Die Zulässigkeit eigener Erhebungen durch die sachverständige Person A. Hinführung zum Thema Exposé zum Vortrag vom 10. Mai 2016 Gemäss Art. 6 StPO klären die Strafbehörden von Amtes wegen alle für die Beurteilung der Tat und der beschuldigten Person bedeutsamen Tatsachen ab. 1 Im Bereich der Sachverhaltsermittlung gilt somit zumindest dem Grundsatz nach die Untersuchungsmaxime. 2 Die Ermittlung des Sachverhaltes umfasst dabei nicht nur die Erhebung der relevanten Beweise (z.b. die Feststellung der genauen Todesursache), sondern auch die angemessene Würdigung der ermittelten Tatsachen (z.b. die Schlussfolgerung, dass die am Tatort gefundene Kugel aus der Schusswaffe des Beschuldigten abgefeuert wurde 3 ). In beiderlei Hinsicht können die Strafbehörden allerdings an ihre Grenzen stossen, und zwar wenn es ihnen schlicht am benötigten Spezialwissen oder an gewissen fachlichen Fähigkeiten fehlt. B. Die Rolle der sachverständigen Person Für diese Problemlage schafft Art. 182 StPO Abhilfe, insofern dort vorgesehen ist, dass die zuständige Strafbehörde sollte sie selbst nicht in der Lage sein, den Sachverhalt angemessen festzustellen oder zu beurteilen eine oder mehrere sachverständige Personen beiziehen kann (bzw. muss 4 ). Die sachverständige Person ist somit sozusagen das erweiterte Hirn 5 der Strafbehörde. C. Weitergeltung der Untersuchungsmaxime trotz Einsatz einer sachverständigen Person? Im Zusammenhang mit dem Einsatz einer sachverständigen Person stellt sich nun die Frage, ob in einem solchen Fall die in Art. 6 StPO vorgesehene Untersuchungsmaxime weiterhin Geltung hat. I. Regel: Weitergeltung der Untersuchungsmaxime Grundsätzlich ist es so, dass die sachverständige Person keine eigenen Sachverhaltsermittlungen vornehmen darf. So sieht Art. 184 Abs. 4 StPO denn auch vor, dass der sachverständigen Person zu Beginn ihrer Beauftragung zusammen mit den präzis formulierten Gutachterfragen (vgl. Art. 184 Abs. 2 lit. c StPO) die zur Erstellung des Gutachtens notwendigen Akten und Gegenstände übergeben werden. Diese Tatsachen, auf die sich die sachverständige Person bei der Beantwortung der Gutachterfragen zu stützen hat, nennt man auch Anknüpfungstatsachen. 6 Reichen diese Anknüpfungstatsachen nicht aus, um den Auftrag angemessen zu erfüllen, so kann die sachverständige Person der Verfahrensleitung einen 1 Mit Strafbehörden sind dabei sowohl die Strafverfolgungsbehörden als auch die Strafgerichte gemeint, vgl. u.a. auch FIOLKA GERHARD/RIEDO CHRISTOF, in: NIGGLI MARCEL ALEXANDER/HEER MARIANNE/WIPRÄCHTIGER HANS (Hrsg.), Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung und Jugendstrafprozessordnung, Art. 1-195 StPO, 2. Aufl., Basel 2014, Art. 6, N. 47. 2 Vergleiche auch die Überschrift von Art. 6 StPO. 3 So SCHMID NIKOLAUS, Handbuch des schweizerischen Strafprozessrechts, Zürich/St. Gallen 2013 (zit. SCHMID, Handbuch StPO), Rz. 930; vgl. auch OBERHOLZER NIKOLAUS, Grundzüge des Strafprozessrechts, 3. Aufl., Bern 2012 (zit. OBERHOLZER, Grundzüge StPO), Rz. 800. 4 Vgl. JOSITSCH DANIEL, Grundriss des schweizerischen Strafprozessrechts, 2. Aufl., Zürich/St. Gallen 2013 (zit. JOSITSCH, Grundriss StPO), Rz. 338; HEER MARIANNE, in: NIGGLI MARCEL ALEXANDER/HEER MARIANNE/WIPRÄCHTIGER HANS (Hrsg.), Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung und Jugendstrafprozessordnung, Art. 1-195 StPO, 2. Aufl., Basel 2014 (zit. BSK StPO-HEER), Art. 185, N. 18. Die zuständige Strafbehörde hat dabei nach pflichtgemässem Ermessen zu entscheiden, vgl. RUCKSTUHL NIKLAUS/DITTMANN VOLKER/ARNOLD JÖRG, Strafprozessrecht unter Einschluss der forensischen Psychiatrie und Rechtsmedizin sowie des kriminaltechnischen und naturwissenschaftlichen Gutachtens, Zürich/Basel/Genf 2011 (zit. RUCKSTUHL/DITTMANN/ARNOLD, Strafprozessrecht), Rz. 528. 5 So BOMMER FELIX, in: NIGGLI MARCEL ALEXANDER/WIPRÄCHTIGER HANS (Hrsg.), Basler Kommentar, Strafrecht I, Art. 1-110 StGB und Jugendstrafgesetz, 3. Aufl., Basel 2013 (zit. BSK StGB-BOMMER), Art. 20, N. 32. 6 Vgl. etwa DONATSCH ANDREAS/SCHWARZENEGGER CHRISTIAN/WOHLERS WOLFGANG, Strafprozessrecht, 2. Aufl., Zürich/Basel/Genf 2014 (zit. DONATSCH/SCHWARZENEGGER/WOHLERS, Strafprozessrecht), S. 165 unten. 1
Antrag auf Ergänzung der Akten stellen (Art. 185 Abs. 3 StPO). 7 Wenn die sachverständige Person beispielsweise vermutet, dass eine Person noch als sachverständige Zeugin aussagen sollte, so kann sie dies der Verfahrensleitung mitteilten, damit diese dann eine förmliche Beweiserhebung nach Art. 139 ff. StPO vornehmen kann. Trotz der Beauftragung einer sachverständigen Person verbleibt somit die Verfahrensherrschaft grundsätzlich bei der zuständigen Strafbehörde. 8 II. Ausnahme: Eigene Abklärungen durch die sachverständige Person (Art. 185 Abs. 4 StPO) Die strikte Regel, dass die Sachverhaltsermittlung durch die zuständige Strafbehörde durchgeführt wird, scheint bereits in Art. 182 StPO relativiert zu werden, insofern dort vorgesehen ist, dass auch zur Feststellung des Sachverhalts eine sachverständige Person beigezogen werden kann. 9 Noch klarer ist Art. 185 Abs. 4 StPO, welcher vorsieht, dass die sachverständige Person einfache Erhebungen, die mit dem Auftrag in engem Zusammenhang stehen, selber vornehmen und zu diesem Zweck Personen aufbieten kann. Diese haben sodann dem Aufgebot Folge zu leisten. Sollten sie sich weigern, so können sie polizeilich vorgeführt werden. Die Zulässigkeit eigener Ermittlungen durch die sachverständige Person soll vorliegend anhand des Beispiels des psychiatrischen bzw. psychologischen Gutachtens zur Ermittlung der Schuldfähigkeit der beschuldigten Person diskutiert werden. In diesem Setting scheint nämlich die Frage der Zulässigkeit von eigenen Erhebungen besonders prekär zu sein immerhin ist die beschuldigte Person nicht nur ein Subjekt des Verfahrens, sondern gleichzeitig auch das Objekt der Untersuchung, 10 und ein Vorgehen nach Art. 185 Abs. 4 StPO droht hier in Konflikt zu geraten mit verschiedenen Verfahrensgarantien. Falls Zweifel bezüglich der Schuldfähigkeit des Täters bestehen, so hat die Behörde ein Gutachten zu veranlassen (vgl. Art. 20 StGB). Die h.l. geht dabei davon aus, dass es für die Erstellung eines psychiatrischen Gutachtens nicht ausreicht, lediglich auf die Anknüpfungstatsachen (beispielsweise auf früher erstellte Gutachten) abzustellen. 11 Vielmehr wird erwartet, dass der Gutachter in direkten Kontakt mit dem Untersuchungsobjekt tritt, um sich durch das Stellen von Fragen und das Durchführen von Tests ein eigenes Bild über dessen psychische Verfassung machen zu können. 12 Weiter ist es allenfalls nötig, das Umfeld 13 (so etwa die Familie oder den Partner) des Beschuldigten oder sogar Dritte 14 zu 7 Ergänzung der Akten kann dabei sowohl einen Antrag auf das Überlassen von weiteren (bereits vorhandener) Akten meinen oder aber einen Antrag dahingehend, dass noch weitere Sachverhaltsaspekte abgeklärt werden müssen, vgl. Botschaft zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts vom 21. Dezember 2005, BBl 2006, S. 1085 ff. (zit. Botschaft StPO), S. 1212; RIKLIN FRANZ, StPO Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung mit JStPO, StBOG und weiteren Erlassen, 2. Aufl., Zürich 2014, Art. 185, N. 3. 8 Vgl. BSK StPO-HEER, Art. 185, N. 16; RUCKSTUHL/DITTMANN/ARNOLD, Strafprozessrecht, Rz. 1278. 9 Unklar ist allerdings, ob damit nicht nur Feststellungen im Rahmen von Art. 185 Abs. 2 StPO gemeint sind. Gemäss dieser Bestimmung kann die zuständige Strafbehörde nämlich eine sachverständige Person gezielt für die Unterstützung von Verfahrenshandlungen beiziehen. So könnte eine sachverständige Person einer Zeugeneinvernahme beiwohnen und ermächtigt werden, dieser Fragen zu stellen, vgl. DONATSCH ANDREAS, in: DONATSCH ANDREAS/HANSJAKOB THOMAS/LIEBER VIKTOR (Hrsg.), Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung (StPO), 2. Aufl., Zürich/Basel/Genf 2014 (zit. DONATSCH, DONATSCH/HANSJAKOB/LIEBER, StPO), Art. 185, N. 7 f. In Fällen von Art. 185 Abs. 2 StPO verbleibt die Verfahrensherrschaft allerdings klarer Weise bei der zuständigen Strafbehörde, vgl. DONATSCH, DONATSCH/HANSJAKOB/LIEBER, StPO, Art. 185, N. 9. 10 Vgl. RUCKSTUHL/DITTMANN/ARNOLD, Strafprozessrecht, Rz. 441; DONATSCH/SCHWARZENEGGER/WOHLERS, Strafprozessrecht, S. 25. 11 Vgl. BGE 127 I 54, S. 58, E. 2. f); OBERHOLZER, Grundzüge StPO, Rz. 819. 12 Vgl. BSK StGB-BOMMER, Art. 20, N. 30; OBERHOLZER, Grundzüge StPO, Rz. 819; DONATSCH, DONATSCH/HANSJAKOB/LIEBER, StPO, Art. 185, N. 15; BSK StPO-HEER, Art. 185, N. 7. 13 Vgl. SCHMID, Handbuch StPO, Rz. 946. 14 Vgl. BSK StPO-HEER, Art. 185, N. 28. 2
befragen. Im Folgenden werden die Voraussetzungen für solche eigenen Erhebungen durch die sachverständige Person kurz dargestellt. 1. Voraussetzungen hinsichtlich des Gegenstandes der Erhebung Gemäss Art. 185 Abs. 4 StPO kann der Gutachter nur dann eigene Erhebungen vornehmen, wenn es sich um einfache Erhebungen handelt, die mit dem Auftrag in engem Zusammenhang stehen. Was dabei eine einfache Erhebung darstellt, wird im Gesetz nicht näher umschrieben. Gemäss der Botschaft sind mit einfachen Erhebungen fachspezifische Feststellungen gemeint, die für die Erfüllung des Gutachtensauftrags notwendig oder nützlich sind. 15 Mit dieser Eingrenzung auf fachspezifische Feststellungen könnte gemeint sein, dass es sich um Tatsachen handeln muss, zu deren Feststellung man ein fachliches Spezialwissen braucht. In diese Richtung argumentieren auch jene Autoren, welche einfache Erhebungen mit den sog. Befundtatsachen gleichsetzen. Denn neben den bereits genannten Anknüpfungstatsachen werden in der Literatur auch noch Befundtatsachen sowie Zusatztatsachen unterschieden. Befundtatsachen bezeichnen dabei Tatsachen, für deren Ermittlung es einer besonderen Sachkunde bedarf. 16 Zusatztatsachen bezeichnen hingegen Tatsachen, die nicht aufgrund der Sachkunde des Sachverständigen ermittelt werden, sondern die sich lediglich bei Gelegenheit der Begutachtung 17 ergeben und die man ebenso gut auch über den Umweg von 185 Abs. 3 StPO (Antrag auf Aktenergänzung) hätte ermitteln können. 18 Ein Teil der Lehre postuliert nun, dass einfache Erhebungen mit Befundtatsachen gleichzusetzen seien und dass Art. 185 Abs. 4 StPO nicht auch für Zusatztatsachen gelte diese müssten über den Weg einer formellen Beweiserhebung erhoben werden. 19 Ein anderer Teil der Lehre kritisiert diese Auffassung. Denn zum einen könne in vielen Fällen nicht klar zwischen Befund- und Zusatztatsachen unterschieden werden; ausserdem sei es unverständlich, weshalb für die Erhebung von Befundtatsachen wozu beispielsweise auch die Angaben des Exploranden zum Tatvorwurf gehören! nicht derselbe Standard gelten soll. 20 Da uns das Gesetz keine Definition liefert und die Botschaft hier unklar ist, ist es m.e. tatsächlich verkürzt, einfache Erhebungen mit Befundtatsachen gleichzusetzen. Vielmehr sollte man sich auf eine ganz allgemeine Definition von einfachen Erhebungen beschränken, wonach es sich dabei um Erhebungen handelt, die in einem engen Zusammenhang mit dem Auftrag stehen (insofern sie der Beantwortung der Gutachterfragen dienen) und die nicht über den Umweg von Art. 185 Abs. 3 StPO durch die Verfahrensbehörden ermittelt werden müssen. Angesichts der gemäss Art. 6 StPO geltenden Untersuchungsmaxime und der in Art. 185 Abs. 3 StPO vorgesehenen Möglichkeit der Aktenergänzung sollte der Begriff einfache Erhebungen auf alle Fälle restriktiv ausgelegt werden. 21 2. Voraussetzungen hinsichtlich des Verfahrens der Erhebung a. Mitbestimmungsrecht bei der Wahl des Gutachters und der Formulierung der Gutachterfragen Auch wenn das von der Strafbehörde in Auftrag gegebene Gutachten im Gegensatz zum Parteigutachten den Anspruch erhebt, neutral zu sein, so ändert dies nichts an der Tatsache, dass auch ein nach Art. 182 ff. StPO veranlasstes Gutachten von einer Partei (bspw. von der Staatsanwaltschaft) in 15 Vgl. Botschaft StPO, S. 1212. 16 Vgl. ZR 110/2011, Nr. 41, S. 109 ff., S. 110 f., E. II. 3.; RUCKSTUHL/DITTMANN/ARNOLD, Strafprozessrecht, Rz. 1212. 17 OBERHOLZER, Grundzüge StPO, Rz. 821. 18 Vgl. ZR 110/2011, Nr. 41, S. 109 ff., S. 111, E. II. 4.2 sowie gemäss RUCKSTUHL/DITTMANN/ARNOLD, Strafprozessrecht, Rz. 1213. 19 Vgl. BSK StPO-HEER, Art. 185, N. 21, welche diese Auffassung jedoch nicht selbst vertritt. 20 21 Vgl. Botschaft StPO, S. 1212; BSK StPO-HEER, Art. 185, N. 28. 3
Auftrag gegeben wurde. 22 Es besteht somit auch hier die Gefahr, dass der Gutachter um das Wohlgefallen des Auftraggebers bemüht ist. 23 Das Prinzip der Waffengleichheit verlangt es deshalb, dass der Beklagte bzw. sein Verteidiger im Vorfeld der Beauftragung ein Mitbestimmungsrecht hinsichtlich der Person des Gutachters erhält. 24 Ausserdem lässt sich aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) ein Recht des Beklagten bzw. seines Verteidigers auf Mitwirkung bei der Formulierung der Gutachterfragen ableiten. 25 b. Aufklärungs- und Informationspflichten des Gutachters Bei der Befragung des Beschuldigten durch den Gutachter besteht eine erhebliche Gefahr, dass sich der Beschuldigte über die Rolle des Gutachters im Unklaren ist und dass er diesem sodann im Glauben, dass es sich dabei um einen verbündeten Arzt oder Therapeuten handelt (der allenfalls sogar einer Schweigepflicht unterliegt) zu viel anvertraut. 26 Ein solches Szenario würde gegen das aus Art. 6 Ziff. 1 EMRK fliessendende Recht auf ein faires Verfahren sowie gegen das in Art. 113 Abs. 1 StPO verankerte Verbot des Zwangs zur Selbstbelastung verstossen. 27 Aus diesen Gründen hat der Gutachter den Beschuldigten zu Beginn der Begutachtung über seine eigene Funktion (als erweitertes Hirn der Strafbehörden, vgl. vorne S. 1) aufzuklären. 28 Im Rahmen dieser Informationspflicht hat der Gutachter gegenüber den Beklagten auch die sogenannte Miranda-Warning 29 auszusprechen: er hat den Beschuldigten zu Beginn der Begutachtung darauf hinzuweisen, dass dieser die Aussage und die Mitwirkung verweigern kann (Art. 185 Abs. 5 StPO; vgl. auch Art. 158 Abs. 1 lit. b StPO analog) und dass sämtliche Aussagen gegen ihn verwendet werden können. 30 Neben dem Beschuldigten sind auch andere Verfahrensbeteiligte sowie Dritte zu Beginn der Erhebungen über allfällige Aussage- und Zeugnisverweigerungsrechte hinzuweisen (Art. 185 Abs. 5 StPO; vgl. auch Art. 168 ff. und Art. 180 Abs. 1 StPO analog). 31 Da diese Informationspflichten als absolut zentral einzustufen sind, und da bei einem Verstoss gegen diese Pflichten die Unverwertbarkeit der festgestellten Tatsachen oder gar des ganzen Gutachtens droht, 32 sollte das Einhalten dieser Formvorschriften im Protokoll vermerkt und vom Beschuldigten bestätigt werden. 33 22 23 24 25 26 Vgl. BRUNNER, Gutachter, S. 39; BSK StPO-HEER, Art. 185, N. 32; BSK StGB-BOMMER, Art. 20, N. 31. 27 Vgl. auch die Beweismethodenverbote nach Art. 140 Abs. 1 StPO, woran sich die Strafbehörden (und auch die sachverständige Person, welche an Stelle der Strafbehörden tätig wird) zu halten haben, WOHLERS WOLFGANG, in: DONATSCH ANDREAS/HANSJAKOB THOMAS/LIEBER VIKTOR (Hrsg.), Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung (StPO), 2. Aufl., Zürich/Basel/Genf 2014, Art. 6, N. 2. Vgl. ferner LIEBER VIKTOR, in: DONATSCH ANDREAS/HANSJAKOB THOMAS/LIEBER VIKTOR (Hrsg.), Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung (StPO), 2. Aufl., Zürich/Basel/Genf 2014, Art. 113, N. 8; StPO BRUNNER, Gutachter, S. 39-41 28 Vgl. BSK StPO-HEER, Art. 185, N. 32; BRUNNER, Gutachter, S. 41. 29 Vgl. RUCKSTUHL/DITTMANN/ARNOLD, Strafprozessrecht, Rz. 441. 30 Vgl. BSK StPO-HEER, Art. 185, N. 32; BRUNNER, Gutachter, S. 41; RUCKSTUHL/DITTMANN/ARNOLD, Strafprozessrecht, Rz. 441. 31 Vgl. auch OBERHOLZER, Grundzüge StPO, Rz. 820; BRUNNER, Gutachter, S. 41; BSK StPO-HEER, Art. 185, N. 32. Diese Hinweise auf allfällige Aussage- und Zeugnisverweigerungsrechte haben unabhängig davon zu erfolgen, ob der Gutachter Befund- oder Zusatztatsachen zu erheben beabsichtigt, vgl. BSK StGB-BOMMER, Art. 20, N. 31. 32 Vgl. KassGer ZH, 23.5.2005 = ZR 104/2005, Nr. 74, S. 287 ff., E. II. 7.1 c); BRUNNER, Gutachter, S. 41; BSK StPO-HEER, Art. 185, N. 27. 33 Vgl. BGer vom 20.5.2010 6B_1090/2009, E. 1.5.4 = Praxis 99/2010 Nr. 119, S. 792 ff.; OBERHOLZER, Grundzüge StPO, Rz. 821; BSK StPO-HEER Art. 185, N. 32; DONATSCH, DONATSCH/HANSJAKOB/LIEBER, StPO, Art. 185, N. 26. 4
c. Umgang mit belastenden Aussagen Dritter Im Zusammenhang mit eigenen Erhebungen des Gutachters besteht eine weitere Gefahr darin, dass durch solche Ermittlungen auch belastende Aussagen von Drittpersonen ins Gutachten Eingang finden könnten, ohne dass dabei die Mitwirkungs- und Teilnahmerechte der Prozessparteien gewahrt wurden. Gemäss dem Grundsatz, dass der Beklagte nicht dadurch schlechter gestellt werden darf, dass Befragungen durch einen Gutachter und nicht durch ein Justizorgan durchgeführt werden, 34 dürfen somit belastende Aussagen Dritter nur dann im Gutachten aufgenommen werden, wenn die Parteirechte gewahrt wurden. 35 d. Recht auf Stellungnahme zum Gutachten (jedoch kein Recht des Verteidigers auf Teilnahme) Aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) ergibt sich ferner die Pflicht des Gutachters, dem Beschuldigten bzw. seinem Verteidiger das Gutachten vor dessen Aushändigen an die auftraggebende Strafbehörde zur Kontrolle vorzulegen. 36 Sodann gewährt auch Art. 188 StPO den Parteien ein Recht, zum Inhalt des Gutachtens Stellung zu nehmen. 37 Demgegenüber besteht kein Recht des Verteidigers auf Teilnahme an der Begutachtung, da eine solche Teilnahme das Ziel der psychiatrischen Begutachtung (i.e. die Gewinnung eines eigenen Bildes von der psychischen Verfassung des Beschuldigten durch die direkte Interaktion mit demselben, vgl. vorne S. 2 unten) unterlaufen würde. 38 e. Dokumentationspflicht des Gutachters Aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) ergibt sich schliesslich ein Transparenzgebot demnach hat der Gutachter offen zu legen, von welchen Anknüpfungstatsachen er ausgeht, welche eigenen Befunde er gemacht und ob er allenfalls eigene Erhebungen vorgenommen hat. 39 Nicht nur erleichtert eine solche Dokumentation das Verständnis des Inhalts des Gutachtens für den Begutachteten (und andere Parteien), sondern sie ermöglicht es auch der auftraggebenden Strafbehörde, einzuschreiten, falls diese der Auffassung ist, dass der Gutachter seine Kompetenzen überschritten hat. 40 D. Fazit Eigene Erhebungen darf die sachverständige Person somit nur tätigen, wenn a) diese in einem engen Zusammenhang mit dem Auftrag stehen, b) sie nicht über den Umweg von Art. 185 Abs. 3 StPO durch die Verfahrensbehörden ermittelt werden müssen und c) dabei die oben umschriebenen Verfahrensvorschriften nicht verletzt werden. 41 Auf alle Fälle ist Art. 185 Abs. 4 StPO restriktiv auszulegen. 34 35 36 Vgl. BRUNNER, Gutachter, S. 42. 37 Vgl. JOSITSCH, Grundriss StPO, Rz. 345. 38 So gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung sowie gemäss der h.l.; vgl. BGE 132 V 443, 446, E. 3.4 f.; BSK StPO- HEER, Art. 185, N. 36; SCHMID NIKLAUS, Schweizerische Strafprozessordnung (StPO), Praxiskommentar, 2. Aufl., Zürich/St. Gallen 2013, Art. 185, N. 10; ZR 110/2011, Nr. 41, S. 109 ff., S. 110 f., E. II. 3. Demgegenüber spricht sich BRUNNER für ein Recht der Verteidigung auf Teilnahme bei Gutachterbefragungen aus, vgl. BRUNNER, Gutachter, S. 42. 39 So KAUFMANN MARTIN, Beweisführung und Beweiswürdigung, Tatsachenfeststellung im schweizerischen Zivil-, Strafund Verwaltungsprozess, Zürich/St. Gallen 2009 (zit. KAUFMANN, Beweisführung), S. 171 f.; JOSITSCH, Grundriss StPO, Rz. 345. 40 Vgl. KAUFMANN, Beweisführung, S. 173. 41 Sind diese Voraussetzungen erfüllt, so braucht es für die Vornahme von einfachen Erhebungen jedoch entgegen der Botschaft und anders als die entsprechende Regelung in Art. 186 Abs. 1 ZPO keine weitere Ermächtigung bzw. keine Zustimmung durch die Verfahrensleitung, vgl. DONATSCH, DONATSCH/HANSJAKOB/LIEBER, StPO, Art. 185, N. 23; BSK StPO- HEER, Art. 185, N. 23; Botschaft StPO, S. 1212 unten. 5