Studienseminar Koblenz Wahlmodul 168 Erziehung in der Schule (Wie) Kann ich meine Schüler erziehen? Erziehung 1 Unter Erziehung werden soziale Handlungen verstanden, durch die Menschen versuchen, das Gefüge der psychischen Dispositionen anderer Menschen mit psychischen und / oder sozialkulturellen Mitteln in irgendeiner Weise dauerhaft zu verbessern oder seine als wertvoll erachteten Komponenten zu erhalten. (Brezinka, 1971) 1
Erziehung 2 Da Pädagogen keine Menschen "machen" und ihnen die Verbesserung der Welt (der "Verhältnisse") weder aufgetragen noch möglich ist, müssen sie sich auch nicht mit Entwürfen einer anderen oder besseren gesellschaftlichen Ordnung abgeben [...]. Sie haben den Auftrag, den jungen Menschen in die gewordene - teils gewollte, teils ungewollte - Kultur einzuführen, so dass er in ihr bestehen kann und sie nicht behindert oder beschädigt oder zerstört. Hartmut von Hentig Erziehung 2 Fragen Was braucht ein (junger) Mensch, um in dieser Gesellschaft überhaupt frei, würdig, für andere nützlich zu leben? Was hat er für Gaben, die ohne Schutz und rechtzeitige Förderung nicht zur Entfaltung kommen? Was muss und kann der junge Mensch selber dafür aufbringen? Was sollten die späteren Nutznießer - die Wirtschaft, die Wissenschaft, die einzelnen Einrichtungen - beisteuern? Hartmut von Hentig. Ach, die Werte! Über eine Erziehung für das 21. Jahrhundert München 1999 2
Erziehung heute Erziehung ist heute diffuser, wechselseitiger und aufwändiger geworden, zugleich unabsehbarer und unsicherer im Ertrag. Es gibt mehr Widerstände. Das Gelingen ist weniger schematisch, die Beziehungen sind auf fragile Weise vielfältiger geworden - eine Theorie, die diese Verhältnisse einfängt und glaubwürdig generalisiert, ohne die pädagogischen Illusionen zu vermehren, wäre zu entwickeln. (Oelkers) Erziehende unter Druck Allmachtsanspruch der Erziehung Unübersichtlichkeit der Welt mit Irritationen und Verunsicherungen Verlust verbindlicher Erziehungsnormen Abwenden vom autoritären Erziehungsstil Andere Erziehungsziele: Selbstständigkeit Selbstvertrauen Kreativität 3
Schule und Jugend im Differenzverhältnis Veränderte Erziehungsbedingungen und beziehungen stärkere Medieneinflüsse größere Steuerung der Interessen gestiegene Individualität bei temporärer Konformität veränderte Lernfelder und Erfahrungsräume neue Formen der häuslichen Unterhaltung erweiterte Toleranz gegenüber Kindern grundlegend veränderte Formen der Kontrolle 4
Schule und Jugend im Differenzverhältnis Das Alltagswissen der Jugendlichen ist durch die Medien und Pop-Kultur gespeist und weniger durch die kulturelle Überlieferung. Die Relevanz des Alltagswissens Jugendlicher ist an der Altersgruppe orientiert und weit entfernt von der kulturellen Überlieferung der Hochkultur. Schule und Jugend im Differenzverhältnis Trend der Informalisierung der Beziehungen Die Sozialformen sind lockerer geworden viele Fragen des Zusammenlebens werden ausgehandelt Maßstab ist weniger ein definierter Moralkodex, sondern Kriterien des Miteinander-Auskommens Jeder kann seinen Affekten, seiner Tagesstimmung, seinen Identitätsbedürfnissen viel Gewicht geben 5
2. Der Erziehungsauftrag der Schule Normalerweise konstituiert die Schule nicht das Leben ihrer Schüler; sie interveniert vielmehr in dieses Leben. Hermann GIESECKE Das Ende der Erziehung. Neue Chancen für Familie und Schule Stuttgart 185, 5. Auflage 1990, Neuausgabe 1996 Ders. Wozu ist die Schule da?neue Sammlung 35 (1995) Heft 3, S. 93-104 6
Schulgesetz Rheinland-Pfalz 1.2 In Erfüllung ihres Auftrags erzieht die Schule zur Selbstbestimmung in Verantwortung vor Gott und den Mitmenschen, zur Anerkennung ethischer Normen, zur Achtung vor der Überzeugung anderer, zur Bereitschaft, die sozialen und politischen Aufgaben eines Bürgers im freiheitlichdemokratischen und sozialen Rechtsstaats zu übernehmen, und zur verpflichtenden Idee der Völkergemeinschaft. Schulgesetz Rheinland-Pfalz 1.2 Sie führt zu selbständigem Urteil, zu eigenverantwortlichem Handeln und zur Leistungsbereitschaft; sie vermittelt Kenntnisse und Fertigkeiten mit dem Ziel, die freie Entfaltung der Persönlichkeit und die Orientierung in der modernen Welt zu ermöglichen, Verantwortungsbewusstsein für Natur und Umwelt zu fördern sowie zur Erfüllung der Aufgaben in Staat, Gesellschaft und Beruf zu befähigen. 7
Arbeitsauftrag: Wählen Sie drei Erziehungsziele aus und stellen Sie dar, wie Sie diese in Ihrem Unterricht verwirklichen können /wollen. 6. Bildungsziel Erwerb von Wertorientierungen ( soziale, demokratische und persönliche Werte) durch Erleben einer Wertgemeinschaft (Schulkultur, Klassengeist, Lehrervorbild, Gemeinschaftserfahrungen) wird begünstigt durch Motivationalen Lerntransfer Wird nicht gefördert durch spezielle Unterrichtsmethoden, sondern durch lebendige Schulkultur Franz Weinert, Sechs Bildungsziele 8
Erziehung in der Schule 1. Durch das Schulleben = Schule als Lebens- und Erfahrungsraum 2. Durch erziehenden Unterricht = Selbsterziehung und Selbsttätigkeit, Themen mit persönlicher/ gesellschaftlicher Relevanz = Motivierender Unterricht 3. Durch Öffnung der Schule = Einbindung der Schule in ihr gesellschaftliches Umfeld 1. Erziehung durch das Schulleben Regeln für einzuhaltende Umgangsformen (und Konsequenzen) Lehrerverhalten als Vorbild kompetent, begeisternd, ermutigend.. Erleben einer Schulgemeinschaft 9
Werte der Erziehung Zuneigung Achtung Kooperation Struktur Förderung 2. Erziehen im Unterricht Die im Unterricht behandelten Gegenstände sollen Schüler veranlassen, Einstellungen dazu zu entwickeln und einem Sachverhalt gegenüber begründet und aus eigener Einsicht Stellung nehmen zu können. (Sie formulieren Ihre Überlegungen dazu in der didaktischen Analyse, als affektive Lernziele.) 10
Erziehungsziele Erziehung zu Toleranz Solidarität, Nächstenliebe, Gemeinschaftssinn und Hilfsbereitschaft Praktischer Teilhabe an Gesellschaft und Politik Verantwortungsbewusstsein Achtung vor der Würde des Menschen Offenheit gegenüber neuen Herausforderungen nach : Ute Erdsiek-Rave, Kultuministerin Schleswig-Holstein. Rede am 13.9.2001 in der Hermann-Ehlers-Akademie 3.Erziehung Einige Konzepte 11
Erziehung: exemplarisch vier theoretische Positionen 1. Philosophische Position in der Tradition der Aufklärung 2. Pädagogik vom Kind aus (John Dewey, Jean Piaget) - >Progressive Pädagogik/ Reformpädagogik 3. Instrumentelle Position (W.Brezinka) 4. Verständigungsorientierte Auffassung 1. philosophische Position in der Tradition der Aufklärung Perfektionierung des Subjekts als Ziel der Erziehung (setzt eine ideale Natur des Menschen voraus) Paradoxie: Kind als autonomes Subjekt gesehen-> Objekt der Erziehung = Ziel: Emanzipation und Mündigkeit <-> Mittel: die im Kind angelegten Fähigkeiten müssen erst durch Erziehung entwickelt werden 12
2. Pädagogik vom Kind aus (Dewey, Piaget u.a.) Kind als Mittelpunkt der Erziehung Achtung vor dem Kind Erziehung pragmatisch gesehen: Kind nicht auf idealisiertes Bild des Menschen hin zu erziehen, sondern auf eigenes gelingendes gutes Leben hin Ausrichtung der Erziehung an der Zukunft der (demokratischen) Gesellschaft (Kritik an den (verstaatlichten) Schulen) 3. Instrumentelle Position der Erziehung (Wolfgang Brezinka) Erziehung bezeichnet Handlungen, durch die Menschen versuchen, die Persönlichkeit eines anderen in irgendeiner Hinsicht dauerhaft zu verbessern. Erziehung will Kindern das Wissen vermitteln, das sie brauchen, um ihr Leben selbständig zu führen. Dazu muss man wissen, welche Eigenschaften, Fähigkeiten, Tugenden zur Lebenstüchtigkeit nötig sind. 13
Instrumentelle Auffassung: Unter Erziehung werden soziale Handlungen verstanden, durch die Menschen versuchen, das Gefüge der psychischen Dispositionen anderer Menschen mit psychischen und / oder sozialkulturellen Mitteln in irgendeiner Weise dauerhaft zu verbessern oder seine als wertvoll erachtete Komponenten zu erhalten. (Brezinka, 1971) Merkmale jeder instrumentellen Auffassung von Erziehung Der zu erziehende als Mängelwesen Defizitsicht Zögling als Objekt der Erziehung Erziehung ist unidirektional Erziehung erweist sich als normative Machtfrage mit Überwachungsaufgaben 14
4. Verständigungsorientierte Auffassung Wie verstehen wir Erziehung? Anstand, Respekt und Mitgefühl, Toleranz und Friedensgesinnung, Disziplin und Selbstdisziplin, aber auch Selbstständigkeit und Verantwortungsbewusstsein fallen nicht vom Himmel. Sie brauchen das Vorbild der Erwachsenen, sie brauchen Ermutigung und Anleitung. Sie sind Ergebnisse der Erziehung; sie müssen erlebt und - manchmal auch mit Mühen - erlernt werden, bevor sie überzeugend gelebt werden können. (Bündnis für Erziehung, NRW) Erziehung als Verhandlung Beide Seiten tragen Verantwortung für die Erziehung, wenn auch ungleich verteilt. Die Erziehung begründet sich nicht mit Defiziten, sondern mit Potentialen, die uneingeschränkt angenommen werden müssen. Beschränkungen der Erfahrung von Kindern sind dort angebracht, wo begründet Schaden vermutet werden kann, also nicht einfach als Regelfall der Überwachung. 15
Erziehung im Sinne moralischer Kommunikation Erziehung heute geht in einem kommunikativen Prozess vonstatten Die Umstände zwingen uns Erzieher in diesen kommunikativen Prozess der Erziehung als Verhandlung Erziehung als unablässige Problembearbeitung in den wechselnden Situationen des Alltags Früher und heute Früher hatten Lehrkräfte folgende Aufgabe: Wie verwirkliche ich Erziehung anhand des von der Gesellschaft geteilten Normenkatalogs und mit Hilfe der von der Gesellschaft zur Verfügung gestellten Autorität. Heute haben wir folgende Aufgabe: Wie erreichen wir gemeinsam im Prozess einer moralischen Kommunikation erzieherisches Wirken in wechselnden Situationen unter den Belastungen des Alltags. 16