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O S T E U R O P A 1 4. D e z e m b e r 2 0 1 5 2014 und 2015 haben gezeigt: Politische Risiken ob innenoder außenpolitisch können gewaltige Folgen für Emerging Markets haben. Für Osteuropa wird sich dieser Trend im Jahr 2016 überdurchschnittlich stark fortsetzen. Stimmungen und Vertrauen bleiben so auch im nächsten Jahr wichtiger als einzelne Datenveröffentlichungen. Eigentlich würde an dieser Stelle der Kurswechsel der amerikanischen Notenbank und dessen Effekt auf Osteuropas Wirtschaft diskutiert werden. Die globale Liquiditätslage ändert sich und die stark in US-Dollar verschuldete Türkei sowie Russland, das sein Hauptexportprodukt Öl in US-Dollar verkauft, sind betroffen. Mittlerweile haben Schwellenland-Investoren ihre Positionen aber weitgehend angepasst. Das größte Risiko bleibt: die Politik. Das letzte Beispiel dafür ist der Abschuss des russischen Kampfjets am 24. November durch die Türkei im Kontext des Syrienkriegs. Sowohl Lira als auch Rubel zitterten infolgedessen stark. Doch es ist vor allem die wirtschaftsdiplomatische Eskalation, die das Makro-Risiko verdeutlicht: Der Kreml verhängte nicht nur Sanktionen gegen türkische Lebensmittel, sondern streute dazu noch allerhand Sand in die wirtschaftlichen Beziehungen der Länder. Das lässt nicht nur die russische (durch teurere Importe), sondern auch das türkische Leistungsbilanzdefizit (u.a. durch geringere Einnahmen aus dem Tourismus) steigen. Aber nicht nur der Syrien-Krieg mit immer mehr Akteuren (die zum Teil sehr unterschiedlichen Interessen folgen) bleibt ein Risiko. Auch die Lage im Ukraine-Konflikt bleibt angespannt: Die Diskussion um den russischen Kredit über 3 Mrd. US-Dollar an Kiew (Kiew erklärt sich hier für zahlungsunfähig, Moskau will volle Rückzahlung) geht weiter, außerdem wird zum Teil immer noch aufeinander geschossen. Wie völkerrechtlich mit der Annexion der Krim umgegangen werden soll, bleibt ebenfalls unklar. Für Russland heißt das: Auch ein Ende der Sanktionen bleibt unsicher (mehr dazu auf S. 2 im Russland-Teil). Neben von den oben genannten geopolitischen Risikoherden bleibt auch die Innenpolitik 2016 eine Quelle von unvorhersehbaren Ereignissen. Zwar haben in diesem Jahr unter anderem die Polen und Türken ihre Parlamente neu gewählt. Doch die Wahlergebnisse sind nicht allzu vielversprechend, wenn es um das Momentum bei (wirtschafts-)politischen Reformen geht: Der Trend geht in vielen Ländern in eine anti-liberale, autoritäre und nationale Richtung. Osteuropas Politiker vertrauen ihren Nachbarn und ausländischen Partnern weniger und in manchen Ländern sogar auch ihren eigenen Bürgern, wie in der Türkei. Hier können auch 2016 wieder Protestwellen losbrechen. Dazu kommt ein höheres Terrorrisiko, das mit dem intensivierten Engagement der Türkei und Russlands in Syrien einhergeht. Volkswirtschaftlich heißt das alles zunächst: Das Vertrauen der heimischen Verbraucher und Investoren leidet, sodass Nachfrage und Investitionen gedämpft werden. Außerdem werden auch die ausländischen Investoren vorsichtig, sodass ihr Engagement zu oft kurz angebunden bleibt. All das schmälert die Stabilität und damit längerfristige Investitionen und so das Wachstumspotenzial. Ferner können politische Aktionen ganz konkret die Wirtschaft angreifen, wie die Sanktionen gegen Russland zeigen. Erst wenn diese enden, kann die russische Wirtschaft gesunden. Doch nicht nur politische Risiken bestehen. Das größte wirtschaftliche Risiko für Russland im Jahr 2016 wäre eine weiterer Ölpreisverfall. Für andere Volkswirtschaften Osteuropas ist es vor allem ein Stottern in der US- beziehungsweise Eurozonen- Wirtschaft (für die Türkei respektive Polen). All diese Risiken gehören aber nicht zu unserem Hauptszenario. Das politische Risiko drückt über den Vertrauenskanal auf die vorlaufenden Konjunkturindikatoren. Und auch die internationalen Wirtschaftsbeziehungen bleiben durch politische getriebene Wechselkursschwankungen und natürlich die verschiedenen Sanktionen belastet. Für unsere Wachstumsprognosen heißt das: 2016 fällt das Wachstum in Osteuropa durchwachsen aus. BIP- Russland -3,6-1,4 1,0 Türkei 3,2 2,1 2,5 Polen 3,4 3,3 3,1 Inhaltsverzeichnis Russland L-förmig aus der Rezession Seite 2 Türkei Trügerische Stabilität nach den Wahlen Seite 3 Polen Wirtschaftliche Stabilität trotz politischer Wende Seite 4 1 Osteuropa 14. Dezember 2015 1/5

RUSSLAND L-förmig aus der Rezession Russland hat stark gelitten: Seit der Krim-Annexion im März 2014 und dem Ölpreisverfall verlor der Rubel rund 50 % an Wert gegenüber dem US-Dollar; die Wirtschaft schrumpfte. Dabei kommt die große geldpolitische Wende in den USA erst am 16. Dezember. Kredite für Schwellenländer werden also teurer und Investitionen dort weniger attraktiv. Zumal alles danach aussieht, als ob sich der Ölpreis auch 2016 nicht deutlich erholen wird. Das außenwirtschaftliche Umfeld bleibt also ungemütlich. Aber die russische Wirtschaft hat trotzdem vorerst das Schlimmste hinter sich. Sie schrumpft von Quartal zu Quartal weniger. Das liegt unter anderem daran, dass die russische Notenbank im Dezember und Januar mit drastischen geldpolitischen Maßnahmen den Finanzsektor stützte und seitdem die Zinsen expansiv hält. Der seit November 2014 frei schwankende Rubel half, die Folgen des fallenden Ölpreises abzudämpfen. Die Landeswährung stabilisierte sich vor dem Jet-Abschuss sogar etwas. Aber: Erst nach dem Ende der westlichen Sanktionen (und der russischen Gegensanktion) wird der Rubel ein neues Gleichgewicht finden können. Im Lichte der oben bereits angesprochenen politischen Risiken sehen wir eine 40/60-Chance, dass der Westen Mitte 2016 seine Sanktionen gegenüber Russland lockert. Wichtig ist hier nicht nur die Lage in der Ostukraine, sondern auch was in Syrien passiert. Und hier ist die Eskalationsgefahr groß, wie der von der Türkei abgeschossene russische Kampfjet zeigt. Sollte die EU ihre Sanktionen auslaufen lassen, könnte auch Moskau seine Sanktionen aufheben. So könnten sich auch die Preise in Russland wieder erholen. Die ist immer noch zu hoch (Abb. 2). Russland hat aber nicht nur Wunden, sondern auch Narben davongetragen. Von den 225 Mrd. US-Dollar (Dezember 2008) in den staatlichen Wohlfahrtsfonds sind aktuell zusammen nur noch etwa 130 Mrd. US-Dollar übrig. Billiges Öl hat das Budget des Kremls ruiniert; etwa 50 % davon wird mit Petrodollars bestritten. Und es sieht wie bereits erwähnt nicht danach aus, als ob sich der Ölpreis bald wieder erholt. Nun wird der Gürtel enger geschnallt und es geht an die Notgroschen. Auch die Industrie, die nur das Inland bedient, sowie die Nicht-Öl-Exporteure kommen nur langsam wieder in Fahrt. Der schwache Rubel ändert daran wegen seiner weiter relativ hohen Volatilität wenig. Zudem haben die Sanktionen den Technologietransfer gebremst. Ganz zu schweigen vom Rückzug ausländischen Kapitals aus dem sowieso schon investitionsschwachen Land. So schnell wird das Wachstum also nicht wieder zurückkehren. Wir erwarten eine L- förmige, schleppende Erholung und rechnen nach 3,6 % Wachstum in diesem Jahr mit etwa 1,4 % im kommenden Jahr. Abb. 1: Rubel in US-Dollar 20 40 60 80 Invertierte Skala. Quelle: Bloomberg Abb. 2:, Lebensmittel- und 25 20 15 10 5 0 Jan 14 Apr 14 Jul 14 Okt 14 Jan 15 Apr 15 Jul 15 Okt 15 BIP -3,6-1,4 1,0 15,4 8,6 7,7 Arbeitslosigkeit 6,8 6,5 6,2 Leistungsbilanz 4,8 3,5 3,0 Haushalt -3,6-2,9-2,3 Osteuropa 14. Dezember 2015 2/5

TÜRKEI Trügerische Stabilität nach den Wahlen Die Türkei startet mit der neuen alten Regierung ins neue Jahr: Seit 2001 regiert die AKP das Land. Doch eigentlich sollte die AKP-Alleinregierung im Sommer enden. Im Juni wählten die Türken ihr Parlament so, dass nur in einer Koalition regiert werden konnte. Das gefiel vor allem Präsident Erdogan nicht, denn er will die Macht seines eigentlich repräsentativen Amtes ausweiten. Er verhinderte eine Koalition, setzte stattdessen Neuwahlen für November an und entfachte ein politisches Tohuwabohu, in dem viel politisches Porzellan zerschlagen wurde insbesondere der Friedensprozess mit den Kurden. Zensur, Ausgangssperren, Razzien und PKK-Terror folgten. Zwar haben die November-Wahlen nun Klarheit geschaffen: Die AKP regiert nun doch alleine weiter. So verkaufte sich die AKP nach den Wahlen als Garant für zukünftige Stabilität und der Markt gehorchte und die Lira erstarkte kurz. Außerdem suggerieren die jüngsten, überraschend starken Wachstumsdaten aus dem dritten Quartal, dass die Wirtschaft robuster ist, als viele erwartet haben. Die Frage ist aber: Kann die AKP langfristig weitere vier Jahre Stabilität liefern? Wir sind skeptisch. In unseren Augen ist der vermeintliche politische Befreiungsschlag kurzfristiger Natur: Seit mehr als fünf Jahren ist die Lira auf Talfahrt (Abb. 3) und der Trend dürfte sich nicht ändern: Mit kurzfristigen Auslandsschulden von etwa 16 % des BIP (Stand: Oktober 2015), einem Leistungsbilanzdefizit von 5,3 % des BIP und einer zu hohen (Abb. 4) ist die finanzielle Widerstandsfähigkeit der Türkei nicht gerade hoch. Ferner wird das Wachstum immer noch zu sehr von Konsum und nicht von Investitionen getragen. Die türkische Volkswirtschaft ist also die eines typischen Schwellenlands, das im Takt der globalen Kapitalströme schlägt: mal auf, mal ab gerne auch etwas stärker. Vertrauen zählt hier viel. Deshalb ist der Grund für unsere pessimistische langfristige Prognose sehr Türkei-spezifisch: Die Regierung entledigt sich immer mehr Kontrollen einer starken Opposition, kritischen Journalisten oder auch des früher einflussreichen Militärs. Zudem hat der Einfluss von EU 1 und IWF (über die Strukturanpassungsprogramme) abgenommen. Dazu kommt das oben diskutierte geopolitische Risiko. Trotz allem wird die AKP vermutlich eher auf fiskal- und geldpolitische Strohfeuer setzen. Der politische Einfluss auf die Notenbank dürfte steigen, mittelfristig die Leitzinsen also fallen. All das dürfte in bloß magerem Wachstum für 2016 münden: Wir erwarten etwa 2,1 %. Abb. 3: Lira in US-Dollar 1.4 1.9 2.4 2.9 Invertierte Skala. Quelle: Bloomberg. Abb. 4:, Lebensmittel- und 16 13 10 7 4 Jan 14 Apr 14 Jul 14 Okt 14 Jan 15 Apr 15 Jul 15 Okt 15 BIP 3,2 2,1 2,5 7,7 7,7 7,3 Arbeitslosigkeit 10,6 10,1 10,2 Leistungsbilanz -5,3-5,1-6,0 Haushalt -1,8-2,0-2,1 1 Die kürzlich wieder aufgenommenen Verhandlungen zwischen EU und Ankara sind vor allem im Lichte der Flüchtlingsproblematik der EU, also als Konzession zu sehen und weniger als Belohnung für die Rolle der Regierung in den neueren politischen Entwicklungen in der Türkei. Osteuropa 14. Dezember 2015 3/5

POLEN Wirtschaftliche Stabilität trotz politischer Wende Auch Polen hat seit Oktober eine neue Regierung. Anders als in der Türkei gab es hier aber einen wirklichen Politikwechsel. Regierung und Präsidialamt werden nun von der nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) besetzt; die liberalkonservative Volksplattform wurde auf die Oppositionsbank geschickt. Politisch und wirtschaftlich dürften jetzt nach und nach einige Dinge umgekrempelt werden. Das Wirtschaftswachstum wird aber wahrscheinlich nur geringfügig auf den Politikwechsel reagieren. Polens Wirtschaft ist eng mit der deutschen verzahnt und wird entsprechend auch 2016 durch das deutsche Wachstum mitgezogen. Zudem hat das Land in den letzten Jahren einen robusten Binnenmarkt entwickelt, der die Wirtschaft von außenwirtschaftlichen Schwankungen besser isoliert. Im kommenden Jahr wird auch Polen von Europas Aufschwung ohne Überschwan profitieren: 2 Wir erwarten ein BIP-Wachstum von 3,4 % für 2015 und 3,3 % 2016. Polen ist Europas einzige Volkswirtschaft, die Lehman-Kollaps und Schuldenkrise durchgestanden hat, ohne in die Rezession zu gleiten. Polen ist zwischen Außen- und Binnenwirtschaft (jedenfalls in den Städten) vergleichsweise ausgeglichen. Das spiegelt sich auch in dem Wechselkurs wider, der trotz der sich ändernden globalen Liquiditätslage und damit geringerem Risikoappetit relativ stabil blieb (Abb. 5) Polen ist weniger stark vom US- Dollar abhängig als zum Beispiel die Türkei. Klar ist aber, dass der liberale Kurs der Vorgängerregierung beendet ist und es eher in Richtung nationale Wirtschaftspolitik à la Ungarn geht. Alleine deshalb dürfte der Zloty in der nächsten Zeit etwas volatiler werden; die wirtschaftspolitischen Weichenstellungen werden erst über die kommenden Monate konkret. Wir sorgen uns um die künftige Unabhängigkeit der Zentralbank. Nahezu das gesamte geldpolitische Komitee inklusive des Notenbankpräsidenten wird 2016 ausgetauscht. Die PiS könnte der Notenbank ein Wachstumsziel und damit niedrigere Zinsen vorschreiben. Dazu passt das geplante Investitionsprogramm, das über billigen Kredit der Notenbank laufen soll. Unklar hingegen bleibt vorerst, was aus dem langjährigen Problem der Franken- Kredite wird. Die neue Regierung weiß um die Sensibilität des Themas und verzögert deshalb politische Entscheidungen. Bereits beschlossen wurden dafür unter anderem höheres Kindergeld und ein niedrigeres Renteneintrittsalter. Unsere Hoffnung bleibt, dass Schuldenbremse und Maastricht-Regeln das Haushaltsdefizit bei 3 % des BIP (oder leicht darüber) stoppen werden lassen. Abb. 5: Zloty in Euro und Schweizer Franken 2.8 3.3 3.8 4.3 4.8 Invertierte Skala. Quelle: Bloomberg. Abb. 6:, Lebensmittel- und 3.0 1.0-1.0-3.0 Euro in Zloty Franken in Zloty -5.0 Jan 14 Mai 14 Sep 14 Jan 15 Mai 15 Sep 15 BIP 3,4 3,3 3,1-0,8 1,0 1,7 Arbeitslosigkeit 10,6 9,5 10,1 Leistungsbilanz -0,6-1,5-1,9 Haushalt -2,9-3,1-2,9 2 Mehr dazu in unserem Jahresausblick Wirtschaft und Finanzmärkte 2016 Wirtschaftliche Chancen, politische Risiken vom 4. Dezember 2015. Osteuropa 14. Dezember 2015 4/5

IMPRESSUM Makro-Team Hamburg Dr. Holger Schmieding Chefvolkswirt +49 40 350 60-8021 holger.schmieding@berenberg.de Wolf-Fabian Hungerland +49 40 350 60-8165 wolf-fabian.hungerland@berenberg.de Berenberg Makro erscheint zu folgenden Themen: Konjunktur und Geldpolitik Währungen Rohstoffe Emerging Markets Osteuropa Trends www.berenberg.de/publikationen Cornelia Koller +49 40 350 60-198 cornelia.koller@berenberg.de Wolfgang Pflüger +49 40 350 60-416 wolfgang.pflueger@berenberg.de Dr. Jörn Quitzau +49 40 350 60-113 joern.quitzau@berenberg.de Wichtige Hinweise: Dieses Dokument stellt keine Finanzanalyse im Sinne des 34b WpHG, keine Anlageberatung, Anlageempfehlung oder Aufforderung zum Kauf von Finanzinstrumenten dar. Es ersetzt keine rechtliche, steuerliche und finanzielle Beratung. Die in diesem Dokument enthaltenen Aussagen basieren auf allgemein zugänglichen Quellen und berücksichtigen den Stand bis zum Tag vor der Veröffentlichung. Nachträglich eintretende Änderungen können nicht berücksichtigt werden. Joh. Berenberg, Gossler & Co. KG Neuer Jungfernstieg 20 20354 Hamburg Telefon +49 40 350 60-0 www.berenberg.de info@berenberg.de