DVSG Fortbildung Schnittstelle Rehabilitation und Arbeitswelt am 20.09.2012 in Kassel Stufenweise Wiedereingliederung Aktuelle Entwicklungen im Bereich der Rentenversicherung Jürgen Ritter Deutsche Rentenversicherung Bund Abteilung Rehabilitation
Gliederung 1. Zahlen, Daten und Fakten zur Rehabilitation 2. Nutzen der Rehabilitation 3. Zukünftige Entwicklung der Rehabilitation 4. Stufenweise Wiedereingliederung 5. Fazit
1. Zahlen, Daten und Fakten zur Rehabilitation Leistungen zur medizinischen Rehabilitation (Deutsche Rentenversicherung Bund) 900.000 800.000 717.818 765.405 791.511 700.000 611.315 600.000 500.000 446.623 486.690 492.959 400.000 397.942 300.000 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 Anträge Bewilligungen Quelle: Infosys Deutsche Rentenversicherung Bund
1. Zahlen, Daten und Fakten zur Rehabilitation Ausgabenverteilung 2011 (Deutsche Rentenversicherung Bund) Summe Bruttoausgaben: 2,489 Milliarden Euro 1) medizinische Leistungen zur Rehabilitation 1.677 Millionen Euro Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben 283 Millionen Euro Entgeltersatzleistungen incl. SV-Beiträge 530 Millionen Euro Erstattungsleistungen / Zuwendungen - 1 Million Euro 1) Stand: 11.01.2012 Quelle: Dez. 8012
1. Zahlen, Daten und Fakten zur Rehabilitation Ausgaben Deutsche Rentenversicherung Bund 1) 3.000 2.500 2.409,8 in Millionen Euro 2.000 1.500 1.000 1.929,1 1.951,7 1.295,8 1.386,6 2.171,3 1.544,8 1.677,0 500 243,8 217,7 238,5 282,9 0 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 Netto-Aufwendungen Teilhabe am Arbeitsleben (ohne Ü-Geld/SV-Beitr.) Med. Reha (ohne Ü-Geld/SV-Beitr.) 1) Stand: 11.01.2012 Quelle: Dez. 8012
2. Nutzen der Rehabilitation Sozialmedizinischer Verlauf med. Rehabilitation 2 Jahre nach medizinischer Rehabilitation in 2005 für verschiedene Diagnosengruppen (pflichtversicherte Rehabilitanden) 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 77 68 66 52 lückenlose Beiträge 24 15 15 16 11 11 10 7 lückenhafte Beiträge Muskeln/Skelett/Bindegewebe Psychische Erkrankungen ohne Sucht Herz/Kreislauf Neubildungen 4 10 6 2 0 0 EM-Rente Altersrente aus Erwerbsleben heraus verstorben 1 4 Quelle: Reha-Bericht 2010
2. Nutzen der Rehabilitation Amortisationsmodell - medizinische Rehabilitation 8.000 7.000 6.000 5.000 4.000 3.000 2.000 1.000 0 Beitragseinnahmen nicht gezahlte EM-Renten 475 660 950 1.320 1.425 1.980 1.900 2.640 2.375 3.300 2.850 3.960 3.325 4.620 1 2 3 4 5 6 7 Monat der Erwerbstätigkeit nach Reha * *durchschn. Kosten einer Leistung zur med. Rehabilitation 2010, inkl. Übergangsgeld, zugeordneter Sozialversicherungsbeiträge und sonstiger ergänzender Leistungen (Reisekosten, Haushaltshilfe) Quelle: Dez. 8013
3. Zukünftige Entwicklung der Rehabilitation Prognose für die med. Rehabilitation der Rentenversicherung gesamt 2012 2015 nach Indikationen 500.000 Orthopädie Onkologie Vergleich 2011* 2015 400.000 Psychosomatik ** Herz/Kreislauf 300.000-2,5% 200.000 + 6,0% 100.000 + 10,1% - 4,2% 0 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 Rehabilitation 2000 2011* Prognose 2012 2015 Quelle: 0433 / RSD, inkl. AHB, abgeschl. Reha, * hochgerechnet, ** ohne Sucht
Leistungsbeschreibung: Schrittweise Heranführung arbeitsunfähiger Versicherter an ihre bisherige Tätigkeit Länger andauernde oder schwere Erkrankung geht voraus Dauert regelmäßig wenige Wochen, in Ausnahmefällen auch mehrere Monate Wird auch als Hamburger Modell bezeichnet Zahlung einer Entgeltersatzleistung während der Arbeitsunfähigkeit
Rechtsentwicklung: Bis 30.06.2001: Leistung hauptsächlich der gesetzlichen Krankenversicherung ( 74 SGB V) Ab 01.07.2001: Ausdehnung der Zuständigkeit auf alle Leistungsträger ( 28 SGB IX) Auswirkung für die Rentenversicherung: Zuständigkeit für die Stufenweise Wiedereingliederung, wenn diese zeitgleich mit einer Rehabilitationsleistung stattfindet Grund: Übergangsgeld ist eine ergänzende Leistung, die eine Hauptleistung (z.b. ambulante Reha) voraussetzt
Rechtsentwicklung: Ab 01.05.2004: Gesetzliche Regelung zur nahtlosen Weiterzahlung von Übergangsgeld während der stufenweisen Wiedereingliederung in 51 Abs. 5 SGB IX Ist im unmittelbaren Anschluss an Leistungen zur medizinischen Rehabilitation eine stufenweise Wiedereingliederung erforderlich, wird das Übergangsgeld bis zu deren Ende weitergezahlt
Praxistauglichkeit: Gesetzgeber hat es versäumt, klare und praxistaugliche Abgrenzungskriterien vorzugeben Zahlreiche Rechtsstreitigkeiten, die sich mit der Frage der Abgrenzung der Zuständigkeit zwischen Renten- und Krankenversicherung befassen Bundessozialgericht legt das Tatbestandsmerkmal unmittelbar nicht eindeutig aus (einzelfallbezogene Wertung) Medizinische Kriterien für eine zielgenaue und nachvollziehbare Einleitung der stufenweisen Wiedereingliederung sind nur schwer zu bestimmen
Rechtsprechung (I): BSG vom 29.01.2008 - Az.: B 5a/5 R 26/07 R: Der jeweilige Leistungsumfang, d.h. inwieweit Leistungen umfassend bzw. vollständig von einem Träger zu erbringen sind, hat sich an dem Ziel der jeweils gewährten Rehabilitationsleistung auszurichten, wie sich aus 4 Abs. 2 Satz 1 SGB IX ergibt. Eines dieser Ziele ist nach 4 Abs 1 Nr. 2 SGB IX, durch Leistungen zur Teilhabe u.a. Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit zu vermeiden, zu überwinden, zu mindern sowie den vorzeitigen Bezug anderer Sozialleistungen zu vermeiden oder laufende Sozialleistungen zu mindern - RdNr. 26 Die stufenweise Wiedereingliederung kann nur dann als ein auf das Reha-Ziel zu beziehender Bestandteil einer in der Zusammenschau einheitlichen (Gesamt-) Maßnahme gewertet werden, wenn die Voraussetzungen des 28 SGB IX im Zeitpunkt der Beendigung der stationären Reha bereits feststellbar sind. - RdNr. 28
Rechtsprechung (II): BSG vom 20.10.2009 - Az.: B 5 R 44/08 R: Nach einer vom Rentenversicherungsträger gewährten stationären Maßnahme zur medizinischen Rehabilitation bleibt die Rentenversicherung für die stufenweise Wiedereingliederung gemäß 15 Abs 1 SGB VI ivm 28 SGB IX und damit für die Zahlung von Übergangsgeld zuständig, solange sich die stufenweise Wiederein-gliederung als Bestandteil einer in der Zusammenschau einheitlichen (Gesamt-) Maßnahme darstellt (BSG SozR 4-3250 28 Nr 3 RdNr 21). Dies ist der Fall, wenn das "rentenversicherungsrechtliche" Rehabilitationsziel noch nicht erreicht ist, d.h. der Versicherte die bisherige Tätigkeit noch nicht in vollem Umfang aufnehmen kann, weil er den berufstypischen (nicht: arbeitsplatzspezifischen) Anforderungen dieser Tätigkeit gesundheitlich noch nicht gewachsen ist (BSG SozR 4-2600 10 Nr 2 RdNr 19), der weitere Rehabilitationsbedarf spätestens bei Abschluss der statio-nären Maßnahme zutage getreten ist. - RdNr. 34
Derzeitige Situation: Stark zunehmende Fallzahlen (im Jahr 2011 rund 70% mehr Fälle als 2007) Ausgaben für Übergangsgeld bei StW im Jahr 2011 rund 90% höher als 2007 Einleitungsverhalten der Reha-Einrichtungen unterschiedlich Medizinische Zugangskriterien nur schwer zu bestimmen Zunehmende Dauer der stufenweisen Wiedereingliederung (im Jahr 2011 durchschnittlich 49,5 Tage pro Fall)
Leistungsauftrag der Rentenversicherung: Es gilt das Reha-Ziel der Rentenversicherung: Vermeidung einer Berentung wegen Erwerbsminderung (Grundsatz: Reha vor Rente ) Mit der stufenweisen Wiedereingliederung soll eine möglichst dauerhafte Wiedereingliederung in das Erwerbsleben erfolgen return to work (RTW)
Vereinbarung zur Zuständigkeitsabgrenzung bei stufenweiser Wiedereingliederung nach 28 i.v.m. 51 Abs. 5 SGB IX zwischen Krankenversicherung und Rentenversicherung Eckpunkte: Vereinbarung trat am 01.09.2011 in Kraft Erprobungsphase bis 30.06.2013 vorgesehen Spitzenverbände der Kranken- und Rentenversicherungsträger haben den Willen zur unbefristeten Fortsetzung bekundet Anwendung bei allen Versicherten, die a) arbeitsunfähig entlassen werden und b) in einem Beschäftigungsverhältnis stehen bzw. eine selbständige Tätigkeit ausüben
Einzelheiten des Verfahrens ab 01.09.2011 (I) Arbeitsunfähigkeit bei Entlassung aus der Reha-Einrichtung ( 28 SGB IX) Ausreichende medizinische Belastbarkeit (mindestens 2 Stunden täglich) Unmittelbarer Anschluss an Leistungen zur medizinischen Rehabilitation der Rentenversicherung (maximal 4 Wochen) Keine Ausnahmen bei Fristüberschreitung möglich Zustimmung der/des Leistungsberechtigten und des Arbeitgebers sowie Abstimmung mit dem behandelnden Arzt erforderlich
Einzelheiten des Verfahrens ab 01.09.2011 (II) Erforderlichkeit muss bis zum Ende der medizinischen Rehabilitation vom Arzt der Reha-Einrichtung festgestellt werden Einleitung erfolgt wie bisher durch die Reha-Einrichtung, bei Nichteinleitung Anregung durch die Krankenkasse Im Entlassungsbericht müssen Ausführungen zur Erforderlichkeit einer stufenweisen Wiedereingliederung dokumentiert werden zusätzlich Erstellung einer Checkliste (G833) für Krankenkasse und RV-Träger, wenn Entlassung arbeitsunfähig erfolgt
Checkliste (G833) Reha-Einrichtung erstellt eine Checkliste für alle Versicherten, die a) arbeitsunfähig entlassen werden und b) in einem Beschäftigungsverhältnis stehen oder eine selbständige Tätigkeit ausüben Ergänzend zum Entlassungsbericht wird ausgeführt, ob eine stufenweise Wiedereingliederung erforderlich ist oder nicht Checkliste erhält RV-Träger und Krankenkasse per FAX spätestens bei Entlassung mit Stufenplan Bei Änderung der individuellen Verhältnisse nach Ausstellung der Checkliste besteht die Möglichkeit der Anregung einer stufenweisen Wiedereingliederung durch die Krankenkasse
Anregung durch die Krankenkasse Begründete Anregung muss innerhalb von 14 Tagen erfolgen Frist beginnt am Tag nach dem Ende der Rehabilitationsleistung, jedoch frühestens am Tag nach Eingang der Checkliste bei der Krankenkasse Anregungen der Krankenkasse nach Ablauf von 14 Tagen führen nicht zur Einleitung der stufenweisen Wiedereingliederung durch den RV-Träger Für Anregungen von Krankenkassen wird ein einheitliches Formular verwendet Es werden regelmäßig weitere Unterlagen (z.b. medizinische Aussagen, Stufenplan) übermittelt
Verfahren bei RV-Träger nach Eingang der Anregung Umgehende Prüfung, ob die stufenweise Wiedereingliederung zur Erreichung des Rehabilitationszieles erforderlich ist und innerhalb von 4 Wochen nach dem Ende der Rehabilitationsleistung beginnen kann Verzögerungen in der Bearbeitung, die ggf. zu einem späteren Beginn der stufenweisen Wiedereingliederung führen (außerhalb der 4 Wochen), sind vom RV-Träger zu vertreten Ergebnis der Prüfung wird der Krankenkasse per Fax mitgeteilt (G845) Während der Klärungsphase soll die Krankenkasse auf Antrag des Versicherten Entgeltersatzleistungen erbringen
Erkenntnisse der Wissenschaft zur STW (Bürger & Streibelt 2011)* Es gibt Teilgruppen, die besonders von STW profitieren Zielgruppe Lange Fehlzeiten vor der Reha (> 3 Monate) Alter 45-49 Jahre Indikation Psychosomatik Teilgruppen, die weniger von STW profitieren: Indikation Kardiologie Indikation Onkologie Fehlzeiten < 3 Monate Alter über 55 Jahre AHB *Infos im Internet: www.forschung.deutsche-rentenversicherung.de-> Präsentationen 20. Reha-Kolloqium -> Session Medizinisch-beruflich orientierte Rehabilitation
Erkenntnisse der Wissenschaft zur STW (Bürger & Streibelt 2011) STW kann hinsichtlich der grundlegenden Zielstellung als effektives Instrument beschrieben werden ABER: Effektivität ist schweregradabhängig und insbesondere bei langen Fehlzeiten vor der Rehabilitationsleistung gegeben Hohe Effektivität nach psychosomatischer Rehabilitation Patienten nach kardiologischer und orthopädischer Reha sowie ältere Altersgruppen profitieren dagegen weniger
5. Zusammenfassung und Fazit Indikation für stufenweise Wiedereingliederung muss vom Arzt der Reha-Einrichtungen sehr sorgfältig geprüft werden, da es sich um eine teure Leistung handelt Zielparameter der Rentenversicherung ist die Beschleunigung des return to work Hohe Effekte ergeben sich bei Rehabilitanden mit besonderen beruflichen Problemlagen Einleitungsverhalten der Einrichtungen sehr inhomogen Renten- und Krankenversicherung haben ein Verfahren zur Zusammenarbeit der Beteiligten entwickelt Instrument als solches muss kritisch hinterfragt werden
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Juergen.j.Ritter@drv-bund.de www.deutsche-rentenversicherung-bund.de