Matthias Corvinus Str. 15 3100 St. Pölten E: inclusion@fhstp.ac.at I: http://inclusion.fhstp.ac.at Für-sorgen als Handlungspraxis von Angehörigen bei der Betreuung ihrer Eltern und Schwiegereltern 5. Forschungsforum Soziale Arbeit 22.1. 2013 Institut für Soziologie FH-Prof. Mag. Dr. Johannes Pflegerl
Ausgangslage Demografische und soziokulturelle Entwicklung Betreuung und Pflege Entwicklung der Erwerbstätigkeit Norm und Werthaltungen
Demografische Entwicklung Entwicklung der Pflegebedürftigkeit Altersgruppe 2011 Anteil an der Gesamtbevölkerung 2050 Anteil an der Gesamtbevölkerung In In % In 1000 In % 1000 60+ 1.968 23,37% 3.227 34,5% 80+ 414 4,92% 1.090 11,62% Quelle: Statistik Austria (2012): Statistisches Jahrbuch 2013
Prognose Entwicklung pflegebedürftiger Menschen 65+ Quelle Buchinger 2010: 84-86
Erwerbsprognose von Frauen Quelle: Statistik Austria (2011): Erwerbsprognose 2010
Fragestellungen Wie gehen familiäre Angehörige der Nachfolgegeneration im ländlichkleinstädtischen Kontext, die sich nicht oder nicht mehr imstande sehen, Pflege und Betreuung für ihre älteren Angehörigen vorwiegend selbst zu übernehmen, mit dieser Situation um, wenn keine anderen familiären Angehörigen vorhanden oder dazu bereit sind? Inwieweit benötigen sie über die Frage der unmittelbaren Pflege hinausgehende bzw. damit in Zusammmenhang stehende Unterstützung bei der Betreuung? Welche Unterstützungen könnten hilfreich für sie sein?
Methodisches Vorgehen Qualitativer Forschungsansatz Orientierung an zentralen Prinzipien des methodologischen Konzeptes der Grounded Theory in Bezug auf den Prozess der Datenerhebung und auswertung (zyklischer Prozess Erhebung Auswertung, theoretical sampling, beständige Kontrastierung von Daten und Analysen (Strauss/Corbin 1996) Durchführung von 10 Fallanalysen - dabei Narrative Interviews mit Angehörigen, die einen betreuungsbedürftigen (Schwieger-)Elternteil nicht oder nicht mehr vorwiegend selbst pflegen, dessen EhegattIn bereits verstorben ist oder seit längerem von ihm getrennt lebt, in einem Fall Interview mit betreuungsbedürftiger Person selbst. Datenauswertung durch themenorientiertes Codierverfahren (Froschauer/Lueger 2003) zur Analyse und Kontrastierung der erzählten Betreuungsverläufe Vertiefte Datenauswertung ausgewählter Passagen durch Feinstrukturanalysen basierend auf der Methodologie der Objektiven Hermeneutik (Oevermann et. al. 1979).
Begriff Für-sorgen Als Für-sorgen wird eine bestimmte Form des sozialens Handelns einer angehörigen Person der Nachfolgegeneration eines älteren Familienmitgliedes verstanden. Dieses resultiert aus der subjektiven Deutung dieser angehörigen Person, derzufolge das ältere Familienmitglied ein Bedürfnis nach oder einen Bedarf an spezifischer Unterstützung habe, und wird entweder durch internalisierte Normen und, Erwartungen der älteren betreuungsbedürftigen Person oder normative Erwartungen des sozialen Umfeldes wesentlich motiviert und beeinflusst. Das spezifische Handeln der angehörigen Person ist darauf hin orientiert, das subjektiv gedeutete Bedürfnis nach Unterstützung zu erfüllen oder den subjektiv gedeuteten Bedarf an Unterstützung abzudecken. (Pflegerl 2012: 117)
Heimübersiedlung Ilse Arlt Institut Deutung der Angehörigen Handeln der Angehörigen FÜR-SORGEN
Typologie von Für-sorgemotiven
Erwartungen des betreuungsbedürftigen (Schwieger-)elternteils Subjektive Wahrnehmung eines spezifischen Bedarfes an Unterstützung durch den oder die hauptverantwortlich zuständige Angehörige(n) Verhältnis und Beziehung zum betreuten (Schwieger-)elternteil Unterstützung durch weitere familiäre Angehörige und andere Personen aus dem sozialen Umfeld Einbezug professioneller Hilfe Für-sorgepflicht Für-sorgen phasenspezifisch Belastung Stresserleben Motive Reziprozität Familienkontinuitätsbewahrung Vertragstreue Gehorsam Konformität Vermehrtes Sich Kümmern Betreuungsverantwortungswahrnehmung im Lebensumfeld des älteren Familienmitgliedes Betreuungsverantwortungswahrnnehmung im Heim des älteren Familienmitglileds Konzentration auf emotionale Betreuung des älteren Familienmitglieds Sehr niedrig Grad Sehr hoch Normative Erwartungen des sozialen Umfelds Berufstätigkeit des oder der hauptverantwortlich zuständigen Angehörigen Aspekte der Wohnsituation Bewältigungsstrategien des oder hauptverantwortlich zuständigen Angehörigen Strukturelle Rahmenbedingungen in denen Für-sorge stattfindet Organisation und Gestaltung der Pflegevorsorge in Österreich und daraus resultierendes Angebot Gesellschaftliche Werthaltungen zu Fragen der Betreuung und Pflege in Österreich
Soziale Arbeit und Pflegeunterstützung Fallübergreifend lässt sich ableiten, dass Hilfe vor allem dann angebracht zu sein scheint, wenn Angehörige an Grenzen der Bewältigung der Pflegesituation und der damit einhergehenden Anforderungen stoßen. Soziale Arbeit könnte adäquate Unterstützungsleistungen anbieten, weil es zum professionellen Selbstverständnis Sozialer Arbeit selbstverständlich dazu gehört, Hilfestellungen zu gewähren, wenn einzelnen, Gruppen oder dem Gemeinwesen die Alltagsbewältigung mit eigenen Mitteln und anderen vorhandenen gesellschaftlichen Ressourcen nicht gelingt (Österreichischer Berufsverband der SozialarbeiterInnen 2004: Berufsbild der SozialarbeiterInnen, Punkt 1.1)
Erweiterte Betrachtung der Betreuungs- und Pflegesituation älterer Menschen Quelle: Pflegerl 2011
Soziale Arbeit und Pflegeunterstützung Soziale Arbeit ist im Kontext der Arbeit mit älteren Menschen und deren Angehörigen allerdings nicht etabliert und nimmt dort nur eine marginale Randstellung ein. Sichtbarer vertreten mit explizitem Auftrag, Angehörigenarbeit durchzuführen, ist die Profession im Bereich des Hospizwesens und im Bereich von Palliative Care. In diesem Kontext ist die Profession Soziale Arbeit konzeptuell Teil eines multidisziplinären Teams.
Schwerpunkte sozialarbeiterischen Handelns in Palliative Care Beratung, Information und psychosoziale Begleitung von PatientInnen und Angehörigen Ressourcenmanagement und Empowerment (Stärkung der Handlungsfähigkeit der Betroffenen) Netzwerkarbeit und Case-Management (inkl. Schnittstellenfunktion) Förderung der Kommunikation unter allen Beteiligten (PatientInnen, Angehörige sowie beruflich Handelnde) Krisenintervention und Unterstützung bei der Konfliktbewältigung Unterstützungsangebote für Trauernde Vermittlungs- und Koordinationstätigkeiten Koordination von ehrenamtlichen Diensten Quelle: Dachverband Hospzi z Österreich (1993): Standards Sozialarbeit im Bereich Palliative Care.
Mögliche Ansatzpunkte spezfische Interventionsformen zur Stärkung des sozialen Netzwerkes der Angehörigen Netzwerkarbeit für Angehörige Family Group Conference Interventionsformen des Empowerment unter Einbezug aller familiären Angehörigen der hauptsächlich Für-sorgenden Gemeinwesenorientierte Interventionsformen zur Unterstützung von Betreuung und Pflege älterer Menschen
Resümee Auch jene Angehörige, die große Teile der erforderlichen Pflegetätigkeiten delegieren, engagieren sich in einem vergleichbaren Maß in der Betreuung, wenn auch in anderer Form. Der Begriff pflegende Angehörige ist zu eng gefasst, um die Vielfalt intergenerationeller Unterstützung im Fall der Bedürftigkeit der eigenen (Schwieger-)Eltern adäquat zu fassen. Soziale Arbeit scheint von ihrem professionellen Selbstverständnis prädestiniert zu sein, Unterstützungsleistungen für Angehörige zu erbringen, die an die Grenzen der Bewältigung der Betreuungssituation und den damit einhergehenden Anforderungen stoßen. Denkbar wären in diesem Zusammenhang Anleihen, z.b. aus dem Bereich von Palliative Care zu nehmen, in dem Soziale Arbeit als ein integrativer Bestandteil einer umfassenden Betreuung von sterbenden Menschen und deren Angehörigen verstanden und realisiert wird.
Literatur Buchinger, Clemens (2010): Prognose der österreichischen Altenpflegekosten bis zum Jahr 2030. Wirtschaftsuniversität. Dissertation Froschauer, Ulrike/Lueger, Manfred (2003): Das qualitative Interview. Zur Praxis interpretativer Analyse sozialer Systeme. Wien Oevermann, Ulrich u. a. (1979): Die Methodologie einer "objektiven Hermeneutik" und ihre allgemeine forschungslogische Bedeutung in den Sozialwissenschaften. In: Soeffner, Hans-Georg (Hrsg.): Interpretative Verfahren in den Sozial- und Textwissenschaften. Stuttgart, 352-434. Pflegerl, Johannes (2011): Pflegebegleitende Sozialarbeit mit Älteren und deren Angehörigen. In: beziehungsweise - Informationsdienst des Österreichischen Instituts für Familienforschung, (September 2011), 4-7. Pflegerl, Johannes (2012): Für-sorgen als Handlungspraxis von Angehörigen bei der Betreuung ihrer Eltern und Schwiegereltern. Universität Wien. Dissertation Statistik Austria (2012): Statistisches Jahrbuch 2013. Wien Strauss, Anselm L./Corbin, Juliet (1996): Grounded Theory: Grundlagen qualitativer Sozialforschung. Weinheim