Einsatzfelder und Operationalisierung der Realoptionstheorie

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Transkript:

Einsatzfelder und Operationalisierung der Realoptionstheorie Implikationen für die wertorientierte Unternehmensführung 05-01 Prof. Dr. Harald Hungenberg Dr. Torsten Wulf Felix Stellmaszek, MBA Herausgeber: Prof. Dr. Harald Hungenberg Prof. Dr.-Ing. Günther Seliger

Einsatzfelder und Operationalisierung der Realoptionstheorie Implikationen für die wertorientierte Unternehmensführung 05-01 Prof. Dr. Harald Hungenberg Dr. Torsten Wulf Felix Stellmaszek, MBA Autoren Prof. Dr. Harald Hungenberg Inhaber des Lehrstuhls für Unternehmensführung an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und Gastprofessor an der ENPC in Paris. Wissenschaftlicher Leiter des Instituts für Unternehmungsplanung Dr. Torsten Wulf Wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Unternehmensführung an der Friedrich- Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg Felix Stellmaszek, MBA Unternehmensberater bei der Boston Consulting Group in Atlanta, USA

Inhaltsverzeichnis Zusammenfassung...2 1. Einleitung...3 2. Einsatzfelder der Realoptionstheorie im Rahmen der wertorientierten Unternehmensführung...5 2.1 Grundlagen der Realoptionstheorie...5 2.2 Beurteilung der Flexibilitätserfassung durch die Realoptionstheorie...10 2.3 Konsequenzen für die Einsatzfelder der Realoptionstheorie...14 3. Operationalisierung der Realoptionstheorie im Rahmen der wertorientierten Unternehmensführung...17 3.1 Identifikation von Realoptionen...17 3.2 Bewertung von Realoptionen...30 3.3 Management von Realoptionen...35 4. Fazit...43 Literaturverzeichnis...47 Zusammenfassung Der vorliegende Beitrag untersucht in einer kritischen Auseinandersetzung mit der Realoptionstheorie deren Implikationen für die wertorientierte Unternehmensführung. Wie die Diskussion hierzu zeigt, eignet sich das theoretische Konzept der realen Optionen hauptsächlich zur Unterstützung strategischer Entscheidungen in hoch unsicheren Situationen. Ihr eigentlicher Beitrag für die Zwecke der wertorientierten Unternehmensführung liegt dabei in der expliziten Berücksichtigung von Flexibilitätsaspekten auf allen Stufen des strategischen Managementprozesses. Die für einen solchen Einsatz der Realoptionstheorie erforderlichen Schritte beschreibt das in dieser Arbeit entwickelte Prozessmodell zu ihrer Operationalisierung. Summary This paper critically analyzes the implications the real options theory for the purpose of a value-oriented management. It becomes clear that the theoretical concept of real options is primarily a supporting tool for strategic decisions in highly uncertain situations. Under such conditions real options make a contribution to explicitly recognize for the factor of flexibility on all steps of the strategic management process in order to maximize the value of a company. To utilize the real options theory for this objective we develop an adequate process model for its implementation.

Implikationen der Realoptionstheorie für die wertorientierte Unternehmensführung 3 1. Einleitung Der Realoptionsansatz wird bald Standard sein. 1 Solche und ähnliche Aussagen kündigen bereits seit einiger Zeit den Siegeszug der sich mit diesem Ansatz befassenden Realoptionstheorie an. Vereinzelt attestiert man ihr sogar, eine gänzlich neue Perspektive für die Unternehmensführung zu eröffnen. 2 Diese Euphorie beruht auf der These, dass sich die Flexibilität eines Unternehmens durch reale Optionen beschreiben lässt und demzufolge mit Hilfe des Instrumentariums der Realoptionstheorie nicht nur qualitativ erfasst, sondern auch quantitativ bewertet sowie aktiv gesteuert werden kann. 3 Gerade vor dem Hintergrund der zunehmenden Wertorientierung in der Unternehmensrealität präsentiert sich dies als ein überaus nützliches Konzept, verspricht es doch, die Wertkomponente von Flexibilität bei Entscheidungen explizit mit einzubeziehen. 4 Die Tatsache, dass Flexibilität einen gewissen Wert besitzt, ist dabei in der wissenschaftlichen Literatur unbestritten. 5 Gleichwohl weisen traditionelle Bewertungsverfahren signifikante Schwächen bezüglich der Erfassung dieses Wertbeitrags auf. So werden potenzielle Handlungsspielräume des Managements von der heute als Standard geltenden Kapitalwert- bzw. Discounted Cash Flow (DCF)-Methode grundsätzlich vernachlässigt. Auch das Entscheidungsbaumverfahren bzw. die Decision Tree Analysis (DTA) sieht sich erheblichen Kritikpunkten ausgesetzt. 6 Beispielsweise sind auf der Grundlage eines Entscheidungsbaums lediglich Wenn-dann-Aussagen zur Reaktion auf Veränderungen in der Umwelt ableitbar. Für die Frage, wie sich diese Flexibilität aktiv steuern ließe, bietet die DTA dagegen keine Hilfestellungen. 7 Vor diesem Hintergrund scheint das Konzept der realen Optionen eine verbesserte Integration von Flexibilitätsaspekten in den Managementprozess zu ermöglichen. Allerdings beschäftigt sich die wissenschaftliche Diskussion vornehmlich mit den methodischen Aspekten der Realoptionstheorie als spezifisches Bewertungsinstrument. Ihr Anwendungspotenzial für die betriebliche Praxis, und dort speziell für die Unternehmensführung, stellt dagegen ein bis- 1 2 3 4 5 6 7 Hommel (2000), S. 30. Vgl. ähnlich Copeland/Antikarov (2003), S. VI. Vgl. Copeland/Koller/Murrin (2000), S. 395; Kühn/Fuhrer/Jenner (2000), S. 55; McGrath/Nerkar (2004), S. 2 ff.; Mun (2002), S. 9 ff. Vgl. Pritsch/Weber (2003), S. 144 f.; Yao/Jaafari (2003), S. 54. Vgl. zur Etablierung des Gedankens der Wertorientierung in der Unternehmenspraxis stellvertretend für viele andere Heinemann/Gröniger (2003), S. 193. Vgl. Bowman/Moskowitz (2001), S. 772; Copeland/Antikarov (2003), S. 13. Vgl. Ballwieser (2002), S. 187; Vollrath (2003), S. 366. Vgl. Peske (2002), S. 27 und 76; ähnlich Copeland/Weiner (1990), S. 147.

Implikationen der Realoptionstheorie für die wertorientierte Unternehmensführung 4 lang vernachlässigtes Forschungsgebiet dar, 8 das erst in letzter Zeit verstärkt an Bedeutung gewinnt. 9 Die hierzu bisher in der Literatur veröffentlichten Standpunkte sind jedoch enorm breit gefächert. 10 Während einige wissenschaftliche Vertreter in der Realoptionstheorie eine eigenständige Managementphilosophie zur Rationalitätssicherung des unternehmerischen Entscheidungsverhaltens 11 sehen, schätzen andere ihren Einsatz wegen der mit ihrer Anwendung verbundenen Komplexität eher kritisch ein. 12 Angesichts dieser akademischen Meinungsvielfalt, der fehlenden Praxisorientierung der wissenschaftlichen Forschung und nicht zuletzt des hohen Neuigkeitsgrades der Realoptionstheorie kann auch deren geringe Verbreitung in der Unternehmensrealität nicht verwundern. Beispielsweise zeigt eine empirische Untersuchung von Vollrath, dass lediglich einem Drittel der deutschen Unternehmen dieses theoretische Konzept überhaupt bekannt ist und dort ebenfalls kaum Verwendung findet. 13 Letzteres begründen die Praxisvertreter hauptsächlich mit dem Fehlen geeigneter Umsetzungshilfen. Unklarheit herrscht insbesondere darüber, unter welchen Umständen und auf welche Weise reale Optionen in die betrieblichen Entscheidungsprozesse zu integrieren sind. 14 Wie soeben dargestellt, bildet diese Frage zugleich einen Kernpunkt der gegenwärtigen wissenschaftlichen Diskussion. 15 Das Ziel des vorliegenden Beitrags besteht somit darin, die sinnvollen Einsatzfelder der Realoptionstheorie im Rahmen der wertorientierten Unternehmensführung zu diskutieren und darauf aufbauend einen Leitfaden für ihre zweckmäßige Umsetzung zu entwickeln. Hierfür werden zunächst die Grundzüge der Realoptionstheorie dargelegt, um auf dieser Basis deren Eignung und damit ihre konkreten Anwendungsmöglichkeiten zu untersuchen. Dies bildet die gedankliche Grundlage für ihre Operationalisierung, für die sich drei Schritte anbieten, nämlich die Identifikation, die Bewertung sowie das Management realer Optionalitäten. Im Zuge des Ausblicks werden sodann die Ergebnisse zum tatsächlichen Beitrag der Realoptionstheorie für die wertorientierte Unternehmensführung kritisch gewürdigt sowie Perspektiven für weitere Forschungsbemühungen aufgezeigt. 8 9 10 11 12 13 14 15 Vgl. Anderson (2000), S. 235 f.; Kühn/Fuhrer/Jenner (2000), S. 45 f. Vgl. Krolle/Oßwald (2003), S. 182; Miller/Shapira (2004), S. 282. Vgl. exemplarisch die wissenschaftliche Diskussion bei Adner/Levinthal (2004a), S. 74 ff.; Adner/Levinthal (2004b), S. 120 ff.; Kogut/Kulatilaka (2004), S. 102 ff.; McGrath/Ferrier/Mendelow (2004), S. 86 ff.; Zardkoohi (2004), S. 111 ff. Baecker/Hommel (2002), S. 56. Vgl. ähnlich Borison (2001), S. 3 ff. Vgl. Adner/Levinthal (2004a), S. 75 f.; Bowman/Moskowitz (2001), S. 776. Vgl. Vollrath (2003), S. 365 und 370 f. Zu ähnlichen Ergebnissen gelangt eine Studie von Busby und Pitts in Großbritannien. Vgl. Busby/Pitts (1997a), S. 184. Vgl. Peske (2002), S. 90 ff.; ähnlich Pritsch/Weber (2003), S. 146. Vgl. exemplarisch Brach (2003), S. 9 f. für eine Auswahl unterschiedlicher Ansichten hierzu.

Implikationen der Realoptionstheorie für die wertorientierte Unternehmensführung 5 2. Einsatzfelder der Realoptionstheorie im Rahmen der wertorientierten Unternehmensführung 2.1 Grundlagen der Realoptionstheorie 2.1.1 Grundlegende Definition und Arten von Realoptionen Erstmals von Myers 1977 verwendet, 16 werden reale Optionen heute allgemein definiert als zukünftige Handlungsspielräume und Investitionsmöglichkeiten eines Unternehmens in Verbindung mit der Fähigkeit des Managements, operative Entscheidungen an veränderte Umweltbedingungen anzupassen. Realoptionen stellen demnach ein Bündel von Handlungsoptionen in bezug [!] auf die Verwendung und Nutzung realer Aktiva dar. 17 Unter realen Aktiva sind dabei sämtliche tangiblen wie auch intangiblen Unternehmensressourcen zu subsumieren. 18 Ausgehend von diesem grundlegenden Begriffsverständnis bildeten sich im Zuge des wissenschaftlichen Diskurses einzelne Arten realer Optionen heraus, die sich anhand des ihnen zugrunde liegenden Handlungsspielraums unterscheiden lassen. Sie umreißen die sog. Options Language, mit der das jeweilige Flexibilitätspotenzial qualitativ beschrieben werden kann. 19 In Anlehnung an Trigeorgis werden typischerweise die folgenden acht Einzeltypen differenziert: Innovations-, Erweiterungs-, Einschränkungs-, Abbruchs-, Umstellungs- und Verzögerungsoption sowie die Option der temporären Stilllegung und die Option der mehrstufigen Investitionsdurchführung. 20 2.1.2 Grundlegende Annahmen der Realoptionstheorie Die zentrale Annahme der Realoptionstheorie bildet die Analogie zwischen diesen Realoptionen und finanztheoretischen Optionen. Letztere definieren sich als das Recht, nicht aber die Verpflichtung, zu einem fixierten Preis (Ausübungspreis) einen bestimmten Basiswert (Underlying) zu kaufen (Call- Option) oder zu verkaufen (Put-Option). 21 Schon diese Begriffsbestimmung deutet auf gewisse Parallelen zu realwirtschaftlichen Optionalitäten hin. 22 Belegt wird diese Ähnlichkeit durch den Umstand, dass Finanz- als auch Realoptionen die gleichen konstituierenden Wesensmerkmale aufweisen. Dabei kennzeichnen finanztheoretische Optionen stets die folgenden drei Charakteristika: 16 17 18 19 20 21 22 Myers führte den Begriff wie folgt ein: Real options.. are opportunities to purchase real assets on possibly favorable terms. Myers (1977), S. 163. Pritsch (2000), S. 13 f. Vgl. zu dieser Definition auch Hommel/Pritsch (1999b), S. 123 sowie die dort angegebene Literatur. Vgl. Anderson (2000), S. 251; Brach (2003), S. 338. Vgl. Pritsch/Weber (2003), S. 156; ähnlich bereits Pritsch (2000), S. 193. Vgl. Trigeorgis (2000), S. 2 ff. Vgl. exemplarisch Hull (2003), S. 6 und Miller/Shapira (2004), S. 270. Vgl. Copeland/Antikarov (2003), S. 5; McGrath/Nerkar (2004), S. 2 f.

Implikationen der Realoptionstheorie für die wertorientierte Unternehmensführung 6 Flexibilität bezüglich der Ausübungsentscheidung, Unsicherheit bezüglich der Wertentwicklung der Option, Irreversibilität bezüglich der getroffenen Ausübungsentscheidung. 23 Diese stimmen nun offensichtlich mit den wertrelevanten Merkmalen von unternehmerischen Handlungsspielräumen bzw. Realoptionen überein. 24 So eröffnet auch eine reale Option lediglich die Flexibilität, den ihr zugrunde liegenden Handlungsspielraum zu nutzen. Die Entscheidung hierüber verbleibt beim Management, wobei die Unsicherheit des Unternehmensumfelds bewirkt, dass die Bereitschaft zur Ausübung einer Option in Abhängigkeit von der wirtschaftlichen Entwicklung unterschiedlich eingeschätzt wird. Und verursacht bereits die Erschließung von Realoptionen gewisse irreversible Kosten, fallen bei ihrer Realisierung weitere nicht revidierbaren Investitionen an. 25 Betrachtet man beispielsweise ein erfolgreiches pharmazeutisches F&E-Projekt, resultiert daraus für das Unternehmen die Möglichkeit, dieses neue Medikament zu vermarkten (Flexibilität). Die Attraktivität dieser Option hängt nun primär davon ab, wie die mit dem Präparat zukünftig erzielbaren Erlöse eingeschätzt werden (Unsicherheit). Entscheidet sich das Management schließlich für eine Markteinführung, geht diese mit produktspezifischen Kosten einher (Irreversibilität). Aus dieser konzeptionellen Analogie lässt sich nun schlussfolgern, dass finanzmathematische Verfahren zur Bewertung von Call- und Put-Optionen prinzipiell ebenfalls geeignet sind, entsprechend strukturierte Handlungsspielräume, also reale Optionen, zu bewerten. 26 Der Wert einer jeden Option bestimmt sich hierbei grundsätzlich anhand von sechs Parametern: Dem aktuellen Wert S des Basiswerts, der damit verbundenen Unsicherheit σ, dem Ausübungspreis X der Option, der Optionslaufzeit T, dem künftigen Wertverlust δ und dem Zinssatz r. 27 Wie Abbildung 1 zeigt, lassen sich für beide Optionsarten entsprechende realwirtschaftliche Größen identifizieren. Zur Veranschaulichung dieser Parameter auf Ebene realer Optionen mag der Erwerb eines Ölbohrrechts dienen. 28 Dadurch sichert sich ein Unternehmen das Recht, die in einer bestimmten Region vorhandenen Ölvorräte innerhalb einer gewissen Zeitspanne, der Optionslaufzeit T, zu erschließen. Der Basiswert S dieser Realoption bestimmt sich hier durch den Gegenwartswert der mit diesen Ölvorräten erzielbaren Free Cash Flows. Er unterliegt im Wesentlichen zwei 23 24 25 26 27 28 Vgl. hierzu Brach (2003), S. 44; Leithner/Liebler (2003), S. 225. Vgl. auch Kogut/Kulatilaka (2001), S. 746. Vgl. grundlegend Dixit/Pindyck (1994), S. 3 ff.; aufbauend Farag (2003), S. 566 f.; Knecht (2003), S. 125 ff.; Schäfer/Schässburger (2003), S. 292. Vgl. Dörner (2003), S. 93; Meise (1998), S. 50. Vgl. Gerke/Bank (2003), S. 277; Hull (2003), S. 167; Knecht (2003), S. 121. Vgl. hierzu und im Folgenden Courtney (2001a), S. 82 ff. und Smith/McCardle (1999), S. 8 ff. Vgl. Copeland/Keenan (1998b), S. 134 ff. für weitere Beispiele.

Implikationen der Realoptionstheorie für die wertorientierte Unternehmensführung 7 Optionsparameter Basiswert/ S Underlying Ausübungspreis X Finanzoption * Aktueller Aktienkurs Vertraglich fixierter Aktienkurs Laufzeit T Vertraglich fixierte Zeitdauer Unsicherheit σ Volatilität des Aktienkurses Gegenwartswert der zusätzlich erzielbaren Cash Flows bei Ausübung der Realoption Gegenwartswert des Investitionsvolumens zur Erschließung der zusätzlichen Cash Flows Zeitraum, während dem die Ausübung der Realoption offen steht Volatilität der zusätzlich erzielbaren Cash Flows Wertverlust δ Dividendenzahlungen Entgangene Cash Flows bis zur Ausübung Zinssatz r Risikoloser Zinssatz Risikoloser Zinssatz Realoption * Dargestellt am Beispiel einer Aktienoption Abbildung 1: Bewertungsparameter von Finanz- und Realoptionen 29 Risikofaktoren, nämlich der unbekannten Menge an förderbarem Öl sowie der unsicheren am Markt erzielbaren Ölpreise, die in den Volatilitätsparameter σ einfließen. Um das Öl zu erschließen, bedarf es einmaliger irreversibler Investitionen, die dem Ausübungspreis X der Option entsprechen - in diesem Fall sind dies die Kosten für die notwendige Förderapparatur. Sollte sich die Realisierung der Realoption jedoch verzögern, etwa aufgrund operativer Konstruktionsschwierigkeiten, zieht dies einen Wertverlust δ in Höhe der entgangenen Free Cash Flows sowie der Opportunitätskosten der Lizenz nach sich. Die Ermittlung des risikolosen Zinssatzes r schließlich ist trivial er entspricht der aktuellen Verzinsung langfristiger Staatsanleihen. 30 Deutlich wird hierbei, dass die Bewertung von Realoptionen keinen Rückgriff auf einen risikoadjustierten Diskontierungsfaktor erfordert. Dies ermöglicht das Konzept der risikoneutralen Bewertung, das finanztheoretische Fundamentalprinzip der Optionsbewertung, welches wiederum auf der Annahme der Arbitragefreiheit sowie der Methode der replikativen Portfolios basiert. 31 Hierdurch lassen sich mathematisch sog. risikolose Pseudowahrscheinlichkeiten ableiten und mit diesen die Entwicklung des Optionspreises in einer risikoneutralen Welt modellieren. 32 Der auf diese Weise ermittelbare Erwartungswert einer Option ist dann mit Hilfe des risikolosen Diskontierungssatzes auf seinen objektiven Gegenwartswert abzuzinsen. Dieser Wert, und das sei betont, besitzt aber genauso in einer risikoaversen Welt Geltung - die risikoneutrale Bewertung repräsentiert somit gewissermaßen einen mathematischen Kunstgriff für die Zwecke der exakten Optionspreisbestimmung. 33 2.1.3 Grundlegende Verfahren der Realoptionstheorie Von diesen Grundprinzipien ausgehend, konzentrierte sich die wissenschaftliche Forschung, wie einleitend erwähnt, auf die Entwicklung spezifischer 29 30 31 32 33 Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Peemöller/Beckmann (2002), S. 743. Vgl. Leithner/Liebler (2003), S. 231. Vgl. Grinblatt/Titman (2002), S. 230 f.; Jägle (1999), S. 280. Vgl. ausführlich Hull (2003), S. 203 ff. und 244 ff. Vgl. Mayer (2001), S. 110 f.; Schulmerich (2003), S. 94.

Implikationen der Realoptionstheorie für die wertorientierte Unternehmensführung 8 Modelle zur Bewertung realer Optionen. Einen Überblick der unterschiedlichen Methoden hierzu inklusive exemplarischer Modellvertreter bietet Abbildung 2: Verfahren der Realoptionsbewertung Analytische Verfahren Numerische Verfahren Geschlossene Lösungen Näherungsverfahren Approximation der partiellen Differenzialgleichungen Approximation des stochastischen Entwicklungsprozesses Modelle (Auswahl) Black-Scholes-Modell Geske-Modell... Geske-Johnson-Modell Carr-Modell... Finite Differenzen Finite Elemente... Binomial-Modell Monte-Carlo-Simulation... Abbildung 2: Überblick der Verfahren der Realoptionstheorie 34 Deren umfassende Behandlung ist im Rahmen dieses Beitrags nicht zu bewältigen. Dies ist indes vor dem Hintergrund des verfolgten Forschungsziels auch nicht erforderlich, das eine Konzentration auf die prinzipiell praxistauglichen Verfahren erlaubt. 35 Nur solche kommen überhaupt für einen Einsatz in der Unternehmensrealität in Betracht. Diesbezüglich besteht in der Literatur Einigkeit dahingehend, dass die Operationalisierbarkeit für praktische Belange lediglich bei dem Binomial- und dem Black-Scholes-Modell gegeben ist. 36 Letzteres ist das Ergebnis der Pionierarbeiten von Black und Scholes sowie Merton zur Optionsbewertung. 37 Ihnen gelang es als Erste, basierend auf einer Reihe von Annahmen ein geschlossenes Gleichungssystem zur konsistenten Bewertung von Kauf- und Verkaufs-Optionen aufzustellen: 38 Wert einer Call-Option= S e -δt N (d 1 ) -X e -rt N (d 2 ) Wert einer Put-Option = X e -rt N (-d 2 ) -S e -δt N (-d 1 ) mit d 1 = d 2 = ln (S/X) + (r - δ + 0,5 σ 2 ) T σ T ln(s/x) + (r - δ 0,5 σ 2 ) T σ T = d 2 + σ T = d 1 - σ T N(d x ) N(d x ) Wert der kumulierten Standardnormalverteilungsfunktion von d x 34 35 36 37 38 Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Baecker/Hommel/Lehrmann (2003), S. 26. Vgl. exemplarisch Pritsch (2000), S. 225 ff. sowie Hommel/Lehmann (2001), S. 124 ff. für eine ausführliche Behandlung der verschiedenen Verfahren. Vgl. zu der Einschätzung der Praxistauglichkeit der einzelnen Verfahren ausführlich Amram/Kulatilaka (1999), S. 108 ff.; Brach (2003), S. 26 f.; Hilzenbecher (2002), S. 245. Vgl. grundlegend Black/Scholes (1973), S. 637 ff. und Merton (1973), S. 141 ff. Vgl. exemplarisch Hull (2003), S. 242 ff. zur Herleitung dieser Formel.

Implikationen der Realoptionstheorie für die wertorientierte Unternehmensführung 9 Der Wert einer Realoption lässt sich somit durch simples Einsetzen in die obigen analytischen Formeln berechnen. Zusätzlich können auf der Grundlage des Black-Scholes-Modells die Wirkungsrichtungen der einzelnen Optionsparameter komparativ-statisch abgeleitet werden (Abb. 3). Diese dienen oftmals als Ausgangspunkt der Überlegungen für eine aktive Einflussnahme auf den Realoptionswert durch das Management. 39 Wertverlust Basiswert Wertverlust Basiswert - + + - Wert Wert + einer Call- Ausübungspreizeit Option + + - + Lauf- - + einer Put- + Option Laufzeit Ausübungspreis Risikoloser Zins Unsicherheit Risikoloser Zins Unsicherheit + wirkt komparativ-statisch werterhöhend - wirkt komparativ-statisch wertmindernd Abbildung 3: Wirkungsrichtung der Realoptionsparameter 40 Das Binomial-Modell auf der anderen Seite geht primär auf die Arbeit von Cox, Ross und Rubinstein zurück. 41 Die Wertermittlung erfolgt hier auf Basis eines Preisbaums, wofür zunächst die Zeitspanne bis zur Optionsfälligkeit in diskrete, gleich große Intervalle zu unterteilen ist. In jedem dieser Intervalle kann sich der Wert des Underlyings ändern, allerdings nur in eine von zwei möglichen Richtungen: wertsteigernd (up) oder -mindernd (down). 42 Die prozentualen Änderungsfaktoren beruhen dabei auf der Unsicherheit des Basiswerts, ausgedrückt durch dessen Volatilität σ, und werden als konstant angenommen. Aus ihnen leiten sich mathematisch die risikolosen Pseudowahrscheinlichkeiten ab. 43 Ausgehend von der Modellierung der stochastischen Entwicklung des jeweiligen Underlyings wird ein Ereignisbaum für den Realoptionswert gebildet. Mit dessen Hilfe lässt sich untersuchen, ob eine vorzeitige Realisierung der Option vorteilhaft wäre oder ob es besser wäre, sie bis zu ihrer Fälligkeit zu halten. 44 Die sich zu diesen Ausübungszeitpunkten ergebenden Cash Flows werden anschließend rekursiv, ausgehend vom Laufzeitende, mittels des risiko- 39 40 41 42 43 44 Vgl. exemplarisch Bockemühl (2001), S. 173 und Courtney (2001a), S. 82 ff.; ursprünglich Leslie/Michaels (1997), S. 9 ff. Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an die Ausführungen bei Damodaran (2001a), S. 358. Vgl. grundlegend Cox/Ross/Rubinstein (1979), S. 229 ff. Vgl. Bockemühl (2001), S. 149 f. Vgl. Amram/Kulatilaka (1999), S. 115; Brach (2003), S. 52 ff. Vgl. exemplarisch Hull (2003), S. 392 ff. für die technische Darstellung dieser Ableitung. Vgl. Bärtl/Brockmann (2000), S. 395; Grinblatt/Titman (2002), S. 271 f.

Implikationen der Realoptionstheorie für die wertorientierte Unternehmensführung 10 losen Zinssatzes auf ihren Gegenwartswert diskontiert. Der auf diese Weise ermittelte Erwartungswert entspricht dem jeweiligen Realoptionswert. 45 Die nachstehende Abbildung veranschaulicht die Vorgehensweise. Binomial-Baum (der Wertentwicklung des Basiswerts S der Realoption) Wert von S Wahrscheinlichkeitsverteilung der Cash Flows S u d Gegenwart S u S d u d u d S uu S ud S dd EW Ausübung der Option unterbleibt Zeit u up-faktor d down-faktor Abbildung 4: Vorgehensweise beim Binomial-Modell 46 2.2 Beurteilung der Flexibilitätserfassung durch die Realoptionstheorie 2.2.1 Theoretische Vorteilhaftigkeit der Realoptionstheorie Verglichen mit dem Entscheidungsbaumverfahren bieten die soeben skizzierten Optionspreismodelle sowohl anwendungsorientierte als auch konzeptionelle Vorteile. 47 Letztere ergeben sich in erster Linie aus dem Prinzip der risikoneutralen Bewertung. Dieses erlaubt es den vorgestellten Optionspreisverfahren die zentralen wertverzerrenden Probleme der DTA, nämlich die subjektive Bestimmung tatsächlicher Wahrscheinlichkeiten, zu umgehen. 48 Die Unsicherheit der Entscheidungssituation spiegelt sich nunmehr in den adjustierten Zustandswahrscheinlichkeiten der Optionswertentwicklung wider und kommt im jeweiligen Volatilitätsparameter zum Ausdruck. Hierdurch entfällt die Herausforderung für das Management, sämtliche Eintrittswahrscheinlichkeiten für nicht sicher antizipierbare Ereignisse abschätzen zu müssen. 49 Darüber hinaus gestatten Optionspreisverfahren eine kompakte Analyse auch hochgradig komplexer Situationen, in denen ein entsprechender Entscheidungsbaum bereits seine Übersichtlichkeit eingebüßt hätte. Besonders deutlich belegt dies das Black-Scholes-Modell, anhand dessen sich der Flexibilitätswert 45 46 47 48 49 Vgl. Hommel/Lehmann (2001), S. 126; Mun (2002), S. 155 ff. Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Mun (2002), S. 152. Vgl. Bockemühl (2001), S. 151; Meise (1998), S. 40 ff.; Tomaszewski (2000), S. 84 und 119. Vgl. Copeland/Antikarov (2003), S. 90 ff.; Schulmerich (2003), S. 73. Vgl. Baecker/Hommel/Lehmann (2003), S. 24 f.; Damisch (2002), S. 155.

Implikationen der Realoptionstheorie für die wertorientierte Unternehmensführung 11 mit Hilfe eines einzigen Gleichungssystems berechnen lässt. 50 Schließlich lassen sich auf Basis der Optionspreismodelle ebenfalls die Wertehebel realer Optionen ableiten, die dem Management mögliche Ansatzpunkte für eine positive Beeinflussung der damit verbundenen Handlungsspielräume aufzuzeigen vermögen. Im Gegensatz zur DTA erlaubt die Realoptionstheorie somit nicht nur die passive Bewertung des Flexibilitätspotenzials, sondern liefert auch Hinweise für dessen wertorientierte Steuerung. 51 In Summe führen diese Vorteile zu dem Ergebnis, dass die Realoptionstheorie gegenüber dem Entscheidungsbaumverfahren eine klare Erweiterung bedeutet. 52 Während aber bezüglich der Überlegenheit der Realoptionstheorie im Vergleich zur DTA aus wissenschaftlicher Sicht grundsätzlich Einigkeit besteht, sind die Standpunkte hinsichtlich ihres Verhältnisses zur Kapitalwertmethode differenzierter. 53 Vereinzelt wird der Realoptionstheorie hier nämlich ebenso eine Dominanz attestiert, wonach sie das DCF-Verfahren als untergeordneten Spezialfall mit einschließe. 54 Allerdings gelang es dieser Position aufgrund evidenter Kritikpunkte nicht, sich durchzusetzen. 55 Das augenscheinlichste Gegenargument dazu ist der Umstand, dass Optionspreisverfahren jeweils nur den Wert der Flexibilität berechnen können. Zur Abzinsung von Zahlungsströmen, etwa im Zuge der optionalen Cash Flows, greifen jedoch auch sie stets implizit auf das Kapitalwertverfahren zurück. 56 Die heute in der Literatur vorherrschende Meinung sieht daher in der Realoptionstheorie ein zur traditionellen Kapitalwertmethode komplementäres Instrument. 57 Letztere repräsentiert ja ein durchaus geeignetes Verfahren zur Wertberechnung bloß vernachlässigt sie dabei den Mehrwert, der sich aus dem Flexibilitätspotenzial des Bewertungsobjekts ergibt. Und dieses Defizit ist durch ihre Ergänzung mit dem Instrumentarium der Realoptionstheorie behebbar. Das Ergebnis dieser Überlegung ist eine theoretische Konkretisierung des klassischen Kapitalwertkalküls mit Hilfe des Konzepts des erweiterten Kapitalwerts. Danach besteht der Wert eines Investitionsobjekts aus seinem statischen Kapitalwert, berechnet auf Basis des DCF-Verfahrens, und dem Wert seiner Flexibilität, ermittelt auf Grundlage der Optionspreisverfahren: 58 50 51 52 53 54 55 56 57 58 Vgl. Ballwieser (2002), S. 197 sowie die dort angegebene Literatur. Vgl. Bockemühl (2001), S. 173; Peske (2002), S. 75 f.; Vollert (2003), S. 41 f. Vgl. Schulmerich (2003), S. 73; Trigeorgis/Mason (2001), S. 56 und 59. Vgl. Wieland (2002), S. 157 f. Vgl. exemplarisch Copeland/Koller/Murrin (1998), S. 459 und Hommel/Müller (1999), S. 177; ähnlich Kogut/Kulatilaka (2001), S. 756. So findet sich die Aussage zur Dominanz der Realoptionstheorie gegenüber dem Kapitalwertverfahren auch nicht mehr in Copeland/Koller/Murrin (2000). Vgl. Broyles (2003), S. 184 ff.; Damisch (2002), S. 298 f.; Dörner (2003), S. 94 f. Vgl. Brach (2003), S. 46 ff.; Miller/Park (2002), S. 110; Vollert (2003), S. 40. Vgl. stellvertretend für viele andere Trigeorgis (2000), S. 124.

Implikationen der Realoptionstheorie für die wertorientierte Unternehmensführung 12 Erweiterter Kapitalwert = Kapitalwert auf Basis der DCF-Methode + Wert der Flexibilität auf Basis der Realoptionstheorie 2.2.2 Praktische Limitationen der Realoptionstheorie Vordergründig erscheint dies nun ein vielversprechender Ansatz zur Nutzung der Realoptionstheorie als ergänzendes Instrument der Unternehmensführung zu sein. Bei der Anwendung in der betrieblichen Praxis hingegen weist dieses Konzept, genauso wie die Realoptionstheorie selbst, gewisse Schwächen auf. So räumen selbst Verfechter der Theorie ein, dass die fundamentale Annahme der Analogie zwischen Real- und Finanzoptionen in der Unternehmensrealität zumeist gewissen Einschränkungen unterliegt (Abb. 5). 59 Kriterien Mögliche Ausprägungen von Realoptionen Handelbarkeit der Option/des Basiswerts Auf liquiden Märkten... Nicht gegeben Exklusivität der Option Gegeben... Nicht gegeben Interaktionen mit anderen Optionen Keine... Zahlreiche Unsicherheitsquelle(n) der Option Eine... Zahlreiche perfekt beeinträchtigt Merkmale von Finanzoptionen Abbildung 5: Analogie zwischen Real- und Finanzoptionen Limitationen der Analogie zwischen Real- und Finanzoptionen Beispielsweise werden Finanzoptionen grundsätzlich an liquiden Märkten gehandelt. Dies ist indessen für reale Optionen und deren Basiswerte typischerweise nicht der Fall oder ihr Handel unterliegt zumindest erheblichen Unvollkommenheiten. 60 Darüber hinaus verleihen Finanzoptionen ihrem Inhaber ein exklusives Recht an ihrer Ausübung. Konträr hierzu können Realoptionen mehreren Unternehmen gleichzeitig offen stehen. 61 Außerdem sind finanztheoretische Optionen prinzipiell unabhängig voneinander, wohingegen sich unternehmerische Flexibilität oftmals durch miteinander verbundene Realoptionen ausdrückt. 62 Schließlich hängt der Wert einer Realoption im Gegensatz zu dem einer Finanzoption nicht zwangsläufig nur von einer Unsicherheitsquelle ab, sondern wird gegebenenfalls durch mehrere Risikofaktoren determiniert. 63 Besonders anschaulich lassen sich diese Einschränkungen im Zuge eines Rückblicks auf die Versteigerung der UMTS-Lizenzen im Jahr 2000 illustrieren. 59 60 61 62 63 Vgl. exemplarisch Brach (2003), S. 331 ff.; Brennan/Trigeorgis (2000), S. 3 f.; Damodaran (2001a), S. 372 ff.; Vollert (2003), S. 33 ff. Vgl. Baecker/Hommel (2002), S. 55; Knecht (2003), S. 123; Triantis (2000), S. 71. Vgl. Damodaran (2001a), S. 382; Trigeorgis (2000), S. 128; Witt (2003), S. 135. Vgl. Farag (2003), S. 575; Hahn/Hungenberg (2001), S. 422. Vgl. Damodaran (2001b), S. 23 f.; Copeland/Antikarov (2003), S. 12 f.