TRANSFORMATION IN CHINA



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Transkript:

TRANSFORMATION IN CHINA 1 Transformationsbegriff Der Ausdruck Transformation wird je nach Wissenschaftsdisziplin unterschiedlich verstanden. Speziell in der Politikwissenschaft finden sich darüber hinaus Definitionen, denen unterschiedliche Begriffe zu Grunde liegen. Das Lexikon der Politikwissenschaft Theorien, Methoden, Begriffe weist dementsprechend unter dem Stichwort Transitionsforschung auf Begriffsüberschneidungen hin, denn Transition konkurriert u.a. mit den i.d.r. synonym verwendeten Konzepten Systemwechsel, Regimewechsel, Transformation. (NOHLEN und SCHULTZE 2002, S. 1038) Unter Transformation wird in Gesellschaft und Staat: Lexikon der Politik Folgendes verstanden: Mit dem Transformationsbegriff soll in der Analyse politischer Systemveränderungen ein spezifischer Zeitraum beschrieben werden. Dabei grenzt sich der Systemwandel als evolutionäre, grundlegende Änderung von Funktionsweisen und Strukturen eines Systems, vom Systemwechsel ab. Von diesem ist nur dann zu sprechen, wenn der Wandel auch tatsächlich zu einer grundsätzlich anderen Organisationsform des politischen Systems geführt hat. Während hier also ergebnisoffen die Wandlungen eines Systems angezeigt werden, impliziert der Transformationsbegriff im Übergang von einem autokratischen zu einem demokratischen System bereits die Richtung bzw. das Ziel des Veränderungsprozesses. (DRECHSLER / HILLIGEN / NEUMANN 2003, S. 976) Die Unterscheidung zwischen Systemwandel und Systemwechsel aufnehmend definiert das Lexikon der Politik die beiden Begriffe folgendermaßen: Systemwandel, Prozeß der evolutionären Anpassung eines sozialen oder politischen Systems an veränderte Umweltbedingungen durch die meist schrittweise Veränderung seiner internen Strukturen und Prozesse der Informationsverarbeitung. In der Perspektive der Systemtheorie ist die Fähigkeit zum Systemwandel ein funktionales Erfordernis der Systemerhaltung. Es hängt stark von der Bestimmung der konstitutiven Merkmale eines Systems bzw. eines Systemtyps ab, ob in einem bestimmten Fall noch von Systemwandel gesprochen werden kann, oder ob bereits ein Systemwechsel vorliegt. Systemwechsel, in der Politikwissenschaft Bezeichnung für den Austausch einer Grundform politischer und gegebenfalls auch wirtschaftlicher Organisation durch eine andere Grundform, wobei vom Gegensatz zwischen nicht-demokratisch und demokratisch verfaßten politischen Systemen einerseits und zwischen Zentralverwaltungs- und marktwirtschaftlichen Systemen andererseits ausgegangen wird. (NOHLEN / SCHULTZE / SCHÜTTEMEYER 1998, S. 638 f.) Neben der Unterscheidung zwischen politischer und ökonomischer Perspektive wird in Gesellschaft und Staat Lexikon der Politik weiter differenziert: Gegenwärtig lassen sich in der Transformationstheorie mit den systemorientierten Modernisierungstheorien (Focus: Wirtschaft und Gesellschaft), den Strukturtheorien (Focus: Staat und soziale Klassen), den Kulturtheorien (Focus: Religion und Kultur mit ihren sozialen Interaktionstheorien) und den Akterustheorien (Focus: politische Handlungssphäre) vier große Stränge, die sich auf unterschiedlich soziale Teilsysteme konzentrieren, benennen. (DRECHSLER / HILLIGEN / NEUMANN 2003, S. 976) Der Begriff Transformation weist also allein aus politikwissenschaftlicher Perspektive eine Vielschichtigkeit auf, die allerdings nicht immer in der Begriffsbenutzung brücksichtigt wird. So findet sich im Lexikon Politik, Staat, Gesellschaft unter dem Stichwort Transformationsstaaten diese Definition: Reformstaaten (Transformationsstaaten) Bezeichnung für die ehemals sozialistischen Staaten Mittel- und Osteuropas, die den Weg von einer Zentralverwaltungswirtschaft hin zur Marktwirtschaft und demokratischen

Strukturen eingeschlagen haben. Einige dieser Staaten sind bereits Mitglied der Europäischen Union. (RITTERSHOFER 2007, S. 573 f.) Dieses enge Verständnis von Transformationsstaaten sowie der zuvor definierte Unterschied zwischen Systemwandel und Systemwechsel lässt die Frage zu, ob im konkreten Fall China überhaupt von einem Transformationsprozess im Sinne eines Systemwechsels die Rede sein kann. 2 Anwendung des Transformationsbegriffs auf den Fall China Im Bertelsmann Transformation Index 2003 taucht China jedenfalls auf. Die Studie untersuchte im Zeitraum von 1998 bis 2002 verschiedene Indikatoren, die sich im Wesentlichen in zwei Kategorien einordnen lassen: der Entwicklungsstand der chinesischen Reformbemühungen bezüglich Demokratie und Marktwirtschaft. Diese Zweiteilung spiegelt sich auch im Transformation-Index wider, der sich aus einem Demokratie-Index und einem Marktwirtschaft-Index zusammensetzt (vgl. BERTELSMANN.DE, S. 1). Die Untersuchung kommt zwar unter dem Punkt Stand und Wegstrecke zu dem Ergebnis, dass es wesentliche Unterschiede im Transformationsprozess der beiden Bereiche gibt: Die zurückgelegte Wegstrecke der demokratischen Transformation ist sehr kurz. Das politische System hat sich im Untersuchungszeitraum nur wenig verändert. [...] Die zurückgelegte Wegstrecke der marktwirtschaftlichen Transformation im Untersuchungszeitraum war länger. Es ist den Entscheidungsträgern gelungen, durch taktisches und schrittweises Vorgehen eine Reihe struktureller Probleme zu lindern. (BERTELSMANN.DE, S. 17) Dadurch wird allerdings auch deutlich, dass dieser Studie ein Verständnis zu Grunde liegt, das davon ausgeht, dass ökonomische und politische Transformation sich gegenseitig bedingen. Oder anders formuliert: Ein Systemwechsel hin zur Marktwirtschaft führt gewissermaßen automatisch auch zu einer Liberalisierung der politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse. Dies mag zwar bei den oben nach RITTERSHOFER definierten Transformationsstaaten zumindest in gewissem Maße zutreffen. Ob das auch für die Volksrepublik China gilt, ist aber näher zu untersuchen. CHO stellt in ihrer Untersuchung Chinas langer Marsch in den Kapitalismus zwar auch ökonomischen und politischen Wandel in zwei großen Teilen gegenüber, kommt aber im Fazit zu folgendendem Schluss bezüglich der Rolle der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh): Als die KP-Führung im Jahre 1978 die Revolution einer marktwirtschaftlich orientierten Modernisierung des Landes in Gang setzte, konnte niemand ahnen, wohin diese zweite Revolution der VR China führen würde. [...] Als Maxime galten die Förderung des Wirtschaftswachstums und die Wahrung politischer und sozialer Stabilität. Die KP-Führung ließ um des Wachstums willen marktwirtschaftlichen Kräften freien Lauf. Aber aus Gründen politischer und sozialer Stabilität setzte sie diesen jedoch Grenzen, um die von ihr selbst entfesselten marktwirtschaftlichen Kräfte in die gewünschte Richtung zu steuern. [...] So wurde im Jahre 1992 offiziell verkündet, dass Sozialismus und Marktwirtschaft im Hinblick auf das gemeinsame Ziel einer Steigerung der Produktivkräfte miteinander vereinbar seien. Die chinesische Formel der sozialistischen Marktwirtschaft war geboren. (CHO 2005, S. 277) Dabei spricht CHO dem Patriotismus / Nationalismus (vgl. CHO Steuerungsinstrument wesentliche Bedeutung zu: 2005, S. 221 ff.) als Um die Zustimmung der Wohlstandshierarchie in der Bevölkerung zu gewinnen, startete die KP-Führung ein nationales Umerziehungsprogramm im Namen der Patriotismus. Den Kern der Massenerziehung zu Patrioten bildete die Unterwerfung des Einzelnen unter die höhere Mission des Staates, die in der Steigerung der Nationalstärke bestand. [...] Die ideelle Entschärfung der sozialen Konflikte durch den Patriotismus wurde mit der Verschärfung rigoroser Repressionen gegen Elemente gepaart, welche in der Gesellschaft der

Propagandarealität nicht entsprechen. Dadurch ist es der KP-Führung bis heute gelungen, ihr Herrschaftsmonopol zu sichern. (CHO 2005, S. 284) 3 Voraussetzungen zur Beurteilung der chinesischen Situation der Transformation Um den Transformationsprozess in China beurteilen zu können, kommt der Rolle der KPCh also eine entscheidende Bedeutung zu. Deshalb wird es nötig sein, einen Blick auf die Geschichte Chinas seit Anfang des 20. Jahrhunderts zu werfen denn die ist eng mit der KPCh verquickt. Der Rückblick auf die Geschehnisse nach dem Sturz des letzten Kaisers (Qing-Dynastie) 1911/1912, der Gründung der KPCh 1921, die aus der 4. Mai-Bewegung erfolgte, den Konflikten mit der Guomindang (GMD), die sich aus einer antimonarchiellen Bewegung Anfang des Jahrhunderts bildete und zu einem Gegenpol der KPCh wurde und längere Zeit die Herrschaft im postmonarchischen, zersplitterten China innehatte, bis zur Ausrufung der Volksrepublik China 1949 ermöglicht es darüber hinaus, zu ergründen, ob die scheinbar starke Vormachtsstellung der KPCh auch auf ihrer Geschichte beruht, sowie die Wirksamkeit der oben angesprochenen neueren Patriotismus-Propaganda einzuordnen denn es liegt nahe, dass die heutige Reaktivierung des oben angesprochenen patriotischen Gedankens in der Vergangenheit Nahrung findet. Des Weiteren ist ein Blick auf die Mao-Ära (1949-1976/78) von großer Bedeutung. Der Beginn des Transformationsprozesses wird nämlich in das Jahr 1978 eingeordnet (vgl. BERTELSMANN.DE, S. 2), da mit Mao Zedungs Tod 1976 seine Vorstellungen von wirtschaftlicher Funktionsweise ( der große Sprung bspw. sorgte für mangelhafte landwirtschaftliche Bedingungen, in deren Folge bei einer Hungersnot Anfang der 1960er Jahre geschätzte 20 bis 30 Mio. Menschen starben) sowie die so genannte Kulturrevolution (1965-1969) eine Zeit massiver Verfolgung und Repression politischer Gegner Maos (auch innerhalb der KPCh) durch die so genannte Rote Garde endete und die Reformer um Deng Xiaoping 1978 ihre Ideen durchsetzen konnten. Die Untersuchung der folgenden zwei bis drei Jahrzehnte ist die Voraussetzung, um die Frage zu beantworten, was das Besondere am chinesischen Weg der Transformation ist. Zwar spielen ökonomische Veränderungen hier eine wichtige Rolle, die 2002 in dem Beitritt zur World Trade Organisation (WTO) münden, besonders interessant dürfte aber auch der Umgang der KPCh mit den Protesten 1989/1990 sein denn hier könnten sich die oben angesprochenen Widersprüche zwischen politischer und ökonomischer Transformation deutlich widerspiegeln. Darüber hinaus wird zu untersuchen sein, vor welchen konkreten Problemen die VR China derzeit steht (bspw.: die Beschäftigungskrise, vgl. CHO 2005, S. 285 f.; die Folgen der Klimaerwärmung: China wird mit stärkerem Temperaturanstieg (insbesondere im Winter), steigender Niederschlagsfluktuation das bedeutet längere Dürreperioden und häufigere Ereignisse von Starkregen und einem Anstieg des Meeresspiegels konfrontiert werden, was u.a. die landwirtschaftliche Nutzfläche durch Bodendegradation verringert, vgl. SCHÄFER 2007, S. 195 ff.). 4 Unterschiedliche Bewertungen der Perspektiven der chinesischen Situation Die Betrachtung der Entwicklung von Anfang des letzten Jahrhunderts bis heute soll einen Schluss zulassen, welche zukünftigen Perspektiven sich China darstellen. Diesbezüglich gibt es viele Ansichten, die die Entwicklung und die Zukunft Chinas meist mit stärkerem Blick auf die Ökonomie unterschiedlich bewerten. Im Folgenden soll dies in drei Zitaten widergespiegelt werden:

Die Perspektiven für die wirtschaftliche Entwicklung Chinas werden überwiegend positiv eingeschätzt, vorausgesetzt die politische und soziale Stabilität bleibt bestehen. Kurz- und mittelfristig kann sich besonders die hohe Arbeitslosigkeit gefährdend auswirken. [...] Zu den langfristigen Herausforderungen für die chinesische Entwicklung zählen Engpässe in der Versorgung mit Energie und Rohstoffen. Das chinesische Wachstum basiert bisher auf einer recht ineffizienten Nutzung von Energie, Rohstoffen sowie Investitionsmitteln. Da zunehmend deutlich wird, dass hieraus hohe Kosten für Energie, Umwelt und Gesundheit entstehen, bemüht sich die chinesische Regierung um Strategien für ein nachhaltigeres Wachstum. (FISCHER 2006) Das Gutachten [Bertelsmann Transformation Index 2003: Volksrepublik China] macht Vorbehalte gegenüber euphorischen Einschätzungen der ökonomischen Transformationserfolge in der VR China geltend. Es ist deutlich geworden, dass gravierende strukturelle Probleme und Risiken im ökonomischen Bereich fortbestehen. Die Lösung mittel- bis langfristiger Schlüsselaufgaben im wirtschaftlichen wie im politischen Bereich muss als offen und unsicher gelten. Dies gilt vor allem auch für die Sicherung der Handlungsfähigkeit der Regierung und der Weiterentwicklung des Rechtsstaates. [...] Um eine Zuspitzung sozialer Spannungen zu vermeiden, eine ausreichende Zahl neuer Beschäftigungsmöglichkeiten zu schaffen und die Herrschaftslegitimation der KPCh zu wahren, ist ein dauerhaft hohes Wirtschaftswachstum unabdingbar. Dieses Hochwachstum muss unter zunehmend schwierigeren Bedingungen erreicht werden. Deshalb wird der Transformationsprozess Chinas auf längere Sicht unvollendet und ungewiss bleiben. (BERTELSMANN.DE, S. 18) [Man kann] davon ausgehen, dass die Wirtschaft der VR China ihren Wachstumskurs fortsetzen wird. Damit wird die autoritäre Alleinherrschaft der KP weiter bestehen. Da der KP-Staat in seiner Funktion einerseits für beste Bedingungen im Hinblick auf die Rentabilität des Kapitals sorgt und andererseits den nicht zu bewältigenden sozialen Problemen mit repressiven Maßnahmen begegnet, ist er als Wachstumsgarant unverzichtbar. Auch der Höhenflug euphorischer Chinabetrachtungen wird dabei weitergehen. Unerträglich ist dabei, dass die China-Euphorie im Westen die politisch-intellektuelle Wachsamkeit für die Werte von Menschenrechten und Demokratie drastisch vermindert. [...] Noch unerträglicher ist die in der westlichen Geschäftswelt verbreitete Bewunderung und Begeisterung für die VR China, in der es weder Reformblockaden durch Ewiggestrige noch die Behinderungen notwendiger Innovationen und Reformen durch unendliche Debatten gibt. Nicht selten wird das demokratische und sozialstaatliche Fundament in so genannten Standortdebatten z.b. hierzulande als wachstumshindernde Altlast stigmatisiert [...]. (CHO 2005, S. 290 f.) Wie die in diesen drei Standpunkten unterschiedlich repräsentierten Auffassungen zum Transformationsprozess Chinas einzuschätzen sind, soll am Ende einer Untersuchung stehen, damit so schließlich eine eigene Bewertung getroffen werden kann. 5 Weiterführende Fragestellungen Die hier schrittweise angestellten Überlegungen lassen Fragestellungen zu, die der gesamten Thematik zu Grunde liegen sollen alles unter der Berücksichtigung des eingangs formulierten Problems, ob man im Fall der VR China von Transformation im Sinne des Systemwandels oder des Systemwechsels reden muss: - Was ist das Besondere am chinesischen Weg? - Was waren die wesentlichen Voraussetzungen, die zu den Reformen von 1978 unter Deng Xiaoping führten? - Inwieweit fanden in der Folge weitere Reformen statt bis hin zur Deklarierung eines Systems der sozialistischen Marktwirtschaft? - Was bedeutet der Begriff sozialistische Marktwirtschaft wie lassen sich beide scheinbar widersprüchlichen Ideologien vereinbaren ( CHO spricht von Ideologischer Transformation)?

- Wie kann die gleichzeitige wirtschaftliche Liberalisierung (v.a. WTO-Beitritt und den damit verbundenen Liberalisierungsauflagen) mit der Aufrechterhaltung der autoritären KP- Herrschaft einhergehen? - Wie löst(e) die KPCh ihre Legitimitätsprobleme früher und heute? - Lässt sich eine tiefere Verwurzelung des Patriotismus in der chinesischen Geschichte finden? - Vor welchen Problemen steht China derzeit und in absehbarer Zeit? - Wie lässt sich die Perspektive der chinesischen Transformation mit Blick auf die zuvor genannten Fragestellungen (abschließend) bewerten? Mit Bezug auf die Frage, ob man überhaupt von Transformation im Sinn eines Systemwechsels sprechen kann. 6 Literatur - CHO, HYEKYUNG: Chinas langer Marsch in den Kapitalismus. Westfälisches Dampfboot: Münster 2005. - DRECHSLER, HANNO / HILLIGEN, WOLFGANG / NEUMANN, FRANZ (Hrsg.): Gesellschaft und Staat: Lexikon der Politik. 10. neubearbeitete und erweiterte Auflage. Franz Vahlen Verlag: München 2003. - FISCHER, DORIS: Chinas sozialistische Marktwirtschaft. In: Informationen zur politischen Bildung (Heft 289). Bundeszentrale für politische Bildung: Bonn 2006. Onlinequelle: http://www.bpb.de/publikationen/nakfsp,0,chinas_sozialistische_marktwirtschaft.ht ml ; letzter Aufruf: 20.01.08. - FISCHER, DORIS und LACKNER, MICHAEL (Hrsg.): Länderbericht China: Geschichte Politik, Wirtschaft Gesellschaft; 3. vollständig überarbeitete Auflage. Bundeszentrale für politische Bildung: Bonn 2007. - HERRMANN-PILLATH, CARSTEN: Marktwirtschaft in China: Geschichte Strukturen Transformation. Leske und Budrich: Opladen 1995. - MENZEL, ULRICH: Theorie und Praxis des chinesischen Entwicklungsmodells. Westdeutscher Verlag: Opladen 1978. - NOHLEN, DIETER und SCHULTZE, RAINER-OLAF (Hrsg.): Lexikon der Politikwissenschaft: Theorien, Methoden, Begriffe Band 2. 3. aktualisierte und erweiterte Auflage, 2005. C. H. Beck-Verlag: München 2002. - NOHLEN, DIETER / SCHULTZE, RAINER-OLAF / SCHÜTTEMEYER, SUZANNE S. (Hrsg.): Lexikon der Politik: Band 7 Politische Begriffe. C. H. Beck: München 1998. - RITTERSHOFER, CHRISTIAN: Lexikon Politik, Staat, Gesellschaft. Deutscher Taschenbuch Verlag: München 2007. - SCHÄFER, DIRK: China im Klimawandel? Befunde, Ursachen und mögliche Folgen. In: GLASER, RÜDIGER und KREMB, KLAUS (Hrsg.): Asien; S. 195-208. Wissenschaftliche Buchgesellschaft: Darmstadt 2007. - ZANDER, ERNST und RICHTER, STEFFEN: China am Wendepunkt zur Marktwirtschaft? I. H. Sauer-Verlag: Heidelberg 1992.

- BERTELSMANN.DE: Bertelsmann Transformation Index 2003: China. Onlinequelle: http://bti2003.bertelsmann-transformationindex.de/fileadmin/pdf/laendergutachten/asien_ozeanien/china.pdf ; letzter Aufruf: 24.01.08.