Rezension: Argumentation in Theorie und Praxis Albert Johann Jörg Anglberger, Peter Brössel, Melanie Stefan Universität Salzburg, Austria



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KRITERION Nr. 20 (2006), pp. 37-41 Rezension: Argumentation in Theorie und Praxis Albert Johann Jörg Anglberger, Peter Brössel, Melanie Stefan Universität Salzburg, Austria Die Rhetorik hat seit einigen Jahren an der Universität Salzburg ihren Fixplatz. So finden z.b. jährlich die Salzburger Rhetoriktage statt, zu denen sich Kollegen aus dem In- und Ausland in der Mozartstadt einfinden. Jetzt ist erstmals ein Band aus diesen Rhetoriktagen zu denen aus dem Jahr 2005 hervorgegangen, für den verschiedene Teilnehmerinnen dieses Kongresses ihre Vorträge in eine schriftliche Form gegossen haben. Der Band wurde von Günther Kreuzbauer und Georg Dorn beim Lit-Verlag herausgegeben und versammelt, neben den größtenteils philosophischen Aufsätzen, auch einige didaktische Beiträge [1]. Die Beiträge wurden in vier Teilgebiete eingeordnet: Der erste Teil beschäftigt sich mit Logik: Begründung, Beweis, Paradoxie und moderner Syllogistik, der zweite mit Argumenten der Philosophie, der dritte mit der Philosophie der Argumente und der vierte und letzte Teil mit der Didaktik der Argumentation. Während die ersten drei Teile der philosophischen Grundlagenforschung gewidmet sind, beschäftigt sich der vierte Teil mit Berichten aus der Praxis des Argumentierens. In dieser Besprechung wollen wir uns auf die ersten drei Teile beschränken. Begonnen wird der Band mit einer äußerst ausführlichen Einleitung der beiden Herausgeber, in der nach kurzen einführenden Bemerkungen, auch gleich kompakte, aber dennoch sehr gelungene und exakte Zusammenfassungen der einzelnen Beiträge zu finden sind. Die Leserin kann sich an dieser Stelle bereits ein Bild von den für die eigenen Forschungen relevanten Aufsätzen machen was bei Büchern die aus Tagungen entstanden sind eher selten der Fall ist und wir deshalb eigens positiv hervorheben. Nun aber zum eigentlichen Inhalt des Buches! Die philosophischen Untersuchungen beginnen mit Reinhard Kleinknechts Aufsatz über deduktive Ableitung und deduktive Begründung. Kleinknecht versucht darin, ausgehend von deduktiven Ableitungen, zu einem adäquaten Begriff deduktiver Begründungen zu gelangen. Jede deduktive Begründung ist eine Ableitung aber nicht jede Ableitung ist eine deduktive Begründung so verlangen wir beispielsweise, dass die Menge der Sätze, die in einer Begründung auftauchen, nicht widersprüchlich ist und so versucht Kleinknecht einige zusätzliche Bedingung herauszuarbeiten, die eine Ableitung erfüllen muss um eine deduktive Begründung zu sein. Jede dieser Bedingungen wird motiviert und der dafür entsprechende formale Rahmen ausgearbeitet ein besonderes formales Gustostückerl ist dabei die Verwendung von sogenannten Hintikkamengen, mit Hilfe derer Kleinknecht elegant definieren kann, was es heißt, dass eine Menge T von Formeln ein Prämissenminimum für eine Formel A ist (darauf aufbauend wird dann später Teilinhalt und T ist ein deduktiver Grund für A definiert). Was sind die Zusammenhänge zwischen Beweisen und Argumenten? Gibt es möglicherweise sogar eindeutige Zuordnungen zwischen diesen? Worin liegt der Unterschied zwischen induktiv starken Argumenten und Beweisen? Um diese und damit verbundene Fragen geht es in Hannes Leitgebs Aufsatz Argument und Beweis. Nach einem ersten Abschnitt, indem die verwendeten Ausdrücke eingeführt, expliziert und erklärt werden, geht es im zweiten Abschnitt um den Zusammenhang zwischen logisch gültigen Argumenten und Beweisen. Der Autor kommt, mit Hilfe des Vollständigkeits- und Korrektheitssatz der Prädikatenlogik erster Stufe, zu dem Ergebnis, dass es eine ein-mehrdeutige Beziehung zwischen Argumenten und Beweisen d.h. jeder Beweis entspricht genau einem Argument, aber umgekehrt ist diese Eindeutigkeit nicht mehr gewährleistet gibt. Da aber eine Einschränkung auf logisch gültige Argumente für viele Bereiche, sowohl im Alltag als auch in den Wissenschaften, wenig wünschenswert erscheint, beschäftigt sich Hannes Leitgeb im darauffolgenden Abschnitt auch mit induktiv starken Argumenten und ihren Zusammenhang mit Beweisen und schließt damit, dass

KRITERION, Nr. 20 (2006), pp. 37-41 es nach derzeitigem Stand der Forschung kein Beweisverfahren gibt, dass von einem induktiv starken Argument auf Basis der Prämissen zeigen könnte, dass es induktiv stark ist. Kann eine Lehrerin vor ihrer Klasse wahrheitsgemäß behaupten, es werde nächste Woche eine überraschende Prüfung stattfinden? Die Schülerinnen argumentieren nun, dass die Prüfung an keinem Tag der Woche stattfinden kann: Denn wenn sie bis Freitag nicht stattgefunden hat, dann wissen sie am Freitag Morgen, dass sie heute stattfinden muss. D.h. die Prüfung wäre nicht mehr überraschend und folglich kann die Prüfung nicht am Freitag stattfinden. Mit diesem Argument können die Schülerinnen vermeintlich (durch Wiederholung für jeden Tag bis Montag) zeigen, dass die Prüfung an keinem Tag der Woche stattfinden kann. Diese Situation ist bekannt als die Paradoxie der unerwarteten Prüfung. Reinhard Kamitz jun. widmet sich in seinem Aufsatz Überlegungen zu einer Paradoxie des rationalen Glaubens dieser Paradoxie und versucht von drei Versionen dieser Paradoxie mit modernen logischen Mitteln zu zeigen, wo die Fehlschlüsse der Schüler liegen. In seinem Aufsatz Contemporary syllogistics: Comparative and quantitative syllogisms betrachtet Niki Pfeifer moderne Erweiterungen der traditionellen Syllogismen. Diese modernen Erweiterungen beinhalten neben dem All- und dem Existenzquantor komparative und quantitative Quantoren. Pfeifer betont zu Recht, dass in rationalen Argumentationen nicht nur All- und Existenzquantoren verwendet werden können, sondern auch komparative Quantoren wie Die meisten... sind..., Fast alle... sind... und quantitative Quantoren wie n m... sind..., Alle... sind..., bis auf n-viele. Eine vollständige Untersuchung rationaler Argumentation muss dem Rechnung tragen und verlangt daher nach einer genauen Erläuterung der Bedeutung dieser Ausdrücke und der Rolle die diese in rationaler Argumentation spielen. Dies ist genau was Pfeifer in seinem Aufsatz leistet. Er gibt eine mathematisch präzise algebraische Interpretation dieser Quantoren an und zeigt auf, welche Syllogismen, in denen komparative und quantitative Quantoren vorkommen, gültig sind. Heinrich Ganthaler leitet mit seinem Beitrag Medizinethische Argumentation am Beispiel der Abtreibungs- und Euthanasiediskussion den zweiten Teil des Buches, Argumente in der Philosophie, ein. Exemplarisch analysiert Ganthaler in seinem Aufsatz ein Argument des verstorbenen Papstes Johannes Paul II. gegen Abtreibung und Euthanasie, welches sich auf die Heiligkeit des Lebens beruft. Aus einer genaueren Betrachtungen dieses Argumentes und im besonderen des darin wesentlich vorkommenten Ausdrucks Recht auf Leben ergeben sich für Ganthaler Konsequenzen für rationales Argumentieren in der Medizinethik im Allgemeinen. Eine interessante Konklusion, die Ganthaler aus der Betrachtung dieses Argumentes, zieht ist folgende Behauptung: Argumente die sich zumindest teilweise auf empirisch überprüfbare Fakten stützen, haben insofern ohne Zweifel ein größeres Gewicht als Argumente, die sich auf unüberprüfbare metaphysische Behauptungen stützen. Nicht nur die Plausibilität der Prämissen eines Argumentes sind also, laut Ganthaler, für die Bewertung eines Argumentes relevant, sondern auch deren Überprüfbarkeit. Abgesehen davon das Ganthalers Text ein gut fundierter Beitrag zur Abtreibungs- und Euthanasiedebatte darstellt, ergeben sich also auch interessante Betrachtungen dessen, was ein gutes Argument ist. Die Metaphysik zählt innerhalb der wissenschaftlich orientierten Philosophie zu den umstrittensten Teilbereichen. Daher ist es die Aufgabe von Philosophinnen sich um klare Antworten auf folgende Fragen zu bemühen: Ist metaphysische Forschung innerhalb einer wissenschaftlich orientierten Philosophie sinnvoll durchführbar? Lassen sich metaphysische Thesen rational begründen, oder ist dies wie von verschiedenen Philosophen angenommen ein unmögliches Unterfangen? Wenn ja, wie könnten solche Begründungen aussehen, was müssen wir für diese fordern? Alexander Hieke versucht in seinem Aufsatz Rationale Begründungen in der Metaphysik einige Antworten auf diese Fragen zu liefern. An den Beginn stellt Hieke eine Analyse von rationalem Vorgehen in den Wissenschaften im Allgemeinen, gefolgt von Bedingungen die eine Sprache, in der wir Metaphysik betreiben wol- 38

Rezension: Argumentation in Theorie und Praxis len, erfüllen muss. Den Kern von Hiekes Arbeit bildet allerdings der Abschnitt über Konstruktionsprinzipien: Um rationale Begründungen in der Metaphysik zu gewährleisten schlägt Hieke vor, dass wir von empirischen Gegenständen mittels sogenannter Konstruktionsprinzipien zu Entitäten metaphysischer Natur gelangen sollten. Er entwickelt zwar keine Definition von Konstruktionsprinzip, gibt aber doch einige notwendige Bedingungen an, die eine wissenschaftlich akzeptable metaphysische Theorie erfüllen muss; er stellt hiermit die Metaphysik auf ihre empirischen Füße und zeigt, dass diese auch aus wissenschaftlicher Sicht kein sinnloses Unterfangen ist. Winfried Löffler geht der Frage nach, ob die rhetorische Qualität von Argumenten eine Rolle bei deren logischer Analyse spielt. Gemeinhin wird angenommen, dass dies nicht der Fall ist, da die logische Analyse ja gerade dazu dienen soll, das logische Skelett eines Arguments herauszuarbeiten und es unabhängig von seiner rhetorischen Verpackung zu betrachten. Bei der Formalisierung eines Argumentes müssen jedoch Entscheidungen getroffen werden, die sehr wohl von der rhetorischen Qualität des Arguments beeinflusst werden. Beispielsweis liegen die meisten natürlichsprachlichen Argumente unvollständig (als Ethymeme) vor und müssen für eine Formalisierung erst komplettiert werden. Welche Prämissen oder Konklusionen dabei ergänzt werden, hängt von Annahmen ab, die der Formalisator - stillschweigend oder explizit - trifft. Dies wirft die Frage auf, ob es möglich ist, die Qualität bzw. Adäquatheit einer bestimmten Formulierung zu bewerten. Dazu hat Georg Brun 2003 einen Katalog aus notwendigen Kriterien und zusätzlichen Daumenregeln entwickelt, die eine Formalisierung erfüllen sollte. Löffler greift diese Kriterien auf, zeigt aber dann anhand von Beispielen, dass diese Kriterien in manchen Fällen zu stark, in anderen Fällen aber zu schwach sind. Löffler schlägt daher vor, von starren Kriterienkatalogen grundsätzlich abzugehen. Statt dessen schlägt er ein ein Modell vor, das dem weiten Überlegungsgleichgewicht (WÜG) aus der Moralphilosophie analog ist: Dabei muss ein Gleichgewicht zwischen drei Fatoren geschaffen werden: 1) der spontanen Einschätzung über Struktur und Qualität des Arguments, 2) dem Befund über Struktur und Qualität nach dessen Formalisierung und 3) verschiedenen Hintergrundannahmen. Ein solches Verfahren zur Beurteilung von Formalisierungen, das über einen reinen Kriterienkatalog hinausgeht, scheint vielversprechend. Es bleibt jedoch offen, wie dieses Modell implementiert werden kann und ob es es überhaupt zur Bewertung von Formalisierungen herangezogen werden kann. Löffler selbst weist darauf hin, dass sein Modell vorerst eine Skizze ist und durchaus Fragen offen lässt. Dorothea Gmeiner-Jahn widmet ihren Artikel Deduktivismus: eine gute Empfehlung? der Untersuchung des argumentationstheoretischen Deduktivismus. Der Grundgedanke des argumentationstheoretischen Deduktivismus ist, dass natürlichsprachliche Argumente als Versuche deduktive Argumente zu formulieren interpretiert werden sollten. Ziel des Aufsatzes von Gmeiner- Jahn ist es, die exakte Bedeutung dieses Grundgedankens herauszuarbeiten. Hierfür werden drei verschiedene Auffassungen von Deduktivismus vorgestellt und deren Unterschiede verdeutlicht. Daraufhin werden diese Varianten des Deduktivismus kritisch analysiert. Dabei wird sich im besonderen der Frage gewidmet, ob Deduktivisten neben den deduktiv gültigen Argumenten nicht die Existenz von genuin induktiven Argumenten eingestehen müssen. Als letztes Themengebiet erörtert Gmeiner-Jahn noch mögliche Antworten der Deduktivisten auf die Frage was gute bzw. starke Argumente sind. Hierbei wiederholt sich die vorangegangene Frage in etwas anderer Form. Müssen Deduktivisten neben den guten bzw. starken, deduktiv gültigen Argumenten nicht auch die Existenz von guten bzw. starken genuin induktiven Argumenten eingestehen? Dazu wird den möglichen Definitionen von starken Argumenten (der Deduktivisten) die Definition Georg Dorns (siehe Dorns Artikel im selben Band) gegenübergstellt. Norbert Gratzl bemüht sich in seinem Beitrag Rationale präskriptive Argumente um eine Klärung der Frage, wann denn ein präskriptives Argument als rational gilt. Er unterscheidet hierbei drei verschieden starke Definitionen. Ein Argument muss um als rational (egal in welchem der drei Sinne) zu gelten, bestimmte sprachli- 39

KRITERION, Nr. 20 (2006), pp. 37-41 che (Minimal-)Bedingungen erfüllen. Diese werden von Gratzl in den ersten Abschnitten seines Beitrags entwickelt und erläutert. Hinzu kommen aber noch weitere Bedingungen: So fordert Gratzls schwächste Definition zusätzlich nur die logische Korrektheit des Arguments. Anhand von Beispielen motiviert Gratzl seine nächste, nun schon etwas strengere Definition: Hinzu kommt, dass die Konklusion eines Arguments nicht logisch richtig ist, die Prämissenmenge des Arguments widerspruchsfrei ist und dass die Konklusion mit keiner Prämisse(nmenge) logisch äquivalent ist. Die interessanteste vermutlich aber leider auch die problematischste Definition ist allerdings die dritte: Hier fordert Gratzl weiters, dass die Prämissen eines Arguments logisch unabhängig sind, jede Prämisse für die Korrektheit des Arguments notwendig ist, alle Sätze des Arguments entweder wahr oder gültig sind, und kein Satz mit gewissen Prinzipien (so etwa dem Sollen-Können- Prinzip oder minimalen teleologischen bzw. deontologischen Prinzipien) in Konflikt gerät. Georg Dorn untersucht vier verschiedene im Sprachgebrauch verbreitete Verwendungsweisen des Wortes Argument : Nach dem ersten Sprachgebrauch ist ein Argument eine Abfolge von Sätzen, der aus einer oder mehreren Prämissen und einer Konklusion besteht. Ein Argument nach dem zweiten Sprachgebrauch hingegen bezeichnet das, was nach dem ersten Sprachgebrauch eine Prämisse genannt wird. Dem Argument nach dem ersten Sprachgebrauch entspricht die Argumentation nach dem zweiten Sprachgebrauch. Nach dem dritten Sprachgebrauch ist ein Argument eine Aussage, die (aus der Sicht einer bestimmten Person) für oder gegen die Richtigkeit einer anderen Aussage sprechen soll. Der vierte Sprachgebrauch schließlich verwendet die Bezeichnung Argument für Hierarchien von Argumenten gemäß Sprachgebrauch eins. Die nähere Erläuterung des ersten und zweiten Sprachgebrauchs führt zur Definition des Ausdrucks Deskriptives Argument in Standardform. Im weiteren werden Kriterien zur logischen (Gültigkeit, Ungültigkeit, Gegengültigkeit und Stichhaltigkeit) und epistemischen (Stärke, Schwäche) Bewertung von deskriptiven Argumenten in Standardform eingeführt und erklärt. Die epistemische Bewertung beruht dabei auf einer regulären subjektiven Wahrscheinlichkeitsverteilung, wobei jeder Aussage ein Glaubensgrad zugeordnet wird. Nach Einführung dieser Definitionen (und einiger Korollare) kann der dritte Sprachgebrauch ohne viel Aufwand expliziert werden. Die epistemischen Konzepte stark und schwach bilden dabei die Grundlage für die formale Definition der Begriffe Argument für und Argument gegen. Schließlich wird noch der vierte Sprachgebrauch expliziert, der in der Wissenschaft besonders häufig anzutreffen ist. Wissenschaftliche Abhandlungen bestehen selten nur aus einem Argument (im Sinne des ersten Sprachgebrauchs) allein, also aus einer Reihe von Prämissen und einer Konklusion. Vielmehr müssen mehrere der Prämissen wahrscheinlich ihrerseits näher begründet werden. Dies geschieht, indem Nebenargumente gebildet werden, deren Konklusion jeweils eine Prämisse des Hauptarguments ist. Es ist leicht vorzustellen, dass sich dieser Prozess über mehrere Stufen fortsetzen kann. Was dabei entsteht ist eine Argumenthierarchie. Einer formellen Definition des Begriffs Argumenthierarchie folgen eine Reihe von Bewertungskriterien für Argumenthierarchien, die auf den Bewertungen ihrer Teilargumente aufbauen. Den Abschluss des Aufsatzes bildet eine Prüfliste zum praktischen Gebrauch, anhand derer Argumente identifiziert und bewertet werden können. Der Text geht in kleinen Schritten vor und jeder neue Gedanke wird mit Beispielen illustriert. Er ist daher einfach zu erschließen und bietet (zumindest solange man sich in seiner Glaubensgradverteilung an die Regeln des Wahrscheinlichkeitskalküls hält) eine ideale Grundlage für die kritische Auseinandersetzung mit argumentativen Texten. Alle hier besprochenen Aufsätze teilen (wenigstens) folgende Eigenschaften: Sie sind allesamt ein Musterbeispiel an Klarheit und Präzision. Die Autoren bemühen sich problematische oder unklare Ausdrücke soweit als möglich zu explizieren, sie stützen ihre Thesen mit klar ausformulierten Argumenten, führen den Leser didaktisch geschickt in das jeweilige Thema ein und erläutern ihre Ansichten, Definitionen o. Ä. an klug gewählten Beispielen. Alles in allem liegt mit Argumentation in Theorie und Praxis ein wertvolles Buch vor, das sowohl für den philosophischen Laien als auch für 40

den philosophischen Forscher einige neue und interessante Gedanken zu bieten hat. Literatur [1] G. Dorn and G. Kreuzbauer (Hg.). Argumentation in Theorie und Praxis: Philosophie und Didaktik des Argumentierens. Lit-Verlag, Wien, 2006. 263 Seiten, 24.90. Rezension: Argumentation in Theorie und Praxis 41