein, zur Arbeitszeit vor der Teilzeitarbeit zurückzukehren (Rückkehrrecht). Um Arbeitgeber nicht unzumutbar zu belasten, dürfen sie den Anspruch auf befristete Teilzeitarbeit aus betrieblichen Gründen ablehnen. Die Gesamtaktivitäten der Bundesregierung für eine verbesserte Vereinbarkeit von Familie und Beruf, insbesondere der Ausbau der Kinderbetreuung werden daher fortgeführt. Erklärtes gemeinsames Ziel der Politik, der Sozialpartner und der Unternehmen ist es, Arbeitsplätze und Arbeitsverhältnisse so gestalten, dass ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht nur länger als heute in Arbeit bleiben, sondern ihre besonderen Stärken im Arbeitsalltag auch einsetzen können. Neue Formen der Arbeitsorganisation, insbesondere die alters- und alternsgerechte Arbeitsgestaltung und angepasste Arbeitszeitmodelle spielen dabei eine entscheidende Rolle. Darüber hinaus sind eine betriebliche Personalpolitik, die sich ganzheitlich am Älterwerden der Arbeitskräfte ausrichtet, aber auch ein betriebliches Gesundheitsmanagement, die Förderung von Prävention, Unfallschutz und Rehabilitation entscheidend. So haben sich etwa BMAS, BDA und DGB zu einem gemeinsamen Umgang mit psychischen Belastungen in der Arbeitswelt verständigt. 13

Seit 2002 unterstützen im Rahmen der Initiative Neue Qualität der Arbeit Vertreterinnen und Vertreter von Bund, Ländern, Sozialpartnern, Kammern sowie der Bundesagentur für Arbeit, weiteren Sozialversicherungsträgern und Stiftungen Betriebe dabei, ihre Personalarbeit und betrieblichen Prozesse zukunftsfähig aufzustellen und eine mitarbeiterorientierten Unternehmenskultur zu entwickeln. Im Mittelpunkt aller Aktivitäten stehen die vier politischen Handlungsfelder Personalführung, Chancengleichheit & Diversity, Gesundheit sowie Wissen & Kompetenz. Im Handlungsfeld Gesundheit stehen insbesondere Aktivitäten zum Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Vordergrund. Im Rahmen des INQA-geförderten Projekts Zusammen wachsen - Arbeit gestalten (ZuWAGs) sollen z.b. branchenspezifische Demografie-Tarifverträge entwickelt und ihre Umsetzung in der betrieblichen Praxis begleitet werden. (4) Zugang zu hochwertigen und gemeindenahen Dienstleistungen Die zuvor dargestellten Leistungen der Mindestsicherung sowie die vorgelagerten Leistungen stehen bei Bedürftigkeit allen Personen gleichberechtigt zur Verfügung, sofern die gesetzlich geregelten Voraussetzungen erfüllt werden. Die geografische Zugänglichkeit zu den Leistungen wird in Deutschland dadurch hergestellt, dass ein Großteil der bundesgesetzlichen Regelungen durch die Kommunalverwaltungen vollzogen werden. Die Kommunen erbringen die Leistungen für Unterkunft und Heizung sowie besondere einmalige Leistungen wie die Erstausstattung der Wohnung. Daneben sind sie verantwortlich für die Erbringung der zusätzlichen Bildungs- und Teilhabeleistungen (Bildungspaket) und flankierenden Eingliederungsleistungen (Schuldner- und Suchtberatung, Kinderbetreuungsleistungen). Die Arbeitsagenturen verantworten die Zahlungen der Regelbedarfe zur Sicherung des Lebensunterhalts und die für die Integration in den Arbeitsmarkt erforderlichen Eingliederungsleistungen. Die Aufgaben der Bundesagentur für Arbeit und der Kommunen werden in der Regel in der Organisationsform einer gemeinsamen Einrichtung weitestgehend aus einer Hand in den 303 Jobcentern erbracht. Hinzu kommen 105 Kommunen, die die Grundsicherung für Arbeitsuchende allein, d.h. ohne Beteiligung der Bundesagentur für Arbeit, eigenverantwortlich umsetzen. Diese Organisation in der Grundsicherung für Arbeitsuchende sichert für den Einzelnen eine zielgenaue und bürgernahe Umsetzung vor Ort und gewährleistet eine effiziente Verwaltung ohne bürokratische Hürden. 14

Die erfolgreiche Eingliederung in den Arbeitsmarkt bedarf niedrigschwelliger und wohnortnaher Angebote und einer gezielten Koordinierung aller vor Ort agierenden Partner und Akteure: Kommunen, Arbeitsagenturen, Jobcenter, Bildungs- und Projektträger sowie ggfs. Migrantenorganisationen müssen sich mit ihren Angeboten abstimmen, um die betreffenden Personen zu erreichen und ein effektives und effizientes Förderangebot vor Ort bereitzustellen. Jede gemeinsame Einrichtung ist daher dazu verpflichtet, die relevanten lokalen Akteure zur Eingliederung von Menschen in den Arbeitsmarkt eng in Form eines örtlichen Beirats einzubinden (vgl. 18 d SGB II). Der Beirat besteht i.d.r. aus Beteiligten des örtlichen Arbeitsmarktes, insbesondere den Trägern der freien Wohlfahrtspflege, den Vertreterinnen und Vertretern der Arbeitgeber und Arbeitnehmer sowie den Kammern und berufsständischen Organisationen. Er berät bei der Auswahl und Gestaltung der Eingliederungsinstrumente und -maßnahmen. Zusätzlich besteht für alle Träger der Rehabilitation eine besondere Verpflichtung der engen Zusammenarbeit. In fast allen Landkreisen und kreisfreien Städten wurden Gemeinsame Servicestellen eingerichtet, die trägerübergreifend über Zuständigkeit, Leistungsvoraussetzungen, Leistungen und Verwaltungsabläufe informieren und die Betroffenen bei ihren Anträgen unterstützen. Die Einrichtung der Gemeinsamen Servicestellen unterstützt eine wohnortnahe koordinierte Leistungserbringung und Unterstützung aus einer Hand für behinderte und von Behinderung bedrohte Menschen. Zur weiteren Unterstützung hat der Bund Förderprogramme zum Aufbau lokaler Netzwerke aufgelegt, u.a. das bundesweite Förderprogramm Integration durch Qualifizierung- IQ zur Verbesserung der Arbeitsmarktintegration von Erwachsenen mit Migrationshintergrund. Ziel ist es, flächendeckend die regionalen Arbeitsmarktakteure zu vernetzen und Unterstützungsleistungen zu verzahnen, die interkulturelle Qualifizierung der Arbeitsmarktakteure zu unterstützen sowie die Umsetzung des Anerkennungsgesetzes zu gewährleisten. Weiterhin förderte das Bundesministerium für Arbeit und Soziales in den Jahren 2011 bis 2013 im Rahmen des ESF-Programms Netzwerke wirksamer Hilfen für Alleinerziehende den Auf- und Ausbau lokaler arbeitsmarkt-, familienpolitischer und vereinbarkeitsorientierter Netzwerkstrukturen, die Alleinerziehende bei der Eingliederung in den Arbeitsmarkt unterstützen. In den Projekten entwickelte Kooperationsstrukturen und Angebote sind vielfach in die Regelorganisation der beteiligten Verwaltungsträger überführt worden. Zusätzlich legt die Bundesregierung im Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der UN- Behindertenrechtskonvention ein besonderes Augenvermerk auf die physische Zugäng- 15

lichkeit zu den Dienstleistungen durch die Gestaltung eines inklusiven sozialen Nahraums. Dazu gehören neben einer Vielfalt an Wohnformen und wohnortnahen Begegnungs- und Beratungsmöglichkeiten barrierefreie Kultur- und Freizeitangebote und ein belastbares Netz unterschiedlicher Fach-, Unterstützungs- und Hilfsangebote. (5) Strategien zur Bekämpfung von In Work Poverty (Erwerbsarmut) Im Zeitverlauf haben sich die Armutsrisikoquote der Gesamtbevölkerung und die der Erwerbstätigen in etwa parallel entwickelt. So ist ab Ende der 1990er Jahre bis Mitte der letzten Dekade ein signifikanter Anstieg zu verzeichnen, während die Armutsrisikoquote in beiden Fällen in der Folge konstant geblieben ist. Tabelle: Entwicklung der Armutsrisikoquote insgesamt und der Erwerbstätigen, in Prozent Quelle: Vierter Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung, S. 462, Datenbasis Soziooekonomisches Panel (SOEP). SOEP 2011 Einkommensjahr 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 Armutsrisikoquote bezogen auf 60% des Medianeinkommens Insgesamt 10,6 11,8 12,6 13,1 13,3 14,6 14,1 13,5 14,2 14,4 15,0 13,8 Erwerbstätig (Einkmmensjahr) 6,4 6,8 7,4 7,3 7,5 8,5 8,0 7,4 7,8 8,4 8,7 8,2 Hinsichtlich der Erwerbsarmut in Deutschland ist folgendes zu beachten: Die Armutsrisikoquote von Erwerbstätigen ist sowohl nach dem SOEP als auch nach EU-SILC deutlich niedriger (im Jahr 2010 nach SOEP 8,2%, nach EU-SILC 7,7%) als im Durchschnitt der Bevölkerung (im Jahr 2010 nach SOEP 13,9%, nach EU-SILC 15,8%). Differenziert man die Armutsrisikoquote Erwerbstätiger nach Vollzeit und Teilzeit, so sind im Jahr 2010 Vollzeiterwerbstätige mit 6,1% (EU-SILC) bzw. 3,6% (SOEP) kaum noch armutsgefährdet, in Teilzeit dagegen zu 10,5% (EU-SILC) bzw. 15% (SOEP). Das Thema Arm trotz Arbeit ist damit vor allem ein Problem der Arbeitsintensität und der Haushaltsgröße und zu einem geringeren Anteil eines zu niedriger Löhne. Nach Berechnungen des IW Köln verfügen etwa 16% aller Beschäftigten im Niedriglohnbereich über ein Einkommen unterhalb der Armutsrisikoschwelle. Daher ist das eigene (niedrige) Erwerbseinkommen nur eine Komponente des gesamten Haushaltseinkommens und wird häufig vom Erwerbseinkommen von Partnern sowie ggf. von Transferleistungen ergänzt. 16

Strategien zur Bekämpfung von Erwerbsarmut leiten sich aus dieser Analyse in zweifacher Hinsicht ab. Zum einen werden Anreize zur Ausweitung der Erwerbstätigkeit gesetzt. Mit den Leistungsrechtsreformen im SGB II wurden z. B. die Erwerbstätigenfreibeträge für Bezieherinnen und Bezieher der Grundsicherung für Arbeitsuchende ausgeweitet, um Anreize zur Ausdehnung der Arbeitszeit und zum Wechsel in eine voll sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu setzen. Maßnahmen im Rahmen von Eingliederungsleistungen einschließlich der Ansprache von Arbeitgebern zielen zudem darauf ab, Möglichkeiten zum Ausbau von geringfügigen und Teilzeitbeschäftigungen zu erschließen. Darüber hinaus wird das Teilzeit- und Befristungsgesetz mit dem Ziel überprüft, den Beschäftigten künftig auch einen Anspruch auf befristete Teilzeit zu gewähren (siehe oben zum Rückkehrrecht aus Teilzeit). Zum anderen findet in Deutschland derzeit eine Diskussion statt, ob und inwieweit die in den letzten Jahren deutlich ausgebauten branchenspezifischen Mindestlöhne durch eine allgemeine gesetzliche Lohnuntergrenze flankiert werden sollen. (6) Strategien gegen zukünftige Altersarmut Sofern eigene Alterseinkünfte nicht ausreichen, besteht im Rahmen der Sicherung des Existenzminimums ein Anspruch auf Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII. Allerdings ist Altersarmut in Deutschland, anders als noch Mitte der fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts, heute ein Randphänomen. Derzeit sind lediglich rund 2,7 Prozent der Älteren auf die Fürsorgeleistung der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung angewiesen. Der prozentuale Anteil an Frauen unter diesen beträgt 63% und an Nichtdeutschen 22%. Die wirksamste Strategie gegen eine Zunahme von Altersarmut in der Zukunft ist Prävention. Alle wissenschaftlichen Erkenntnisse stimmen dahingehend überein, dass eine möglichst durchgängige Erwerbsbiografie mit gutem Erwerbseinkommen und entsprechendem Erwerb von Ansprüchen auf spätere Altersrenten ein auskömmliches Alterseinkommen ermöglicht. Es gilt daher in allererster Linie, die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass eine lange Erwerbstätigkeit ermöglicht wird, längere Phasen der Arbeitslosigkeit unterbleiben und Beschäftigung in guten Arbeitsbedingungen zu angemessener Entlohnung erfolgt. Die Bundesregierung verfolgt und unterstützt diese Ziele mit einer ganzen Reihe von Maßnahmen und Initiativen, die alle Zielgruppen des Arbeitsmarktes im Auge haben. Dabei geht es sowohl um die Integration von Arbeitslosen als auch um die Aktivierung 17

bestimmter Personengruppen mit unterdurchschnittlicher Erwerbsneigung, insbesondere Frauen und Ältere (dazu s.o.). Wichtig ist darüber hinaus, dass (zusätzliche) Altersvorsorge betrieben wird. Altersvorsorge muss sich insbesondere auch für Geringverdienende lohnen. Menschen, die ihr Leben lang gearbeitet oder wertvolle Leistungen, wie die Erziehung von Kindern oder die Pflege von Angehörigen, erbracht haben, sollten im Alter nicht genauso dastehen, wie diejenigen, die - aus welchen Gründen auch immer - nur wenig gearbeitet oder sich schlicht nicht um ihre Alterssicherung gekümmert haben. Über die konkrete Umsetzung wird in der Bundesregierung beraten. (7) Analyse und Überwachung des deutschen Gesamtkonzepts zur Reduzierung der Armut Grundlage für die stetige Anpassung und ggf. Neuausrichtung der Instrumente zur Ausgestaltung des Sozialstaatsprinzips und des Ansatzes zur Armutsbekämpfung ist eine wissenschaftlich fundierte Analyse des Ist-Zustandes. Die Bundesregierung legt einmal in der Legislaturperiode einen Armuts- und Reichtumsbericht als Instrument zur Überprüfung politischer Maßnahmen und zur Anregung neuer Maßnahmen vor. 4 Die Bundesregierung analysiert in ihrer Armuts- und Reichtumsberichterstattung seit 2001 die Lebenslagen der Menschen mit Armutsrisiken in Deutschland auf empirischer Basis und trägt die Erkenntnisse der Forschung zusammen. Dargestellt und analysiert werden Zeitreihen mit Kernindikatoren, u.a. in den Bereichen Verteilung materieller Ressourcen, Arbeitsmarktbeteiligung, Bildungsteilhabe und Gesundheit. Diese Daten und Analysen schaffen eine Grundlage für empiriegestützte Politik im Bereich des Ziels der Armutsbekämpfung/-reduzierung. Anfang 2013 wurde der Vierte Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung beschlossen, der seinen analytischen Fokus auf Risiko- und Erfolgsfaktoren für soziale Mobilität in Deutschland setzt. Die relevanten Akteure und maßgeblichen Interessenvertreter werden zum einen im Zusammenhang mit Fragen der Umsetzung der Grundsicherung für Arbeitsuchende im Bund-Länder-Ausschuss nach 18c SGB II eingebunden, an dem Vertreterinnen und Vertretern des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, der Länder, der kommunalen Spitzenverbände sowie der Bundesagentur für Arbeit teilnehmen. 4 Auch die Bundesländer und einzelne Kommunen geben inzwischen eigene Sozialberichte heraus. Dabei handelt es sich in der Mehrzahl um Armutsberichte oder Berichte zur sozialen Lage der Bevölkerung. 18

Zusätzlich wird im Rahmen des Gemeinsamen Monitorings der Bundesregierung ein regelmäßiger und kontinuierlicher Dialog mit den Spitzenverbänden der Freien Wohlfahrtspflege geführt, der zum Ziel hat, unbeabsichtigte und unerwünschte Aus- und Wechselwirkungen von Gesetzesregelungen im Sozialbereich zu identifizieren und Lösungsvorschläge zu erarbeiten. Die Erhebung von Statistiken, die Wirkungsforschung sowie die Arbeitsmarktberichterstattung durch die Bundesagentur für Arbeit sind zudem in den Sozialgesetzbüchern II und III (jeweils Kapitel 7) verankert. (8) Einbindung relevanter Akteure und maßgeblicher Interessensvertreter Um die Umsetzung der Grundsicherung für Arbeitsuchende als wesentliches Element der Gesamtstrategie zur Armutsbekämpfung durch die Jobcenter erfolgreich zu unterstützen, wurde ein dichtes Netzwerk zur dialogorientierten Zusammenarbeit geschaffen. Dieses besteht auf Bundesebene aus dem Bund-Länder-Ausschuss mit seinen Arbeits- und Unterarbeitsgruppen, für die Umsetzung auf Landesebene in der direkten Zusammenarbeit zwischen Bund und jedem einzelnen Bundesland in den 16 Kooperationsausschüssen und auf örtlicher Ebene aus vorwiegend dezentral organisierten Ansätzen wie Netzwerken. Die örtliche Vernetzung wird durch die Servicestelle SGB II unterstützt, die die Akteure im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales sowohl webbasiert als auch durch verschiedenste Veranstaltungen in den Dialog miteinander bringt. Für die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Fragen der Arbeitsmarkt- und Integrationspolitik in der Grundsicherung für Arbeitsuchende auf Landesebene hat der Gesetzgeber die Bildung je eines Kooperationsausschusses mit Vertretern des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) und der zuständigen obersten Landesbehörde des jeweiligen Bundeslandes vorgesehen. Die Kooperationsausschüsse nehmen neben ihrer Beratungs- und Entscheidungsfunktion übergreifende Aufgaben der Koordinierung, Abstimmung und Schwerpunktsetzung in der Grundsicherung für Arbeitsuchende auf Landesebene wahr. Sie stimmen zudem die Verfahren zum Abschluss der Zielvereinbarungen nach 48b SGB II ab. Auf Bundesebene wurde der Bund-Länder-Ausschuss (BLA) nach 18c SGB II eingerichtet, um die zentralen Fragen der Umsetzung der Grundsicherung für Arbeitsuchende, die Fragen der Aufsicht nach den 47 und 48 SGB II, Fragen des Kennzahlenvergleichs 19

nach 48a Absatz 2 SGB II sowie Fragen der zu erhebenden Daten nach 51b Absatz 1 Satz 2 SGB II zu beobachten und zu beraten und die Zielvereinbarungen nach 48b Absatz 1 SGB II zu erörtern. Neben Bund und Ländern nehmen die Kommunalen Spitzenverbände und die Bundesagentur für Arbeit am BLA teil. Unter Beachtung der dezentralen Entscheidungsverantwortung durch die Jobcenter werden im BLA eine Fülle an Themen von überregionaler Relevanz im SGB II abgestimmt. Um die vielfältigen Themen der Grundsicherung für Arbeitsuchende effektiv zu bearbeiten, hat der BLA Arbeits- und Unterarbeitsgruppen. Zusätzlich findet im Rahmen des Gemeinsamen Monitorings ( Sozialmonitoring ) ein regelmäßiger Austausch zwischen Bundesregierung und den Spitzenverbänden der Freien Wohlfahrtspflege statt. Ziel ist es, unbeabsichtigte und unerwünschte Aus- und Wechselwirkungen von Gesetzesregelungen im Sozialbereich zu identifizieren und gemeinsam pragmatische Lösungsvorschläge zu erarbeiten. Die relevanten Akteure und Interessensvertreter werden auch in die Berichterstattung zur Armutsbekämpfung eingebunden. Die Bundesregierung ist durch die Beschlüsse des Bundestages vom 27. Januar 2000 und 19. Oktober 2001 aufgefordert, einmal in der Legislaturperiode einen Armuts- und Reichtumsbericht (ARB) vorzulegen. Gemäß diesem Auftrag führt die Bundesregierung im Frühjahr 2013 mit dem Vierten Armuts- und Reichtumsbericht die im Jahr 2001 begonnene Bestandsaufnahme der sozialen Lage in Deutschland fort. Die Analysen sollen den gesellschaftspolitisch Handelnden auf den verschiedenen Ebenen der Verantwortlichkeit Orientierung dabei bieten, politische Rahmenbedingungen für soziale Mobilität - verstanden im Sinne der Verbesserung von Teilhabechancen Benachteiligter im eigenen Lebensverlauf oder im Vergleich zur Elterngeneration - zu schaffen. Die Bundesregierung hat über einen Beraterkreis und ein wissenschaftliches Gutachtergremium die wesentlichen gesellschaftlichen Akteure beratend in die Berichterstattung einbezogen. Im Zuge der Vorbereitung des Nationalen Sozialbericht (NSB) 2012 fand am 26. Juni 2012 eine Anhörung der relevanten Akteure und Interessensvertreter/innen statt. Die Länder und Kommunen wurden zudem über den Ausschuss der Arbeits- und Sozialministerkonferenz und der Gesundheitsministerkonferenz beteiligt. Am 23. Januar 2013 fand ein Gespräch zur Strategischen Sozialberichterstattung 2013 (sowie NRP 2013) statt. 20