Literatur-Empfehlungen zum Thema Bartnitzky, H., u. a. (Hrsg.): Pädagogische Leistungskultur. Beiträge zur Reform der Grundschule. Bde. 119, 121, 124. Grundschulverband: Frankfurt. Bd. 119 (2005): Materialien für Klasse 1/2 (Deutsch, Mathematik, Sachunterricht) Bd. 121 (2006): Materialien für Klasse 3/4 (Deutsch, Mathematik, Sachunterricht) Bd. 124 (2007): Ästhetik, Sport, Englisch - Arbeits-/Sozialverhalten Pädagogische Leistungskultur Ein besonderer Ansatz zur Beobachtung und Erklärung von Lernschwierigkeiten und zum Umgang mit ihnen www.grundschulverband.de Impuls von Hans Brügelmann (Universität Siegen) Bundesgrundschulkongress 11.9.2009 zwischen Unterricht heute steht in der Spannung... den Anforderungen von Leistungsstandards und zentralen Kompetenztests (VERA...), die verbindliche Lernziele an gleiche Termine für alle binden, und dem Anspruch, die jeweils unterschiedlichen Lernvoraussetzungen der Kinder zu berücksichtigen und individuelle Lernwege und rhythmen zu ermöglichen Messbarkeit und Machbarkeit faszinieren nicht nur in der Psychologie und Pädagogik. Neue Erkenntnisse der Naturwissenschaften ermöglichen große Fortschritte in der Technik. Aber technische Konzepte sind auf den Humanbereich nicht einfach übertragbar. Die Medizin veranschaulicht das Dilemma und erst recht die Bewertung von Kunstwerken Beethoven Für Elise Ist das gute Musik - oder schlechte? aus: Ursus Wehrle Kunst aufräumen Kein & Aber Verlag: Zürich 2004 Sinnbild: Teile verlieren ihre Bedeutung, wenn man sie isoliert. Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile.
Was heißt das für Diagnose und Förderung? Vier verschiedene Ansätze im Vergleich 1. Fehlende Voraussetzungen sichern bzw. nachholen 2. Notwendige Teilleistungen aufbauen und verbinden 3. Sinnvolle Handlungen ermöglichen und differenzieren 4. Die Person fordern und stärken Unterschiede zwischen den vier Ansätzen Hinter diesen Ansätzen lassen sich zwei unterschiedliche Standpunkte im Umgang mit Lernschwierigkeiten ausmachen: Defizit-Orientierung (in der Regel verknüpft mit den Ansätzen (1) und (2) ) Durch verschiedene Brillen sieht man dieselbe Wirklichkeit unterschiedlich. Jede Brille (v)erschließt andere Handlungsmöglichkeiten. vs Kompetenz-Orientierung (in der Regel verknüpft mit den Ansätzen (3) und (4) ) Verhältnis der vier Ansätze zueinander Leitideen zur Beobachtung und Förderung der einzelnen Kinder Trotz aller Unterschiede schließen sich die Ansätze in der praktischen Anwendung nicht aus. Werden sie miteinander verbunden, kann sich aber ihre Bedeutung verändern, z. B. bekommt (3) Handlung im Rahmen der Orientierung an der Person (4) eine andere Funktion als in Verbindung mit dem Teilleistungsansatz (2). Pädagogisch gesehen stellt die Person-Orientierung die Basis dar, sie bildet den Rahmen, innerhalb dessen die konkrete Form von (1) bis (3) auszulegen sind Pädagogische Leistungskultur Aufgaben zur Lernbeobachtung sollten... der Lehrperson Informationen - nicht nur über aktuelle Einzelleistungen, - sondern auch über die Strategien ( Tiefenstrukturen ) - und über deren Entwicklung ( Lerngeschichte ) für die Kinder auch inhaltlich eine produktive Lernsituation darstellen, also förder-orientiert sein dialogisch angelegt sein als wechselseitige Verständigung über Lernziele, Bewertungskriterien und tatsächliche Leistungen und damit die Fähigkeit der Kinder zur Selbsteinschätzung eigener Arbeiten entwickeln. Vier Perspektiven für die Lernbeobachtung Leistungen der Kinder wahrnehmen: Lernstände feststellen und einordnen punktuelle Erhebungen in regelmäß äßigen Abständen zum Vergleich der individuellen Leistungen mit externen Bezugsgruppen zur Kalibrierung der Bewertungsmaßst stäbe der LehrerInnen; begleitende Dokumentation beiläufiger Beobachtungen zur Überprüfung der Testergebnisse zur Erweiterung und Differenzierung der Daten
Lernstandserhebungen (Minimalprogramm) 08/09: Schulanfang - Buchstabendiktat - eigene Wörter schreiben - Embleme mit/ohne Kontext und typischer Schrift zuordnen - verfremdetes Buch Leistungen der Kinder würdigen: Lernentwicklungen dokumentieren und bestätigen 11/12: nach drei Monaten - fünf unbekannte Wörter diktieren und konstruieren lassen 01/02: nach fünf Monaten - Wort-Bild-Zuordnungen (Würzburger Leise Leseprobe) 03/04: nach sieben Monaten - neun unbekannte Wörter diktieren 05/06: nach neun Monaten - Stolperwörter-Lesetest (Kurzform) Beispiel Beobachtungsbogen: Lektüre gemeinsame Lernziele individuelle Termine Kriterien für f r Qualität t und Strategien zu ihrer Verbesserung entwickeln durch... Schreibkonferenzen in Kleingruppen Überarbeitung von Text-Entw Entwürfen Rechtschreib-Diskussionen im Plenum Metagespräche mit PartnerInnen oder allen z. B. über alternative Arbeits- und Lernstrategien Kinder individuell fördern: Lerngespräche führen Lernwege öffnen: eigene Lernwege beschreiben Lernen des Lernens durch Selbstreflexion... Portfolios: Meine besten Arbeiten Selbstzeugnisse: Das kann ich gut, dass muss ich noch besser machen. Lerntagebücher cher: Wie habe ich das gelernt? Lernverträge ge: Das will ich als nächstes n lernen. Grundprinzip: Beteiligung von SchülerInnen Ziele: Die Kinder sollen... Verantwortung für die eigene Arbeit übernehmen (können) Methoden zur realistischen Selbsteinschätzung lernen Bereitschaft zur Rechenschaft vor sich selbst und vor anderen entwickeln. Leistungsbewertung ist als dialogischer Prozess zu organisieren.
Ebene Erträge verschiedener Evaluationsverfahren im Vergleich miteinander Typ Landesweite Lernstands- Erhebungen, z. B. VERA Formalisierte Schul- Inspektion, z. B. EVIT Kollegiale Peer-Review, z. B. BüZ Land +++ ++ + - Schule + +++ +++ + Lehrperson + + ++ ++ Schülerin + - - +++ Begleitende indiv. Lernbeobachtung, z. B. GSV-PLK Zum Hintergrund Sarah wiederholt die erste Klasse. Sie hat nach Auskunft der Lehrerin sowohl in der Gruppe als auch mit den fachlichen Anforderungen große Schwierigkeiten. Auf der folgenden Seite der erste Text, den Sarah in der Schule überhaupt geschrieben hat. Wo sehen Sie die spezifischen Probleme dieses Kindes - und was würden Sie im Unterricht machen? Quelle: Sjölin, A. (1990): Michael Knight and Batman in der Grundschule. Ein Anstoß für Schriftkultur? In: Brügelmann/ Balhorn (1990, 106-111; Nachdruck in: Brügelmann/ Balhorn 1995, 95-100). Brügelmann, H./ Balhorn, H. (Hrsg.) (1995): Schriftwelten im Klassenzimmer. Ideen und Erfahrungen aus der Praxis. "Auswahlband Praxis" der DGLS-Jahrbücher 1-5. Libelle: CH-Lengwil. Batman. Heiraten anrufen küssen Kerzen machen das frage ihn Batman: Kommentar-I Inhalt, Sprachform, Rechtschreibung, Illustration nichts an diesem Text wird den Normen literarischer Bildung gerecht, wie viele sie von unserer Schule erwarten. Stattdessen Weltflucht in kitschige Illusionen. Andererseits drückt Sarah im Schreiben aus, was sie persönlich bewegt: ihre Faszination durch die Filmfigur Batman, ihren Wunsch, mit ihm Kerzen zu ziehen, was sie gerade gelernt hat. Batman. Sarah Ich möchte heiraten ein Brautkleid Blumenstrauß Amelie Sjölin: Batman: Kommentar-II "An diesem Tag bekommt Batman einen kleineren, rosa Umhang, nur noch zwei Schulterzacken und lange menschliche Beine. Auf die Frage, warum ein Batman schwarz und der andere rosa sei, antwortet Sarah: Der Pastor in der Kirche mag das nicht, wenn der Bräutigam schwarz ist. Zuvor hat sie schwarz als die Farbe des Teufels bezeichnet Drei Wochen später schreibt Sarah eine dritte Geschichte, kurz danach bastelt sie mit Hingabe ein Pappmännchen.
Batman Mond fliegt zum Mond Sarah ich liebe dich Robin kommt geflogen Heiraten die Eheringe kaufen / Wir kriegen 2 Zwillinge Kommentar von Amelie Sjölin: Batman: Kommentar-IV "In den vier Wochen, in denen Sarah ihre Träume mit Batman in der Schule zu Papier bringt, geschehen mehrere nahezu märchenhafte Veränderungen: Sarah schreibt zum ersten Mal eigene Texte, aus den einzelnen Wörtern anfangs entwickeln sich zusehends immer komplexere Sätze. Der gewaltige, schwarze Batman verwandelt sich in einen hübschen jungen Mann. Zum ersten Mal findet Sarah bei den anderen Kindern Interesse und Anerkennung." Weitere Entwicklung: Batman: Kommentar-V Sarah Zwei Monate später Zum Fasching kommt Sarah natürlich als Batman. Damit, dachte ich, war das Thema abgeschlossen. Sarah hatte inzwischen lesen gelernt, auch im Schreiben machte sie sichtbare Fortschritte. Nach den Frühjahrsferien Anfang April aber greift sie von sich aus während der Freiarbeit das Thema noch einmal auf. An zwei Tagen nacheinander arbeitet sie ohne Unterbrechung an Text und Bild, jeweils zwei Stunden lang. Batman und Sarah/Corinna werden normal Ein Fazit mit Vorsicht Corinna und Batman und Robin wollen ins Museum. Fahren mit dem Auto. Die Zwillinge sind zu haus. In der zweiten Straße sind wir angekommen. Da steigen wir aus. Gehen ins Museum. Es gibt keine Wunder. Solche Entwicklungen sind auch nicht vorhersagbar oder gar planbar. Aber Beispiele wie diese fordern heraus und ermutigen: Kommentar: Bei Batman ist der Alltag eingekehrt :die Geschichte ist abgeschlossen, die Figuren tauchen nicht wieder auf. Corinna schreibt weiterhin eigene Texte. Batman aber erwähnt sie nicht mehr. Kinder mit Schwierigkeiten sind nicht unnormal eine Schwäche verurteilt nicht zum Scheitern: Es kommt auf die Bedingungen an - und SIE sind eine wichtige Bedingung!