Beiträge für die Wirtschaftspraxis



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Transkript:

Beiträge für die Wirtschaftspraxis 7 Wissenschaft & Praxis Framework (IASB) versus GoB: Sinnvoller Auslegungsmaßstab oder leere Hülle? Ein Vergleich der Rolle des Framework des IASB und der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung (GoB) für die Jahresabschlusserstellung und -prüfung Agnes Aschfalk-Evertz Akademie Verlag

Aschfalk-Evertz, Agnes Framework (IASB) versus GoB: Sinnvoller Auslegungsmaßstab oder leere Hülle? Ein Vergleich der Rolle des Framework des IASB und der Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung (GoB) für die Jahresabschlusserstellung und -prüfung FOM-Schriftenreihe: Beiträge für die Wirtschaftspraxis, Nr. 7 Essen 2006 ISBN 3-89275-046-7 C 2006 by Akademie Verlag MA Akademie Verlagsund Druck-Gesellschaft mbh Rolandstraße 5-9 45128 Essen Tel. 0201 81004-351 Fax 0201 81004-610 Kein Teil des Manuskriptes darf ohne schriftliche Genehmigung in irgendeiner Form - durch Fotokopie, Mikrofilm oder andere Verfahren - reproduziert werden. Auch die Rechte der Wiedergabe durch Vortrag oder ähnliche Wege bleiben vorbehalten. ISBN 3-89275-046-7

Vorwort Sehr geehrte Leserinnen und Leser, die Entwicklung der internationalen Rechnungslegungsnormen steht seit einigen Jahren im Focus zahlreicher Publikationen. Die Bedeutung der International Financial Reporting Standards (IFRS) hat durch die diesbezügliche EU-Verordnung und deren Übernahme in deutsches Recht stark zugenommen. Die Verpflichtung Konzernabschlüsse kapitalmarktorientierter Unternehmen nach den IFRS zu erstellen, zwingt deutsche Konzerne und deren Prüfer dazu, sich mit diesem Themengebiet auseinanderzusetzen. Gesicherte Bilanzierungsund Bewertungsregeln existieren auf diesem Gebiet bedingt durch die ständige Standardänderungen und die fehlende Anwendungserfahrung der Akteure jedoch noch nicht; diese Akteure befinden sich derzeit noch in einer Phase des Kenntniserwerbs bzw. aufbaus. Erste Untersuchungen belegen dementsprechend auch, dass die IFRS-Abschlüsse deutscher Unternehmen noch weitgehend an den Bilanzierungs- und Bewertungsgrundsätzen des HGB` s orientiert sind. Die vorliegende Arbeit konzentriert sich neben der Untersuchung der zukünftigen Rolle des Frameworks des IASB ( Framework for the Preparation und Presentation of Financial Statements ) im Rahmen der Jahresabschlusserstellung und Prüfung auf einen Vergleich der unterschiedlichen Zielsetzung der Jahresabschlüsse nach HGB und IFRS. Die Untersuchung kommt zu dem Schluss, dass das Framework aufgrund des noch nicht abgeschlossenen Normenfindungsprozesses für die praktische Arbeit bisher nur grobe Anhaltspunkte bieten kann. Frau Prof. Dr. Aschfalk stellt daher in diesem Diskussionsbeitrag die für den Praktiker bedeutsamen Regelungen, die bei konkreten Bilanzierungs- und Bewertungsfragen den Rückgriff auf Äußerungen anderer Standardsetter ermöglichen, dar. Parallelen zwischen den bereits existierenden Standards des Institutes der Wirtschaftsprüfer (IDW) und den IFRS in ihrer Auswirkung auf die praktische Tätigkeit der Bilanzierenden werden aufgezeigt. Wir hoffen, dass ihnen als Leser die Lektüre dieses neuen Diskussionsbeitrages der FOM Freude bereitet und Ihnen neue Erkenntnisse vermittelt. Anregungen und Kritik nehmen die FOM Fachhochschule für Oekonomie & Management und ihre Autoren gerne entgegen. Prof. Dr. Burghard Hermeier Rektor der FOM Fachhochschule für Oekonomie & Management Dr. Holger Schmidt Leiter Hochschulentwicklung FOM Schriftenleitung

Inhaltsverzeichnis I. PROBLEMSTELLUNG...3 II. UNTERSCHIEDLICHE ZIELSETZUNGEN DER JAHRESABSCHLÜSSE NACH IFRS UND HGB...5 III. VERGLEICH DER RECHNUNGSLEGUNGSGRUNDSÄTZE...11 IV. A. ZIELSETZUNG VON FRAMEWORK UND GOB UND DEREN STELLUNG IM RECHTSSYSTEM... 11 B. ENTSTEHUNG DER NORMEN...15 C. UNTERSCHIEDLICHE AUSLEGUNGSGRUNDSÄTZE...21 SCHLUSSFOLGERUNGEN FÜR DIE PRAKTISCHE TÄTIGKEIT...27 LITERATURVERZEICHNIS...30 2

I. PROBLEMSTELLUNG Durch die Veröffentlichung der IAS-Verordnung (IAS-VO) 1 sind die IFRS 2 unmittelbar geltendes Recht der EU-Mitgliedstaaten geworden. Für Geschäftsjahre, die nach dem 1.1.2005 beginnen sind daher konsolidierte Jahresabschlüsse kapitalmarktorientierter Unternehmen nach den endorsed 3 IFRS zu erstellen. Für Unternehmen, deren Wertpapiere in einem Nichtmitgliedsstaat zum öffentlichen Handel zugelassen sind und die für diese Zwecke Jahresabschlüsse nach anderen, international anerkannten Standards erstellen (zumeist US-GAAP), existiert ein nationales Wahlrecht, eine Übergangsregelung zur Gültigkeit dieser Jahresabschlüsse bis zum 1.1.2007 zu zulassen. Der deutsche Gesetzgeber hat von diesem Wahlrecht Gebrauch gemacht. Durch die Einfügung von 324a HGB in das Handelsgesetzbuch 4 können zudem ab 2005 für große Unternehmen im Sinne des 267 Abs. 3 HGB die Offenlegungspflichten entsprechend 325 HGB durch einen Einzelabschluss nach IFRS erfüllt werden. Darüber hinaus müssen alle Unternehmen, die im Geltungsbereich des HGB ansässig sind, weiterhin einen Einzel-Jahresabschluss nach HGB für Zwecke der Ermittlung der Gewinnausschüttungsbasis sowie für den Nachweis der Befolgung der Grundsätze über den Kapitalerhalt aufstellen. Einem Abschluss nach IFRS kommt zudem keine Bedeutung für steuerliche Zwecke zu. Die IFRS sind somit ab 2005 für Konzernabschlüsse kapitalmarktorientierter Unternehmen auch in Deutschland verpflichtend anzuwenden. Allenfalls hinsichtlich der Frage, ob die IFRS zukünftig auch für den nationalen von den Konzernrechnungslegungsgrundsätzen isolierten Einzelabschluss über die Befreiungswirkung für die Offenlegung hinaus, Bedeutung erlangen werden, besteht noch Diskussionsbedarf 5 für Konzernabschlüsse hat der Gesetzgeber klare Vorgaben geschaffen. 1 Verordnung EG 1606/2002 betreffend die Anwendung internationaler Rechnungslegungsstandards vom 19.7.2002, ABIEG L 234 v. 11.9.2002, 1 ff. 2 Das IASB (International Accounting Standards Board) bezeichnet seit seiner Namensänderung in 2001 (zuvor IASC International Standards Committee) seine neuen Standards als IFRS (International Financial Reporting Standards). Die zuvor erlassenen Standards werden weiterhin als IAS (International Accounting Standards) bezeichnet. 3 Zum Verfahren der Übernahme der durch das IASB entwickelten Standards in EU-Recht vgl. die Ausführungen in 3.2. 4 Gesetz zur Einführung internationaler Rechnungslegungsstandards und zur Sicherung der Qualität der Abschlussprüfung (Bilanzrechtsreformgesetz BilReG) BGBl. I, 2004, S. 3176 ff. 5 Vgl. exemplarisch Schmid (2005), S. 80; Böcking (2001), S. 1435 ff.; Kirsch (2003), S. 276 ff.; Zeitler (2003), S. 1531. 3

Nicht als IFRS übernommen wurde das sogenannte Framework for the Preparation and Presentation of Financial Statements (Framework) des IASB. Dieses wurde allerdings als Anhang zu den Kommentaren zu bestimmten Artikeln der Verordnung aufgenommen und veröffentlicht. F.2 6 definiert zum Verhältnis des Frameworks zu den geltenden Standards, dass das Framework selbst keinen Standard darstellt und bei Überschneidungen mit einzelnen Regelungen der Standards diesen nicht im Sinne eines overriding principles vorgeht. Die grundlegende Bedeutung des Frameworks ergibt sich jedoch aus der definierten Aufgabe, bestehende, vom Framework abweichende, Standards an die Regelungen des Frameworks anzupassen und gleichzeitig das Framework weiterzuentwickeln. 7 Zum Verständnis des Frameworks und der Rolle des Frameworks im Rahmen der Bilanzierung entsprechend den IFRS müssen somit die grundsätzlich unterschiedlichen Ziele und Aufgaben der (traditionellen) Rechnungslegung nach HGB und der entsprechenden nach IFRS berücksichtigt werden. Zunächst erfolgt daher eine Darstellung der unterschiedlichen Zielsetzungen der Jahresabschlüsse nach HGB und nach IFRS. Anschließend wird ein Vergleich zwischen den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung (GoB) einerseits und dem Framework des IASB andererseits anhand folgender Kriterien durchgeführt: - Zielsetzung von GoB und Framework und deren Stellung im Rechtssystem, - Entstehung der Normen, - unterschiedliche Auslegungsgrundsätze. Dabei soll untersucht werden, in welcher Weise das Framework in seiner gegenwärtigen Ausgestaltung Auswirkungen auf die praktische Jahresabschlusserstellung und prüfung hat. Auf eine detaillierte Darstellung der einzelnen Grundsätze des Frameworks und der GoB wird verzichtet, da einschlägige Veröffentlichungen vorliegen. 8 Es erfolgt zudem keine Abgrenzung zum Entwurf des DRSC Grundsätze ordnungsmäßiger Rechnungslegung (Rahmenkonzept), da dieser vom DSR nicht weiter verfolgt wird. 9 6 Es wird im Folgenden die gebräuchliche Zitierweise durch Abkürzung Framework mit F und Nennung des betreffenden Paragraphen verwendet. 7 Vgl. F.3 ff. 8 Hinsichtlich der Darstellung des Frameworks wird auf die Veröffentlichung von Kümpel (2004) in dieser Reihe hingewiesen. Ferner Schöllhorn/Müller (2004) und (2004a); sowie Wollmert/Achleitner (1997) und (1997a). 9 Vgl. http://www.standardsetter.de/drsc/documents.html, Abruf am 9.1.2005. 4

II. UNTERSCHIEDLICHE ZIELSETZUNGEN DER JAHRESABSCHLÜSSE NACH IFRS UND HGB Zielsetzung eines Abschlusses nach IAS ist die Information der Investoren und speziell der potentiellen Investoren. Instrument hierfür bildet eine möglichst zeitnahe Bewertung der Vermögensgegenstände und Schulden. Zeitwerten ( fair values ) wird eine höhere Informationsrelevanz als den historischen Anschaffungs- oder Herstellungskosten beigemessen. 10 Unterstellt wird, dass sich die Adressaten der Jahresabschlüsse in erster Linie für die zukünftigen Cashflows, die das Unternehmen generieren kann, sowie für die durch das Management in der betrachteten Periode erbrachten Leistungen interessieren. 11 Die auf Grund des Jahresabschlusses zu gewinnenden Informationen sollen entscheidungsrelevant sein. Dies kann nur durch einen hohen Grad der Marktnähe der im Jahresabschluss ausgewiesenen Werte erreicht werden. Entscheidungsrelevant ist eine Information immer dann, wenn sie für die Jahresabschlussadressaten eine für deren Entscheidungen nützliche Information vermittelt. Als Adressaten der nach diesen Kriterien erstellten Jahresabschlüsse werden an erster Stelle die Investoren genannt. Erst danach folgen Arbeitnehmer, Kreditgeber, Lieferanten, Regierung und Öffentlichkeit. 12 F.10 unterstellt, dass Informationen, die dem Informationsbedarf der Investoren, die dem Unternehmen Kapital zur Verfügung stellen, entsprechen, auch den Anforderungen der anderen Abschlussadressaten genügen. Daher ist es nicht Ziel eines nach den IFRS-Grundsätzen erstellten Jahresabschlusses, vorrangig die Funktionen des Gläubigerschutzes und der Ausschüttungsbemessung zu erfüllen. Die mit dem statischen, an den Anschaffungskosten orientierten Ansatz verknüpfte Annahme, die Gläubiger würden durch Ausweis eines vergleichsweise niedrigen Eigenkapitals am besten geschützt, wird zugunsten einer dynamischen Sichtweise ersetzt. 13 Diese orientiert sich an der Fähigkeit des Unternehmens, Zahlungsströme zu generieren. Die entsprechenden Jahresabschlüsse sollen den (potentiellen) Investoren aufgrund der dargestellten Informationen ermöglichen, die richtigen Schlüsse für ihre Entscheidungen zu ziehen. Um dieser Informationsfunktion gerecht werden zu können, müssen die Abschlüsse die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Unternehmen verlässlich 10 Kritisch hierzu Hommel/Schmidt (2004), S. 89 ff; Kahle (2003), S. 264. 11 Vgl. Bohl (2004), Tz. 29. 12 Vgl. F.9a. 13 Vgl. F.9a. 13 Vgl. Lüdenbach/Hoffmann (2003), Tz. 21. 5

darstellen. 14 Der Forderung nach der fair presentation kommt die Rolle eines overriding principles, einer Generalklausel zu. Es ist vorgesehen, dass der Bilanzierende sich in ganz seltenen Umständen über einzelne Bestimmungen in den Standards hinweg setzen darf, wenn die fair presentation dies verlangt. 15 Naturgemäß ist ein solches Vorgehen nur unter genauer Angabe der entsprechenden Begründungen zulässig. Befürchtet wird, dass mit der Erstellung von ausschließlich am Informationsziel ausgerichteten Bilanzen bei konsequenter Befolgung der Fair Value-Bewertung aufgrund der hierfür erforderlichen Schätzungen und sich daraus ergebender Bewertungsspielräume fast zwangsläufig eine Verringerung der Verlässlichkeit der Informationen verbunden ist. Vorgeschlagen wurde daher die Anwendung der Fair Value- Bewertung auf die Anhangsangaben (Notes) zu begrenzen. Durch sorgfältige Berichterstattung in den Notes soll der sachverständige Leser in die Lage versetzt werden, mit Hilfe geeigneter und nachprüfbarer Indikatoren eine eigenständige Abschätzung der Entwicklung des Unternehmens zu treffen. 16 Dieser Vorschlag ist allerdings durch die Verabschiedung der IAS-VO und der damit verbundenen Rechtsänderung überholt. Die Rechnungslegung entsprechend den IFRS ist durch die Monofunktionalität ihrer Ausrichtung auf die Bereitstellung entscheidungsnützlicher Informationen gekennzeichnet. 17 Die Rechnungslegung nach HGB orientiert sich an unterschiedlichen Zielen und versucht durch Kompromisse und Bildung von Zielhierarchien eine Koordination derselben. Die Informationsfunktion tritt im Rang hinter die als bedeutsamer angesehenen Aufgaben der Rechenschaftslegungs-, der Dokumentations- und der Ausschüttungsbemessungsfunktion zurück. 18 Die Funktion der Rechenschaftslegung bedingt, dass der Jahresabschluss ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz-, und Ertragslage des Unternehmens zeichnet. Bestandteil dieser Aufgabe ist die Information der Geschäftsleitung selbst sowie der externen Bilanzleser. Im Vordergrund steht der Gläubiger (Gläubigerschutzfunktion) und nicht unmittelbar der Eigenkapitalgeber oder der (potentielle) Investor. Die Dokumentationsfunktion wird als Aufgabe gesehen, die für den Rechtsverkehr erforderlich ist. Aus 14 Vgl. F.33 ff. 15 Vgl. F.34 ff; sowie die Ausführungen von Bohl (2004), Tz. 33 ff. 16 Vgl. Streim/Bieker/Esser (2003), S. 478 f. 17 Gefordert wird, die Monofunktionalität der IAS-Rechnungslegungsstrategie ausdrücklich in das Framework zu übernehmen, denn diese Ausrichtung birgt in sich die Aussage, dass ein Abschluss nach IFRS nicht die in Deutschland mit der Rechnungslegung verbundenen Ziele erfüllen kann. Vgl. Pellens (2001), S. S 101. 18 Diese Unterscheidung geht bereits auf Leffson (1987), S. 63 107 zurück. 6

den Jahresabschlüssen sollen im Zeitablauf verlässliche Informationen über das Unternehmen gewonnen werden. Die Erfüllung des Zwecks der Ermittlung der Ausschüttungsbemessung ist mit dem Gläubigerschutzgedanken und dem Ziel der Kapitalerhaltung verknüpft. 19 Mit einem Jahresabschluss nach HGB soll der an die Gesellschafter ausschüttbare Gewinn ermittelt werden, der den Fortbestand des Unternehmens sichert, und die Investoren zufrieden stellt ohne die notwendige Kapitaldecke des Unternehmens auszuhöhlen. 20 Der diesen Kriterien entsprechende Betrag stellt eine vorsichtig bemessene, umsatzabhängige und verlustantizipierende Ausschüttungsbemessungsrichtgröße dar. 21 Eine Ausschüttung darf nur erfolgen, wenn sichergestellt ist, dass keine künftigen Erfolge erforderlich sind, um frühere Ausschüttungen nachzufinanzieren. Aus diesem Grund wird eine vorsichtige, imparitätische Bilanzierung und Bewertung verlangt. Die Rechnungslegung entsprechend den Grundsätzen des HGBs wird daher auch als imparitätisches Fair Value-Accounting 22 bezeichnet. Absehbare Risiken sollen die Ausschüttungsbemessungsgrundlage mindern, Gewinne erst nach ihrer Realisation ausgewiesen werden. Durch diese Dominanz des Vorsichtsprinzips kommt es auf der Passivseite zu einem tendenziell früheren und höheren Ausweis von Risiken während auf der Aktivseite durch das Anschaffungskostenprinzip in vielen Fällen eine Gewinnrealisierung später als nach IFRS-Grundsätzen erfolgt. 23 Fraglich ist, ob mit der nach IFRS geforderten Fair Value-Bewertung im Vergleich zu den herkömmlichen, am Anschaffungskostenprinzip orientierten Werten bessere Abschlüsse generiert werden. Kritiker 24 der IFRS-Rechnungslegung wenden ein, dass die Informationsfunktion des Jahresabschlusses nicht überschätzt werden darf. Informationen, die aus einem, aufgrund der Zahlenbasis zwangsläufig vergangenheitsorientierten Jahresabschluss ableitbar sind, werden oft überbewertet. Gewarnt wird vor einer Vergrößerung der Erwartungslücke hinsichtlich der Informationen, die aus einem vergangenheitsbezogenen 19 Vgl. Schulze-Osterloh (2004), S. 2567. 20 Vgl. Schön (2001),S. S 75. 21 Vgl. Moxter (1984), S. 93 f.; Moxter (1987), S. 368. 22 Baetge/Zülch (2001), S. 547. 23 Ausnahme hierzu bildet die Passivierung von Pensionsrückstellungen. Diese werden in Deutschland durch den Steuergesetzgeber und das Maßgeblichkeitsprinzip begrenzt. Auch die in der Handelsbilanz ausgewiesenen Beträge berücksichtigen die erwartete zukünftige Entwicklung der Werte nicht in gleichem Maße wie nach IFRS, sodass den IFRS entsprechende Werte zumeist einen höheren Rückstellungsbetrag ergeben. 24 Problematisch ist, dass durch die Bezeichnung fair der Eindruck entsteht, Kritiker der Fair Value-Bewertung wollten keine nützlichen Ergebnisse erzielen. Streim/Bieker/Esser (2003) sprechen von einem moralischen Unterton, der alle anderen Bewertungsmaßstäbe ungerecht erscheinen ließe. Vgl. Streim/Bieker/Esser (2003), S. 457; vgl. Kahle (2003), S. 264 ff. 7

Abschluss für die Prognose der zukünftigen Entwicklung eines Unternehmens gewonnen werden können. Betrachtet man die Effektivvermögenssteigerung eines Jahres als die für Entscheidungen relevante Größe, so wird dieser Wert auch bei Anwendung der IFRS-Rech-nungslegungsgrundsätze nicht in vollem Umfang ermittelt. Den IFRS entsprechend werden durch den angewandten Grundsatz der Einzelbewertung Werte wie ein originärer Geschäftswert 25 oder Teile des Forschungs- und Entwicklungsaufwandes, die Bestandteile der Effektivvermögensmehrung darstellen können, grundsätzlich nicht erfasst. Die Gesellschafter werden somit durch einen ausgewiesenen Gewinn, der nicht der Effektivvermögenssteigerung des Jahres entspricht, nicht zweckdienlich informiert. Zudem existiert jeweils eine erhebliche Unsicherheit hinsichtlich der Schätzung künftiger Zahlungsströme. Moxter spricht in diesem Zusammenhang vom Extrapolationsmythos des Jahresabschlusses. 26 Aus den Daten des vergangenen Jahres, wie bspw. den Umsatzerlösen, lassen sich keine relevanten Umsatzprognosen für Folgejahre ableiten. Ein im Anlagevermögen für ein Grundstück oder ein Wertpapier angesetzter Fair Value stellt mangels tatsächlicher Realisation durch einen Umsatzakt lediglich einen Hoffnungswert dar. Die Aussagekraft der aus Bilanzdaten ableitbaren Informationen bleibt somit begrenzt. Überdies folgt eine Bilanzierung nach IFRS nicht in allen Bereichen konsequent dem Marktgedanken. Dies zeigt sich unter anderem daran, dass die existierenden Bewertungswahlrechte insbesondere im Sachanlagevermögen und bei den immateriellen Vermögenswerten eine gruppenweise und damit nur teilweise Anwendung der Marktbewertung ermöglichen. 27 Ob die Bilanzierung zu Fair Values mit ihren erheblichen Spielräumen der Wertermittlung die Informationsfunktion der externen Rechnungslegung zu verbessern vermag, darf daher angezweifelt werden. 28 Die Annahme, die Bilanzierung nach IFRS mit ihrem häufig höheren Eigenkapitalausweis verbessere die Kreditchancen der Unternehmen 25 Vgl. IAS 38.40. 26 Vgl. Moxter (2000), S. 2146 ff. 27 IAS 16.29 ff. räumt bei der Folgebewertung ein Wahlrecht zwischen dem Anschaffungskosten- und dem Neubewertungsmodell ein. Die Bezeichnung der ersten Methode als benchmark treatment und der zweiten als allowed alternative treatment ist in der aktuellen Version des Standards nicht mehr enthalten. IAS 38.72 ff. enthält die entsprechenden Regelungen für immaterielle Wirtschaftsgüter. Durch die geforderten Voraussetzungen, insbesondere der Existenz eines aktiven Marktes, wird der Anwendungsbereich der Neubewertungsmethode stark eingegrenzt. Bohl (2004), Tz. 62 konstatiert eine verstärkte Hinwendung der IFRS zu den Fair Values. Vgl. auch Pellens/Selhorn/Amshoff (2005), S. 1749. Die weitere Entwicklung hinsichtlich dieses Punktes ist zu beobachten. 28 Vgl. Kahle (2003), S. 264 f.; vgl. überdies Schildbach (2003) mit seinen Ausführungen zur enronitis. 8

unterschätzt die Analysefähigkeiten der Banker. 29 Nicht verkannt werden sollte allerdings die sich bereits abzeichnende Entwicklung, dass Banken vielfach auf der Erstellung eines (freiwilligen) IFRS-Abschlusses bestehen. Somit entsteht über den Marktmechanismus ein faktischer Zwang zur Bilanzierung entsprechend IFRS, der von dem Bestreben der Banken einheitliche Analysetools einzusetzen gesteuert ist. 30 Für die Anwendung einer stärker dynamischen Bilanzierungsform spricht allerdings die Entwicklung der letzten Jahre auf dem Gebiet der Unternehmensverkäufe. Mit ihrem am Substanzwert orientierten, statischen Ansatz steht die dem HGB entsprechende Bilanzierungspraxis im Widerspruch zu Theorie und Praxis der Unternehmensbewertung. Diese orientieren sich bei Kauf- und Investitionsentscheidungen an Ertrags- oder Cashflowwerten. 31 Unternehmenskäufe werden nicht allein auf der Basis bilanzieller Werte abgewickelt. Häufig werden hohe Goodwill-Zahlungen geleistet. 32 Somit ist fraglich, ob die an diesen Transaktionen beteiligten Berater den aus den Jahresabschlusszahlen zu generierenden Zahlen tatsächlich einen hohen Stellenwert einräumen. Andere Informationen, insbesondere die im Rahmen der vor einem Unternehmenskauf wohl zwangsläufig durchgeführten due diligence gewonnenen spielen offenbar eine wesentlich gewichtigere Rolle. Für das Verständnis der Bilanzierungsgrundsätze der IFRS sind zudem die übergeordneten Ziele, die die EU-Kommission mit der Durchsetzung der verpflichtenden Anwendung der IFRS verfolgt, relevant. 33 Übergeordnetes Ziel der EU ist die Stärkung des freien Kapitalverkehrs im Binnenmarkt. Durch eine Harmonisierung der Rechnungslegungsvorschriften sollen die einzelnen (nach nationalem Recht erstellten) Jahresabschlüsse besser miteinander vergleichbar werden. Dies soll eine effizientere Kapitalallokation innerhalb der EU ermöglichen. Gleichzeitig soll der Zugang zu den internationalen Kapitalmärkten ( cross border listings ) ermöglicht werden. 34 Die Rechnungslegungsrichtlinien sollen an moderne (angelsächsische) Rechnungslegungsrichtlinien angepaßt werden und flexibel auf Veränderungen reagieren können. Zudem soll durch die Vorgabe bestimmter Rahmenbedingungen die Entwicklung von speziellen 29 Vgl. Schulze-Osterloh (2004), S. 2569. 30 Zum Stichwort: Banken werden versuchen ihre Analyse lediglich an einer Form der Jahresabschlüsse auszurichten, vgl. Peemüller/Spanier (2002), S. 1800 ff. 31 Vgl. Lüdenbach/Hoffmann (2003), Tz. 22. 32 Vgl. die Untersuchung von Krawitz/Leukel (2001). 33 Vgl. Busse von Colbe (2002), S. 1530 f. 34 Vgl. Fey/Schruff (1997), S. 585. 9

Euro-IAS, sowie national unterschiedlicher IFRS vermieden werden. Diese Grundsätze werden auch durch das IASB akzeptiert. Das IASB richtet seine Tätigkeit klar auf eine stärkere Konvergenz der unterschiedlichen nationalen Rechnungslegungssysteme aus. 35 Die in Deutschland geäußerte Kritik, durch die Anwendung der IFRS ergäbe sich eine Spaltung der Rechnungslegungsnormen nach den Kriterien Kapitalmarktorientierung und Nichtkapitalmarktorientierung sowie Einzel- und Konzernabschluss 36, ist nur vor dem Hintergrund der gegebenen, unterschiedlichen Rechnungslegungstraditionen verständlich. Auf internationaler Ebene existiert bereits seit langem eine Trennung der zu erstellenden Jahresabschlüsse in solche für rein informatorische Zwecke und solche für steuerliche Zwecke. Die Einheitsbilanz, die zumindest im deutschen Mittelstand weiterhin aufgestellt wird, gibt es international nicht. 35 Vgl. Bruns (2001), S. 69. 36 Vgl. Busse von Colbe (2002), S. 1531. 10

III. VERGLEICH DER RECHNUNGSLEGUNGSGRUNDSÄTZE Aus den dargestellten unterschiedlichen Zielsetzungen der Jahresabschlüsse nach HGB, in deren Fokus das Vorsichtsprinzip und damit der Gläubigerschutzgedanke steht, und denen nach IFRS, die durch die monofunktionale Orientierung am Informationsziel gekennzeichnet sind, ergibt sich fast zwangsläufig die Existenz unterschiedlicher Rechnungslegungsgrundsätze. Im folgenden soll untersucht werden, inwieweit das Framework einerseits und die GoB andererseits für die praktische Bilanzierungs- und Prüfungstätigkeit Hilfestellung leisten. A. Zielsetzung von Framework und GoB und deren Stellung im Rechtssystem Das Framework wurde 1989 vom Board des IASC veröffentlicht. Dieses grundsätzliche Konzept wurde von der Nachfolgeorganisation des IASC, dem IASB, übernommen. 37 Aufgabenstellung im Rahmen der Konzipierung des Frameworks war es, zur Vermeidung von Inkonsistenzen ein Rahmenkonzept zu entwickeln, auf das zurückzugreifen ist, wenn keine Einzelfallregelung für einen speziellen Sachverhalt existiert. Fraglich ist, ob das Framework diese Aufgabe zu erfüllen vermag. In F.1 werden weitreichende Zielsetzungen des Frameworks genannt. Es soll die Konzeptionen darlegen, die der Aufstellung und Darstellung von Abschlüssen für externe Adressaten zu Grunde liegen. Zweck des Frameworks ist zudem die Unterstützung des Boards des IASC und der nationalen Standardsetter bei der Entwicklung von Standards, sowie die Förderung der Harmonisierung der Rechnungslegungsvorschriften. Erst danach wird die Aufgabe der Unterstützung der praktischen Arbeit der Abschlussersteller und prüfer angeführt. Ergänzend werden die Unterstützung der Abschlussadressaten bei der Interpretation der Informationen der Abschlüsse sowie die Bereitstellung von Informationen über die Vorgehensweise des IASC bei der Formulierung von Standards genannt. Gleichzeitig wird in F.2 anerkannt, dass das Framework keinen Standard darstellt und daher auch nicht als overriding principle fungiert. Es wird überdies in F.3 darauf hingewiesen, dass bei bestehenden, inhaltlichen Konflikten zwischen dem Framework und einzelnen Standards, die Regelungen in den Standards 37 Vgl. Pellens/Fülbier/Gassen (2004), S. 98 ff; KPMG (2004), S. 11 ff; Buchholz (2003), S. 21 ff. 11

dem Framework übergeordnet sind. 38 Nach F.3 soll das Framework regelmäßig auf der Grundlage der mit ihm gemachten Erfahrungen überarbeitet werden. Das Framework ist nicht als formelles EU-Recht anzusehen, da es den hierfür vorgeschriebenen Endorsement-Prozess nicht durchlaufen hat. Vielmehr existiert zur Festlegung der Rechnungslegungsprinzipien der IFRS ein Dualismus der grundsätzlichen Regeln des Frameworks und der konkreteren Regelungen der einzelnen Standards. 39 Ergänzt wird das Framework durch die Regelungen in IAS 1. IAS 1 nimmt an verschiedenen Stellen Bezug auf das Framework, ebenso wie IAS 8. 40 Durch die Übernahme der IFRS in die IAS-VO der EU hat sich der Charakter der Standards grundlegend geändert. Zunächst stellten die IFRS Meinungsäußerungen eines privaten Standardsetters dar, die über 292a HGB auch für bestimmte deutsche Konzernabschlüsse Bedeutung erlangten. 41 Durch die Übernahme als EU- Verordnung, sind die IFRS nunmehr geltendes (sekundäres) Gemeinschaftsrecht geworden. 42 Für deutsche Verhältnisse ist es zumindest für die in den Geltungsbereich des Handelsrechts fallenden Problemstellungen ungewöhnlich, dass Text und Umfang geltenden Rechts beständigen, teilweise erheblichen Änderungen unterliegen werden. Häufige Änderungen des geltenden Rechts sind dem deutschen Bilanzierenden allerdings aus dem Bereich des Steuerrechts bekannt. Hinsichtlich der Bestandteile der IFRS-Rechnungslegung kann eine dreistufige Normenhierarchie identifiziert werden. 43 Neben das, grundlegende Fragen regelnde, Framework treten die Standards, die Regelungen für bestimmte Gruppen von Vermögensgegenständen oder Branchen enthalten. 44 Die zusätzlich veröffentlichten Interpretationen bieten Lösungen für eng definierte Spezialprobleme. Das Framework dient als Unterbau der IFRS-Rechnungslegung und wird 38 Das Framework wurde erst 1989 vom damaligen IASC verabschiedet. Überschneidungen mit Regelungen in zuvor entstandenen Standards wurden erkannt. Aus diesem Grund wurde der Vorrang der Regelungen der Standards aufgenommen. Vgl. Wollmert/Achleitner (1997), S. 209 f. 39 Hierüber herrscht in der Literatur Unklarheit, teilweise wird das Framework als den anderen IAS übergeordnet bezeichnet. Vgl. Schmidbauer (2003), S. 2035; teilweise wird sein Inhalt bewusst vernachlässigt, vgl. Schreiber (2005), S. 1353. 40 So bezieht sich exemplarisch IAS 1.13 im Rahmen der grundlegenden Überlegungen auf die im Framework genannten Definitionen und Erfassungskriterien für Vermögenswerte und Schulden; vgl. auch 1.21 der für Regelungen im Konfliktfall auf das Framework verweist. 41 Vgl. die Kommentierungen zu 292a HGB, exemplarisch: Berger/Lüttich (2003), S. 1383 ff. 42 Vgl. Küting/Ranker (2004), S. 2510 f. 43 Vgl. Achleitner/Behr (2003), S. 87 f. 44 Vgl. bspw. IAS 16 Property, Plant and Equipment. 12

für das inhaltliche Verständnis der Standards als notwendig erachtet. Konkrete Regelungen in den einzelnen Standards gehen diesen Vorgaben jedoch vor. Das Framework bildet einen allgemeinen, nicht verpflichtend anzuwendenden Bezugsrahmen, der allerdings fortlaufenden Änderungen unterliegt. Die Erstellung eines IFRS-konformen Abschlusses erfordert die Befolgung der Regelungen der Standards und Interpretationen nicht aber zwangsläufig des Frameworks. Eine endgültige Einordnung der Stellung des Frameworks in das Rechtssystem muss noch erfolgen. Insbesondere für den mit der traditionellen HGB-orientierten Bilanzierungs- und Prüfungstechnik vertrauten Anwender muss ein grundlegendes Umdenken erfolgen. Das Framework stellt keine Beschreibung des Ist- Zustandes des IFRS-Regelungskanons dar. Es bildet vielmehr eine Art Präambel, an der sich das Board für die Weiterentwicklung der Standards und die Anwender bei der Lösung bisher noch nicht abschließend definierter Problemstellungen orientieren soll. 45 Die Zielsetzung und Stellung der GoB im deutschen Rechtssystem ist spätesten seit ihrer Kodifizierung durch das BiRiLiG eindeutig. Die GoB umfassen alle Buchführungs- und Bilanzierungsgrundsätze. 46 Der Begriff GoB selbst stellt einen unbestimmten Rechtsbegriff dar, der im Wege der Gesetzesauslegung auszufüllen ist. 47 Definitionen für Begriffe wie Vermögensgegenstände und Schulden usw., die Bestandteile der IAS bilden, wurden nicht in das HGB aufgenommen. Der Gesetzgeber hat durch Bezugnahme auf die GoB an zentralen Stellen des Gesetzes ( 243 Abs.1, 264 Abs. 2 HGB sowie 5 Abs. 1 EStG) diesen erhebliches Gewicht zugewiesen. Abgeleitet werden kann aus diesem Vorgehen, dass die GoB für alle Kaufleute gelten und somit keine rechtsformabhängigen Grundsätze darstellen. Der Gesetzgeber hat eine Auswahl der Regelungen der 4. EG-Richtlinie getroffen, die den genannten Kriterien entsprechen. Naturgemäß konnte im Gesetz nicht der Versuch unternommen werden, die einzelnen GoB zu definieren, wie dies im Framework geschieht. Die GoB gelten als geordnetes Normgefüge, dessen Zielsetzung die Ermöglichung der Ableitung konkreter Lösungsansätze für einzelne, nicht abgebildete Sachverhalte ist. 48 45 Vgl. Lüdenbach/Hoffmann (2003),Tz. 36 f.; 58 ff. 46 Vgl. Baetge/Kirsch (1995) Tz. 238 ff. 47 Die Auslegung hat sich dabei einerseits am Gesetzestext (mit Übernahme des BiRiLiG wurden die GoB weitgehend kodifiziert) und andererseits an außergesetzlichen Normen und Erkenntnisquellen zu orientieren. Vgl. 3.3. 48 Vgl. Baetge/Kirsch (1995), Tz. 241. 13

Das gesamte Rechnungswesen eines Unternehmens wird den GoB unterstellt. 49 Die insbesondere in den 238 Abs.1, 243 Abs.1, 264 Abs. 2 und 297 Abs. 2 HGB aufgeführte Forderung nach der Übereinstimmung des Jahresabschlusses mit den GoB wird als Rahmen für die erkannte, notwendige Fortentwicklung der GoB gesehen. Gleichzeitig soll zum Ausdruck gebracht werden, dass die GoB grundsätzlich als geschlossenes System anzusehen sind, das nur bei neuen Erkenntnissen über grundlegend geänderte Bedingungen (z. B. Entwicklung der elektronischen Datenverarbeitung) modifiziert werden darf. Diese Stellung der GoB ist Ausfluss des grundsätzlich prinzipienorientierten Regelungsansatzes des HGB. Die Unterschiede zum Framework sind offensichtlich: Die GoB gelten für alle Kaufleute. Es erfolgt keine Unterscheidung nach den Kriterien der Kapitalmarktorientierung oder der Rechtsform. Die GoB wurden weitgehend gesetzlich kodifiziert, das Framework hingegen hat nicht den Status eines Gesetzes. Die GoB sind zudem im deutschen Kontext eng mit dem Steuerrecht verknüpft. Durch Streitigkeiten mit der Finanzverwaltung über den Ausweis und die Bewertung der einzelnen Sachverhalte kommt es regelmäßig zu Gerichtsverfahren. Dies hat den Effekt, dass über das Maßgeblichkeitsprinzip mittlerweile zu den deutschen Bilanzierungsgrundsätzen eine weitreichende und gesicherte Rechtsprechung existiert. Das Framework, obwohl als prinzipienbasiert bezeichnet, ist durch eine Fülle von Einzelfallregelungen gekennzeichnet. Wesentliche Prinzipien die den GoB ähneln - wenn nicht sogar entsprechen - sind im Framework 50 und einzelnen Standards 51 hinterlegt. Im Text des Frameworks finden sich Definitionen der einzelnen Grundsätze, die sich für die GoB nur aus dem Einstieg in die einschlägige Kommentierung erschließen. Eine den GoB direkt vergleichbare Rechtsquelle kennen die IFRS nicht. Hinsichtlich der IFRS ist erklärtes Ziel, dass diese sich möglichst flexibel an die Entwicklungen auf den internationalen Kapitalmärkten anpassen sollen. Für die praktische Arbeit auf der Basis der IFRS existiert somit kein den HGB-Regelungen entsprechender Basis-Kanon, der Lösungen für die anstehenden Bilanzierungs- und Bewertungsentscheidungen im Wege des Rückgriffs auf Ent- 49 Vgl. Bohl (2004), Tz. 61. 50 Vgl. exemplarisch F.22 zur Periodenabgrenzung; F 25 zur Verständlichkeit; F.38 zur Vollständigkeit. 51 Vgl. beispielsweise IAS 1.23 zum Going Concern; IAS 1.27 zur Darstellungsstetigkeit; IAS 1.32 zur Saldierung. 14

scheidungen oder Kommentare in jeder Situation ermöglicht. In der Praxis der IFRS Rechnungslegung wird daher häufig ein Rückgriff auf hergebrachte, am HGB und damit an den GoB orientierte Zusammenhänge erfolgen, ein Vorgehen das durch IAS 8.11 gebilligt wird. 52 B. Entstehung der Normen Hinsichtlich der Ermittlung der für die Zwecke der Rechnungslegung anzuwendenden Normen hat die EU frühzeitig entschieden, das Rad nicht neu zu erfinden, und daher eine Übernahme der Normen des IASB präferiert. 53 Zur Absicherung der EU-rechtskonformen Entwicklung von Standards wurde der Einfluss der EU-Kommission auf den Prozess des Standardsettings gesichert. So verfügt die EU-Kommision über einen Beobachter-Status beim IASC. Die zu entwickelnden Standards werden vor Verabschiedung der interessierten Öffentlichkeit zur Diskussion gestellt. Zur Berücksichtigung der parlamentarischen Komponente wurde das sogenannte Komitologieverfahren 54 entwickelt. Das Komitologieverfahren stellt den Prozess der Übernahme der IFRS 55 in europäisches Recht dar. Es regelt die technischen Details der Zusammenarbeit der EU-Kommission mit Vertretern der Mitgliedsstaaten und unabhängigen Fachleuten. Das Komitologieverfahren sieht vor, dass die Entwürfe des IASB von der EU-Kommission akzeptiert werden können, wenn sie mit den Bilanzrichtlinien und dem europäischen öffentlichen Interesse übereinstimmen. Am Abstimmungsprozess sind neben der Kommission, die European Financial Reporting Advisory Group (EFRAG), das Accounting Regulatory Committee (ARC) und gegebenenfalls der Rat der Europäischen Union beteiligt. Bei der EFRAG handelt es sich um eine privatrechtlich organisierte Gruppe von Rechnungslegern, die in einem sogenannten due process die Kommentare zu den Vorschlägen des IASB einholt. Auf der Basis der gesammelten Erkenntnisse und unter Auslegung des Frameworks unterbreitet die EFRAG der EU-Kommission sodann einen Vorschlag zur Annahme oder Ablehnung. Die EU-Kommission legt diesen Entwurf dem ARC vor, in dem die Vertreter der europäischen Mitgliedstaaten mit qualifizierter Mehrheit entscheiden. Bei Ablehnung durch den ARC 52 Vgl. die weitergehenden Ausführungen unter 3.2. 53 Vgl. van Hulle (2003), S. 968 f; Buchheim/Gröner (2003), S. 953. 54 Zu einer detaillierteren Beschreibung des Komitologieverfahrens vgl. Buchheim/Gröner (2004), S. 1783 ff. 55 Zu diesen zählen die auf Ebene des IASB verabschiedeten Standards, sowie die zugehörigen Interpretationen (SIC, IFRIC). 15

wird der Entwurf dem europäischen Rat vorgelegt, der über das weitere Vorgehen zu befinden hat. Kritiker dieser Vorgehensweise bemängeln, dass durch das Komitologieverfahren eine Machtzunahme auf Ebene der Kommission auftrete, die die nationalen Gesetzgeber in eine untergeordnete Position dränge. Das EFRAG erreiche in diesem Zusammenhang lediglich die Stellung eines Moderators, nicht die eines Standardsetters. 56 Der Endorsementprozess entspräche nicht einem parlamentarischen Gesetzgebungsmechanismus, in dem Vorschläge des privaten Standardsetters überarbeitet und gegebenenfalls neu definiert werden. Ihm käme lediglich die Aufgabe eines Filters zu, in dem schwerwiegende Bedenken der Kommission geäußert werden können. 57 Voraussetzung der nationalen Geltung der IFRS ist ihre Legitimation durch Rechtssetzungsakt auf EU-Ebene. Die Übernahme der Standards auf EU- Ebene als Bestandteil der IAS-VO führt zu unmittelbar in den Mitgliedsländern, also auch in Deutschland geltendem Recht. Die nationale Umsetzung, wie beispielsweise in 315a Abs. 1 HGB, 58 der die Pflichtanwendung der IFRS für Konzernabschlüsse kapitalmarktorientierter Unternehmen im deutschen Gesetz kodifiziert, hat nur deklaratorische Funktion. Die Standards werden durch IAS- Verordnung geltendes Recht in den Mitgliedstaaten der EU. Dieser bereits auf Entwurfsebene als mutig 59 bezeichnete Schritt führt aufgrund der noch geringen Verbreitung der IFRS in der praktischen Anwendung zu erheblichen zeitlichen Problemen. Bisher angewandte Methode der EU war es, Änderungen, die das Handelsrecht betrafen, im Wege der Richtlinie zu verabschieden und den nationalen Gesetzgebern Zeitfenster zur Umsetzung einzuräumen. Die Erfahrung hat jedoch gezeigt, dass neben dem erheblichen Zeitbedarf zur Umsetzung zusätzliche Abstimmungsschwierigkeiten existieren. Zu den immanenten Problemen zählen enthaltene Wahlrechte, die zudem auf nationaler Ebene der Auslegung unterliegen und ggf. eine unterschiedliche nationale Umsetzung erfahren. Teilweise wurden die Richtlinien nicht vollständig in nationales Recht übernommen. Hinzu kommen sprachliche, aus der erforderlichen Übersetzung resultierende Unterschiede. Diese Schwierigkeiten führten zu Mängeln der Vergleichbarkeit. Dadurch wurden Unsicherheiten bei Investoren hervorgerufen, da diese kein Vertrauen in die Korrektheit der Finanzinformationen entwickeln 56 Vgl. Bruns (2001), S. 68. 57 Vgl. Zeitler (2003), S. 1530. 58 Vgl. Fn. 4. 59 Bruns (2001), S. 67. 16

konnten. Aus diesen Gründen gilt hinsichtlich der IFRS die Maxime, dass keine Euro-IAS 60 entwickelt werden sollen, es somit entweder zur vollständigen Übernahme oder zur Ablehnung eines durch das IASB entwickelten Standards kommen soll. 61 Dem Framework kommt nicht die gleiche Stellung wie den Standards zu, da es nicht Bestandteil des geltenden Rechts wurde. Durch die klare Bezugnahme in einzelnen Standards 62 wird dem Framework jedoch eine herausgehobene Stellung eingeräumt. Problematisch an dieser Vorgehensweise ist, daß der Eindruck einer Gleichsetzung der Stellung und der Entstehung des Frameworks mit den Standards erweckt wird. Über die Detailkenntnis der besonderen Stellung des Frameworks verfügen nur wenige Sachkundige. In den 1970er Jahren waren die in Deutschland vorhandenen Bilanzierungsnormen sehr allgemein gehalten. Eine geschlossene höchstrichterliche Rechtsprechung zur Auslegung der GoB existierte noch nicht. Die Ursache dieses Zustandes ist im prinzipienorientierten Ansatz des deutschen Gesetzgebers zu sehen. Klare Vorgaben zu einzelnen Bilanzierungsfragen werden nicht per Gesetz verordnet, sondern sollen aus dem Gesetzeswortlaut abgeleitet werden. Vorteil dieser Vorgehensweise ist unbestrittener Weise, dass die anzuwendenden Regeln in einem vergleichsweise überschaubaren und damit durch den Bilanzierenden leichter beherrschbaren Rahmen gehalten werden. 63 Ebenso unzweifelhaft ist, dass durch die Verallgemeinerung und Abstraktion der Grundsätze ein hohes Maß an Auslegung erforderlich ist. Die richterliche Normanwendung wird fast zwangsläufig zur Normsetzung. Hinsichtlich der Entstehung der GoB ist wohl unstrittig, dass die Induktion, d.h. die Ableitung der GoB aus den Bilanzierungsmethoden der ordentlichen und ehrenhaften Kaufleute, auf Grund der sich ergebenden subjektiven Ergebnisse nicht die geeignete Methode darstellt. Von der Literatur wird die deduktive Methode favorisiert. 64 Die angewandte sogenannte handelsrechtlich deduktive Methode 65 geht vom Sinn und Zweck des Gesetzes aus und versucht, die GoB aus Aufgaben und Zielen des Jahresabschlusses abzuleiten. Die GoB stellen Rechtsnormen dar, d.h. ihre Ermittlung dient der Rechtsfindung. Im Gegensatz 60 Vgl. van Hulle (2003), S. 980; Kahle (2003), S. 263. 61 Ein Novum ist daher die erfolgte Teil-Übernahme des IAS 39. Zu den sich ergebenden Konsequenzen, vgl. Thiele (2004), S. 2162 f. 62 Vgl. exemplarisch IAS 1.12; IAS 1.17. 63 Vgl. Hommel/Schmidt (2004), S. 88. 64 Vgl. Budde/Raff (1986), Tz. 11 22. 65 Vgl. Baetge/Kirsch (1995) Tz. 248. 17

dazu steht die Fachnorm, die aus der praktischen Übung jene heraussucht, die unter bestimmten Zielsetzungen gewünscht wird. 66 Idealtypischerweise wäre hierfür eine definierte Zielhierarchie bzw. ein widerspruchsfreies Zielsystem des Jahresabschlusses erforderlich. Den beteiligten Akteuren ist sehr wohl bewusst, dass die handelsrechtlichen Zielsetzungen des Jahresabschlusses eine Kompromisslösung zwischen den unterschiedlichen Zielvorstellungen der Abschlussadressaten darstellt. Maßstab hierbei ist, dass ein fairer Ausgleich zwischen den Adressatengruppen erfolgen soll. Diskussionen zur Weiterentwicklung der GoB werden derzeit häufig durch die Veröffentlichungen des DRSC angestoßen. Fraglich ist, welche Rolle für die (Weiter-)Entwicklung der GoB das DRSC spielen wird bzw. darf. Das DRSC stellt ein privatrechtlich organisiertes Gremium dar, dessen primäre Aufgabe die Beratung des Bundesministeriums der Justiz hinsichtlich der Anpassung der deutschen Rechnungslegungsstandards an die internationale Entwicklung der Bilanzierungsregeln sowie die Entwicklung von Empfehlungen zur Anwendung der Grundsätze über die Konzernrechnungslegung ist. Nach 342 Abs. 2 HGB erlangen die vom DRSC entworfenen Empfehlungen die Vermutung der Entsprechung mit den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung, sobald sie vom Bundesministerium der Justiz veröffentlicht werden. Dies gilt allerdings nur für Fragen der Konzernrechnungslegung. 67 Zu den allgemeinen Fragen der Rechnungslegung wurde vom DRSC als Entwurf ebenfalls ein Rahmenkonzept ( Grundsätze ordnungsmäßiger Rechnungslegung (Rahmenkonzept)) 68 veröffentlicht. Nach harscher Kritik 69 musste dieses zurückgezogen werden. Es gehört zu den Projekten, die laut Internetauftritt des DRSC nicht weiterverfolgt werden. Die Praxis bewertet die bisherige Tätigkeit des DRSC recht unterschiedlich. Einerseits wird das System der Bearbeitung der durch den Gesetzgeber vorgegebenen Rahmenbedingungen durch den DRSC als erfolgreiches Modell insbesondere für die Kapitalflussrechnung, die Segmentberichterstattung und die Risikoberichterstattung genannt. 70 Andererseits weisen gewichtige Stimmen dar- 66 Vgl. Kahle (2002), S. 186 f. Fachnormen werden als anerkannte Geflogenheiten definiert, aus denen Sollsätze nicht ableitbar sind. 67 Zur Diskussion um den faktischen Zwang zur Anwendung der IFRS vgl. Schmid (2005), S. 80. 68 http://www.standardsetter.de/drsc/docs/drafts/framework.html, Abruf am 6.12.2004. 69 Vgl. Arbeitsgruppe Normierung (2002); gemäßigter Ballwieser (2003), S. 345 f.; Schöllhorn/Müller (2004), S. 1623. 70 Vgl. Bruns (2001), S. 72. 18

auf hin, dass das DRSC keine für alle Rechtsformen geltenden GoB entwickeln kann, da seine Tätigkeit auf den Bereich der Konzernrechnungslegung beschränkt ist. 71 So wird behauptet, die Tätigkeit des DRSC beschränke sich auf die Übersetzung der Standards des IASB in nationale Standards (DRS). 72 Die Entwicklung von sogenannten Grundsätzen ordnungsmäßiger Konzernrechnungslegung wird in Deutschland mit Argus-Augen betrachtet. 73 Unterschiedliche Grundsätze für Einzel- und Konzernabschlüsse sollen vermieden werden. Argument hierfür ist insbesondere die in Deutschland gegebene Verknüpfung von Handels- und Steuerbilanz. Gerade mittelständische Unternehmen sind bestrebt, eine Einheitsbilanz, die handelsrechtlichen wie auch steuerrechtlichen Anforderungen gerecht wird zu erstellen. Auch wenn zwischenzeitlich anerkannt wird, dass den IFRS entsprechende Abschlüsse der Informationsfunktion des Jahresabschlusses gerecht werden, gilt dies für steuerliche Zwecke nicht. Befürchtet wird, dass die Entwicklung eigenständiger GoB für den Konzernabschluss für den Mittelstand zusätzliche Kosten hervorrufen wird. 74 In Deutschland werden zudem grundsätzliche verfassungsmäßige Zweifel an dem Einsatz der IFRS, die durch eine privatrechtliche Organisation entwickelt werden, geäußert. Diese werden in erster Linie damit begründet, dass die Ermittlung der Bemessungsgrundlage für steuerliche Zwecke nicht durch eigeninteressierte Privatpersonen definiert werden dürfe. 75 Die gesetzlichen Grundlagen der Steuerermittlung müssen nach rechtsstaatlichen Grundsätzen durch den Gesetzgeber bestimmt werden. Die Aufgabe des Staates kann sich nicht auf die technische Umsetzung von Regeln, die durch private Standardsetter (wenn auch in einem fixierten, öffentlich zugänglichen und dadurch transparenten Verfahren) definiert werden, beschränken. Diese Kritik ist zumindest dahingehend nicht relevant, dass ein (Konzern-)Abschluss entsprechend IFRS nach geltendem Recht keine Wirkung für die Ermittlung der steuerlichen Bemessungsgrundlage entfaltet, da der Anwendungsbereich der IFRS und damit des Frameworks auf Konzernabschlüsse begrenzt ist. Die IFRS befinden sich derzeit in einer der Stellung der GoB in den 1970er Jahren vergleichbaren Situation. Gefestigte Erfahrungssätze hinsichtlich der Anwendung der IFRS existieren in Deutschland noch nicht. Zwar erstellen zahlrei- 71 Vgl. Ballwieser (2003) S. 345. 72 Vgl. Arbeitsgruppe Normierung (2002), S. 2595 73 Vgl. zuletzt Schildbach (2005), S. 1. 74 Vgl. Busse von Colbe (2004), S. 2069 f., der sich für Erleichterungen für kleine und mittlere Unternehmen ausspricht, die auf dem Framework basieren sollten. 75 Vgl. Kahle (2003), S. 271 f.; Zeitler (2003), S. 1530 ff. 19

che deutsche Konzerne bereits Abschlüsse nach IFRS, die Kernpunkte der Fair Value-Bewertung werden jedoch zumeist nicht oder nur vergleichsweise imparitätisch angewendet. 76 Entsprechend werden bspw. die Regelungen des IAS 19 zu Pensionsverpflichtungen, die durch ihre Marktorientierung im Vergleich zum HGB zumeist höhere Werte erreichen, im Rahmen der Bilanzierung verwendet, 77 ein Ansatz von Marktwerten bspw. im Sachanlagevermögen durch Anwendung der Neubewertungsmethode erfolgt auf der Aktivseite noch nicht in vergleichbarer Weise. Problematisch sind zudem die externen, zusätzlich auf die IFRS einwirkenden Faktoren, wie verschiedene Sprachen, größerer Anwendungsbereich (nicht nur im Geltungsbereich des HBG sondern zumindest EU-weit) sowie unterschiedliche zu Grunde liegende (nationale) Bilanzierungstraditionen. In Deutschland wurde durch die höchstrichterliche Rechtsprechung die Wende von den zunächst induktiv, d.h. aus den Gepflogenheiten der ordentlichen Kaufleute ermittelten (Fachnormen) GoB zu den Rechtsnormen vollzogen. Rechtsprechung zu einzelnen Fragestellungen der IFRS existiert wegen des begrenzten Einsatzbereiches (noch) nicht, kann daher für aktuelle Bilanzierungsfragen kaum eine Hilfestellung geben. Aufgrund ihrer Entstehung stellen die IFRS Fachnormen dar. 78 Diese sind für die Weiterentwicklung der Rechnungslegung durch Ableitungen aus Sinn und Zweck des Wortlautes eines Gesetzes nicht geeignet. Gilt dies bereits für die Standards, so verschärft sich mangels des fehlenden Charakters des Frameworks als geltenden Rechts diese Kritik hinsichtlich des Frameworks noch. Die IFRS und damit auch das Framework sollen einen flexiblen und dynamischen Rahmen bilden, der die Anpassung an internationale Entwicklungen im Bereich der Rechnungslegung ermöglicht. 79 Dies bedeutet, dass den IFRS ein erheblicher Spielraum hinsichtlich ihrer Entwicklung immanent ist. Es existiert somit auf EU-Ebene eine grundsätzlich andere Einschätzung hinsichtlich des Rahmens, der für die Entwicklung der Rechnungslegungsstandards sinnvoll ist, als in Deutschland. Zudem sind die IFRS aufgrund ihrer Zielsetzung der Öffnung des amerikanischen Kapitalmarktes für europäische Unternehmen stark durch die angelsächsische Rechnungslegungstradition beeinflusst. Befürchtet wird, dass sich durch diese Vorgehensweise, der Einfluss der US- GAAP-Befürworter auf die europäische Rechnungslegung stärken könnte. 80 76 Vgl. die Untersuchung von von Keitz (2003). 77 Vgl. Hoffmann/Lüdenbach (2005), S. 97; sowie die Auswertung von Rhiel/Stieglitz (2005). 78 Vgl. Kahle (2002), S. 187. 79 KOM (2000), S. 6 ff. 80 Vgl. Kahle (2003), S. 275. 20

C. Unterschiedliche Auslegungsgrundsätze Durch die weitgehende gesetzliche Kodifizierung der GoB ist nach h.m. nicht mehr die Ermittlung der GoB sondern deren Auslegung Mittelpunkt der Diskussionen und der Rechtsprechung. Voraussetzung hierfür ist die Kenntnis der GoB und deren Bedeutung. Der Auslegende beurteilt dabei ausgehend von der gesetzlichen Vorschrift die verschiedenen denkbaren Bedeutungen eines Begriffs oder einer Wortfolge vor dem Hintergrund der Zielsetzung des Gesetzes, des Textzusammenhangs sowie der eigenen Kenntnis der Situation. Die Grenzen der Auslegung werden durch die erforderliche Übereinstimmung der GoB mit der Verfassung abgesteckt. Durch die Verknüpfung der handelsrechtlichen und steuerlichen Bilanzen über das Maßgeblichkeitsprinzip werden die Normen regelmäßig einer Überprüfung durch die Gerichtsbarkeit unterzogen. Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat daher in den vergangenen Jahrzehnten den Rahmen der deutschen Bilanzierung abgegrenzt. Es liegen gesicherte Vorgaben vor. Die GoB bilden wegen ihres vergleichsweise geschlossenen Systems und ihrer letztlich in jahrelanger praktischer Anwendung gefestigten Systematik für den Bilanzierenden eine echte Hilfestellung bei praktischen Bilanzierungsfällen. Der Bilanzierende kann in Zweifelsfällen auf eine Fülle von Kommentaren und andere Fachliteratur zurückgreifen. 81 Die Prüfungsstandards des IDW ergänzen diesen Rahmen. Diesen Grad der Arbeitshilfe haben die Vorgaben des Frameworks noch nicht erreicht. Dies resultiert zunächst aus den im vorhergehenden Abschnitt aufgezeigten, im Vergleich zu den GoB höchst unterschiedlichen Entstehungsweisen der Normen. Zwar werden die Regelungen des IASB wohl übereinstimmend als prinzipienbasiert 82 eingestuft. Durch die Vielzahl der Einzelfallregelungen und der jeweiligen Eingrenzung der Anwendbarkeit der einzelnen Normen 83 ist der Grad der Prinzipienorientierung sicherlich geringer als bei den Normen des HGB. Erhebliche methodische Probleme bei der Auslegung der IFRS 84 sind der- 81 Anderer Ansicht Ballwieser (2003), S. 345, der auf die Vielfalt unterschiedlicher Lösungen zu Einzelproblemen verweist. 82 Vgl. exemplarisch: Preißler (2002); Schildbach (2003); Ruhnke/Nerlich (2004). Dies gilt allerdings in erster Linie nur im Vergleich zu den US-GAAP (patchwork accounting); Kuhner spricht von einer nur torsohaft verwirklichte(n) Prinzipienorientierung der IFRS, vgl. Kuhner (2004), S. 271. 83 Vgl. beispielweise die Einschränkung der Anwendbarkeit von IAS 36. Hier werden sowohl funktionsbezogene (held-for-sale) als auch artbezogene (mineral reserves) Einschränkungen vorgegeben. 84 Vgl. Fey/Schruff (1997), S. 586. 21