Lösung zu Fall 7 A) Ansprüche der A gegen I In Betracht kommen nur Ansprüche aus übergegangenem Recht. Da hier die A als gesetzlicher Krankenversicherer die Heilungskosten des T übernommen hat, sind sämtliche Ansprüche des T gegen I auf Ersatz der Heilungskosten durch Legalzession gem. 116 I SGB X auf A übergegangen. Fraglich ist daher nur, ob Schadensersatzansprüche des T gegen I entstanden sind. I. 280 I, 241 II 1 Voraussetzung: Schuldverhältnis zwischen T und I. Kein unmittelbarer Kontakt, daher allenfalls Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte. Hier (-), der Vertrag zwischen Hersteller bzw. Großhändler und Endverkäufer entfaltet keine Schutzwirkung für den Verbraucher (grundlegend BGHZ 51, 96 "Hühnerpestfall"). Kategorien der Gefährdungshaftung: Haftung für Tiere, 833, 1 BGB Haftung für Verkehrsmittel, vgl. 7 StVG, 1 HaftPflG, 33 LuftVG Haftung für Energieträger, vgl. 2 HaftPflG, 25 AtomG Haftung für Umweltschäden, vgl. 22 WHG, 1 UmweltHG, 32 GenTG Haftung für Produkte, vgl. 1 ProdHaftG, 84 AMG II. 1 I ProdHaftG Tipps zur Produkthaftung: Die Produkthaftung nach dem ProdHaftG und die Produzentenhaftung gem. 823 I BGB bestehen nebeneinander (Anspruchskonkurrenz, s. 15 II ProdHaftG), sind daher auch nebeneinander zu prüfen. Eine logisch zwingende Prüfungsreihenfolge besteht nicht, doch ist es meist sinnvoll, 1 ProdHaftG als voraussetzungsärmere Norm zuerst zu prüfen. Der Anspruch aus 823 I ist verschuldensabhängig (praktisch wegen der Beweislastumkehr dazu näher unten Haftung wegen vermuteten Verschuldens), bietet aus Sicht des Geschädigten aber einige Vorteile: - keine Beschränkungen bei Sachbeschädigung (vgl. 1 I 2 ProdHaftG) - keine Haftungshöchstbeträge oder Selbstbeteiligung ( 10 f. ProdHaftG) - Haftung auch bei Verletzung der Produktbeobachtungspflicht. Dagegen ist seit dem 1. 8. 2002 ein wesentlicher Unterschied zwischen beiden Ansprüchen entfallen: Gem. 8, 2 ProdHaftG ist jetzt auch im Rahmen der Produkthaftung ein Schmerzensgeldanspruch vorgesehen. 1 Alle ohne Gesetzesangabe sind solche des BGB.
2 Zum Aufbau bei Prüfung des 1 ProdHaftG: Keine Schemata lernen, sondern einfach dem Aufbau des Gesetzes folgen! Rechtsgutsverletzung ( 1 I) durch ein Produkt ( 2), das fehlerhaft ist ( 3) und vom Anspruchsgegner hergestellt oder importiert wurde ( 4). Nur die Ausschlussgründe des 1 II, III prüfe ich am Ende der Haftungsbegründung. 1. Haftungsbegründung a) Verletzung eines durch 1 I ProdHaftG geschützten Rechtsguts (+), Körperverletzung b) Produkt ( 2 ProdHaftG) (+), Feuerwerkskörper = Sachen c) Fehler Der unbestimmte Wortlaut des 3 ProdHaftG bietet hier nur geringe Anhaltspunkte. Nach h.m. ist aber die von der Rechtsprechung zu 823 entwickelte Fehlertypologie mit kleinen Abweichungen anwendbar: Konstruktionsfehler (+), wenn das Produkt eine andere Konstruktion aufweist, als sie ein sorgfältiger Hersteller gewählt hätte, um den Benutzer vor einem übermäßigen Risiko zu schützen. Beispiel: LG Köln NJW 2005, 1199 (falsch platzierter Getränkehalter in Kfz als Konstruktionsfehler). Kriterien: Stand der Technik (keine Haftung für Entwicklungsgefahren), Möglichkeit alternativer Konstruktion, Risiken bei bestimmungsgemäßem Gebrauch oder naheliegendem Fehlgebrauch (Beispiel: BGH JZ 1999, 947 Verletzung eines Kindes durch Papierreißwolf), Abgrenzung zwischen überhöhtem und akzeptablem Risiko. Fabrikationsfehler (+), wenn die Konstruktion zwar einwandfrei ist, es bei der Fertigung aber eine Abweichung der Ist- von der Sollbeschaffenheit gekommen ist. Beispiel: Entscheidung des britischen House of Lords in Donoghue v. Stevenson, [1932] All ER 1 Reste einer verwesten Schnecke in einer Ginger Ale-Flasche. Erweiterung der Beweislastumkehr durch BGHZ 104, 323 Limonadenflaschen : Befundsicherungspflicht des Herstellers Pflicht des Herstellers, sich über die Freiheit der Produkte von typischen Mängeln zu informieren. Unterschied zwischen 1 ProdHaftG und 823 I BGB: Haftung für Ausreißer nur gem. 1 ProdHaftG. (da unter 823 I das Verschulden fehlt, s. BGHZ 51, 105) Instruktionsfehler (+), wenn auf typische Gefahren nicht hingewiesen oder mögliche Hinweise zur Risikominimierung unterlassen werden. Beispiele: BGHZ 116, 60 Kindertee, BGH JZ 1999, 947 m. Anm. Foerste Papierreißwolf. Produktbeobachtungsfehler (+), wenn der Hersteller auf später auftretende Risiken nicht durch Hinweise, ggf. auch durch Rückruf reagiert (vertiefend Michalski, BB 1998, 961 ff.). Str., ob auch unter 1 ProdHaftG anwendbar, wohl (-), Arg. 1 II Nr. 5 ProdHaftG.
3 Hier kein Anhaltspunkt für Konstruktions- oder Fabrikationsfehler. Denkbar aber Verletzung der Instruktionspflicht, da eine Warnung an den Letztverkäufer fehlte, das Feuerwerk nicht an unbeaufsichtigte Kinder abzugeben. Kriterien: besondere Gefährlichkeit Gefahr der unsachgemäßen Anwendung durch Kinder (vgl. 3 I b ProdHaftG: Gebrauch, mit dem billigerweise gerechnet werden kann) kein Ausschluss der Pflicht durch sprengstoffrechtliche Klassifizierung, da sie nur einen Mindeststandard setzt. Daher Fehler (+) d) Hersteller, gem. 4 II ProdHaftG auch Importeur bei Ersteinfuhr in den EWR e) kein Ausschluss gem. 1 II, III ProdHaftG 2. Haftungsausfüllung ( 6 ff. ProdHaftG, 249 ff.) a) Ersatz der Heilungskosten gem. 8 ProdHaftG, Höchstbetrag des 10 ProdHaftG vermutlich nicht erreicht. b) Schmerzensgeld, gem. 8, 2 ProdHaftG zwar mittlerweile möglich, insoweit aber kein Übergang des Anspruchs auf die AOK, da der Krankenversicherer dem Versicherten kein Schmerzensgeld zahlt. Gefragt ist in der Aufgabe nur nach Ansprüchen der AOK. Bei einer Frage nach der Rechtslage wäre noch ein Anspruch des T auf Schmerzensgeld zu prüfen. c) Mitverschulden ( 6 ProdHaftG, 254 I) aa) Zurechnungsfähigkeit des T: gem. 828 III nach Einsichtsfähigkeit des T zu beurteilen, dafür spricht hier die ausdrückliche Ermahnung durch die Eltern, die auch einen 10jährigen vermutlich dazu motivieren kann, die Gefährlichkeit von Feuerwerkskörpern zu erkennen (vgl. OLG Nürnberg NZV 2006, 580: siebenjähriges Kind kann nach elterlicher Ermahnung erkennen, dass eine Außenlampe beim Kicken vor der Eingangstür zu Bruch gehen kann). bb) fahrlässiges Verhalten, da T Feuerwerkskörper in die Hosentasche steckt und sich nach Anzünden nicht sofort entfernt. cc) Daher Mitverschulden von 25 % (a.a. vertretbar). dd) Übergang des Anspruchs auf die A daher nur anteilig in Höhe von 75 % des gesamten Schadens ( 116 III 1 SGB X). III. 823 I 1. Anwendbarkeit neben 1 ProdHaftG (+), 15 II ProdHaftG 2. Haftungsbegründung a) Tatbestand aa) Rechtsverletzung (+), Körperverletzung
4 bb) Handlung des I = Import und Inverkehrbringen der Feuerwerkskörper, also mittelbare Verletzung, nur tatbestandsmäßig, wenn eine konkrete Verhaltenspflicht verletzt. (1) Als herstellerspezifische Verkehrspflicht kommt hier die Instruktionspflicht in Betracht, die I verletzt hat (s.o.) (2) Der Importeur haftet für Verletzungen der Instruktionspflicht ebenso wie der (inländische) Hersteller, vgl. BGHZ 99, 167 (170). cc) Kausalität: Der BGH lehnt zwar hinsichtlich des Kausalitätsnachweises eine Beweislastumkehr ab, geht aber von einer tatsächlichen Vermutung dahingehend aus, dass die Warnung ihr Ziel nicht verfehlt hätte (MüKo/Wagner, 823, Rn. 616). Hier hätte sich die Warnung an die Endverkäuferin gerichtet. Ihr pflichtgemäßes Verhalten unterstellt, wäre es nicht zum Verkauf an K gekommen. Zurechenbarkeit im Übrigen unproblematisch. b) Rechtswidrigkeit (+), keine Rechtfertigungsgründe ersichtlich c) Verschulden, 276 II, wird im Rahmen der Produzentenhaftung vermutet, wenn wie hier der Schaden durch einen Produktfehler verursacht wurde. Entlastungsmöglichkeit des I hier nicht ersichtlich. 2. Haftungsausfüllung, 249 ff. a) Heilungskosten (+), 249 II b) Schmerzensgeld, grundsätzlich (+), 253 II, insoweit aber kein Übergang des Anspruchs, s.o. c) Mitverschulden, 254 I, s.o. IV. Inhaltsgleicher Anspruch aus 823 II i.v.m. 229 StGB B) Ansprüche gegen K I. 280 I, 311 II, 241 II 1. Haftungsbegründung a) Bestehen eines Schuldverhältnisses aa) Vertragsschluss zwischen K und T, Problem: T ist beschränkt geschäftsfähig ( 2, 106), bedarf also grundsätzlich der Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters ( 107). Denkbar hier 110, weil T das Feuerwerk von seinem Taschengeld bezahlt. 110 ist aber nach h.m. ein Spezialfall der Einwilligung ( 107, 183 I), greift also nicht ein, wenn die Zustimmung der Eltern im konkreten Fall beschränkt war, was durch Auslegung ( 133, 157) zu ermitteln ist. Da die Eltern T das
5 Hantieren mit Feuerwerk verboten haben, haben sie ihm im Zweifel auch den unbeaufsichtigten Erwerb von Feuerwerkskörpern verboten. bb) Denkbar aber: Entstehen vorvertraglicher Schutzpflichten ( 311 II, 241 II) zugunsten des Minderjährigen. Zwar richtet sich die Wirksamkeit vorvertraglicher Schuldverhältnisse nach h.m. grundsätzlich ebenfalls nach 107 ff., doch entfaltet 311 II (die frühere cic) auch dann Schutzwirkungen zugunsten Minderjähriger, wenn sie selbst nicht haften. b) Pflichtverletzung aa) Schutzpflicht i.s.d. 241 II = Warnung vor der Gefahr, Pflicht besteht bei konkret erkennbarer Gefahrenlage auch dann, wenn das Produkt keinen ausdrücklichen Warnhinweis enthält. bb) K hat den T nicht gewarnt, die Pflicht mithin verletzt. c) Vertretenmüssen, wird gem. 280 I 2 vermutet, Frage, ob Vermutung hier durch K widerlegbar. für Exkulpation (so hinsichtlich der Fahrlässigkeit bei Verletzung der Verkehrspflicht der BGH im Ausgangsfall, insoweit nur in JZ abgedruckt): für K war die Gefährlichkeit des Feuerwerkskörpers mangels entsprechender Packungshinweise nicht erkennbar, K verfügt als Kioskbetreiberin über keinerlei einschlägige Kenntnisse. dagegen (Möllers, JZ 1999, 24 (28)): Die Gefährlichkeit von Feuerwerkskörpern jeder Art ist allgemein bekannt, zudem gelten gerade gegenüber Kindern gesteigerte Sorgfaltspflichten. Stellungnahme: Auch eine Kioskbetreiberin muss die Gefahren von Feuerwerkskörpern kennen und berücksichtigen, dass 10jährige mit derartigen Gegenständen häufig unverantwortlich umgehen. Daher hätte es der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt entsprochen, T zumindest vor den Gefahren zu warnen (a.a. gut vertretbar). Fahrlässigkeit ( 276 II) daher (+). 2. Haftungsausfüllung ( 249 ff.) = der durch die Pflichtverletzung in zurechenbarer Weise verursachte Schaden ist nach Maßgabe der 249 ff. zu ersetzen. a) Heilungskosten ( 249 II) (+), insbesondere bestehen keine Zweifel an der haftungsausfüllenden Kausalität und Zurechenbarkeit (= Kausal- und Zurechnungszusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Schaden). b) Schmerzensgeld ( 253 II), grundsätzlich (+), aber kein Übergang auf die A, s.o. c) Mitverschulden des T, s.o. II. 1 ProdHaftG (-), denn K ist weder Herstellerin noch eine gem. 4 ProdHaftG dem Hersteller gleichgestellte Person.
6 III. 823 I 1. Haftungsbegründung a) Tatbestand aa) Rechtsverletzung = Körperverletzung (+), s.o. bb) Handlung = Verkauf der Feuerwerkskörper. Mittelbare Verletzung, daher Frage, ob K hier eine Verkehrspflicht des Verkäufers verletzt hat. Vgl. die Argumentation zum vertraglichen Anspruch: Ein Verkäufer muss auch dann auf erkennbare Gefahren des Produkts hinweisen, wenn das Produkt keinen Warnhinweis enthält. cc) Kausalität und Zurechnung (+), s.o. 2. Rechtswidrigkeit (+), keine Rechtfertigungsgründe e rsichtlich 3. Verschulden ( 276 II) zweifelhaft, hier aber aus den oben, II, genannten Gründen zu bejahen. 2. Haftungsausfüllung ( 249 ff.) (+), s.o. IV. Inhaltsgleicher Anspruch aus 823 II i.v.m. 229 StGB. C) I und K haften als Gesamtschuldner ( 840 I) Zur Vertiefung: BGHZ 51, 91 "Hühnerpestfall", BGHZ 104, 323 "Limonadenflaschen", BGHZ 116, 60 "Kindertee", BGHZ 116, 104 "Hochzeitsessen", BGH NJW 1999, 2815 "Papierreißwolf" Möllers, JZ 1999, 24 ff. (zum Feuerwirbel-Fall) Heinemann/Schürholz, Rauchen gefährdet Ihre Gesundheit! (Übungsklausur), Jura 2002, 693 ff. Allgemein zur Produkt- und Produzentenhaftung: - Looschelders, JR 2003, 309 ff. - Landrock, JA 2003, 981 - Kullmann, NJW 2005, 1907 ff. (Rechtsprechungsübersicht)