Die frühkindliche Entwicklung - Risiken und Schutzfaktoren - Dr. Martina Pitzer Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie
A) Stadien der frühkindlichen Entwicklung motorische E. Sprachentwicklung kognitive E. sozial-emotionale E. B) Risiken und protektive Faktoren Risikofaktoren des Kindes soziale Risiken protektive Faktoren
Motorische Entwicklung 9-12 Mon. 12 Mon. 16-18 Mon. 18 Mon. stabiles Sitzen, Stehen mit Hilfe, Krabbeln, Pinzettengriff freies Stehen, Schritte an der Hand, gezieltes Greifen Treppensteigen mit Festhalten sicheres Stehen, freies Laufen
Motorische Entwicklung II Ende 2. Lj. 2-2;6 J 3 J 3-4 J Bewegungen flüssiger u. präziser, Gegenstand aus Stand aufheben, Ball stoßen Hüpfen mit beiden Beinen Treppensteigen mit Fußwechsel, Dreirad fahren Ball fangen, über niedriges Seil springen, klettern an einfachen Gerüsten, zunehmende Körperbeherrschung
Sprachentwicklung 8-10 Mon. Ende 1. Lj. 1;6-2 J Doppelsilben (mama, dada) noch ohne bestimmte Bedeutung erste Worte Benennungsexplosion : rasches Anwachsen des Wortschatz (ca. 5 Worte / Tag) Substantive Verben Adjektive Präpositionen
Sprachentwicklung II ab 2. Lj. 2;6-3 J. ab 4 J aktiver Einsatz von Grammatik, Zweiwortsätze 3-Wort-Sätze (Subj.-Verb-Obj.), auch bei Fragen wichtigste Satzkonstruktionen der Muttersprache, Fragesätze, Possessivpronomen Kommunikation: ca. 2 J wechselseitige Sprache, erst noch ohne logische Abfolge, ca. 3 J Erzählungen (vorher gegenwartsbezogen)
Exkurs:Sprachentwicklungsstörung Def.: umschriebene Entw.-Stör. der Sprache die nicht durch die allg. Intelligenz, unzureichende Förderung, körperliche oder psychische Faktoren erklärt werden kann expressiv: eingeschränkter Wortschatz, Probleme bei der Begriffsfindung, grammatische Fehler rezeptiv: eingeschränktes Sprachverständnis (auch der Grammatik und Sprachmelodie), v.a. bei unüblichen Inhalten / Satzbau Warnsignal: keine Sprachproduktion / kein Verständnis ohne Gestik mit 2 J
Kognitive Entwicklung Ende 1. Lj. bis 3. Lj 3;6-4 J Schulalter Vorstellung von Raum und Zeit, Objektpermanenz Vorstellung gegenständlicher Objekte, bildhaft-anschaulich Denken über das Denken Theory of Mind, Denken als Auslöser von Verhalten begreifen, kausales Verständnis, Lernen nach Versuch und Irrtum Regelbildung, Kategorienbildung, Invarianzprinzip, Relationen
Kognitive Entwicklung II 1;6-2 J Ende 2.Lj. ab 3. Lj. ab 4. Lj. Symbolspiel So-tun-als-ob in Ansätzen Sprechen über mentale Zustände ( bin froh, will, mag nicht ) Gegensatz von Wunsch und Realität benennen Worte wie wissen, glauben, denken
Theory of Mind Def.: Vorstellungen über mentale Zustände (Wissen, Überzeugungen, Emotionen) bei sich selbst und Anderen Basis für falsche Überzeugung, Lüge, Täuschung, Rollenspiel ab 4.Lj. verstehen Kinder dass verschiedene Personen unterschiedliche Vorstellungen haben können ab ca. 4 J Unterscheidung Überzeugung vs. Realität
Sozial-emotionale Entwicklung 1. Lj. ab 2. Lj. Mitte 2. Lj. Ende 2.Lj. basale Emotionen (Ärger/Freude) Empathie/Mitgefühl (Vor.: Selbstgefühl), Nachahmung einfache Aufträge ausführen äußert Bedürfnisse (Hunger, Durst), Stolz, Scham, Schuld (Vor.: Vergleich)
Sozial-emotionale Entwicklung 3. Lj. bis 2. Lj. 2.-5. Lj. ca. 4 J ungehemmte, wechselnde Affekte (noch keine soz. Erwünschtheit) alterstypisch: Tierängste Emotionsregulation durch die Bezugspersonen Zunehmend Erlernen von Emotionsregulation (= Fähigkeit Auftreten,Dauer,Intensität von Affekten zu beeinflussen) alterstypisch: Ängste vor Irrealem z.b. Gespenster (Vor.: Vorstellung)
Frühkindliche Entwicklung insgesamt verläuft die kindliche Entwicklung immer mit einer gewissen Variabilitätsspanne das Erreichen von Entwicklungsschritten wird außer durch individuelle Faktoren des Kindes auch durch die Umwelt z.b. Förderung beeinflusst es existieren kaum praktikable und aktuelle Screening-Verfahren für den Einsatz in Kita und Kindergarten
Entwicklungsrisiken Def.: ein Risikofaktor ist eine Bedingung, die bei der Gruppe der Betroffenen im Vergleich zur unbelasteten Kontrollgruppe die Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer Störung erhöht
Risikofaktoren des Kindes Genetische Faktoren erworbene biologische Risiken - Frühgeburt, niedriges Geburtsgewicht - Erkrankungen/ Behinderungen des Zentralnervensystems vorwiegend motor. u. kogn. Entwicklung Temperamentseigenschaften (Verhaltenshemmung, Selbstkontroll- /Regulationsfähigkeiten) Intelligenzminderungen / Entwicklungsstörungen
Der Einfluss des kindlichen Temperaments Annäherung/Zurückhaltung bzgl. neuer Stimuli Stimmung Intensität von Reaktionen/Irritierbarkeit Schwelle der Erregbarkeit Ablenkbarkeit Aktivität Extreme Temperamentsausprägungen sind per se keine psychiatrische Störung! Sie sind jedoch mit einem erhöhten Risiko für das Auftreten kinderpsychiatrischer Störungen verknüpft.
Die Eltern-Kind-Interaktion wird in einem wechselseitigen Prozess von Anfang an von beiden Seiten gestaltet. Die Qualität der Interaktion ( goodness of fit ) ist bedeutsam für die psychische Entwicklung des Kindes.
Psychosoziale Risikofaktoren niedriger sozioökonomischer Status, Arbeitslosigkeit, Armut niedriges Bildungsniveau der Eltern beengte Wohnverhältnisse frühe Elternschaft gestörte Partnerbeziehung, alleinerziehender Elternteil broken-home, Kriminalität der Eltern psychische Erkrankung der Eltern familiäre Streitigkeiten ungünstige Erziehungspraktiken
Psychosoziale Risikofaktoren besonders bedeutsam sind die proximalen, d.h. direkt auf das Kind einwirkenden Risiken (Bsp. Erziehungsverhalten) i. Vgl. zu distalen mittelbaren Risiken (Bsp. Einkommen)
Ungünstige Erziehungspraktiken coercive control (Patterson, 1982) - rauhe Disziplin - Drangsalieren, Schikanieren - Verstärkerentzug - Feindseligkeit, Drohungen rigide versus direktive Steuerung wechselhafte, inkonsequente Erziehung
Protektive Fakoren (Schutzfaktoren) Def.: ein Schutzfaktor ist eine Bedingung, die bei gleichzeitiger Anwesenheit eines Risikos eine Schutzwirkung entfaltet, in Abwesenheit eines Risikos jedoch keinen Einfluss hat Bsp. Mittel gegen Insektenstiche
Individuelle Schutzfaktoren des Kindes erstgeborenes Kind Begabungen / Kreativität / überdurchschnitliche Intelligenz positive Temperamentseigenschaften Erfahrung von Selbstwirksamkeit, Problemlöse-, Bewältigungsfähigkeiten positives Selbstbild
Schutzfaktoren in Familie und Umwelt familiärer Zusammenhalt enge Geschwisterbeziehungen positive erwachsene Bezugsperson Freunde unterstützende Systeme (soziales Netz) engagierte Lehrer / Erzieher
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