Sucht im Betrieb Aktueller (arbeits-) rechtlicher Rahmen



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Sucht im Betrieb Aktueller (arbeits-) rechtlicher Rahmen Stand 11/2014 zusammengestellt von Dr. Elisabeth Wienemann in Zusammenarbeit mit RA Rolf Schaefer Fachtagung der NLS am 20.11.2014 in Hannover 1

Betriebliche Suchtprävention + Suchthilfe 1. Struktur und rechtliche Einordnung 2

Betrieblichen Suchtprävention im Gesundheitsmanagement ab 2000: Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) Arbeitsschutz 1884 Unfallversicherungsgesetz 1905 Unfallverhütungsvorschriften 1911 RVO 1973 Arbeitssicherheitsgesetz 1996 Arbeitsschutzgesetz (ergänzt 2013) Arbeitgeber-/Arbeitnehmerpflichten Prävention von Gefährdungen für das Leben und die phys. + psychische Gesundheit Sozialberatung Suchtprävention 1890-1910 Alkoholprävention im Betrieb 1904 Betriebsfürsorge Betr. "Vertrauenspers." 1947 USA betriebliche Alkoholprogramme 1972 EAP-Programme ab 1975 BRD Alkoholprogramme in Betrieben ab 1995 Betriebliche Suchtpräventionsprogramme 2006 Qualitätsstandards DHS 2013 sucht-am-arbeitsplatz.de Gesundheitsförderung BGF 1986 Ottawa Charta ab 1988 BRD Betriebliche Gesundheitsförderung 1997 Luxemburger Deklaration seit 1998 Verhältnis- + Verhaltensprävention Gesundheitszirkel Gesundheitstage u.a. 2000 Unterstützung Krankenkassen: 20 SGB V Unfallkassen SGB VII Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) 2004 SGB IX 84 Abs. 2 2004 Nichtraucherschutz 5 Arbeitsstättenverordnung seit 2007 Nichtraucherschutzgesetze der Länder 2006 Allgemeines Gleichstellungsgesetz 2007 Rentenalter 67 Bewältigung des Demografischen Wandels 2013 Vorlage im Bundesrat "Anti-Stress-Verordnung" 3

Betriebliches Suchtpräventionsprogramm Gesamtkonzept im Überblick Steuerungsgremium Arbeitskreis Suchtprävention / Gesundheit Festlegung der Ziele des Suchtpräventionsprogramms Abstimmung, Weiterentwicklung, Evaluation / Controlling der Umsetzung Entwicklung einer Betriebs- / Dienstvereinbarung, des Interventionsleitfadens Einrichtung einer internen Suchtberatung / Ansprechperson Einbindung in das Gesundheitsmanagement / Gesundheitsförderung Vorbeugung Information Aufklärung Gesundheitskompetenz Intervention Qualifizierung und Beratung von Personalverantwortlichen Beratung und Hilfeangebote Betriebliches Unterstützungssystem Qualitätssicherung _ Interne und externe Vernetzung 4

Rechtsbereiche der betrieblichen Suchtprävention Sozialrecht Sozialgesetzgebung SGB I-IX Fürsorgepflicht des Arbeitsgebers Unfallversicherung Krankenbehandlung Rehabilitation/Reha-Zuweisung Entwöhnungstherapie Eingliederungsmanagement 84 Abs. 2 SGB IX Gesundheitsförderung, Prävention Rechtsprechung Arbeitsrecht Kollektives Arbeitsrecht Tarifvertragsgesetz - Tarifverträge Betriebsverfassungsgesetz BetrVG Betriebsvereinbarungen Individuelles Arbeitsrecht Arbeitsvertrag Kündigungsschutzgesetz Arbeitsvertragsrecht Arbeitsschutzrecht Arbeitsschutzgesetz - ArbSchG Arbeitssicherheitsgesetz ASiG Berufsgenossenschaftliche Vorschriften Rechtsbereiche der betrieblichen Suchtprävention Grundgesetz GG GG Art. 2 Abs. 1 Freie Entfaltung der Persönlichkeit GG Art. 2 Abs. 2 Recht auf körperliche Unversehrtheit AGG 1 Behinderung Strafrecht 203 Schweigepflicht Beamtenrecht Beamtenstrukturgesetz 2009 Disziplinarordnungen B/L Beihilferegelungen Bürgerliches Gesetzbuch BGB 611 ff. Sorgfaltspflicht - Erbringung der vereinbarten Leistung 618 Pflicht zu Schutzmaßnahmen BAG v 12.8.2008 9 AZR 1117/06 622 Kündigungsfristen Entgeltfortzahlungsgesetz ggf. Kündigungsschutzgesetz - KSchG 5

Rechtsgrundsätze der betrieblichen Suchtprävention Grundgesetz Artikel 2 (1)Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. (2)Jeder hat das Recht auf Leben undkörperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden. 6

7 und 15 DGUV V1 Gefährdung durch Rauschmittel + Medikamente Entfernung vom Arbeitsplatz Ordnung des Betriebes generelles / relatives Alkoholverbot Ahndung von Verstößen Kontrolle / Tests illegale Drogen generelles Verbot Anzeigepflicht Rauchverbot Suchtkontrolle Eingriffe in die freie Entfaltung der Persönlichkeit und das Recht auf körperliche Unversehrtheit Im Beschäftigungsverhältnis Diagnosen, Behandlungsschritte nein Prognosen zum Krankheitsverlauf ja Entbindung von der Schweigepflicht Bei Einstellung Fragen nach Eignung für den Arbeitsplatz Fragen nach dem Gesundheitszustand frühere Erkrankung nein akute Erkrankung - ja Fragen nach Suchtmittelkonsum Test, Screening Punktekonto in Flensburg 7

Betriebliche Suchtprävention + Suchthilfe 2. Rechtliche Pflichten im Arbeitsschutz 8

Arbeitgeber-/ Arbeitnehmerpflicht im Arbeitsschutz 7 Befähigung für Tätigkeiten (2) Der Unternehmer darf Versicherte, die erkennbar nicht in der Lage sind, eine Arbeit ohne Gefahr für sich oder andere auszuführen, mit dieser Arbeit nicht beschäftigen. BGV A1 GUV V A1 DGUV V1 15 Allgemeine Unterstützungspflichten und Verhalten (2) Versicherte dürfen sich durch den Konsum von Alkohol, Drogen oder anderen berauschenden Mitteln nicht in einen Zustand versetzen, durch den sie sich selbst oder andere gefährden können. (3) Absatz 2 gilt auch für die Einnahme von Medikamenten. 9

Akute Beeinflussung durch berauschende Mittel - Verfahren bei Verstoß gegen die Arbeitssicherheit Bei Verdacht, muss die Führungskraft entscheiden, ob der/die Beschäftigte einsatzfähig ist. Die Führungskraft ist gehalten, auch den Hinweisen aus dem Mitarbeiterkreis nachzugehen. Kriterium zur Entfernung vom Arbeitsplatz ist die allgemeine Lebenserfahrung und der Beweis des ersten Anscheins. Die Führungskraft zieht mindestens eine Person hinzu (Beweishilfe). Der/die Beschäftigte erhält die Möglichkeit, den Gegenbeweis zu erbringen (ärztliche Untersuchung innerhalb von 2 Stunden). Wird der/die Beschäftigte nach Hause entlassen, trägt der Arbeitgeber die Verantwortung für den sicheren Heimweg. Bei Verstoß gegen die arbeitsvertraglichen Pflichten, hat der/die Betroffene die Kosten für den Heimtransport zu tragen besteht kein Anspruch auf Arbeitsentgelt. 10

Betriebliche Suchtprävention + Suchthilfe 3. Rechtlicher Rahmen und Voraussetzungen für - präventive / frühe - Interventionen 11

Intervention durch Personalverantwortliche Intervention ethisch = Teil der Fürsorgepflicht rechtlich = Eingriff in die Intimsphäre Schutz der Persönlichkeitsrechte muss in der Suchtprävention und Suchthilfe im Betrieb gewährleistet bleiben. 12

Rechtlich korrekter Sprachgebrauch der Suchthilfe Handlung prägender Umgang mit Begriffen riskanter Konsum, riskantes Verhalten nicht "Missbrauch" schädigender Konsum, exzessives Verhalten nicht "Missbrauch" Suchtgefährdung nicht "Suchtkrankheit" nicht "Abhängigkeit" Achtung: Keine Diagnosen im Betrieb! Der Arbeitgeber ist für die Behauptung, ein Arbeitnehmer sei alkoholabhängig... 13 darlegungs- und beweispflichtig (LAG Hamm 18.02.2005-10 Sa 1524/04).

Interventionsleitfaden für Personalgespräche bei Auffälligkeiten Fürsorgegespräch persönliche, soziale oder gesundheitliche Probleme werden am Arbeitsplatz sichtbar vertrauliches Gespräch: Sorge um weitere Entwicklung Kein Disziplinarcharakter, Fürsorge, Unterstützungsangebot Rückmeldegespräch vereinbaren Klärungsgespräch Klärungsgespräch bei wiederholten Verletzungen arbeitsvertraglicher Pflichten Führungskraft kann Zusammenhang mit Substanzgebrauch nicht (sicher) herstellen Gesprächsnotiz Rückmeldegespräch vereinbaren Stufengespräche Verletzungen arbeitsvertraglicher / dienstrechtlicher Pflichten in Verbindung mit riskantem Konsum oder Suchtproblemen In fünf Schritten: Veränderung des Verhaltens u. Beratung Hilfeangebote und Sanktionen 14

Stufenplan bei sucht-mittel-bedingten Auffälligkeiten 1. Stufe - Veränderung anregen MA + Vorgesetzte/r 2. Stufe - Veränderung dringend empfehlen 3. Stufe - Ver. einfordern 4. Stufe 5. Stufe Rückmeldung Hilfeangebot MA + Vorgesetzte/r + BR/PR /SchV Rückmeldung Hilfeangebot + Auflage ggf. Sanktionen MA + Vorgesetzte/r + BR/PR/SchV + Pers.abt. Rückmeldung Hilfeangebot + Auflagen + Abmahnung I Fallbegleitung MA + Vorgesetzte/r + BR/PR/SchV + Personalabteilung Rückmeldung Hilfeangebot + Auflagen + Abmahnung II Fallbegleitung MA + Vorgesetzte/r + BR/PR/SchV + Personalabteilung Rückmeldung + Einleitung der Kündigung + Hilfeangebot ggf. Wiedereinstellungs-Angebot BEM 15

Betriebliche Suchtprävention + Suchthilfe 4. Kündigungen in Verbindung mit betrieblichen Interventionen 16

Wiederaufnahme des Konsums nach Therapie (Rückfall) im Arbeitsrecht im Beamtenrecht Fürsorgepflicht Hilfeangebot Aufforderung sich in Behandlung zu begeben Disziplinarverfahren nach Bundes- und Landesrecht Vorermittlung Verweis Entfernung aus dem Dienst Kündigung Entfernung aus dem Dienst Verhaltensbedingte Kündigung Abmahnungen Abmahnung des Verstoßes gegen arbeitsvertragliche Pflichten Weitere Abmahnung/en Kündigung außerordentliche, fristlose Kündigung fristgerechte Kündigung Personenbedingte Kündigung krankheitsbedingte Kündigung: fortgesetzte Minderleistung negative Prognose kein alternativer Arbeitsplatz wird Alkoholkrankheit als Grund genannt, ist der Arbeitgeber beweispflichtig 17

Kündigung bei Sucht(mittel)auffälligkeiten 626 BGB außerordentliche 2 Wochen-Frist 623 BGB Schriftform Klagefrist für Arbeitnehmer 3 Wochen 1 KSchG ordentliche fristgerechte Verhaltensbedingter Grund schuldhafte Verletzung der arbeitsvertraglichen Pflichten Voraussetzung: i.d.r. Abmahnung Dokumentations-, Hinweisund Warnfunktion (ggf. mit sozialer Auslauffrist) Personenbedingter Grund Arbeitsleistung kann (z.b. krankheitsbedingt) nicht mehr erbracht werden. Voraussetzungen: > Negative Prognose > Beeinträchtigung betrieblicher Interessen und unzumutbare Belastung > Interessenabwägung, Zuweisung eines anderen Arbeitsplatzes nicht möglich 18

"Wiederaufnahme des Konsums" nach Therapie "Wiederaufnahme des Konsums" ist - fachlich gesehen - nicht immer ein Rückfall einmaliger "Unfall" oder "Vorfall im Genesungsverlauf" Rückfall erst bei Wiederaufnahme des alten Konsummusters Rechtsprechung teilweise: Rückfall nach Therapie begründet Selbstverschulden d.h. gegebenenfalls Keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall / bei Therapien Negative Prognose = Erleichterung personenbedingter Kündigung von Arbeitnehmern Verstoß gegen dienstrechtliche Pflichten bei Beamten = Disziplinarverfahren > Entfernung aus dem Dienst > Entfall der Ruhestandsbezüge 19

Betriebliche Suchtprävention + Suchthilfe 5. Betriebliche Wiedereingliederung 20

Verschiedene Eingliederungsverfahren Konfliktprävention 84 Abs. 1 SGB IX Ziel: beim Eintreten von personen-, verhaltens-oder betriebsbedingten Schwierigkeiten, für Arbeitgeber verpflichtend, für schwerbehinderte Beschäftigte und Gleichgestellte. Eingliederungsmanagement 84 Abs. 2 SGB IX Ziel: Prävention von erneuter Erkrankung, Erhalt des Arbeitsplatzes, Voraussetzung: mind. 6 Wochen im letzten Jahr krankheitsbedingt abwesend, für Arbeitgeber verpflichtend, für Beschäftigte freiwillig. Stufenweise Wiedereingliederung Hamburger Modell 74 SGB V Bei fortgesetzter Krankschreibung: Arbeitserprobung am Arbeitsplatz, Arzt, Arbeitgeber, Krankenkasse und Arbeitnehmer/in müssen einverstanden sein. Betrieblich vereinbarte Wiedereingliederung Absprachen, Rückfallvorbeugung, Reintegration in das Team Eine Wiedereingliederung am Arbeitsplatz kann nur durch Betriebs-/ Dienstvereinbarung verbindlich gemacht werden! 21

Wiedereingliederung 1 Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) 84 Abs. 2 SGB IX Prävention (2) Sind Beschäftigte innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig,klärt der Arbeitgebermit der zuständigen Interessenvertretung (...), bei schwerbehinderten Menschen außerdem mit der Schwerbehindertenvertretung, mit Zustimmung und Beteiligung der betroffenen Person die Möglichkeiten, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann (betriebliches Eingliederungsmanagement). Soweit erforderlich wird der Werks-oder Betriebsarzt hinzugezogen. Die betroffene Person oder ihr gesetzlicher Vertreter istzuvor auf die Ziele des betrieblichen Eingliederungsmanagementssowieauf Art und Umfang der hierfür erhobenen und verwendeten Datenhinzuweisen. Wegen der geringen gesetzlichen Regelungstiefe haben hier Betriebs-bzw. Dienstvereinbarungeneine besondere Bedeutung. 22

Wiedereingliederung bei Krankheit 2 (Hamburger Modell) 74 SGB V Stufenweise Wiedereingliederung Kranke Beschäftigte nehmen während einer Krankheits-und/oder Reha-Phase die bisherige Tätigkeit schon teilweise wieder auf. Umfang und Stufung empfiehlt der behandelnde Arzt. In dieser Zeit bleibt die Arbeitsunfähigkeit bestehen. Nach einem vom behandelnden Arzt oder der Klinik vorgeschlagenen Stufenplan wird die erkrankte Person schrittweise an die Belastungen des alten Arbeitsplatzes herangeführt. Behandelnde/r Arzt/Ärztin, Beschäftigte/r Krankenkasse Arbeitgeber müssen zustimmen 23

Wiedereingliederung 3 (Betriebs-/Dienstvereinbarung) Betriebsvereinbarung: Wiedereingliederung Unmittelbar vor oder nach Abschluss einer Therapie führt der/die Vorgesetzte zusammen mit der internen Beratung bzw. der Fallmanager/in mit der betroffenen Person ein Gespräch, in dem es um die Möglichkeiten für eine erfolgreiche Wiedereingliederung am Arbeitsplatz geht. Ein Vertreter des Betriebsrats, bei Schwerbehinderten auch die Schwerbehindertenvertretung oder eine andere Person des Vertrauens können am Gespräch teilnehmen. Gegebenenfalls sind für die Wiedereingliederung noch weitere Fachkräfte oder Mitglieder des Eingliederungsteams hinzuzuziehen. Die gesetzlichen Ansprüche bleiben von dieser Regelung unberührt. Das Verfahren kann auf diesem Weg für suchtgefährdete und kranke Beschäftigte wie für den Arbeitgeber verbindlich gemacht werden. 24

Betriebliche Suchtprävention + Suchthilfe 6. Persönlichkeitsrechte im Hinblick auf Beratung, Selbsthilfe und Therapie und Schweigepflicht 25

Persönlichkeitsrechte der ArbeitnehmerInnen Die persönliche Beratung, das Aufsuchen einer Beratungsstelle oder die Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe unterliegen dem Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Arbeitgeber kann Therapie nicht erzwingen. Die Entscheidung des Arbeitnehmers, nach einer erfolgreichen Entziehungskur die zunächst aufgenommenen Besuche in einer Selbsthilfegruppe von anonymen Alkoholikern abzubrechen, weil er sich hiermit überfordert fühlt, gehört zum privaten Lebensbereich. Hiermit verletzt er keine Haupt- oder Nebenpflichten aus dem Arbeitsverhältnis. Selbst wenn er dem Arbeitgeber, der einen solchen Besuch einer Selbsthilfegruppe verlangt, vortäuscht, er setze diese Besuche fort, rechtfertigt dies keine ordentliche verhaltensbedingte Kündigung. Der Besuch bei einer solchen Selbsthilfegruppe gehört ausschließlich zum persönlichen Bereich und kann keine Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis haben. Der Arbeitnehmer muss selbst entscheiden, ob er unter Umständen eine andere Therapiegruppe besucht, sich anderer Möglichkeiten bedient oder ob er sich bereits stark genug fühlt, derartige Hilfe ablehnen zu können. Der Arbeitgeber jedenfalls kann dies nicht erzwingen. Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 25.02.1997-8 Sa 1673/96 Der Arbeitgeber kann nicht verlangen, dass sich Beschäftigte beraten lassen oder in Behandlung, Therapie, Nachsorge begeben. Es besteht dazu keine arbeitsvertragliche Pflicht. Das Unterlassen kann demnach nicht sanktioniert werden. Fragen nach Teilnahme sind rechtlich nicht zulässig. Abweichend: Auf der Basis des Beamtenrechts kann der Dienstherr dies verlangen und die Unterlassung ggf. disziplinarisch bewerten. 26

Unterweisungspflicht des Arbeitgebers Der Arbeitgeber kann Beschäftigte auffordern, sich innerhalb der Arbeitszeit über gesundheitliche Gefährdungen am Arbeitsplatz informieren zu lassen ( 12 in Verbindung mit 15 ArbSchG Pflichten der Beschäftigten). 12 Unterweisung (ArbSchG) (1) Der Arbeitgeber hat die Beschäftigten über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit während ihrer Arbeitszeit ausreichend und angemessen zu unterweisen. Die Unterweisung umfasst Anweisungen und Erläuterungen, die eigens auf den Arbeitsplatz oder den Aufgabenbereich der Beschäftigten ausgerichtet sind. (...) Die Unterweisung muss an die Gefährdungsentwicklung angepasst sein und erforderlichenfalls regelmäßig wiederholt werden. 27

Information durch Sozial-/Suchtberatung Diese Information ("Unterweisung") sollte von einer fachlich qualifizierten Person durchgeführt werden, die sachgerecht die gesundheitlichen und sozialen Gefährdungen erläutert, die durch riskanten Konsum von Rauschmitteln, Medikamentengebrauch oder suchtgefährdende Verhaltensweisen entstehen können sowie die internen und externen Angebote zur Beratung und Unterstützung bei einer notwendigen Verhaltensänderung aufzeigt. Für die Durchführung dieser Information und die Teilnahme daran kann eine schriftliche Bestätigung eingefordert werden, da es sich um eine Information in Verbindung mit arbeitsvertraglichen/ dienstlichen Pflichten handelt. 28

Datenschutz - Schweigepflicht Der Besuch der Beratungsstelle unterliegt der Schweigepflicht. Bescheinigungen zur Vorlage beim Arbeitgeber setzen eine Entbindung von der Schweigepflicht (am besten schriftlich) sowie eine Aufklärung über die Persönlichkeitsrechte (mündlich) voraus. 29

Klage wegen Verletzung der Schweigepflicht - 1 Der Kläger befand sich in der Zeit vom 15. August bis zum 2. Dezember wegen einer Alkoholerkrankung in teilstationärer Behandlung bei der Beklagten. Nach Abschluss der Behandlung übersandte die Beklagte den Entlassungsbericht vom 8. Dezember 2005 an den Betriebsarzt des Arbeitgebers des Klägers, Herrn Dr. D.. Mit der Begründung, die Beklagte habe dadurch ihre ärztliche Schweigepflicht verletzt, nimmt der Kläger die Beklagte auf Zahlung von "Schmerzensgeld" in Höhe von 10.000,- Euro in Anspruch. Ferner verlangt er die Feststellung, dass die Beklagte ihm sämtliche weitergehenden materiellen Schäden zu ersetzen habe, die ihm dadurch entstehen, dass die Beklagte ihre ärztliche Schweigepflicht verletzt habe, indem sie den Entlassungsbericht ohne seine Einwilligung seinem Arbeitgeber zur Verfügung gestellt habe. Datenschutz - Schweigepflicht 30

Datenschutz - Schweigepflicht Klage wegen Verletzung der Schweigepflicht - 2 1. Instanz Landgericht Düsseldorf Verstoß gegen die ärztliche Schweigepflicht Verletzung der allgemeinen Persönlichkeitsrechte Schmerzensgeldzahlung 5.000 2. Instanz Oberlandesgericht Düsseldorf Verstoß gegen die ärztliche Schweigepflicht bestätigt Verletzung der allgemeinen Persönlichkeitsrechte nicht so schwerwiegend, dass Entschädigung berechtigt ist Auch wenn der Entlassungsbericht nicht unmittelbar an den Arbeitgeber, sondern "nur" an den Betriebsarzt Dr. D. übersandt worden ist und dieser seinerseits der ärztlichen Schweigepflicht unterliegt, muss der Kläger gleichwohl mit der Vorstellung leben, dass sich das durch die unberechtigte Übersendung des Entlassungsberichts erlangte Wissen dieses Arztes künftig zumindest mittelbar auf Entscheidungen seines Arbeitgebers über seine berufliche Entwicklung auswirken könnte. OLG Düsseldorf 15. Zivilsenat Entscheidungsdatum: 11.12.2008 Aktenzeichen: I-15 U 170/07 http://www.justiz.nrw.de/nrwe/olgs/duesseldorf/j2008/i_15_u_170_07urteil20081211.html 31

Betriebliche Suchtprävention + Suchthilfe 7. Rechtliche Regelungsbedarfe - Betriebs- und Dienstvereinbarungen als Regelungsgrundlage u.a. für Schweigepflicht und Datenschutz 32

Betriebsvereinbarung / Dienstvereinbarung (1) Titel(Suchtprävention und Suchthilfe) Präambel Geltungsbereich Ziele der Dienstvereinbarung (Vorbeugung ges. Gefährdungen) Lenkungskreis - Zusammensetzung und Aufgaben Umgang mit Suchtmitteln - Regeln zum Konsum Rolle der Vorgesetzten + anderer Beteiligter Informationen der Beschäftigten und Aufklärung Arbeitsbelastungen, Stress - Riskanten Suchtmittelkonsum + Sucht fördernde Arbeitsbedingungen(Gefährdungsbeurteilung) Vorgehen bei Gefährdung der Arbeitssicherheit Ansprache und Hilfe bei Auffälligkeiten in Verbindung mit riskantem Konsum oder Suchtgefährdung: Interventionsleitfäden: Fürsorge-, Klärungsgespräche, Stufenplan 33

Betriebsvereinbarung / Dienstvereinbarung (2) Einrichtung und Aufgaben der internen Suchtberatung bzw. Ansprechpersonen für Suchtfragen Schweigepflicht, Persönlichkeits- u. Datenschutz (zwingend zu regeln) mit Verwertungsverbot Zusammenarbeit mit externen Anbietern Case Management, Fallbegleitung, Fallabstimmung Wiedereingliederung Erneute Auffälligkeiten (Vorgehen bei Rückfall) Betriebliche Selbsthilfegruppen (falls sie eingerichtet werden) Berücksichtigung besonderer Beschäftigtengruppen Evaluation und Berichtslegung Geltungsdauer 34

Betriebliche Suchtprävention und Suchthilfe Literatur zu den arbeits- + sozialrechtlichen Aspekten Rehwald, R./Reineke, G./Wienemann, E./Zinke, E. (2012) Betriebliche Suchtprävention und Suchthilfe, 2. aktualisierte Auflage, Bund Verlag Frankfurt am Main (auch zu bestellen über IG Metall) 35