Rechtsgeschäft, Willenserklärung, Vertrag
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- Gitta Beckenbauer
- vor 6 Jahren
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1 1 Rechtsgeschäft, Willenserklärung, Vertrag Fall 2b: Der A schreibt einen Brief, in dem er ein ihm von B gemachtes Angebot über den Kauf eines Rennrades über 800 annimmt. Da er sich die Sache aber noch einmal in Ruhe durch den Kopf gehen lassen will, legt er den Brief zunächst auf seinen Schreibtisch. Dort findet ihn seine Haushälterin. In der Annahme, B habe die Absendung des Briefes vergessen, bringt sie ihn zur Post. A ist verwundert, als B zwei Tage später mit dem Fahrrad vor der Tür steht und Bezahlung verlangt. Wie ist die Rechtslage?
2 2 Lösungsskizze I. Anspruch des B gegen A auf Abnahme und Bezahlung gem. 433 Abs. 2 BGB Voraussetzung: zwei übereinstimmende Willenserklärungen (Angebot und Annahme, 145 ff. BGB) 1. Angebot des B (+) 2. Annahme durch A? a) Willenserklärung - objektiver Erklärungstatbestand: (+), Aufsetzen eines Briefes - subjektiver Erklärungstatbestand: (+), Handlungswille und Erklärungsbewußtsein sind gegeben b) Abgabe der Willenerklärung - WE wird mit Abgabe rechtlich existent (vgl. 130 Abs. 2, 119 BGB); aber keine gesetzliche Regelung - Abgabe: wenn der Erklärende die WE wissentlich und willentlich so in den Verkehr bringt, daß er damit rechnen kann, sie werde dem Adressaten normalerweise ohne sein weiteres Zutun zugeht. - hier: keine willentliche Entäußerung; Abgabe nach allgemeiner Auffassung (-) - Problem: Erklärung ist dem B zugegangen hm: keine wirksame Willenserklärung AA: Behandlung entsprechend dem fehlenden Erklärungsbewußtsein (vgl. Fall 2a) c) Zwischenergebnis Wirksame Annahmeerklärung (-) II. Ergebnis Vertrag (-) und somit Anspruch aus 433 Abs. 2 BGB (-)
3 3 Lösungsvorschlag I. Anspruch des B gegen A auf Abnahme und Bezahlung gem. 433 Abs. 2 BGB B könnte gegen A einen Anspruch auf Abnahme und Bezahlung des Rennrades gem. 433 Abs. 2 BGB haben. Dies setzt einen wirksamen Kaufvertrag gem. 433 BGB zwischen den Parteien voraus. Ein Kaufvertrag besteht aus zwei übereinstimmenden Willenserklärungen, Angebot und Annahme, 145 ff. BGB. 1. Angebot des B Der B hat dem A ein Angebot zum Kauf eines Rennrades für 800 gemacht. 2. Annahme durch A Fraglich ist, ob A das Angebot des B angenommen hat. Bei der Annahme eines Vertragsangebotes handelt es sich um eine empfangsbedürftige Willenserklärung. Damit eine empfangsbedürftige Willenserklärung wirksam werden kann, muß der Erklärende sie willentlich in Richtung auf den Empfänger entäußern (Abgabe der Willenserklärung, vgl. 130 Abs. 2, 119 BGB) und diese dem Empfänger zugehen. a) Willenserklärung Der Brief des A stellt eine Willenserklärung dar. Durch das Aufsetzen des Briefes hat der A den objektiven Erklärungstatbestand einer Willenserklärung verwirklicht. In subjektiver Hinsicht liegen sowohl Handlungswille als auch Erklärungsbewußtsein vor. b) Abgabe der Willenserklärung Es könnte aber an der Abgabe des Angebots fehlen. Handelt der Erklärende selbst, ist nach allgemeiner Auffassung die (schriftliche) Willenserklärung unter Abwesenden abgegeben, wenn er sie wissentlich und willentlich so in den Verkehr bringt, daß er damit rechnen kann, sie werde dem Adressaten normalerweise ohne sein weiteres Zutun zugehen. Vorliegend wurde die Annahme von A zwar fertig gestellt. A hat den Brief jedoch nicht selbst wissentlich und willentlich in den Verkehr gebracht. Vielmehr wollte er sich die Annahme des Angebots noch einmal überlegen. Es fehlt an dem Willen des A, die Annahme aus seinem Machtbereich zu geben. Demzufolge hätte der A keine Annahme abgegeben.
4 4 Es liegt auch keine Annahme des A unter Einschaltung eines Boten vor. Schaltet der Erklärende einen (Erklärungs-)Boten ein, ist die Willenserklärung abgegeben, sobald der Erklärende die Erklärung dem Boten gegenüber vollendet und ihn anweist, sie dem Empfänger zu übermitteln bzw. auszuhändigen. Der A hat jedoch keine andere Person insbesondere nicht seine Haushälterin angewiesen, die Erklärung zu übermitteln. Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, daß es im Verhältnis zwischen A und seiner Haushälterin üblich war, daß sich diese ohne weiteres um die Post des A kümmert. Fraglich ist jedoch, wie sich der Umstand auswirkt, daß der Brief dem B zugegangen ist. Nach einer Ansicht (vgl. nur Medicus, BGB AT, Rn. 266, 605 ff.) ist diese Konstellation entsprechend derjenigen des fehlenden Erklärungsbewußtseins zu behandeln, zwar kenne der Schreiber des Briefes die rechtliche Bedeutung, der Empfänger könne aber regelmäßig nicht wissen, wie die Erklärung abgegeben wurde und daher auf die Wirksamkeit des Vertragsschlusses vertraue. Demzufolge liegt eine wirksame Willenserklärung vor, wenn der Erklärungsempfänger die Willenserklärung nach Treu und Glauben und mit Rücksicht auf die Verkehrssitte habe als abgegeben auffassen durfte und der Erklärende das In-Verkehr-Bringen bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt habe erkennen und verhindern können ( 276 BGB). Der Erklärende ist nach dieser Ansicht jedoch nicht schutzlos; der Erklärende hat die Anfechtungsmöglichkeit analog 119 Abs. 1 Alt. 2 BGB mit der Folge der Haftung aus 122 Abs. 1 BGB. (Kritik: Diese Ansicht widerspricht der Wertung des 172 Abs. 1 BGB; in der vorliegenden Konstellation fehlt es an der (willentlichen) Aushändigung.) Nach (wohl) überwiegender Ansicht liegt dagegen (vgl. nur BGH 65, 13, 14 sowie Rüthers/Stadler 17 Rn. 38) keine Abgabe und damit keine wirksame Willenserklärung vor. Nach dieser Ansicht bedarf es keiner Anfechtung. Trifft den Erklärenden nach dieser Ansicht ein Verschulden, so hat der Empfänger einen Anspruch auf Ersatz des Vertrauensschadens aus culpa in contrahendo (c.i.c.; 280 Abs. 1, 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB); ein verschuldensunabhängiger Anspruch aus 122 BGB (analog) kommt nicht in Betracht. Vorliegend muß der Streit nicht entschieden werden. Der A handelte hinsichtlich des In- Verkehr-Bringens des Briefes nicht fahrlässig. Zwar könnte man argumentieren, daß der A den Brief hätte in eine Schublade legen und diese hätte abschließen können. Ein solches Handeln des A hätte es aber nur bedurft, wenn seine Haushälterin schon häufiger einen Brief für A abgeschickt hätte und A mit einem solchen Verhalten hätte rechnen müssen. Hierfür
5 5 sind jedoch keine Anhaltspunkte im Sachverhalt ersichtlich. Vorliegend hat A demnach keinen Rechtsschein einer wirksamen Willenserklärung gesetzt, auf den B vertraute. (AA mit entsprechender Argumentation vertretbar. Denn der A weiß, daß er eine rechtsgeschäftliche Erklärung angefertigt hat. Diese bedarf einer besonders sorgfältigen Verwahrung.) c) Zwischenergebnis Mithin liegt keine wirksame Annahme durch A vor. II. Ergebnis Mangels Annahme ist kein wirksamer Kaufvertrag zwischen A und B zustande gekommen. B hat deshalb keinen Anspruch gegen A auf Abnahme und Bezahlung gem. 433 Abs. 2 BGB. Liegt bei einer unwillentlichen Willenserklärung kein Vertrag vor, ist oftmals fraglich, wer für einen eventuellen Schaden aufkommen muß, den der Empfänger der Erklärung im Vertrauen auf die Gültigkeit des Geschäfts erlitten hat. Diesbezüglich ist zu differenzieren: 1. Hat der Erklärende die unwillentliche Erklärung bzw. das Abhandenkommen zu vertreten ( 276 BGB), haftet er je nach Auffassung aus 122 Abs. 1 analog bzw. c.i.c. Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn der Empfänger bösgläubig ist; in diesem Fall fehlt es an der Schutzwürdigkeit. 2. Trifft den Erklärenden kein Verschulden, ist er nicht zum Ersatz des Vertrauensschadens verpflichtet, weder aus 122 BGB noch aus c.i.c. 3. Handeln Dritte bzw. Mittelpersonen ist an (Schadensersatz-)Ansprüche gegen diese zu denken. Allgemein zur unwillentlichen bzw. abhanden gekommenen Willenserklärung: Klein- Benkers, Jura 1993, 640, 641 ff.; Köhler 6 Rn. 12; Medicus, BGB AT, Rn. 266, 605 ff.; Rüthers/Stadler 17 Rn. 38. Ausführlich zur Abgabe einer WE: Schmidt, BGB AT, Rn. 304 ff.; 314 ff.
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