13. Wahlperiode 30. 10. 2003 Antrag der Abg. Dr. Walter Witzel u. a. GRÜNE und Stellungnahme des Ministeriums für Umwelt und Verkehr Sachliche Darstellung oder Polemik gegen Windkraftanlagen in einer Presseinformation der Umweltakademie des Landes? Antrag Der Landtag wolle beschließen, die Landesregierung zu ersuchen zu berichten, 1. wie die Landesregierung die Auswirkungen von Windkraftanlagen auf die Vogelwelt einschätzt, und inwieweit sie folgende Aussage in der vom Wirtschaftsministerium herausgegebenen Windfibel nach wie vor für gültig hält: Die Verluste durch Kollisionen mit WEA werden im Vergleich zu anderen Bauten, Hochspannungsleitungen und Vogelschlag durch den Verkehr als gering bis minimal eingeschätzt. ; 2. inwieweit es zutrifft, dass auf der von der Umweltakademie veranstalteten Tagung Windkraftanlagen eine Bedrohung für Vögel und Fledermäuse? der Referent D. von mehrjährigen Beobachtungen (903 WKA-Begehungen) berichtete, wonach durchschnittlich jeweils weniger als 1 Totschlagopfer pro Jahr und Windkraftanlage bei Vögeln und Fledermäusen zu finden war; 3. ob die auf der Tagung präsentierten Zahlen, dass in den letzten zehn Jahren bundesweit nur ca. 150 Fälle von Vogelschlagopfern an Windkraftanlagen dokumentiert wurden und dass andererseits in Deutschland z. B. 5.000.000 bis 10.000.000 Vögel pro Jahr an Freileitungen verenden, den Schluss zulassen, dass Windkraftanlagen für Vögel ein vergleichsweise sehr geringes Risiko darstellen; Eingegangen: 30. 10. 2003 / Ausgegeben: 03. 12. 2003 1
4. wie es zu erklären ist, dass von der Umweltakademie über die unter 2. genannte Tagung eine Pressemitteilung mit dem Titel Windkraft oftmals tödliche Vogelfalle veröffentlicht wurde, deren Inhalt eindeutig von den auf der Tagung vorgestellten Ergebnissen abweicht; 5. durch welche Quelle folgender Satz aus dieser Pressemitteilung belegt ist: Der Wilhelmshavener Artenexperte Dr. Klaus Michael Exo beziffert die Zahl der an Land-Standorten getöteten Vögel jährlich auf fünfzig pro Anlage. ; 6. welche Zahlen der Referent Martin Weiss über die Kollisionen durch Vögel an Windkraftanlagen im Ostalbkreis vorgetragen hat, und wie das in Einklang zu bringen ist mit dem Satz der Pressemitteilung: Wie der Artenschutzexperte Martin Weiss (Kirchheim) auch am Beispiel von Windkraftanlagen im Ostalbkreis feststellte, ist die Zahl der Kollisionen durch Vögel und Fledermäuse beträchtlich. ; 7. wie es zu erklären ist, dass der Bundesverband Windenergie keine Einladung zu dieser Tagung erhielt, dass aber andererseits einem Landtagsabgeordneten der CDU im Rahmen eines Grußworts die Gelegenheit zu einer polemischen Rede gegen die Windkraftnutzung gegeben wurde, die in Aussagen gipfelte wie z. B. die, dass die Betreiber des Projektes Windkraftanlagen auf der Holzschlägermatte eine mafiöse Struktur aufwiesen. 29. 10. 2003 Dr. Witzel, Sitzmann, Boris Palmer, Walter, Dederer, Lösch GRÜNE Begründung Staatliche Akademien sollen der wissenschaftlichen Fortbildung, nicht aber der Propaganda dienen. Leider gibt es deutliche Anzeichen dafür, dass die von der Akademie für Natur- und Umweltschutz Baden-Württemberg (Umweltakademie) veranstaltete Tagung: Windkraftanlagen eine Bedrohung für Vögel und Fledermäuse? (Expertenhearing in Zusammenarbeit mit dem Naturschutzzentrum Schopflocher Alb) zur einseitigen Stimmungsmache gegen die Windkraft missbraucht wurde. Die von der Akademie am 26. September 2003 herausgegebene Presseinformation spiegelt in keiner Weise die auf der Tagung vorgestellten Ergebnisse wieder; die Pressemitteilung stellt die Windkraft als tödliche Vogelfalle dar, was im krassen Widerspruch zu auf der Tagung vorgestellten Ergebnissen steht. Diese Pressemitteilung der staatlichen Umweltakademie muss daher gesehen werden als Teil einer Anti-Windkraft-Kampagne, die mit falschen Argumenten arbeitet. Damit ergeben sich die oben genannten Fragen an die Landesregierung, die als oberster Dienstherr für die Arbeit der Akademie verantwortlich ist. 2
Stellungnahme Mit Schreiben vom 25. November 2003 Nr. 68 FGL nimmt das Ministerium für Umwelt und Verkehr im Einvernehmen mit dem Ministerium für Ernährung und Ländlichen Raum sowie dem Wirtschaftsministerium zu dem Antrag wie folgt Stellung: 1. Wie schätzt die Landesregierung die Auswirkungen von Windkraftanlagen auf die Vogelwelt ein, und inwieweit hält sie folgende Aussage in der vom Wirtschaftsministerium herausgegebenen Windfibel nach wie vor für gültig: Die Verluste durch Kollisionen mit WEA werden im Vergleich zu anderen Bauten, Hochspannungsleitungen und Vogelschlag durch den Verkehr als gering bis minimal eingeschätzt? Zu 1.: Die Diskussion über Vogelschlagverluste an Windkraftanlagen beruht auf einem Datenmaterial, das zu großen Teilen aus Zufallsfunden besteht. Systematische Erfassungen weisen die Problematik auf, dass nicht alle verunglückten Vögel aufgefunden werden, weil ein Teil entweder von Beutegreifern (z. B. Fuchs, Marder, diverse Greifvögel) entfernt oder infolge des Bewuchses (z. B. Gebüsch, Getreidefeld) übersehen wird. Der Schwund durch Beutegreifer dürfte insbesondere bei Vögeln beträchtlich sein, die während der Nacht verunglücken. Wissenschaftliche Untersuchungen, die versuchen, die Dunkelziffer der verunglückten und nicht aufgefundenen Vögel zu quantifizieren, stehen erst am Anfang. Daher ist die Schwankungsbreite der in der Fachliteratur durch Schätzung ermittelten Gesamtverluste beträchtlich. Neuere Erkenntnisse deuten auch darauf hin, dass für das von Windkraftanlagen ausgehende Vogelschlagrisiko eine differenzierte Betrachtungsweise hinsichtlich der verschiedenen Vogelarten erforderlich ist. 2. Inwieweit trifft es zu, dass auf der von der Umweltakademie veranstalteten Tagung Windkraftanlagen eine Bedrohung für Vögel und Fledermäuse? der Referent Tobias Dürr von mehrjährigen Beobachtungen (903 WKA-Begehungen) berichtete, wonach durchschnittlich jeweils weniger als 1 Totschlagopfer pro Jahr und Windkraftanlage bei Vögeln und Fledermäusen zu finden war? Zu 2.: Die rd. 900 Kontrollgänge beziehen sich auf eine seit 2001 vom Landesumweltamt Brandenburg, Staatliche Vogelschutzwarte, durchgeführte Untersuchung an 241 Windkraftanlagen in Brandenburg. Es wurden nach Angaben von Herrn Dürr bei 1,74 bis 4,99 Kontrollen pro Anlage und Jahr umgerechnet zwischen durchschnittlich 0,158 und 0,242 verunglückte Vögel pro Anlage und Jahr festgestellt. Bei Fledermäusen lag die Zahl zwischen 0,129 und 0,149. Durchschnittswerte geben keine tatsächlichen Funde pro Anlage wieder. Es handelt sich vielmehr um einen Quotienten aus der Zahl der Funde und der kontrollierten Anlagen. Herr Dürr wies auch auf eine Studie aus Sachsen (Trapp et al., 2003) hin, wonach etwa 3,4 Fledermäuse je Windkraftanlage in einem Windpark mit 10 Anlagen allein für die Zeit des Spätsommerzuges erfasst wurden. 3. Lassen die auf der Tagung präsentierten Zahlen, dass in den letzten zehn Jahren bundesweit nur ca. 150 Fälle von Vogelschlagopfern an Windkraftanlagen dokumentiert wurden und dass andererseits in Deutschland z. B. 5.000.000 bis 10.000.000 Vögel pro Jahr an Freileitungen verenden, den Schluss zu, dass Windkraftanlagen für Vögel ein vergleichsweise sehr geringes Risiko darstellen? 3
Zu 3.: Bei der Tagung hat Herr Dürr in seinem Referat Beobachtungsergebnisse über Totfunde von Vögeln und Fledermäusen an Windenergieanlagen im Inund Ausland die Menge auf 171 beziffert. Bei der Angabe von Vogelverlusten ist zu berücksichtigen, dass die Staatliche Vogelschutzwarte Brandenburg bundesweit im Auftrag der Länderarbeitsgemeinschaft der Deutschen Vogelschutzwarten Daten über an Windkraftanlagen verunglückten Vögeln und Fledermäusen sammelt. Die Datenquellen sind nach Darstellung der Vogelschutzwarte heterogen und beinhalten sowohl Zufallsfunde als auch Ergebnisse systematischen Nachsuchens an deutlich weniger als 10 Prozent der insgesamt bestehenden Windkraftanlagen. Die aktuelle Zahl beläuft sich auf 188 Funde. Von den derzeit insgesamt über 200 bekannt gewordenen Meldungen sind jedoch noch nicht alle ausgewertet. Aussagen über Dunkelziffern (vgl. Ziff. 1) sind schwer möglich. Bei der Analyse der Gefährlichkeit einzelner Bautypen von Windkraftanlagen hinsichtlich Gesamthöhe und Rotordurchmesser wurde anhand von Totfunden in Brandenburg festgestellt, dass Windkraftanlagen bei einer Bauhöhe zwischen 100 120 m 1,73 Vögel und an Anlagen zwischen 120 140 m 1,0 Vögel je Anlage und Jahr aufweisen. Bezüglich der Rotordurchmesser weisen Anlagen mit einem Rotordurchmesser von 50 59 m mit 1,62 Vögeln, gefolgt von solchen mit einem Rotordurchmesser von 60 69 m mit 1,5 Vögel pro Anlage die höchsten Fundzahlen auf. Herr Dürr hat bei der Tagung die Gefährlichkeit der Kollisionen von Vögeln mit Fahrzeugen im Straßenverkehr gegenüber Windkraftanlagen als deutlich höher bewertet. Abgesehen von einzelnen Arten und vorbehaltlich des bisher bekannten Forschungswissens sowie der derzeitigen Dichte an Anlagen im Bundesgebiet geht er von nicht bestandsbeeinträchtigenden Verlusten durch Windkraftanlagen aus. Demgegenüber wurde als gravierender eingestuft, dass durch Windkraftanlagen Vögel verscheucht werden und eine Barrierewirkung entsteht. Die Tagung hat ergeben, dass eine sichere Bewertung der Gefährdung bzw. des Risikos wegen großer Kenntnislücken noch nicht möglich ist. Grund hierfür ist auch, dass eine sichere Bewertung vor allem von folgenden Faktoren abhängt: Höhe der Anlage und Größe der Rotoren und damit der visuellen Störungen Vogelart Zugzeit (Herbst- oder Frühjahrszug von Zugvögeln) Lage und Exposition hinsichtlich des Zugvogelkorridors Ausweichreaktionen von Brut-, Gast- und Zugvögeln infolge der Scheuchund Barrierewirkung. Eine Risikominderung ist nach den Beiträgen der Tagung dadurch möglich, dass bei der Standortplanung vor allem folgende Erfordernisse berücksichtigt werden: Mindestabstände zu vogelbedeutsamen Flächen, vor allem auch nach internationalen Naturschutzabkommen bzw. überregional bedeutsamen Rastgebieten für Vögel sowie Zugkonzentrationsgebieten Abstände zu den Brut- bzw. Balzplätzen störungsempfindlicher Arten. 4
Die Tagung hat weiteren Forschungs- und Diskussionsbedarf ergeben. Somit lassen die bei der Tagung gewonnenen Erkenntnisse nicht den pauschalen Schluss zu, dass Windkraftanlagen ein sehr geringes Risiko darstellen. Die Schädlichkeit für die Vogelwelt ist dabei ohnehin nur zum geringeren Teil nach der Zahl getöteter Tiere zu bemessen, als auch der Eingriff in die Biosphäre der Vögel. Auch bei der Planung anderer großer Anlagen, wie z. B. im Straßenbau oder umgekehrt bei der Ausweisung von Vogelschutzgebieten, spielen die Eingriffe in den Lebensraum der Vögel die weitaus größte Rolle. 4. Wie ist es zu erklären, dass von der Umweltakademie über die unter 2. genannte Tagung eine Pressemitteilung mit dem Titel Windkraft oftmals tödliche Vogelfalle veröffentlicht wurde, deren Inhalt eindeutig von den auf der Tagung vorgestellten Ergebnissen abweicht? 5. Durch welche Quelle ist folgender Satz aus dieser Pressemitteilung belegt: Der Wilhelmshavener Artenexperte Dr. Klaus Michael Exo beziffert die Zahl der an Land-Standorten getöteten Vögel jährlich auf fünfzig pro Anlage? 6. Welche Zahlen hat der Referent Martin Weiss über die Kollisionen durch Vögel an Windkraftanlagen im Ostalbkreis vorgetragen, und wie ist das in Einklang zu bringen mit dem Satz der Pressemitteilung: Wie der Artenschutzexperte Martin Weiss (Kirchheim) auch am Beispiel von Windkraftanlagen im Ostalbkreis feststellte, ist die Zahl der Kollisionen durch Vögel und Fledermäuse beträchtlich. Zu 4. 6.: Die Pressemitteilung wurde von der Umweltakademie im Zuge der Vorbereitungen der Tagung auf der Grundlage des Tagungsprogramms sowie den Ergebnissen der Vorabstimmung mit den Referenten entworfen. Sie gibt die Inhalte der Tagung deshalb nur insoweit zutreffend wieder, als dies dem Wissensstand des Verfassers zum Zeitpunkt ihrer Entstehung entspricht. Davon abweichende Ausführungen während der Tagung wurden wegen der hohen Arbeitsbelastung des Verfassers nicht berücksichtigt. Die Pressemitteilung hätte in dieser Form nicht erscheinen dürfen. 7. Wie ist es zu erklären, dass der Bundesverband Windenergie keine Einladung zu dieser Tagung erhielt, dass aber andererseits einem Landtagsabgeordneten der CDU im Rahmen eines Grußwortes die Gelegenheit zu einer polemischen Rede gegen die Windkraftnutzung gegeben wurde, die in Aussagen gipfelte wie z. B. die, dass die Betreiber des Projektes Windkraftanlagen auf der Holzschlägermatte eine mafiöse Struktur aufwiesen? Zu 7.: Die Tagung war für Teilnehmer aus allen Bereichen offen. Der Bundesverband Windenergie, Landesverband Baden-Württemberg, hat mit Schreiben vom 28. August 2003 eine Einladung erhalten. Darüber hinaus hatte dessen Landesvorsitzender in seiner Eigenschaft als Unternehmer bereits am 25. Juli 2003 ein Detailprogramm angefordert und erhalten. Ein Vertreter des Bundesverbandes hat an der Sitzung teilgenommen. Die Akademie ist dem Wunsch des Landtagsabgeordneten nachgekommen, das Wort zu ergreifen. Müller Minister für Umwelt und Verkehr 5