Inhalt Zu diesem Buch 5 Was ist Multiple Sklerose (MS)? 6 Wie häufig ist MS und wann beginnt sie? 8 Was sind die wichtigsten Untersuchungen? 10 Was sind die wichtigsten Medikamente zur MS-Behandlung? 11 Wo kann man sich über MS erkundigen? 15 Abkürzungsverzeichnis 17 Fremd- und Fachwörter-ABC 39 Bücher zum Weiterlesen 194 4
Was ist Multiple Sklerose (MS)? Die Multiple Sklerose (MS) ist eine ursächlich im Einzelnen noch nicht geklärte, sehr unterschiedlich verlaufende chronisch-entzündliche Erkrankung, die das Gehirn, Rückenmark und die Sehnerven betreffen kann, die zusammen das Zentralnervensystem oder kurz ZNS bilden. Dabei kommt es im Rahmen einer sogenannten Autoimmunerkrankung an verschiedenen Stellen des Zentralnervensystems zu entzündlichen Veränderungen, die narbig abheilen und entsprechende Funktionsstörungen hinterlassen können. Neben diesen entzündlichen Veränderungen erkennt man zunehmend, dass auch sogenannte degenerative (mit einem Zelluntergang verbundene) Veränderungen eine Rolle spielen. Diese sind nicht nur mit einem Verlust der Zellen verbunden, die in der sogenannten weißen Substanz die Myelin- oder Markscheiden für die Fortsätze der Nervenzellen (Axone) bilden, sondern dem Untergang der Myelinscheiden geht ein Untergang der Axone parallel. Eine MS beginnt meist im frühen Erwachsenenalter und betrifft Frauen häufiger als Männer. Ausmaß und Schwere der Krankheitszeichen schwanken sowohl zwischen Betroffenen als auch im jeweiligen Verlauf erheblich, sodass es zumindest über längere Zeit betrachtet keine zwei Menschen mit MS gibt, deren Beschwerden und Verlauf völlig übereinstimmen. Unter anderem können Sehstörungen, Taubheits- und Kribbelgefühle (= Sensibilitätsstörungen) oder Lähmungen auftreten. Bei den weitaus meisten Betroffenen bilden sich diese Störungen zumindest anfangs vollständig zurück. Bei einem geringeren Teil der Patienten fehlen diese schubförmigen Veränderungen, und es kommt von Anfang an zu einer schleichenden Verschlechterung. Auch viele Betroffene, die zunächst nur Schübe haben, entwickeln im weiteren Krankheitsverlauf eine schleichende Verschlechterung. Im Verlauf klagen viele Betroffene unter anderem auch über eine vermehrte Mü- Tab. 1: Einige wichtige Merkmale der Multiplen Sklerose (MS) Die MS betrifft das Zentralnervensystem (ZNS). Es handelt sich um eine sogenannte Autoimmunkrankheit, deren genaue Ursache und Auslösung bislang unbekannt sind. Es kommt zu entzündlichen Herden mit narbiger Abheilung und entsprechenden Funktionsstörungen. Die Veränderungen treten an mehreren Stellen des ZNS auf. Der Krankheitsbeginn ist am häufigsten im frühen Erwachsenenalter; Frauen sind deutlich häufiger betroffen als Männer. Die Beschwerden entwickeln sich weitgehend unvorhersehbar. Neben Krankheits-»Schüben«mit mehr oder weniger vollständiger Rückbildung sind langsam zunehmende Störungen mit bleibender Behinderung möglich. Bislang kann keine Untersuchungsmethode beim lebenden Menschen eine MS absolut zweifelsfrei nachweisen oder ausschließen; weder zu Beginn noch im späteren Verlauf. Die Diagnose wird anhand des Krankheitsverlaufs und der Befunde von Zusatzuntersuchungen mit mehr oder weniger großer Sicherheit gestellt. Es gibt bislang keine Möglichkeit einer Impfung oder Vorbeugung. Eine Heilung ist zwar bislang ebenfalls nicht möglich, durch neue Medikamente kann der Verlauf aber günstig beeinflusst werden. Die MS hat keinen nennenswerten Einfluss auf die Lebenserwartung. 6
Was ist Multiple Sklerose (MS)? digkeit, Blasenstörungen oder sexuelle Störungen. Die feingeweblichen Veränderungen bei MS bestehen in zahlreichen (= multiplen), entzündlichen und sich später narbig zurückbildenden, verhärteten Herden (= Sklerose). Früher wurde deshalb auch von einer»polysklerose«(poly = viel) gesprochen. Die Beteiligung des Nervensystems bei der MS erfolgt an vielen weit verstreuten Stellen (= disseminiert). Darauf bezieht sich die oft verwendete Ersatzbezeichnung als»encephalomyelitis disseminata«oder kurz»e. d.«beziehungsweise»ed«. Das Wortende» itis«drückt wie bei anderen Krankheiten (z. B. Bronchitis, Gastritis) aus, dass es sich um eine Entzündung handelt. Parallel zu den entzündlichen Veränderungen können auch unabhängig davon myelinbildende Zellen zugrunde gehen. In Tabelle 1 sind einige grundlegende Aussagen zur MS zusammengefasst. 7
Wie häufig ist MS und wann beginnt sie? Die MS ist nach der Epilepsie die zweithäufigste neurologische Krankheit, die im frühen und mittleren Erwachsenenalter zu Störungen führt und die häufigste chronisch-entzündliche Erkrankung des Nervensystems. Die genaue Zahl der an einer MS erkrankten Menschen ist wie bei fast allen Krankheiten nicht bekannt. Bei der MS hängt das Erkrankungsrisiko zudem noch davon ab, in welchem Land man lebt, und selbst innerhalb eines Landes gibt es Gegenden mit höherem oder niedrigerem MS-Risiko. Bei den Angaben zur Häufigkeit einer Krankheit sind in erster Linie die Zahl der Neuerkrankungen und die Zahl der insgesamt betroffenen Menschen von Interesse: Die Zahl von Neuerkrankungen in einem bestimmten Zeitraum (meist einem Jahr) wird als Inzidenz bezeichnet. Bezieht man diese Zahl auf einen bestimmten Teil der Bevölkerung (meist 100 000 Menschen), so ergibt sich die Inzidenzrate. Die Inzidenzrate der MS wird in den deutschsprachigen Ländern auf etwa fünf bis sechs pro 100 000 geschätzt. Bei rund 80 Millionen Einwohnern sind dies in Deutschland etwa 4500 neue MS-Erkrankungen pro Jahr. In Österreich und der Schweiz ergeben sich entsprechend jeweils rund 350 bis 400 Neuerkrankungen pro Jahr. Die Zahl der zu einem bestimmten Zeitpunkt von einer Störung oder Krankheit betroffenen Menschen wird als Prävalenz bezeichnet. Sie wird neben der Zahl an Neuerkrankungen durch die Krankheitsdauer bestimmt. Die durchschnittliche Lebenserwartung wird durch eine MS kaum verkürzt, sodass die meisten Betroffenen viele Jahrzehnte mit ihrer Krankheit leben. Die MS-Prävalenz wird in den deutschsprachigen Ländern auf rund 150 Kranke pro 100 000 Einwohner oder ein bis zwei Betroffene auf 1000 Einwohner geschätzt. Für Deutschland entsprechen dem insgesamt etwa 120 000 Menschen mit MS, für Österreich und die Schweiz jeweils etwa 10 000 Menschen. Weltweit wird von bis zu 2,5 Millionen MS-Kranken ausgegangen. Weil viele Menschen (und auch deren Ärzte) geringfügige Störungen nicht besonders ernst nehmen oder weil Schwierigkeiten bei der richtigen Einordnung bestehen, liegen die tatsächlichen Zahlen wahrscheinlich noch höher. Dafür spricht unter anderem die Beobachtung, dass die mikroskopische Untersuchung des Nervensystems von Menschen, die aus anderen Gründen verstorben waren, bei einem von 500 die typischen Veränderungen einer MS nachzuweisen waren, ohne dass bei ihnen diese Diagnose zu Lebzeiten gestellt worden war. Abb. 1: Durchschnittliches Erkrankungsalter an MS 8
Wie häufig ist MS und wann beginnt sie? Bei rund der Hälfte der Betroffenen beginnt die MS vor dem 30. Lebensjahr und bei jeweils etwa 20 Prozent zwischen dem 30. und 40. Lebensjahr beziehungsweise zwischen dem 40. und 55. Lebensjahr. Etwa 90 Prozent der MS-Erkrankungen werden im Altersbereich zwischen 15 und 60 Jahren festgestellt. Das statistisch gesehen»bevorzugte«häufigste Erkrankungsalter an MS liegt zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr mit einem Gipfel um das 30. Lebensjahr herum (siehe Abb. 1). Deshalb beginnt die MS bei Kindern bis zum 15. Lebensjahr und jenseits des 60. Lebensjahres vergleichsweise selten. Dennoch muss auch bei Kindern (siehe nächster Abschnitt) und im höheren Lebensalter (siehe übernächster Abschnitt) an diese Möglichkeit gedacht werden, denn jeweils etwa fünf Prozent der MS-Erkrankungen beginnen in diesen Lebensabschnitten. Da die anfänglichen Beschwerden oft wenig dramatisch und rasch vorübergehend sind, dauert es meist einige Jahre, bis häufigere, schwerere oder bleibende Krankheitszeichen schließlich zur Feststellung einer MS führen. Bei der Festlegung des Krankheitsbeginns muss deshalb zwischen dem Zeitpunkt des erstmaligen Auftretens von Beschwerden und der Diagnosestellung unterschieden werden. Das Durchschnittsalter für den Beschwerdebeginn liegt bei gut 25 Jahren, dasjenige für die Diagnosestellung einige Jahre später. 9
Was sind die wichtigsten Untersuchungen? Die Diagnose einer MS beruht auf einer Verknüpfung der Schilderungen der Betroffenen über Beginn und Verlauf ihrer Beschwerden (= Anamnese) mit den Ergebnissen der körperlichen Untersuchung (= klinischer Befund) und von technischen Untersuchungen (= Zusatzbefunden). Dies hört sich leichter an, als es tatsächlich ist. Viele Betroffene können sich z. B. zumindest anfänglich nicht an ein vor Monaten oder gar Jahren für wenige Tage bis Wochen vorhandenes»komisches«gefühl in einem Arm oder Bein als wahrscheinlich erstem Anzeichen erinnern. Sie hatten es entweder selbst nicht besonders ernst genommen, oder der behandelnde Arzt hatte nichts finden können. Zudem waren die Beschwerden wenig beeinträchtigend gewesen und rasch und folgenlos zurückgegangen, sodass kein Grund zur Beunruhigung oder zu weiteren Untersuchungen gegeben war. Die meisten bei der MS auftretenden Beschwerden können auch bei vielen anderen Krankheiten auftreten, zum Beispiel bei Durchblutungsstörungen oder Bandscheibenleiden. Außerdem entspricht den Beschwerden der MS- Patienten wie etwa dem Kribbeln in einem Bein oft kein fassbarer Untersuchungsbefund. Es handelt sich dann zwar um eine erlebte Gefühlsstörung, aber nicht um eine Beeinträchtigung der Empfindung von Berührungen, die mit einem Wattebausch oder einer Nadel in dem entsprechenden Hautgebiet nachweisbar ist. Es besteht auch kein Unterschied zur gesunden Körperseite. Dies kann dazu führen, dass die Beschwerden voreilig als»funktionell«oder seelisch bedingt eingeordnet werden. Auch für erfahrene Ärzte ist es im Frühstadium einer MS manchmal nicht möglich, die Krankheit mit ausreichender Sicherheit genau einzuordnen. Dies ergibt sich dann erst durch den weiteren Krankheitsverlauf. Für die Betroffenen bedeutet dies eine mehr oder weniger lange Zeit der Unsicherheit und Ungewissheit. Es gibt nach wie vor keinen spezifischen Test und keine Verknüpfung von Befunden, wonach eine MS als sicher nachgewiesen oder ausgeschlossen gelten kann. Dies gilt sowohl für das Nervenwasser (Liquor) und die sogenannten evozierten Potenziale als auch für die Magnetresonanztomographie (MRT). 10