Mehrsprachiges Repertoire und rezeptive Kompetenzen. Theorie, empirische Forschung und mögliche Konsequenzen für die Praxis



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Transkript:

Mehrsprachiges Repertoire und rezeptive Kompetenzen. Theorie, empirische Forschung und mögliche Konsequenzen für die Praxis Raphael Berthele www.unifr.ch www.institut-mehrsprachigkeit.ch

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Nicht bloss aber die Elemente einer Sprache, sondern auch mehrere unter einander stehen unter Gesetzen einer gemeinschaftlichen Analogie. Dies kann auch der oberflächlichen Beobachtung nicht entgehn, und es ist eine bekannte Erfahrung, dass wer einmal mehrere Sprachen gründlich erlernt hat, sich in eine neue nicht nur mit Leichtigkeit einstudirt, sondern auch, dem eigentlichen Erlernen mit seinem einmal geübten Sprachgefühl vorausgehend, ihre Eigenthümlichkeiten schon auf halbem Wege erräth. Humboldt 1908: 600

Plan 1. Kontext/Theorien/Ansätze 1. Kontrastivität und Sprachunterricht 2. Mehrsprachigkeitskonzept als kopernikanische Wende? 3. Forschungsdesiderate und -fragen 2. Empirische Evidenz 1. Wörter verstehen: Individuelles mehrsprachiges Repertoire und Interkomprehensionsfähigkeiten 2. Sätze verstehen: Welche Kontraste sind schwierig in DaF? 3. Sätze verstehen II: Individuelles mehrsprachiges Repertoire und Verstehensleistungen in DaF 3. Diskussion

1.1 Kontrastivität und Sprachunterricht

Kontrastivität I: Therapie von Defiziten Girard 1821 Zehetner 1977

Kontrastivität II: Schwierigkeiten vorhersehen In nahe verwandten L nur das unterrichten, was anders ist Nahverwandte Sprachen: leicht zu rezipieren, schwer zu produzieren (Kloss 1929) contrastive analysis hypothesis: «in the comparison between native and foreign language lies the key to ease or difficulty in foreign language learning.» (Lado 1957: 1) Neuere Forschungen zu Rezeption und sprachl. Distanz/Nähe: Lutjeharms 2002, Marx 2012, Möller 2011, Gooskens et al. 2011,

Kontrastivität III: Didaktik Mehrsprachige Explosion [ ] dass man, wenn man mehrere Sprachen lernt, nicht jedes Mal sozusagen bei Null anfängt (Neuner 2003: 16) Schweiz: frühe FS beginnen in der 5./7. Klasse, trotzdem in der 11. gleiche Kompetenzen erwartet: «En 11e année, les compétences fondamentales pour les deux langues étrangères se situent au même niveau. La progression plus rapide des apprentissages dans la deuxième langue étrangère, par comparaison avec la première, s explique par le fait que celle-ci peut bénéficier des compétences acquises dans la première langue étrangère.» CDIP/EDK 2011:6

1.2 Mehrsprachigkeitskonzept als kopernikanische Wende?

Neuartiges Konzept von Mehrsprachigkeit (Neuner 2003: 16) dass man, wenn man mehrere Sprachen lernt, nicht jedes Mal sozusagen bei Null anfängt, sondern dass der vorhandene Sprachbesitz durch jede neue Sprache immer mehr erweitert wird, dass man nicht in jeder neu zu erlernenden Sprache das Ideal der near nativeness erreichen muss und dass das Kompetenzniveau und das Sprachprofil in den einzelnen Sprachen, die man erlernt, sehr unterschiedlich sein kann Zusätzliche Dynamik beim mehrsprachigen FS- Lernen: M-Factor (Herdina/Jessner 2002)

Induktion, «entdeckendes Lernen» Sprachbewusstheit durch Vergleichen von L1 und L 2 und Besprechen der Wahrnehmungen fördern: Beispiele: Was ist ähnlich? Wo kann man anknüpfen? Was ist ganz anders? Wo gibt es Fallen (Interferenzen)? Was ist an der neuen Sprache merkwürdig? [ ] Dieses lernerorientierte, induktive vergleichende Verfahren der Spracharbeit [ ] ist etwas ganz anderes als das traditionelle Grammatikpauken [ ]. Neuner 2003: 22f. Lust am Entdecken der Welt der Sprachen, Lernerautonomie Vgl. «Inferencing» in der SLA-Forschung (Carton 1971).

Schw. Norw. Dän. Isl. Engl. Nl. Dt. höra høre høre heyra hear horen hören EuroComGerm (Hufeisen/Marx 2 2014)

1.4. Forschungsdesiderate und -fragen

Forschung: Desiderata Mehrsprachigkeitskonzept: Programmatischer Charakter vs. empirische Evidenz Kokettieren mit dem Komplexitätsbegriff vs. Komplexität erforschen Rezeptive Fertigkeiten - sprachenbezogene Varianz: Welche Strukturen sind einfach zu transferieren/erschliessen/verstehen(/ induzieren )? Welche Rolle spielen welche bereits gelernten Elemente in Sprachen beim Erschliessen? Inwiefern spielen welche interlingualen Kontraste/ Entsprechungen eine Rolle? Rezeptive Fertigkeiten - versuchspersonenbezogene Varianz: Welche Sprachen werden wie aktiviert beim mehrsprachigen Sprachenlernen? Wer kann besonders gut erschliessen? Zusammenspiel verschiedener personenbezogener Faktoren? Didaktik: Kann bzw. muss der Gebrauch des mehrsprachigen Repertoires didaktisch stimuliert werden? Wenn ja: wie?

Beispiele Inferieren von Wörtern Was bedeutet das dänische Verb skrive? schreiben, von ital. scrivere Was bedeutet das dänische Verb blive? bleiben ; im Spanischen sind v+b oft gleich ausgesprochen [ ] also BLIBE -> 'bleiben'

cf. Berthele 2011 Deduction Induction Abduction Germanic intervocalic /v/-> High German /b/ Interlingual correspondence Germanic-High German: /b/-/v/ In Spanish, <v> and <b> are pronounced alike Dan. /blive/ falls under this rule /blive/-/bleiben/ is a case just like this I speculate that blivebleiben is a case of a general sound law that links /b/ and /v/ Germ. cognate must be /bliben/->/bleiben/ German b- often corresponds to Germanic <v> or <f>: have-haben, halfhalb, /blive/ - reminds me of /bleiben/

2.1. Wörter verstehen: Individuelles mehrsprachiges Repertoire und Interkomprehensionsfähigkeiten Swiss National Science Foundation project Multilingualism across the lifespan, (CRSI11_130457, PI R. Berthele) vgl. Berthele 2008, 2010a und b, 2011, Berthele/Lambelet 2009, Berthele/Vanhove 2014, Vanhove/Berthele in press a, b

N=159 zwischen 10 und 86 J. alt. DeutschschweizerInnen Lexikalisches Inferieren (Berthele/Vanhove 2014, Vanhove/Berthele in press a und b) Alle mindestens 4 Sprachen (Alemannisch, Standard-DE, Französisch, Englisch) Unabhängige Variablen: Alter Fragebogen zum ind. Sprachenprofil Englischtest Working Memory (BWDS) Intelligenz fluid (Raven Matrices) Intelligenz kristallisiert (WST) Abhängige Variable: 2 x 45 schwedische Wörter (lesen, hören) übersetzen

Alterstrends (cf. Berthele/Vanhove, 2014)

Geschriebene Stimuli: Faktoren Lineares Regressionsmodell (mit Zufallsefekten) Kristallisierte Intelligenz Englisch # Sprachen im Repertoire

Gesprochene Stimuli: Faktoren Lineares Regressionsmodell (mit Zufallsefekten) Fluide Intelligenz Kristallisierte Intelligenz Englisch

Intelligenz und Lebensspanne Kristallisiert vs. fluide

Fazit personenbezogene Varianz Intelligenz: Unterschiede in kristallisierter I immer wichtig, Unterschiede in fluider I nur in gesprochener Modalität Repertoire: Anzahl Sprachen spielt eine gewisse Rolle (ML Aptitude?) Englisch nützlich für germanische Zielsprachen Alter: Geschrieben: anhaltend hohe Kompetenzen ab 30, wichtige Ressource: Kristallisiertes Wissen (WST, Englisch, Sprachen allgemein) Gesprochen: Abnahme ab 50, wahrscheinlich wegen kognitiver Mechanik Interlinguale Inferenzen: einfach für die kognitiv reifen Reichen ; potenziell frustrierend für Junge/Kinder

2.2. Sätze verstehen: Welche Kontraste sind schwierig in DaF? Rezeptive Grammatik des Deutschen als Fremdpsrache. (SNF PP001 106634, PI Berthele, Irmtraud Kaiser, Elisabeth Peyer) Kaiser&Peyer. 2011, Kaiser, Peyer & Berthele 2012

Rezeptive Grammatik DaF Forschungsfrage: Welche grammatischen Strukturen sind für LeserInnen von DaF schwierig/nicht schwierig? Rolle der Grammatik beim Leseverstehen von komplexen deutschen Texten (DaF) Rolle der individuellen Kompetenzprofile beim Lesen in DaF. 1. Qualitative Vorstudien und Literaturanalyse: Was wird als schwierig eingeschätzt/wahrgenommen? 2. Konstruktion eines Instrumentes Quantitative Erhebung Texte: Pseudo-enzyklopädische Beschreibungen imaginärer Tiere; Flundodil und Humpfhorn L1: IT, FR; L2: ENG; N=506 3. Qualitative Nacherhebung (Verbalprotokolle)

Beispiel: Humpfhorn 1) Le humpfhorn peut voler. v f

OVS vs. SVO Syntax Einen Boren fressen Flundodile gern. 33% vs. 16% Fehlerquote: ** Flundodile fressen gern einen Boren.

Satzklammern Das Humpfhorn hat nach neuesten Forschungen für einige hundert Jahre auch in Europa gelebt. 27% vs. 26% Fehlerquote: n.s. Das Humpfhorn lebte nach neuesten Forschungen für einige hundert Jahre auch in Europa.

Linksattribute Das auffälligste Merkmal des Humpfhorns ist sein am Ende des Rückens befindliches spitzes Horn. 21% vs. 14% Fehlerquote: ** Das auffälligste Merkmal des Humpfhorns ist sein spitzes Horn, das sich am Ende des Rückens befindet.

Zielstruktur alternative Struktur Fehlerquote p erweitertes Relativsatz 21.3% : 14% <.001 Linksattribut OVS-Struktur SVO-Struktur 33% : 16.2% <.001 Konditionalgefüge ohne Subjunktor Subjektsatz ohne es Resultate: Überblick (Lmer, Mixed M.), Random factor: Participants; link: logit Konditionalgefüge mit Subjunktor 34.1% : 28.4%.0164 Subjektsatz mit es 26.9% : 22%.0253 werden -Passiv Aktiv 16.2% : 12.7%.0252 VSO-Struktur SVO-Struktur 11.2% : 8.8% n.s. Satzklammer ohne Satzklammer 26.8% : 25.5% n.s.

Rolle des Englischen im mehrsprachigen Repertoire correct.com prehension 0.75 0.80 0.85 0.90 correct.com prehension 0.75 0.80 0.85 0.90 Linear mixed model analysis (logit) Random Factors: Versuchspersonen, Items Abhängige Variable: Korrektes Verstehen des Items Unabhängige Variablen: Sprachkompetenzen EN, DE Haupteffekte für EN, DE 1 2 3 4 5 6 GE_proficiency 1 2 3 4 5 6 EN_proficiency

Rolle des Englischen im mehrsprachigen Repertoire correct.comprehension 0.5 1.0 1.5 2.0 2.5 3.0 1 3 4 5 6 EN.proficiency Zusätzlich: Interaktion DE x EN auf tiefen DE Niveaus hilft EN stark auf hohen DE Niveaus wesentlich weniger (Peyer/Kaiser/Berthele 2010) 1 2 3 4 5 6 7 GE.proficiency

Fazit Projekt Rezeptive Grammatik Kontraste/spezifisch Deutsch : nicht unbedingt = schwierig (Beispiel Satzklammer) Englisch hilft auf tiefen DE-Niveaus Reine Lesegrammatiken könnten auf gewisse Strukturen verzichten Weitere Merkmale oft entscheidender (semantische/syntaktische Komplexität durch NS, seltene Funktionswörter, )

Diskussion I Interlinguale Inferenzen sind alltäglich schlecht erforscht psycholinguistisch interessant (fremdsprachen-)didaktisch relevant Rezeption: Eigene Logik; verdient, separat betrachtet zu werden Kontrastivität: Kontraste (formal/grammatisch, typisch Deutsch ) müssen nicht schwierig sein Kontraste lexikalisch (Kognate): deutlicher Effekt der ling. Distanz auf spontane Verstehensleistungen

Diskussion II Bedeutung für die FS-Praxis? Induktion ist in Wahrheit oft Abduktion Erfolg der Abduktion ist Funktion von Vorwissen Rezeptive Mehrsprachigkeit (ohne Anleitung): einfacher für die Mehrsprachigen, Älteren, Gebildeten, Sprachbegabten Didaktik der Mehrsprachigkeit interlinguales Entedecken didaktisch vermitteln? Oder automatischer Prozess, wenn Repertoire genügend gross ist? Exzessiv konstruktivistische Ansätze bergen m.e. Gefahr, die Reichen reicher zu machen

Tagesanzeiger vom

Nicht bloss aber die Elemente einer Sprache, sondern auch mehrere unter einander stehen unter Gesetzen einer gemeinschaftlichen Analogie. Dies kann auch der oberflächlichen Beobachtung nicht entgehn, und es ist eine bekannte Erfahrung, dass wer einmal mehrere Sprachen gründlich erlernt hat, sich in eine neue nicht nur mit Leichtigkeit einstudirt, sondern auch, dem eigentlichen Erlernen mit seinem einmal geübten Sprachgefühl vorausgehend, ihre Eigenthümlichkeiten schon auf halbem Wege erräth. Humboldt 1908: 600

Diskussion III - Sprachenpolitische Relevanz Polyglotter Dialog, Interkomprehension Weg zur Aufwertung von nicht-englischen Sprachen Potenzial v.a. in institutionellen Kontexten Potenzial des schnellen Zugriffs auf authentische Texte (LV) Besonders auf höheren Leistungsniveaus, Gymnasium Unklar, wann und wie weit rein rezeptive Kompetenzen ausreichen: aus Sicht derjenigen, die Status einer Sprache verteidigen aus Sicht der Lernenden Mehrsprachiges Repertoire: Forschungspotenzial und Platz für didaktische Innovationen