Depression bei Kindern und Jugendlichen Martin Holtmann LWL-Universitätsklinik Hamm Martin Holtmann der Ruhr-Universität Klinik für Psychiatrie Bochum und Psychotherapie Kinder- und Jugendpsychiatrie, des Kindes- und Jugendalters Psychotherapie & Psychosomatik ZI Mannheim
Depressive Episoden - Epidemiologie und Verlauf Punktprävalenz depressiver Störungen Kinder 2-3 % Jugendliche 5-6 % Stimmungslabilität, Traurigkeit, Sinnsuche als Normvarianten ab dem Jugendalter: Mädchen häufiger betroffen erhöhtes Suizidrisiko häufig Suizidgedanken viele Rezidive, Chronifizierung bei 33 % bipolarer switch bei ~ 20-30%
Depressive Episoden - Kernsymptomatik Grundsymptome depressive Stimmung reduzierte Aktivität erhöhte Ermüdbarkeit Zusatzsymptome verminderte Konzentration reduziertes Selbstvertrauen Schuldgefühle, Gefühl der Wertlosigkeit pessimistische Zukunftsperspektiven Selbstverletzung oder Suizidhandlungen Schlafstörungen kommentierende Stimmen
Depression bei ausagierenden Störungen (ADHS, Aggression,...)
Affektive Störungen und ADHS ADHS Aufmerksamkeitsprobleme Hyperaktivität Impulsivität 40-50% zeigen klinisch relevante affektive Probleme
Affektive Störungen und Störungen des Sozialverhaltens Störungen des Sozialverhaltens Aggression Regelverstösse Delinquenz 30-50% begleitende affektive Störungen 7x häufiger als Gesunde (Angold et al. 1999) Störung des Sozialverhaltens und der Emotionen (ICD-10 F92)
ADHS und Selbstwert Pass doch auf! Sitz still! Schreib ordentlich! Warum kannst Du nicht einmal...?? Zappelphilip Du musst die Klasse wiederholen! Mit Dir will keiner spielen! Du nervst!
Depressive Störungen bei Intelligenzminderung
Schwierigkeiten Depressive Störungen bei Intelligenzminderung diagnostic overshadowing psychopathologische Auffälligkeiten werden als Ausdruck der geistigen Behinderung angesehen eingeschränkte Anwendbarkeit üblicher diagnostischer Kriterien underreporting verminderte Introspektionsfähigkeit, Sprachverständnis und Ausdrucksvermögen bedingen eine verminderte Mitteilung psychopathologischer Erlebnisweisen Reiss et al. 1982; Reiss & Szysko 1983
Depressive Störungen bei Autismus Auffälligkeiten der sozialen Interaktion Auffälligkeit der Kommunikation und Sprache Repetitive und stereotype Verhaltensmuster 10 %: Depression nach DSM-IV 25 %: subsyndromale Depression, aber beeinträchtigt Einfluß auf klinisches Bild geht einher mit mehr Rückzug, Aggression, Selbstverletzungen aber auch: weniger Stereotypien Leyfer et al. 2006
Depression bei jüngeren Kindern
Altersabhängigkeit depressiver Symptome Schweregrad depressiver Episoden schwer 16,6 Schweregrad nimmt mit Alter zu mittel leicht 14,1 17,2 bei Jüngeren deutlich weniger Symptome Kinder: beeinträchtigt, aber Kriterien wegen leichter Ausprägung nicht erfüllt???? Alter 10 12 14 16 18
Depressive Symptome im Vorschulalter Wichtig: Beobachtung von Spielverhalten (Spielunlust, schnelle Entmutigung, mangelnde Phantasie) Essverhalten (Mäkeligkeit, verminderter / gesteigerter Appetit) Schlafverhalten (Ein- und Durchschlafstörungen, Früherwachen, Alpträume) ausdrucksarmes Gesicht auch aggressives Verhalten & Reizbarkeit Bauch- und Kopfschmerzen selbststimulierendes Verhalten Symptome nicht kontinuierlich!! oft reaktiv
Depressive Episoden - Behandlung Tagesstruktur / sozialer Rhythmus / Schlaf Stimmungsmonitoring, Verhaltensanalyse, Auslöser Selbstregulation Aufbau angenehmer Tätigkeiten Körperliche Aktivierung Kontaktpflege Genusstraining Stressmanagement und Entspannung Frühwarnzeichen und Krisenplan Umgang mit nicht hilfreichen Gedanken
Runterzieher Erkennen und Hinterfragen ungünstiger Kognitionen aus: Pössel et al. 2004
Wann Medikation einsetzen? Medikamentöse Unterstützung bei nicht ausreichendem Effekt vier- bis sechswöchiger Psychotherapie schwerer Depression, deren Ausprägung Psychotherapie erschwert Suizidalität und Wahnsymptomen Stationäre Aufnahme bei Suizidalität oder Nichtbewältigung der Alltagsfunktionen
Johanniskraut (Extract) Antidepressive Pharmakotherapie Johanniskraut-Präparate: 50% der Verschreibungen antidepressiver Medikamente für Kinder & Jugendliche für Kinder und Jugendliche keine kontrollierten Studien unerwünschte Wirkungen: Beeinflussung anderer Medikamente ( Pille!) photosensibilisierend: keine Höhensonne, Solarien, längere Sonnenbäder!
SSRI Antidepressive Pharmakotherapie Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) geringeres Vergiftungsrisko kaum Nebenwirkungen auf Herz-Kreislauf-System Wirksamkeit an Jugendlichen mehrfach belegt Holtmann, Bölte & Poustka (2006) Nervenarzt
SSRI und Suizidalität Einzelne Symptome der Depression können unterschiedlich schnell auf die Therapie ansprechen Antrieb gesteigert, ohne dass die Stimmung aufgehellt wäre Vorübergehend Risiko erhöhter Suizidalität In seltenen Einzelfällen als ich-fremd erlebte dranghafte Impulse Holtmann, Bölte & Poustka (2006), Nervenarzt
Medikation Zeitlich begrenzt, aber ausreichend lange Fortsetzung der Behandlung nach Abklingen der depressiven Symptomatik über ca. 6 Monate oder auch länger Danach schrittweises, langsames Ausschleichen über Wochen Bei drei deutlich depressiven Episoden langfristige Rückfallprophylaxe
Mein Notfallkoffer
Sind Sie eine Eule oder eine Lerche? Wann schickt Ihre innere Uhr Sie ins Bett?
Sonne für das Nervensystem Wirksamkeit von Lichttherapie, Schlafentzug, Schlafphasenvorverlagerung Studie an der LWL- Universitätsklinik Hamm Gefördert vom LWL- Forschungsinstitut für Seelische Gesundheit
Depression: Familienanamnese Familienbehandlung Elterliche Depression: Risikofaktor für Probleme bei den Kindern Gehemmte, weniger verspielte Interaktion weniger empfänglich und bestätigend Elternrolle: Selbstzweifel, Scham, Ängste, Überforderung Kind: Beobachten depressiven Verhaltens und Affektes Miteinander in der Familie: Expressed Emotions, Feinfühligkeit
LWL-Zentrum für Familienmedizin Behandlung für Familien mit betroffenen Kindern & Eltern Jugendpsychiatrie und Erwachsenenpsychiatrie unter einem Dach Familienambulanz: Diagnostik und Behandlung ab Oktober 2011 Hometreatment ab Finanzierung durch Kassen Familientagesklinik ab???? Vernetzung mit Jugendhilfe und Niedergelassenen
Zusammenfassung Komorbides ADHS / Störung des Sozialverhaltens externalisierende Störung auffälliger die vergessenen Probleme hyperkinetischer Kinder? Depression bei Intelligenzminderung overshadowing Depression im Kleinkindalter schwer gegen Ängste abgrenzbar Jungen (?) Klassifikationskriterien sind eher Mädchenkriterien...
Depressiver Teufelskreis Zusammenhang von Stimmung, Denken & Verhalten
Depression bei Kindern mit ADHS Depression bei ADHS: Folge von Selbstwertproblemen oder echte Störung? einerseits weitgehend unabhängiger Verlauf von ADHS und ausgeprägter Depression andererseits: Biederman et al. 1998 positive Wirkung von Stimulanzien auf Selbstwert von Kindern mit ADHS Frankel et al. 1999
Evidenzbasierte Optionen zur Behandlung depressiver Kinder und Jugendlicher Leichte und mittelschwere depressive Episoden: psychotherapeutische Behandlung Mittel der Wahl Keine Kontrollgruppenstudien zu Klientenzentrierter Spieltherapie und Tiefenpsychologischer Therapie Am besten untersucht: Kognitive Verhaltenstherapie Kurzfristig effektiver als systemische Familientherapie und nicht-direktive supportive Therapie Holtmann et al. Deutsches Ärzteblatt (2005)
Depression: Vorher und Drumherum Familienanamnese Familienbehandlung Miteinander in der Familie: Expressed Emotions, Feinfühligkeit Vorläufer: häufig Angststörungen Folge für Frühbehandlung / Prävention Oft übersehen: Depression bei ADHS und Störungen des Sozialverhaltens
Wirkung Positiver Effekt auf sämtliche Symptome des depressiven Syndroms: Anhebung gesenkter Grundstimmung Antriebssteigerung oder Dämpfung von psychomotorischer Unruhe In geringem Umfang Beseitigung von depressiven Wahngedanken Abklingen körperlicher Symptome
Suizidales Verhalten - Entwicklungspsychopathologie Suizidversuche erst bei endgültiger Todesvorstellung möglich (~7 Jahre) Suizide < 14 Jahre 1,3 auf 1.000.000 Suizidgedanken in der Pubertät ca. 25% Suizidpläne bei Jugendlichen ca. 14% Suizidversuche < 18 Jahre 500 pro 100.000 Jungen/Mädchen 1:3 Suizide < 18 Jahre: 120 pro 100.000 Jungen/Mädchen 2:1
Suizidales Verhalten Hinweise auf Todesabsicht gewähltes Mittel nicht ausschlaggebend! Definition einer Handlung als suizidal liegt beim Patienten Handlung u. Isolation Zeitpunkt mit geringer Entdeckungswahrscheinlichkeit Vorbereitungen in Todeserwartung Information Dritter / hinterlegte Nachricht Ausbleibende Alarmierung Dritter nach der Handlung
SSRI-Studienlage Kein Hinweis, dass Suizidalität unter SSRI erhöht wäre In seltenen Einzelfällen psychomotorisch-erregende Nebenwirkungen Sitzunruhe (Akathisie) als ich-fremd erlebte dranghafte suizidale Impulse Sicherheitsmanagement: In ersten Wochen und bei Dosissteigerungen achten auf: Dranghafte suizidale Gedanken Unruhe, Schlaflosigkeit Erhöhte Reizbarkeit, Aggressivität Angstzustände Holtmann, Bölte & Poustka (2006), Nervenarzt
Unerwünschte Arzneimittelwirkungen SSRIs Gastrointestinal: Übelkeit, Erbrechen, Appetitminderung ZNS: Müdigkeit, innere Unruhe, Schlafstörungen, Kopfschmerzen Kardiovaskulär: Blutdrucksenkung, Herzrasen Sexuelle Funktionsstörungen Mundtrockenheit Schwitzen Gewichtszunahme Zittern