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Transkript:

SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Glauben AUF DEM WEG ZUR RELIGIONSGEMEINSCHAFT MUSLIMISCHE VERBÄNDE ZWISCHEN GESELLSCHAFTLICHEN VORURTEILEN UND INTERNEN PROBLEMEN VON ULRICH PICK SENDUNG 24.05.2015 / 13.30 UHR Redaktion Religion, Kirche und Gesellschaft Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR SWR2 Glauben können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/glauben.xml Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de

Atmo: Islamischer Religionsunterricht in der Grundschule Mainz-Kostheim Donnerstagnachmittag in der Brüder-Grimm-Grundschule in Mainz-Kostheim, einem Stadtteil der hessischen Landeshauptstadt Wiesbaden. 18 Zweitklässler haben sich eingefunden und haben gemeinsam mit ihrer Lehrerin in einem Stuhlkreis Platz genommen. Die Jungen und Mädchen kommen aus muslimischen Familien und erhalten hier islamischen Religionsunterricht und zwar als ordentliches Lehrfach unter denselben Rahmenbedingungen wie ihre christlichen Mitschüler beim evangelischen und katholischen Religionsunterricht. Bundesweit ist dies eine Besonderheit, sagt Stefan Löwer, der Pressesprecher des Kultusministeriums in Wiesbaden. Take 1: Hessen ist das erste Bundesland, in dem der islamische Religionsunterricht als bekenntnisorientierter Religionsunterricht nach dem Grundgesetz erteilt wird. Das heißt, dass wir hier auch Kooperationspartner aus dem religiösen Bereich haben, die praktisch die Lehrerlaubnis aus religiöser Sicht erteilen. Das Ganze findet aber unter staatlicher Aufsicht statt. Die Grundlage des hessischen Islamunterrichts bildet Artikel 7, Absatz 3 des Grundgesetzes, der den Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach bezeichnet. Seine Lehrinhalte werden - wie es dort heißt - in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt. Diese sind auf christlicher Seite die jeweiligen evangelischen Landeskirchen beziehungsweise die katholischen Bistümer. Auf islamischer Seite fehlte bislang ein solcher Organisator. Denn nur sehr wenige Landesgruppen der großen islamischen Verbände, die sich selbst als Ansprechpartner des Staates darstellen, haben den Status einer offiziellen Religionsgemeinschaft und können somit die im Grundgesetz geforderten Voraussetzungen für den Religionsunterricht erfüllen. Das Land Hessen hat inzwischen zwei Verbände als Religionsgemeinschaft anerkannt: Als erstes es die Türkisch Islamische Union der Anstalt für Religion, die besser bekannt ist unter ihrem Kürzel Ditib. Sie ist der deutsche Arm des Amtes für religiöse Angelegenheiten in Ankara, vertritt also einen staatsoffiziellen sunnitischen Mehrheitsislam türkischer Prägung. Die zweite islamische Religionsgemeinschaft in Hessen ist die Ahmadiyya Muslim Jamaat. Sie ist eine sufisch geprägte islamische Reformbewegung, die aus Pakistan stammt, in ihrem Ursprungsland aber durch radikale Sunniten verfolgt wird. Auch wenn Nurgül Altuntas, die Koordinatorin für den islamischen Religionsunterricht im Wiesbadener Kultusministerium, eine große Übereinstimmung zwischen den beiden Religionsgemeinschaften betont ein kleiner, aber theologisch hoch bedeutsamer Unterschied trennt sie. Deshalb gibt es für den hessischen Islamunterricht auch zwei Curricula: Take 2: Wenn Sie sich das Kern-Curriculum genauer anschauen: Beide Kern- Curricula sind identisch. Nur auf zwei Seiten wurde ein Wort hinzugefügt. Da heißt es: "Der letzte gesetzbringende Prophet" bei der Ahmadiyya-Gemeinde. Und bei Ditib-Hessen-sunnitisch heißt es: "Der letzte Prophet Mohammed". Da konnten sich die beiden Religionsgemeinschaften nicht einigen. Dann haben 2

beide Religionsgemeinschaften gesagt, wir möchten dann lieber gerne getrennte Kern-Curricula haben, auch getrennte Unterrichte. Den islamischen Religionsunterricht, der im vergangenen Schuljahr begonnen wurde und vor der ersten Klasse an sukzessive aufgebaut wird, gibt es mittlerweile an 38 Schulen in Hessen. Die Zahl der Schüler beträgt laut Kultusministerium etwa 1200. Trotz der getrennten Curricula sind die Rahmenbedingungen aber sowohl für Ditib als auch für die Ahmadiyya dieselben: Take 3: Der Religionsunterricht muss in deutscher Sprache geführt werden. Es müssen hier staatlich anerkannte und hier staatlich geprüfte Lehrkräfte auch den Religionsunterricht erteilen. Und was ganz wichtig ist, dass diese Lehrkräfte nach dem Kern-Curriculum auch unterrichten. Die Ausbildung für den islamischen Religionsunterricht wird an zwei verschiedenen Universitäten angeboten. In Gießen erfolgt sie für die Grundschullehrer, in Frankfurt am Main für die Lehrer der Sekundarstufe 1. Lehrkraft an der Brüder-Grimm-Grundschule in Mainz-Kostheim ist Suzan Demir. Die türkisch-stämmige Mathematiklehrerin hat in Gießen eine Zusatzausbildung gemacht und ist vom islamischen Verband Ditib beauftragt worden: Take 4: Es ist ja bekenntnisorientierte Unterricht, das heißt: Wir Lehrkräfte müssen auch islamischen Glauben haben. Und diese Erteilung der Lehrerlaubnis haben wir von Ditib im Rahmen eines Zertifikats bekommen. Wir müssen quasi uns zu unserer Religion bekennen, das heißt, wir müssen die Schahada aussprechen, die Schahada, dass wir uns zum Islam bekennen. Und das haben wir in schriftlicher Form gemacht und haben unterschrieben und daraufhin haben wir die Lehrerlaubnis bekommen. Zwar ist die schwarz-grüne Landesregierung in Hessen stolz darauf, als erstes Bundesland einen Islamunterricht zu haben, der ein adäquates Pendant zum katholischen und evangelischen Religionsunterricht ist. Dennoch würde sie es lieber sehen, wenn man auf islamischer Seite lediglich einen Ansprechpartner für alle Muslime hätte. Denn indem zwei unterschiedliche Curricula zugelassen wurden, hat man gleichzeitig eine Tür geöffnet. Es könnte nämlich sein, dass langfristig auch andere islamische Gruppierungen die Anerkennung als Religionsgemeinschaft erlangen und einen eigenen offiziellen Religionsunterricht anbieten möchten. Das hessische Modell hat unterschiedliche Reaktionen hervorgerufen. Lamya Kaddor, die Vorsitzende des Liberal-Islamischen Bundes sieht den hessischen Weg mit Skepsis: Take 5: Das kann ein Weg sein. Ich glaube nur, auch da hat man dann später eben den türkischen Islam und einen Ahmadiyya-Islam, der ja insgesamt von den meisten Sunniten eher abgelehnt wird. Also, ich weiß nicht, ob das eine glückliche Lösung war, wenn man eine Gruppe quasi privilegiert über den Islam und die Inhalte des islamischen Religionsunterrichts mitzuentscheiden, 3

wenn mehrheitlich die meisten Muslime ein Problem mit Muslimen haben, die sich Ahmadiyya nennen. Ich glaube, man müsste diese Anerkennung sehr viel breiter aufstellen. Vielleicht müssten die Muslime davon mal zusammenkommen und selber überlegen, in welcher Organisationsform sie denn alle zusammenkommen können, also, welche Plattform uns diese Möglichkeit bietet. Um dann dem Staat gegenüber zu sagen, also wir treten jetzt gemeinsam auf. Natürlich muss die Ahmadiyya da mitbeteiligt werden oder Schiiten, Liberale, mystische Muslime wie auch immer. Aber im Moment sehe ich das nicht. Obgleich alle vier Millionen Muslime in Deutschland derselben Religion angehören, verstehen und leben sie diese sehr unterschiedlich. Denn die Gemeinden setzen oft verschiedene inhaltliche Schwerpunkte. Auch spielt die unterschiedliche Glaubenspraxis, die durch die jeweiligen Traditionen der Herkunftsländer geprägt ist, eine nicht zu unterschätzende Rolle. Zudem sind die Muslime nicht automatisch Mitglied einer festen religiösen Organisation. Zwar gibt es zahlreiche Moscheevereine und religiöse Verbände in Deutschland. Aber nur ein Bruchteil der Muslime ist dort organisiert. Wie viele es genau sind, darüber herrscht Uneinigkeit. Auch Lamya Kaddor kann nur schätzen: Take 6: Es sind sehr viel mehr Muslime, die beten gehen zum Beispiel freitags. Und vielleicht auch am Gemeindeleben teilnehmen. Aber im Sinne einer Mitgliedschaft, die ordentlich eingetragen ist und so weiter, glaube ich, dass es nicht mehr als 15 oder 20 Prozent sind. Mathias Rohe, Islamwissenschaftler und Jurist an der Uni Erlangen, hat sich intensiv mit dem Islam in Deutschland beschäftigt. Er geht vom demselben Prozentsatz aus wie Lamya Kaddor, weist aber darauf hin, dass es noch eine andere Zahl gibt, je nachdem, ob man auf den einzelnen Gläubigen oder auf die Moschee-Gemeinde schaut: Take 7: Es kursiert die Zahl, dass es 15 bis 25 Prozent seien. Es gibt aber die andere Zahl, dass es bis 80 Prozent der organisierten Moscheevereine sind, je nachdem, welchen Blickwinkel man da anlegt. Wir haben eine Unsicherheit, weil es im Islam ja - anders als bei christlichen Kirchen - keinen formellen Aufnahmeakt gibt. Das heißt, wir wissen schon nicht, wenn da jetzt ein Familienmitglied drin ist, zählt dann die ganze Familie mit oder ähnliches mehr. Wir können jedenfalls sagen, dass die Verbände, die Organisation zum großen Teil diejenigen Musliminnen und Muslime vertritt, die sich für religionspraktische Fragen interessieren. Ein Teil der Moscheevereine und islamischen Gruppierungen in Deutschland hat sich im Laufe der Zeit in überregionalen Verbänden zusammengeschlossen. Sie unterscheiden sich in der Regel durch ihre spirituellen sowie nationalen Ausrichtungen. Vier von ihnen haben eine herausgehobene Position. Da ist als Erstes die bereits erwähnte DITIB. Sie ist der deutsche Arm des Religionsministeriums in Ankara, vertritt also den 4

staatsoffiziellen Islam der Türkei und ist der zahlenmäßig größte Verband. Als Zweites ist der Verband der Islamischen Kulturzentren VIKZ zu nennen. Er organisiert ebenfalls türkisch-stämmige Muslime, ist aber eher sufisch ausgerichtet. Der Islamrat als dritte und der Zentralrat der Muslime als vierte große Organisation sind weiter gefächert. Sie vertreten nicht nur türkische Muslime, sondern auch arabische, afrikanische, bosnische, albanische und deutsche. Die islamischen Verbände verstehen sich als repräsentative Stimme der Muslime in Deutschland. Da aber wie gesagt nur ein Bruchteil von ihnen organisiert ist, stellt sich unweigerlich die Frage, ob sie den Islam in Deutschland auch wirklich angemessen vertreten. Mathias Rohe bezieht hier eindeutig Position: Take 8: Sicher nicht! Sie sind wichtige Repräsentanten des Islam. Man soll's auch nicht kleinreden. Das ist schon eine ganze Menge. Sie repräsentieren einen breiten Teil des traditionelleren sunnitischen Islam insbesondere. Aber daneben gibt es viele andere Richtungen. Es gibt zum Beispiel den eher mystisch-sufischen orientierten Islam, die Schiiten haben sich begonnen zu organisieren, und dann gibt's die Aleviten, die selber noch am Diskutieren sind, ob sie eigentlich ein Teil des Islam sind oder sich raus entwickelt haben. Also, es ist insgesamt schon ein buntes Spektrum auch weit jenseits dieser großen Verbände. Dass die großen islamischen Verbände Schwierigkeiten haben, sich plausibel als angemessene Repräsentanten aller Muslime in Deutschland auszugeben, räumen ihre führenden Vertreter nur zögerlich ein. Denn jeder Muslim, der nicht offizielles Mitglied in einem der zahlreichen Moscheevereine ist, stellt letztlich den Anspruch der islamischen Verbände auf Repräsentation in Frage. Gleichwohl bekennt Aiman Mazyek, der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime : Take 9: Ein Großteil der Muslime kommt nicht regelmäßig in die Gemeinden und Moscheen. Ein ähnliches Phänomen kennen wir ja auch aus anderen Religionsgemeinschaften. Da ist die Frage an die sogenannte schweigende Mehrheit, da haben sie zwei Möglichkeiten: Sie organisieren sich selbst oder sie nehmen teil an den bestehenden Formaten und Angeboten der muslimischen Verbände. Ich hoffe nicht, dass sie die dritte Alternative wählen, nämlich nichts zu machen. MUSIK Seit 2007 haben sich die vier großen Verbände DITIB, VIKZ, Islamrat und Zentralrat zum Koordinationsrat der Muslime zusammengeschlossen. Der KRM wie er abgekürzt genannt wird - versteht sich als oberste islamische Dachorganisation in Deutschland. Der Vorsitz des Koordinationsrates wechselt jedes halbe Jahr von Verband zu Verband. Zurzeit ist Nurhan Soykan vom Zentralrat die Sprecherin. Die Rotation soll Gleichrangigkeit und Ausgewogenheit unter den Muslimen ausdrücken. Das ist zwar gut gemeint, sorgt aber auch für Irritationen. Denn die Öffentlichkeit muss sich anders als 5

bei den beiden großen Kirchen alle sechs Monate an ein neues Gesicht gewöhnen, das sich als repräsentatives Sprachrohr für die Muslime in Deutschland ausgibt. In Zeiten, da es um das Image des Islams nicht besonders gut bestellt ist, dürfte dieses Vorgehen eher für Unruhe sorgen als für dringend notwendiges Vertrauen. Wäre es da nicht besser, wenn die Muslime einen festen Sprecher hätten? Aiman Mazyek, der Vorsitzende des Zentralrats, meint ja : Take 10: Wenn's nach meinem Wunsch geht: Hoffentlich kriegen wir das hin. Ob's denn am Ende so der Fall ist, weiß ich nicht. Vielleicht gibt es dann noch eine Ausdifferenzierung zwischen Schiiten und Sunniten. Vielleicht schaffen sie es auch unter einem Dach. Auch auf Seiten der DITIB ist man sich der Schwierigkeit des halbjährlich wechselnden Sprechers bewusst. Deshalb betont Bekir Alboga, der Dialogbeauftragte der Organisation: Take 11: Der Koordinationsrat ist verbesserungsbedürftig. Es hat leider in den letzten zwei, drei Jahren bestimmte Störungen seitens bestimmter Dachverbände gegeben, und das wollen wir abschaffen. Wir möchten die Struktur, die inhaltliche Arbeit und die Möglichkeit einer besseren Zusammenarbeit reformieren. Wir sind dabei, damit die Einheit schneller entsteht und damit auch die Zusammenarbeit besser funktioniert. Das Problem scheint aber nicht allein die Rotation des Sprechers zu sein. Hinter vorgehaltener Hand werden nämlich die von Alboga angesprochenen Störungen als handfeste innere Rivalitäten und Machtkämpfe bezeichnet. Der Koordinationsrat, so heißt es, sei deshalb momentan eigentlich gar nicht in Lage, mit einer einheitlichen Stimme zu sprechen. Zentraler Knackpunkt hierbei ist vor allem der Versuch von DITIB, einen Führungsanspruch durchzusetzen. Dies kommt beispielsweise zum Ausdruck, wenn Bekir Alboga sagt: Take 12: Demokratisch gesehen, könnte es so sein, dass DITIB als die größte ausschlaggebende muslimische Religionsgemeinschaft von den anderen Religionsgemeinschaften beauftragt wird, in Beratung, in Abstimmung mit uns für die Muslime zu sprechen. Auch wenn Alboga gleichzeitig betont, die Muslime in Deutschland müssten gemeinsam vorgehen, ärgern solche Äußerungen die anderen Mitglieder im Koordinationsrat. Kein Wunder, dass sich Aiman Mazyek, der Vorsitzende des Zentralrats, über den deutschen Arm des türkischen Religionsministeriums erbost zeigt - wenngleich er sich ebenso nachdrücklich für eine Reform des islamischen Verbandswesens in Deutschland ausspricht: Take 13: Wir erleben teilweise auch, dass wir in der Tat türkische Konflikte hier dann mit austragen müssen und dass uns das durchaus erschwert im Prozess einer Normalisierung Islam und Muslime in Deutschland. Ich glaube nicht, 6

dass wir die jetzigen bestehenden Verbändestrukturen in den nächsten Jahren oder Jahrzehnten so haben. Ich denke, das wird sich ändern. Ob es dann nur einen Absprechpartner gibt, weiß ich nicht. Aber es wird wahrscheinlich schon weniger geben. Von den Streitigkeiten und Auseinandersetzungen unter den Muslimen in Deutschland erfährt die nicht-muslimische Öffentlichkeit meist wenig. Gleichwohl dürften sie die Position der Verbände schwächen. Denn die Bundesregierung wie auch die Landesregierungen wünschen sich bereits seit Jahren, dass es auf Seiten der hiesigen Muslime einen ebenso verlässlichen wie einheitlichen Ansprechpartner gibt ähnlich wie bei den beiden großen Kirchen. Dies könnte, so heißt es immer wieder, die Gespräche über eine Anerkennung als Religionsgemeinschaft und einen islamischen Religionsunterricht vereinfachen. Davon aber ist man nach Ansicht von Lamya Kaddor, der Vorsitzenden des Liberal-Islamischer Bundes, momentan noch weit entfernt, da man eigentlich intern gegeneinander arbeitet: Take 14: Ja, gerade in letzter Zeit hat man ja den Eindruck, dass man sich nicht grün ist. Da wird ja der Zentralratsvorsitzende, Aiman Mazyek, sehr, sehr scharf kritisiert und angegangen seitens der DITIB beispielsweise. Wegen irgendwelcher Veranstaltungen oder Teilnahmen an Antisemitismus- Demonstrationen von Herrn Mazyek. Ich halte das für nicht nur peinlich - um ehrlich zu sein - und der Sache absolut undienlich. Ich muss auch sagen, dass das dem gängigen Muster entspricht und der Erfahrung, die ich bisher mit einigen Vertretern des KRMs machen musste, dass es häufig einfach nur eine Frage der Macht ist. Also: Wer kann für sich die Deutungshoheit beanspruchen. Und das ist nicht förderlich. Im Grunde genommen, stellt man sich da ein Bein. Der Liberal-islamische Bund gehört zu denjenigen Verbänden, die nicht im Koordinationsrat vertreten sind. Grund dafür ist, sagt Lamya Kaddor, dass die meisten der im Koordinationsrat vertretenen Gruppierungen einen eher konservativen und von den Herkunftsländern geprägten Islam repräsentieren: Take 15: Das entspricht nicht unserem Islamverständnis. Und bisher gab es auch keine Einladung seitens des KRMs, uns denen anzuschließen. Das entspricht aus meiner Sicht auch einer allgemeinen Eischätzung von mir: Dass die etablierten Verbände kein Interesse daran haben, mit einem kleinen Verein, den sie unbedeutend nennen, zu kooperieren. Im Moment ist es immer noch so, dass die vier großen Dachverbände ihre Vorrangstellung - ich will mal sagen - gezielt ausnutzen. Solange es eben geht. Wenn wir sagen: "Wir verstehen uns als deutsche Muslime". Ich glaube viele Mitglieder der etablierten Verbände würden das so selbstverständlich nicht unbedingt alle sagen. MUSIK 7

Kritik an den etablierten großen Verbänden kommt nicht nur von Muslimen, die sich als liberal bezeichnen. Unzufriedenheit zeigt auch ein Teil der islamischen Jugend. So weist Esra Kücük, die Leiterin der Jungen Islamkonferenz Deutschland, einem Dialogforum und Netzwerk junger Menschen im Alter von 17 bis 25 Jahren, daraufhin, dass es einen deutlichen Generationenkonflikt innerhalb des deutschen Islams gibt. Take 16: Von den vier Millionen Muslimen, die in Deutschland leben, sind etwa die Hälfte - also etwa zwei Millionen - unter 25 Jahre alt. Das heißt: Die Aussage, die wir sicher schon einmal über Muslime in Deutschland treffen können, ist, dass sie jung sind. Und wenn wir uns jetzt die Verbandslandschaft anschauen, sehen wir, dass meistens dort Menschen organisiert sind, die aus der ersten und zweiten Generation nach Deutschland gekommen sind und Interessen vertreten, die für diese Generation ihre Legitimität hat. Aber eine Generation, die hier aufgewachsen ist, hier ihren Sozialisations- und Lebensmittelpunkt hat, hat auf gewisse Themen einen anderen Blick. Zu diesen Themen zählt insbesondere die Verbindung vieler Verbände zu Organisationen und Geldgebern im Ausland. Denn während die meisten jungen Muslime ihren Lebensmittelpunkt eindeutig in Deutschland sehen, orientieren sich viele der älteren Muslime, die in der Verbänden die Mehrheit haben, oft immer noch politisch und religiös an ihren Herkunftsländern. Bekir Alboga, der Dialogbeauftragte von DITIB, hält dies für völlig selbstverständlich: Take 17: Jeder muslimische Dachverband hat eine gewisse theologische Autorität im Ausland: Bosnische Gemeinde, albanische Gemeinde, marokkanische Gemeinde, arabische Gemeinde und so weiter und so fort. Unsere spirituelle, theologische Autorität ist das Amt für Religionsangelegenheiten. Wir kooperieren mit Diyanet, mit dem Präsidium für Religionsangelegenheiten, damit wir unsere Gemeinden mit Imamen versorgen können. So sind die Imame in den DITIB-Moscheen mehrheitlich türkische Staatsbeamte, die ihr Gehalt aus Ankara bekommen. Sie werden in der Regel nur zeitlich befristet nach Deutschland geschickt und haben oft wenig Ahnung, wie Muslime hierzulande eigentlich leben. Für Bekir Alboga gibt es keinen Grund, diese Praxis zu ändern. Denn der staatsoffizielle türkische Islam, so sagt er, sei friedlich und ein Garant gegen jegliche Formen des islamischen Extremismus: Take 18: Ich möchte darauf hinweisen, dass die Bertelsmann-Stiftung festgestellt hat, dass 80 Prozent hochreligiöse Sunniten sich an der Demokratie und an den Werten in der Verfassung orientieren. Das bedeutet, dass unsere Imame bis heute gute Arbeit geleistet haben. Lamya Kaddor, die Vorsitzende des Liberal-Islamischen Bundes, kann Albogas Argumentation in gewissen Teilen durchaus nachvollziehen. Was allerdings die Herkunft der Imame betrifft, so plädiert sie für einen deutlich anderen Weg: 8

Take 19: Bis zu einem gewissen Grad hat er natürlich Recht, wenn er sagt, wir haben doch bisher auch gute Arbeit geleistet. Das stimmt. Sie haben sehr gute Arbeit geleistet. Gerade auch für unsere Eltern- oder Großelterngeneration. Aber sie reichen nicht mehr aus, um jüngere Menschen, deutsche Muslime, zu erreichen, die in der dritten, vierten Generation schon geboren sind. Wenn wir Geistliche aus aller Herren Länder importieren, und die versuchen dann mit ihrem Duktus, mit ihrer Didaktik, mit ihrer Sprache an diese Jugendlichen zu kommen. Das werden sie nicht hinbekommen. Es müssen hier ausgebildete Imame sein, die auch die Verhältnisse hier kennen. Denn wir sehen auf der anderen Seite auch, warum Salafisten so erfolgreich sind. Doch sicherlich auch, weil die Arbeit der Moscheegemeinden ein stückweit versagt hat. MUSIK Immer wieder ist in den vergangenen Monaten darüber diskutiert worden, ausländische Unterstützung für deutsche Moscheevereine zu verbieten. Anstoß hierfür war das Ende Februar verabschiedete Islamgesetz in Österreich, das islamischen Organisationen untersagt, Finanzhilfe aus anderen Staaten anzunehmen. Ob man es wirklich schaffen kann, allein durch Gesetzesregelungen Geldquellen aus dem Ausland trocken zu legen besonders wenn sie dubioser und radikal-islamischer Natur sind ist zu bezweifeln. Ein anderer und möglicherweise effektiverer Weg, ausländischen Einfluss an hiesigen Moscheen zurückzudrängen, ist die Einstellung von Personal, das in Deutschland ausgebildet worden ist. Seit einigen Jahren gibt es nämlich an deutschen Universitäten vier sogenannte Zentren für Islamische Theologie : In Tübingen, in Erlangen sowie an den Doppelstandorten in Münster und Osnabrück sowie in Frankfurt und Gießen. Geschäftsführerender Direktor des Studienzentrums an der Frankfurter Johann- Wolfgang-Goethe-Universität ist Bekim Agai. Er begrüßt, dass es mittlerweile auch in Deutschland die Möglichkeit gibt, Islamische Theologie zu studieren, warnt aber auch die Studierenden vor falschen Erwartungen hinsichtlich ihrer Berufsaussichten: Take 20 Was wir nicht liefern können, ist zu sagen, wer das studiert, ist am Ende das. Dazu ist die Theologie letztlich zu frei und ein zu weites Feld und lässt auch den individuellen Interessen zu viel Raum, was natürlich sozusagen auf der einen Seite ein Vorteil ist, aber vor dem Hintergrund einer ganz klaren Berufsperspektive auch ein Nachteil. Dass der Professor für Kultur und Gesellschaft des Islams sich zurückhaltendend zu den Berufsaussichten von islamischen Theologen zeigt, die ihr Examen in Deutschland abgelegt haben, hat seinen Hintergrund. Wer nämlich als Imam an einer deutschen Moschee arbeiten möchte, braucht nicht nur eine gute Ausbildung, sondern auch die Zustimmung desjenigen islamischen Verbandes, dem die Moschee angehört. Da man sich dort aber, wie bereits erwähnt, vielfach noch immer an den Gepflogenheiten aus den jeweiligen Herkunftsländern orientiert, kann es zu einem Interessenkonflikt kommen. 9

Denn die Ausbildung in Islamischer Theologie an deutschen Unis empfindet mancher der Verbandsvertreter als zu progressiv und somit auch als Angriff auf die eigene als bewährt angesehene Tradition. Dies zeigt auch die Auseinandersetzung um den Münsteraner Hochschullehrer Mouhanad Khorchide. Darüber hinaus darauf macht Aiman Mazyek, der Vorsitzende des Zentralrats, aufmerksam gibt es noch eine weitere Schwierigkeit, wenn die ausländische Unterstützung für deutsche Moscheen wegfällt: Take 21: Wer "a" sagt, muss auch "b" sagen. Die DITIB beispielsweise organisiert ein Großteil der Imame aus der Türkei und finanziert sie. Wenn man sagt, okay wir wollen dieses System so nicht mehr haben - und da gibt es durchaus Gründe dafür, das zu sagen - dann müssen wir uns auch die Frage gefallen lassen: Wie finanzieren wir die? Wie organisieren wir das hier in diesem Land? Und da ist der Zentralrat gerne bereit mitzumachen. Aiman Mazyek richtet an dieser Stelle seinen Blick auf die Politik und deutet an, dass er sich im Grunde genommen eine Beteiligung des Bundes und der Länder an der Lösung des Problems wüscht. Denn, wenn die ausländische Unterstützung wegfalle, sagt er, seien die finanziellen Möglichkeiten der deutschen Moschee-Gemeinden sehr gering: Take 22: Wir sind keine Kirche als Körperschaft und kriegen staatliche Zuwendungen zum Beispiel für die Präventionsarbeit in der Jugendarbeit. Das müssen die alles selber aus der eigenen Hüfte schneiden. Ob die Politik den zugespielten Ball auffangen wird, ist fraglich zumindest solange die islamischen Verbände untereinander streiten und sich nicht auf ein gemeinsames Vorgehen einigen können. Unstrittig hingegen ist, dass die Verbände allem Anschein nach momentan auf tiefgehende und wichtige strukturelle Umbauprozesse zusteuern. Hierbei geht es nicht nur um neue Finanzierungsmodelle der Gemeinden und ihrer Dienste, sondern ebenso um Fragen nach der Anerkennung als Religionsgemeinschaft, der Ausrichtung des islamischen Religionsunterrichts und nicht zuletzt der innermuslimischen Repräsentation. Kein Wunder, dass der Islamwissenschaftler und Jurist Mathias Rohe von der Uni Erlangen anmerkt: Take 23: Im Moment sind wir in Deutschland, glaube ich, in der Situation, dass Claims abgesteckt werden, was so die Kooperation zwischen Staat und Organisation angeht. Und ich denke, da geht's da so unheilig zu, wie ich das von meiner Kirche kenne, wenn's um Geld und Posten geht. Doch bevor unter Muslimen in Deutschland um Positionen, Finanzen und Einflüsse gerungen wird, sollte nach Ansicht von Lamya Kaddor, der Vorsitzenden des Liberal-Islamischen Bundes, noch eine andere Frage ins Visier genommen werden eine Frage, die angesichts wachsender Islamkritik immer wichtiger wird: 10

Take 24: Ich glaube, es wird kein Weg daran vorbeiführen, dass wir Muslime uns auch darüber streiten müssen, wie wir den Islam eigentlich verstehen. 11