Einführung in komplexe Traumafolgestörungen und traumapädagogische Konzepte Interne Weiterbildung Forensische Klinik UPK Basel Marc Schmid, Basel, 8. Juni 2016 Kinder- und Jugendpsychiatrische Klinik 1
Beitrag der Psychotraumatologie Einleitung»Wir behandeln unsere Klienten nicht, um sie von etwas zu heilen, das ihnen in der Vergangenheit angetan worden ist; vielmehr versuchen wir, sie von dem zu heilen, was sie immer noch sich selbst und anderen antun, um mit dem, was ihnen in der Vergangenheit angetan wurde, fertig zu werden.«philip M. Bromberg (1998), US-Psychologe und Psychoanalytiker 1. Was ist ein Trauma 2. Komplexe Traumafolgestörungen 3. Einführung im die Traumapädagogik 4. Beziehungsorientierte Pädagogik des sicheren Ortes 5. Fazit 2
Was ist ein Trauma? Traumatisches Lebensereignis Extreme physiologische Erregung Flucht Freeze Fight Traumasymptome 3
Bei einer Traumatisierung laufen parallel zwei unterschiedliche physiologische Prozesse ab Übererregungs-Kontinuum Fight oder Flight Alarmzustand Wachsamkeit Angst / Schrecken Adrenalin-System wird aktiviert: Erregung Serotonerges System verändert sich: Impulsivität, Affektivität, Aggressivität Physiologisch Blutdruck (Pulsrate ) Atmung Muskeltonus Schmerzwahrnehmung Dissoziatives-Kontinuum Freeze ohnmächtige / passive Reaktion Gefühlslosigkeit / Nachgiebigkeit Dissoziation Opioid-System wird aktiviert: Euphorie, Betäubung Veränderung der Sinnes-, Körperwahrnehmung (Ort, Zeit etc.) Physiologisch Pulsrate Blutdruck Atmung Muskeltonus Schmerzwahrnehmung 4
Traumaprozess und Selbststeuerung Neokortex, Frontalhirn, präfrontaler Kortex Chefzentrale Mittelhirn: Amygdala Empfangsbereich Unteres Gehirn, Reptiliengehirn Überlebenscamp 5
Welche Erfahrungen mit Regeln bestehen? Was passiert bei einer Regelübertretung? Grosshirn: Bewusste intellektuelle Verarbeitung und Einordnung in biographischen Kontext Blockiert Reiz Pädagogische Intervention Reiz / Verhalten wird als potentiell gefährlich betrachtet Reptiliengehirn: Automatismen: Kampf, Flucht, Erstarrung (Freeze) 6
Biologische Faktoren Genetik, prä- und perinatale Risikofaktoren Soziale Wahrnehmung weniger soziale Kompetenzen Störungen der Empathiefähigkeit Mentalisierung Bindungsstörung Störungen der Interaktion PTSD: Hyperarousal, Intrusionen, Vermeidung Selbstwert, Gefühl d. Selbstunwirksamkeit kognitive Schemata Invalidierende, vernachlässigende Umgebung Typ-II-Traumata Störung der Impulskontrolle Selbstregulation Stresstoleranz Störung der Emotionsregulation Schmid (2008) Dissoziationsneigung/ Sinneswahrnehmung Störungen des Körperselbst Körperwahrnehmung Somatisierung Störung der exekutiven, kognitiven Funktionen 7
Biologische Faktoren Genetik, prä- und perinatale Risikofaktoren Soziale Wahrnehmung weniger soziale Kompetenzen Störungen der Empathiefähigkeit Mentalisierung Bindungsstörung Störungen der Interaktion PTSD: Hyperarousal, Intrusionen, Vermeidung Selbstwert, Gefühl d. Selbstunwirksamkeit kognitive Schemata Invalidierende, vernachlässigende Umgebung Typ-II-Traumata Störung der Impulskontrolle Selbstregulation Stresstoleranz Störung der Emotionsregulation Schmid (2008) Dissoziationsneigung/ Sinneswahrnehmung Störungen des Körperselbst Körperwahrnehmung Somatisierung Störung der exekutiven, kognitiven Funktionen 8
Krise: Spannungsreduktion Emotionsphobie Selbstverletzung Parasuizid Weglaufen Aggression Dissoziation Konsum Stimulus Emotion Reaktion Spannungsanstieg negiert inadäquat Das Dilemma ist, dass diese Patienten entweder zu viel oder zu wenig von ihren Gefühlen wahrnehmen! (van der Hart) 9
Emotionsregulation «Jeder kann wütend werden, das ist einfach. Aber wütend auf den Richtigen zu sein, im richtigen Mass, zur richtigen Zeit, zum richtigen Zweck und auf die richtige Art, das ist schwer.» Aristoteles Von: http://www.oel-bild.de/bilder/13604m.jpg 10
«Organisiere meine Gefühle» Wie Kinder lernen, mit ihren Emotionen umzugehen» Anfangs werden die Gefühle von der primären Bezugsperson organisiert.» Dann werden die Gefühle mit Hilfe der Bezugsperson organisiert.» Und schliesslich kann das Kind seine Gefühle selbst organisieren. (Cooper, Hoffman & Powell, 2001) 11
Biologische Faktoren Genetik, prä- und perinatale Risikofaktoren Soziale Wahrnehmung weniger soziale Kompetenzen Störungen der Empathiefähigkeit Mentalisierung Bindungsstörung Störungen der Interaktion PTSD: Hyperarousal, Intrusionen, Vermeidung Selbstwert, Gefühl d. Selbstunwirksamkeit kognitive Schemata Invalidierende, vernachlässigende Umgebung Typ-II-Traumata Störung der Impulskontrolle Selbstregulation Stresstoleranz Störung der Emotionsregulation Schmid (2008) Dissoziationsneigung/ Sinneswahrnehmung Störungen des Körperselbst Körperwahrnehmung Somatisierung Störung der exekutiven, kognitiven Funktionen 12
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Teufelskreis im Team Narzismusfalle Lohmer (2002) Mitarbeiter zieht sich zurück oder reagiert über. Auftreten der Symptomatik, Entwertung des Mitarbeiters «Narzismusfalle» Jugendlicher macht «besonderes» Beziehungsangebot Mitarbeiter fühlt sich unwohl, überfordert, emotional stark involviert. Jugendliche/r «testet» Beziehung aus. Reinszenierung von Abbrüchen, Beziehungserfahrungen Jugendlicher fordert Beziehung immer stärker und intensiver ein. Hält diese intensive Beziehungen kaum aus. 14
Mittlerer Abstand in der Beziehungsgestaltung Der Verstand kann uns sagen, was wir unterlassen sollen. Aber das Herz kann uns sagen, was wir tun müssen. Joseph Joubert Emotionales Engagement Reflektierende/ professionelle Distanz Dammann (2006), Schmid (2007) 15
Traumapädagogische Beziehungsgestaltung Schwierige Balancen 16
Pollak et al. 2003, 17
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Halt! 25
Ärger / Wut 26
Biologische Faktoren Genetik, prä- und perinatale Risikofaktoren Soziale Wahrnehmung weniger soziale Kompetenzen Störungen der Empathiefähigkeit Mentalisierung Bindungsstörung Störungen der Interaktion PTSD: Hyperarousal, Intrusionen, Vermeidung Selbstwert, Gefühl d. Selbstunwirksamkeit kognitive Schemata Invalidierende, vernachlässigende Umgebung Typ-II-Traumata Störung der Impulskontrolle Selbstregulation Stresstoleranz Störung der Emotionsregulation Schmid (2008) Dissoziationsneigung/ Sinneswahrnehmung Störungen des Körperselbst Körperwahrnehmung Somatisierung Störung der exekutiven, kognitiven Funktionen 27
Dissoziative Prozesse http://www.silberpapier.de/images/dis.gif https://www.sozialversicherung.at/mediadb/mmdb64312_40879.jpg 28
Dissoziation und Trauma 10% der Traumatisierten entwickeln sofort eine chronische Dissoziationsneigung (Overkamp 2002). 50% bei sequentieller Traumatisierung (Murie et al. 2001). Dissoziierende Erwachsene sprechen von stärkeren/häufigeren Kindheitstraumata (Nash et al. 2009) Cartoon Renate Alf: http://www.zimannheim.de/psm_links.html Extreme, emotional negativ aufgeladene Familienatmosphäre scheint das Ausmass der Dissoziationsneigung wesentlich zu beeinflussen (Sanders & Giolas 1991, DiTomasso & Routh 1993). Zusammenhang wird auch von anderen Faktoren moderiert (Merckelbach & Muris 2001). 29
Biologische Faktoren Genetik, prä- und perinatale Risikofaktoren Soziale Wahrnehmung weniger soziale Kompetenzen Störungen der Empathiefähigkeit Mentalisierung Bindungsstörung Störungen der Interaktion PTSD: Hyperarousal, Intrusionen, Vermeidung Selbstwert, Gefühl d. Selbstunwirksamkeit kognitive Schemata Invalidierende, vernachlässigende Umgebung Typ-II-Traumata Störung der Impulskontrolle Selbstregulation Stresstoleranz Störung der Emotionsregulation Schmid (2008) Dissoziationsneigung/ Sinneswahrnehmung Störungen des Körperselbst Körperwahrnehmung Somatisierung Störung der exekutiven, kognitiven Funktionen 30
Einführung in die Traumapädagogik «Man ist dort zu Hause, wo man verstanden wird.» Indianisches Sprichwort Warum eine Traumapädagogik? 31
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Eigentlich ein altbekanntes physikalisches Prinzip Reihenschaltung RGes = R1 + R2 Parallelschaltung RGes = 1/R1 + 1/R2 Bei einer Reihenschaltung von Widerständen / psychosozialen Hilfen wird der Widerstand größer Bei einer Parallelschaltung von Widerständen / psychosozialen Hilfen wird der Widerstand kleiner als die einzelnen Widerstände (vgl. Rosen- Runge, 2009) 33
Grundidee zur Analyse von Problemverhalten Vom Du zum Wir Überspitzt das klassische Modell Erziehungsmassnahmen zur Veränderung 34
Grundidee zur Analyse von Problemverhalten Vom Du zum Wir Überspitzt das klassische Modell Kind muss sich verändern Erziehungsmassnahmen zur Veränderung 35
Klassisches Modell schwierig, weil Zwei zentrale Herausforderungen an die Pädagogik Die traumatisierten Kinder/Klienten gehen mit pädagogischen Bezugspersonen keine ausreichend vertrauensvolle Beziehung ein, so dass klassische pädagogische Interventionen nicht gut gesetzt werden und ihre Wirkung kaum entfalten können. Traumatisierte Kinder/Klienten konnten die notwendigen Fähigkeiten zu Selbstregulation in ihren belastenden, vernachlässigenden und misshandelnden Beziehungen gar nicht oder nur bedingt entwickeln und scheitern deshalb häufig in Situationen, in denen diese Fertigkeiten der Selbstregulation gefragt sind. 36
Bindung und Selbstregulation bei traumatisierten Kindern Ein pädagogisches Dilemma Gehen kaum Beziehungen ein Dilemma: Brauchen Unterstützung bei der Selbstregulation Klienten brauchen Beziehung, um Selbstregulation erlernen zu können können aber noch keine normalen Beziehungen eingehen 37
Grundidee zur Analyse von Problemverhalten Vom Du zum Wir Interaktion pädagogische Begegnung 38
Grundidee zur Analyse von Problemverhalten Vom Du zum Wir Die Beziehungsfähigkeit des Kindes soll sich verbessern? Wie können wir gemeinsam unsere Ziele erreichen und die Entwicklungsaufgaben des Kindes erfüllen? Interaktion pädagogische Begegnung Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel www.upkbs.ch 28. Oktober 2015 39
Neue Beziehungserfahrungen führen zu Veränderung 40
Traumapädagogik: Korrigierende Beziehungserfahrung Traumapädagogische Haltung Traumatisierendes Umfeld Unberechenbarkeit Einsamkeit Nicht gesehen/gehört werden Geringschätzung Kritik und Entmutigung Bedürfnisse missachtet Ausgeliefert sein andere bestimmen absolut über mich Leid Traumapädagogisches Milieu Transparenz/Berechenbarkeit Beziehungsangebote/Anwaltschaft Beachtet werden/wichtig sein Wertschätzung (Besonderheit) Lob und Ermutigung Bedürfnisorientierung Mitbestimmen können Partizipation Freude 41
Zwei Ebenen der Emotions- und Beziehungsregulation Gegenwärtige Wirklichkeit Wahrnehmung Körperreaktion Gedanken Handlungsdrang «Normale» Beziehungen Gefühle Aktuelle Gefühlsreaktionen (nicht nur eigene) werden heftiger und als potentiell bedrohlich erlebt Vergangenes traumatisches Erleben Wahrnehmung Körperreaktion Gedanken Gefühle Handlungsdrang = Freeze/Fight/Flight «Gefährliche» Beziehungen «Glaubenssätze» «Selbstbild» 42
Wirkungsweise der Milieutherapie Gegenwärtige Wirklichkeit Wahrnehmung Körperreaktion Gedanken Handlungsdrang Gefühle Traumapädagogisches Milieu / Therapie Korrigierende Erfahrungen mit Gefühlen und Beziehungen im pädagogischen Alltag. Schutz vor Retraumatisierung und den damit verbunden Gefühlen. Wahrnehmung Körperreaktion Gefühle Gedanken Handlungsdrang Vergangenes traumatisches Erleben Förderliche Beziehungsgestaltung Wahrnehmung Körperreaktion Gefühle Gedanken Handlungsdrang = Freeze «Glaubenssätze» und «Selbstbild» verändern sich nur durch alternative Beziehungserfahrungen und gute Therapie. 43
Eine beziehungsorientierte Pädagogik ist festzumachen Zum Beispiel an Sprache und am Umgang mit Regeln Über Sprache werden oft wichtige Beziehungsaussagen transportiert. Komplex traumatisierte, psychisch misshandelte und vernachlässigte Kinder haben oft sehr negative Aussagen über sich gehört. Im Umgang mit Regeln traumatisierte Kinder haben in ihren Familien oft einen sehr belasteten, willkürlichen Umgang mit Regeln erlebt. Die Regeln waren ihrem Entwicklungsstand oft nicht angemessen und haben sie überfordert. Die Nichteinhaltung von Regeln wurde in Abhängigkeit von der Stimmung der Eltern oft drastisch sanktioniert, teils aber auch gar nicht beachtet. 44
Sprache und Beziehung in kritischen Situationen Manchmal kommt es doch sehr auf das richtige Wort an «Der Unterschied zwischen dem richtigen Wort und dem beinahe richtigen Wort ist derselbe Unterschied wie der zwischen einem Blitz und einem Glühwürmchen.» Mark Twain 45
Sprache in psychosozialen Beziehungen Vier-Ohren-Prinzip von Schulz von Thun (I) Selbstoffenbarungsohr Was sagt der Sprecher über sich aus? Sachohr Was ist der Sachverhalt? / Beziehungsohr Was hält der andere von mir? Wie redet er mit mir? Appellohr Was soll ich tun, denken, fühlen? 46
Sprache in psychosozialen Beziehungen Beispiel Selbstoffenbarungsohr «Ich bin völlig erledigt und koche jetzt auch noch, ich brauche Entlastung.» «Schatz, der Mülleimer in der Küche ist schon wieder voll.» Beziehungsohr «Ich wünsche mir Unterstützung von Dir.» Sachohr Der Mülleimer ist so voll das nichts mehr drin Platz hat. Appellohr «Trag bitte den Mülleimer runter.» 47
Sprache in psychosozialen Beziehungen Eine pädagogische Situation Ämtli nicht gemacht Selbstoffenbarungsohr «?» Ich nehme dich nicht mit zum Fussball- Du hast dein Ämtli noch nicht gemacht. Beziehungsohr «?» Sachohr Das Ämtli ist noch nicht gemacht. Appellohr «Spüre, wie wichtig es ist, Dein Ämtli zu machen.» 48
Unsere Kommunikation stets eine Herausforderung Unachtsamkeit führt oft zu Missverständnissen Wir hören stets mit vier Ohren! Sprechen aber bewusst oft nur zu einem oder zwei Ohren. Eine Ansprache an das «Appellohr» alleine führt oft - eigentlich fast immer - zu Widerstand und Reaktanz. Menschen mit traumatischen Erfahrungen füllen de Aussagen mit Sätzen und Annahmen über sich und Beziehungen sie Sie häufig gehört haben und nicht im Sinne des Sprechers sind. Es macht Sinn, Wünsche und Erwartungen auch mit Selbstaussagen und Beziehungsaussagen zu untermauern. Bei Menschen mit belasteten Bindungserfahrungen ist es sehr wichtig, immer auch das Beziehungsohr bewusst zu adressieren - «Wir-Sprache». 49
Gruppenregeln und Selbstwirksamkeit - Selbstunwirksamkeit http://www.phpresource.de/forum/attachments/o ut-order/2455d1181334360-na-toll-na-toll.jpg Mit traumatisierten Kindern eskalieren viele Situationen, bei denen die Einhaltung von Regeln eingefordert wird. Starre Gruppenregeln überfordern besonders belastete Kinder häufig. Je rigider die Anwendung von Regeln desto unsicherer sind in der Regel die Fachkräfte. Regeln werde daher individuell ausgehandelt und begründet (Selbstwirksamkeit; Regeln sichern gute Beziehungen). Regeln sollen personifiziert und internalisiert werden (familienähnliche Struktur). Regeln sind dazu da, Ausnahmen zu begründen! 50
Umgang mit Regeln Deeskalation hat immer Vorfahrt Für welche Regel lohnt sich das Risiko einer pädagogischen Eskalation? Was sind die Folgen? (Lohnt eine Eskalation bis 1 Uhr nachts wegen Licht aus um 22.00 Uhr?). Suche den richtigen Moment, um eine Regelverletzung zu besprechen. Achte auf eine wertschätzende Haltung und Argumente, warum Dir diese Regel wichtig ist. Das Einfordern einer Regel macht nur in Situationen Sinn, in denen das Kind diese auch aufnehmen, annehmen und verstehen kann. 51
Deeskalation hat Vorrang Ruhe bewahren «Wenn du im Recht bist, kannst du dir leisten, die Ruhe zu bewahren; und wenn du im Unrecht bist, kannst du dir nicht leisten, sie zu verlieren.» Mahatma Gandhi 52
Verstärkung von Anspannung in Interaktionen Anspannung Kind Anspannung Bezugsperson Wer in sich selbst beruhigt ist, der beunruhigt auch den Anderen nicht. Epikur 53
Mitarbeiter als Teil des pädagogischen Konzeptes Traumatisierte Kinder lösen bei professionellen Helfern intensivste Gefühle aus Phänomen der sekundären Traumatisierung. Letztlich ist für die Frage, ob ein Kind nach einer Eskalation auf einer Wohngruppe verbleiben und gehalten werden kann, nicht das Problemverhalten, sondern die Tragfähigkeit des Teams ist entscheidend. Nur stabile, sichere Mitarbeiter können in Krisensituationen stabilisieren und deeskalieren. Mitarbeiter benötigen in Krisensituationen ähnliche innerpsychische Fertigkeiten (natürlich auf viel höherem Niveau), wie die Kinder (Emotionsregulation, Selbstwirksamkeit, Resilienzfaktoren). Sowohl die Heranwachsenden als auch die Mitarbeiter brauchen letztlich einen sicheren Ort, an dem sie sich selbstwirksam erleben. 54
Die Trias des «sicheren Ortes» Sichere Kinder, sichere Mitarbeiter, sichere Strukturen Mitarbeiter Kinder und Jugendliche Struktur Sicherer Ort 55
Haltung Sicherer Ort Sicherer Ort = Äussere Sicherheit + Innere Sicherheit 56
Schmid (2010/2011) Institution Leitung Versorger Fachdienst Gruppen- pädagogen Kind Externe Hilfen: Kollegiale Intervision/ Supervision/ Coaching/ Verband
Traumapädagogische Krisenanalyse «Verstehen kann man das Leben nur rückwärts, leben muss man es aber vorwärts.» Sören Kierkegaard http://de.wikipedia.org/wiki/datei :Kierkegaard.jpg Drei Ebenen der Unterstützung: Administrative Ebene (eher Fachdienst) Abläufe Fachliche Weisungen Rechtliche Rahmenbedingungen Edukative Ebene Vermittlung von Wissen, Techniken Fallverstehen - Bedürfnisse Interaktionsanalyse Supportive Ebene Emotionale Unterstützung/Entlastung Verständnis 58
Traumapädagogische Konzepte Selbstwirksamkeit der Mitarbeiter stärken 59
Heilung von Beziehungen durch eine «In-Zeit» (Cassidy, Cooper, Hoffman & Powell, 2001) Ich bin aufgebracht und mein Kind ist aufgebracht. oder Ich bin ruhig (genug) und mein Kind ist aufgebracht. oder Ich bin ruhig (genug) und mein Kind ist ruhig (genug). 60
Umgang mit schwierigen Interaktionen «Um weiter zu springen, muss man manchmal einen Schritt zurücktreten.» Französisches Sprichwort 61
Die Annahme des guten Grundes Suchen des «guten Grundes» für jedes Verhalten «Wer ein Warum fürs Leben hat, erträgt fast jedes Wie.» Friedrich Nietzsche 62
Traumapädagogische Auswege Wider der Alternativlosigkeit Traumatische Erlebnisse sind Erfahrungen der Ausweglosigkeit und des Ausgeliefertseins, die mit Gefühlen der Ohnmacht und Hoffnungslosigkeit einhergehen. Diese Gefühle der Alternativlosigkeit können sich leicht auch auf das Helfersystem übertragen deshalb ist es wichtig, stets noch einen Plan B zu haben und sich nie unnötig in seiner Handlungsfreiheit einzuschränken. Biete traumatisierten Klienten immer Wahlmöglichkeiten an, wenn Du etwas Unangenehmes von ihnen verlangst. «Handle stets so, dass die Zahl deiner Wahlmöglichkeiten grösser wird.» Heinz von Förster 63
Arbeit mit Emotionen Ausgangsniveau Anspannung Individueller Ausflippbereich 64 t
Emotionale Verwundbarkeit reduzieren Berechenbare Abläufe Dienstpläne Visualisierungen Ritualisierte Alltagsabläufe Ruhephasen im Alltag Rückzugsräume beruhigende Umwelt Farben/Pflanzen Ausreichend Schlaf und Bewegung Gesunde Ernährung Ausreichend trinken (Dehydration verstärkt Dissoziation) Keine Drogen (THC) Behandlung von körperlichen Erkrankungen Soziale Alltagsprobleme ansprechen und abschliessen 65
Traumapädagogische Förderung Spezifische Förderung unterentwickelter Fertigkeiten Traumatisierte Klienten konnten in ihren Herkunftssystemen bestimmte wichtige Fertigkeiten nicht erlernen, diese müssen mit ihnen im Rahmen der Traumapädagogik spezifisch gefördert werden. Sinnes- und Körperwahrnehmung Emotionsregulation Resilienzfaktoren Selbstwirksamkeit Stresstoleranz Bindung und Mentalisierung Soziale Kompetenz Resilienz 66
YPI (MW) YPI: Veränderungen Modell (N=17) Spiegel (N=32) 13 12 11 d=0.55 d=0.40 10 9 Prä Post 8 07 Modell Spiegel Modell Spiegel Modell Spiegel Modell Spiegel Interpersonal Affektiv Behavioral Gesamt
Fazit Wer diesen Kindern und Jugendlichen eine professionelle, reflektierte und emotional engagierte Bindungsperson sein möchte, braucht ausreichende persönliche, emotionale, soziale, institutionelle Unterstützung. Die Träger benötigen ausreichende gesellschaftliche Anerkennung, Ausstattung und personelle Ressourcen, um die dafür notwendigen Strukturen verlässlich in ihre Konzepte und Prozesse zu integrieren! 68
Literatur 69
Besten Dank für Ihre Aufmerksamkeit Kontakt Dr. Marc Schmid Leitender Psychologe Kinder- und Jugendpsychiatrische Klinik Schanzenstrasse 13 CH-4056 Basel +41 61 265 89 74 marc.schmid@upkbs.ch www.equals.ch www.ipkj.ch http://www.upkbs.ch 70