Emotionale Nähe und notwendige Distanz in der psychotherapeutischen Beziehung Ulrich Rüger Psychiatrisch-Psychotherapeutisches Mittwochsgespräch Schlossparkklinik Berlin 26.03.2014
Empathische Kompetenz Empathische Kompetenz besteht in der Fähigkeit, zwischen Identifizierung und Distanzierung zu oszillieren. (vgl. Peter Kutter 1989)
Von der dyadischen zur triangulierenden Beziehung Die drei unterschiedlichen Einstellungen des Therapeuten nach Rudolf (2006, S. 121 ff.) Therapeut stellt sich voll und ganz hinter den Patienten Therapeut stellt sich dem Patienten gegenüber (Spiegelung) Therapeut stellt sich neben den Patienten (Position des Dritten) Therapeut vermittelt zwischen dem Patienten und seinen Objekten
Die triangulierende therapeutische Beziehung Therapeut vermittelt Patient, wie er von Menschen erlebt werden könnte, mit denen er Konflikte hat. Therapeutische Technik: Prinzip Antwort (Heigl-Evers u. Heigl 1987) Stichwort: Selektive Authentizität Interaktionelle Sicht (Streeck 2012)
Von der dyadischen zur triangulierenden Beziehung Die drei unterschiedlichen Einstellungen des Therapeuten nach Rudolf (2006, S. 121 ff.) Therapeut stellt sich voll und ganz hinter den Patienten Ich kann mir gut vorstellen, wie Sie sich da gefühlt haben Therapeut stellt sich dem Patienten gegenüber (Spiegelung) Sie sind offensichtlich ein Mensch, der sich rasch enttäuscht zurückzieht Therapeut stellt sich neben den Patienten (Position des Dritten) Therapeut vermittelt zwischen dem Patienten und seinen Objekten So wie ich Sie erlebe, könnte ich mir vorstellen, dass Ihre Frau
Von der dyadischen zur triangulierenden Beziehung Perspektivwechsel: Therapeut vermittelt zwischen dem Patienten und seinen Objekten Partner, Kinder, Vorgesetzte, Arbeitskollegen, Alltagsbeziehungen Neue Beziehungen im Verlauf der therapeutischen Behandlung
Zwischenresümee: Die therapeutische Haltung Balance zwischen passagerer Identifizierung und Distanzierung Therapeut wechselt seine Perspektive zwischen Identifizierung Spiegelung Gemeinsame Betrachtung aus der dritten Position mit Berücksichtigung der beziehungsregulierenden Affekte
Exkurs: Beziehungsregulierende Affekte Nach Krause (1990) ist ein Affekt ein psychischer Prozess in einem System mit drei Funktionskreisen: Dem der Steuerung des bewussten und unbewussten Denkens und Handelns des Individuums - Informationsverarbeitung - (Neugier, Interesse etc.), Dem der Regulierung der Interaktion und darüber des sozialen Zusammenlebens, Dem der Selbstwahrnehmung und Selbsteinschätzung (Scham, Schuld etc.)
Beziehungsregulierende Affekte (Heigl-Evers et al. 1997) Klassische Affekte: Freude, Wut, Angst, Trauer, Ekel etc. Nachtragende Affekte: Bitterkeit, Grimm, Groll, Hader etc. kein vorübergehender Gefühlszustand dauerhafte Grundstimmung mit entsprechender habitueller Gestimmtheit, z. B. Verbitterung
Beziehungsregulierende Affekte in der Therapie Die Aktualisierung eines nachtragenden Affektes in der therapeutischen Beziehung in (neuer) Partnerbeziehung
Einsichtsvermittlung im Rahmen psychodynamischer Behandlungsverfahren (nach Heigl-Evers et al. 1997) Aktuelle interpersonelle Beziehung Patient - Therapeut Symptomauslösende/ symptomverstärkende interpersonelle Situation Aktuelles soziales Umfeld mit seinen pathogenen Interaktionsmustern Therapeutisches Triangel
Eine neue Partnerschaft während einer Behandlung Ist der Therapeut zu einer passageren Identifikation mit beiden Partnern, insbesondere auch mit dem unbekannten Dritten in der Lage? Hinreichende Erfahrungen in unterschiedlichen Lebenskonstellationen Offenheit für interpersonelles Denken
Exkurs: Der interaktionelle Anteil der Übertragung bei Partnerwahl Veränderung des Partners (vgl. König u. Titscher-Schröter 1982)
Zwischenresümee Emotionale Nähe und notwendige Distanz in der psychotherapeutischen Beziehung
Gefährdung der empathischen Kompetenz durch Mangelhafte Identifizierung/Einfühlung Überidentifizierung mit dem Patienten Zeitstabile (unreflektierte) Haltungen des Therapeuten
Mangelhafte passagere Identifizierung bei bestimmten Patienten-Gruppen Mangelhafte Erfassung von Bildungsgang, beruflicher Entwicklung, Entwicklung im jungen Erwachsenenalter bei Patienten ohne Studium (vgl. Rüger et al. 1997) Migranten aus außereuropäischem Kulturkreis Patienten einer anderen Generation?
Gefährdung der empathischen Kompetenz durch Überidentifizierung mit dem Patienten (kämpferische) Überidentifizierung (der Patient als Opfer von schicksalshaften Ereignissen/ Mobbing/etc.) Über-Identifizierung mit der Werte- und Normwelt von Patienten Therapie von dissozialen Patienten Therapie der Reichen und der Mächtigen (vgl. Cremerius 1979, Linder 2008)
Zeitstabile (unreflektierte) Haltungen des Therapeuten erschweren notwendige Distanz Konfliktbereich Versorgung vs. Autarkie (Oralität) Abhängigkeit vs. Autonomie Unterwerfen vs. Kontrolle Selbstwert I narzisstisches Regulativ Selbstwert II Formen unreflektierten Funktionalisierens (Rüger 2011) Über-Ich und Schuldthematik (egoistische vs. prosoziale Tendenzen Nicht reflektiertes Verhalten des Therapeuten Oral-ausbeuterisches Agieren Agieren der eigenen Bindungsbedürftigkeit Agieren von Dominanzansprüchen Patient wird Selbst-Objekt Narzisstische Besetzung des angewandten Behandlungsverfahrens Überbewertung eigener Werte und Normen (gegenüber dem Patienten) Ödipal-sexuelle Konflikte Übertragungsverliebtheit d. P. narzisstisch verarbeiten sexueller Missbrauch
Schwierigkeiten in der Balance zwischen passagerer Identifizierung und Distanzierung Weitere Ursachen auf Seiten des Therapeuten Mangelhafte Resonanzfähigkeit Rigidität in der Behandlungstechnik Funktionalisieren der therapeutischen Beziehung (s.o.) Die Prognose als Tabu
Die Prognose als Tabu in der therapeutischen Beziehung Uninformiertheit über bisherigen Krankheitsverlauf und sekundäre soziale Folgen Ausblenden von nicht behebbaren Defiziten auf Seiten des Patienten Tragik des Nicht-Gelebten und Nicht-Wiederholbaren wird nicht zum Fokus
Schwierigkeiten in der Balance zwischen passagerer Identifizierung und Distanzierung Patienten mit schwerer Persönlichkeitsstörung Hoher affektiver Druck Gefahr eines interpersonellen Mitagierens durch den Therapeuten Wichtig: Verstehen, nicht besetzen lassen! Der intermediäre Raum muss erhalten bleiben (Sachsse 2006, 2010)
Die therapeutische Haltung bei Patienten mit psychotischen Erkrankungen Der Therapeut muss über zwei nicht ohne weiteres kompatible Fähigkeiten verfügen Rezeptiv-empathische abwartende Haltung Distante, am klinischen Phänomen orientierte Haltung sowie Handlungsorientierung (vgl. Rüger 2012)
Emotionale Nähe und notwendige Distanz in der psychotherapeutischen Beziehung Schlussbemerkungen Literatur
Literatur Heigl-Evers A, Heigl F, Ott J, Rüger U (1997): Lehrbuch der Psychotherapie, 3. Aufl., Gustav-Fischer, Lübeck, Stuttgart, Jena, Ulm Rudolf G (2012): Strukturbezogene Psychotherapie, 3. Aufl., Schattauer, Stuttgart, New York Rüger U, Reimer Ch (2012): Dynamische Psychotherapie. In: Reimer Ch, Rüger U (Hg.) Lehrbuch der tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapieverfahren. Springer, Heidelberg, 4. Aufl., S. 93-112 Streeck U (2012): Psychoanalytisch-interaktionelle Therapie. In: Reimer Ch, Rüger U (Hg.) s.o., S. 113-130
Emotionale Nähe und notwendige Distanz in der psychotherapeutischen Beziehung Ulrich Rüger Psychiatrisch-Psychotherapeutisches Mittwochsgespräch Schlossparkklinik Berlin 26.03.2014 1
Empathische Kompetenz Empathische Kompetenz besteht in der Fähigkeit, zwischen Identifizierung und Distanzierung zu oszillieren. (vgl. Peter Kutter 1989) 2
Von der dyadischen zur triangulierenden Beziehung Die drei unterschiedlichen Einstellungen des Therapeuten nach Rudolf (2006, S. 121 ff.) Therapeut stellt sich voll und ganz hinter den Patienten Therapeut stellt sich dem Patienten gegenüber (Spiegelung) Therapeut stellt sich neben den Patienten (Position des Dritten) Therapeut vermittelt zwischen dem Patienten und seinen Objekten 3
Die triangulierende therapeutische Beziehung Therapeut vermittelt Patient, wie er von Menschen erlebt werden könnte, mit denen er Konflikte hat. Therapeutische Technik: Prinzip Antwort (Heigl-Evers u. Heigl 1987) Stichwort: Selektive Authentizität Interaktionelle Sicht (Streeck 2012) 4
Von der dyadischen zur triangulierenden Beziehung Die drei unterschiedlichen Einstellungen des Therapeuten nach Rudolf (2006, S. 121 ff.) Therapeut stellt sich voll und ganz hinter den Patienten Ich kann mir gut vorstellen, wie Sie sich da gefühlt haben Therapeut stellt sich dem Patienten gegenüber (Spiegelung) Sie sind offensichtlich ein Mensch, der sich rasch enttäuscht zurückzieht Therapeut stellt sich neben den Patienten (Position des Dritten) Therapeut vermittelt zwischen dem Patienten und seinen Objekten So wie ich Sie erlebe, könnte ich mir vorstellen, dass Ihre Frau 5
Von der dyadischen zur triangulierenden Beziehung Perspektivwechsel: Therapeut vermittelt zwischen dem Patienten und seinen Objekten Partner, Kinder, Vorgesetzte, Arbeitskollegen, Alltagsbeziehungen Neue Beziehungen im Verlauf der therapeutischen Behandlung 6
Zwischenresümee: Die therapeutische Haltung Balance zwischen passagerer Identifizierung und Distanzierung Therapeut wechselt seine Perspektive zwischen Identifizierung Spiegelung Gemeinsame Betrachtung aus der dritten Position mit Berücksichtigung der beziehungsregulierenden Affekte 7
Exkurs: Beziehungsregulierende Affekte Nach Krause (1990) ist ein Affekt ein psychischer Prozess in einem System mit drei Funktionskreisen: Dem der Steuerung des bewussten und unbewussten Denkens und Handelns des Individuums - Informationsverarbeitung - (Neugier, Interesse etc.), Dem der Regulierung der Interaktion und darüber des sozialen Zusammenlebens, Dem der Selbstwahrnehmung und Selbsteinschätzung (Scham, Schuld etc.) 8
Beziehungsregulierende Affekte (Heigl-Evers et al. 1997) Klassische Affekte: Freude, Wut, Angst, Trauer, Ekel etc. Nachtragende Affekte: Bitterkeit, Grimm, Groll, Hader etc. kein vorübergehender Gefühlszustand dauerhafte Grundstimmung mit entsprechender habitueller Gestimmtheit, z. B. Verbitterung 9 9
Beziehungsregulierende Affekte in der Therapie Die Aktualisierung eines nachtragenden Affektes in der therapeutischen Beziehung in (neuer) Partnerbeziehung 10
Einsichtsvermittlung im Rahmen psychodynamischer Behandlungsverfahren (nach Heigl-Evers et al. 1997) Aktuelle interpersonelle Beziehung Patient - Therapeut Symptomauslösende/ symptomverstärkende interpersonelle Situation Aktuelles soziales Umfeld mit seinen pathogenen Interaktionsmustern Therapeutisches Triangel 11
Eine neue Partnerschaft während einer Behandlung Ist der Therapeut zu einer passageren Identifikation mit beiden Partnern, insbesondere auch mit dem unbekannten Dritten in der Lage? Hinreichende Erfahrungen in unterschiedlichen Lebenskonstellationen Offenheit für interpersonelles Denken 12
Exkurs: Der interaktionelle Anteil der Übertragung bei Partnerwahl Veränderung des Partners (vgl. König u. Titscher-Schröter 1982) 13
Zwischenresümee Emotionale Nähe und notwendige Distanz in der psychotherapeutischen Beziehung 14
Gefährdung der empathischen Kompetenz durch Mangelhafte Identifizierung/Einfühlung Überidentifizierung mit dem Patienten Zeitstabile (unreflektierte) Haltungen des Therapeuten 15
Mangelhafte passagere Identifizierung bei bestimmten Patienten-Gruppen Mangelhafte Erfassung von Bildungsgang, beruflicher Entwicklung, Entwicklung im jungen Erwachsenenalter bei Patienten ohne Studium (vgl. Rüger et al. 1997) Migranten aus außereuropäischem Kulturkreis Patienten einer anderen Generation? 16
Gefährdung der empathischen Kompetenz durch Überidentifizierung mit dem Patienten (kämpferische) Überidentifizierung (der Patient als Opfer von schicksalshaften Ereignissen/ Mobbing/etc.) Über-Identifizierung mit der Werte- und Normwelt von Patienten Therapie von dissozialen Patienten Therapie der Reichen und der Mächtigen (vgl. Cremerius 1979, Linder 2008) 17
Zeitstabile (unreflektierte) Haltungen des Therapeuten erschweren notwendige Distanz Konfliktbereich Versorgung vs. Autarkie (Oralität) Abhängigkeit vs. Autonomie Unterwerfen vs. Kontrolle Selbstwert I narzisstisches Regulativ Selbstwert II Formen unreflektierten Funktionalisierens (Rüger 2011) Über-Ich und Schuldthematik (egoistische vs. prosoziale Tendenzen Nicht reflektiertes Verhalten des Therapeuten Oral-ausbeuterisches Agieren Agieren der eigenen Bindungsbedürftigkeit Agieren von Dominanzansprüchen Patient wird Selbst-Objekt Narzisstische Besetzung des angewandten Behandlungsverfahrens Überbewertung eigener Werte und Normen (gegenüber dem Patienten) Ödipal-sexuelle Konflikte Übertragungsverliebtheit d. P. narzisstisch verarbeiten sexueller Missbrauch 18
Schwierigkeiten in der Balance zwischen passagerer Identifizierung und Distanzierung Weitere Ursachen auf Seiten des Therapeuten Mangelhafte Resonanzfähigkeit Rigidität in der Behandlungstechnik Funktionalisieren der therapeutischen Beziehung (s.o.) Die Prognose als Tabu 19
Die Prognose als Tabu in der therapeutischen Beziehung Uninformiertheit über bisherigen Krankheitsverlauf und sekundäre soziale Folgen Ausblenden von nicht behebbaren Defiziten auf Seiten des Patienten Tragik des Nicht-Gelebten und Nicht-Wiederholbaren wird nicht zum Fokus 20
Schwierigkeiten in der Balance zwischen passagerer Identifizierung und Distanzierung Patienten mit schwerer Persönlichkeitsstörung Hoher affektiver Druck Gefahr eines interpersonellen Mitagierens durch den Therapeuten Wichtig: Verstehen, nicht besetzen lassen! Der intermediäre Raum muss erhalten bleiben (Sachsse 2006, 2010) 21
Die therapeutische Haltung bei Patienten mit psychotischen Erkrankungen Der Therapeut muss über zwei nicht ohne weiteres kompatible Fähigkeiten verfügen Rezeptiv-empathische abwartende Haltung Distante, am klinischen Phänomen orientierte Haltung sowie Handlungsorientierung (vgl. Rüger 2012) 22
Emotionale Nähe und notwendige Distanz in der psychotherapeutischen Beziehung Schlussbemerkungen Literatur 23
Literatur Heigl-Evers A, Heigl F, Ott J, Rüger U (1997): Lehrbuch der Psychotherapie, 3. Aufl., Gustav-Fischer, Lübeck, Stuttgart, Jena, Ulm Rudolf G (2012): Strukturbezogene Psychotherapie, 3. Aufl., Schattauer, Stuttgart, New York Rüger U, Reimer Ch (2012): Dynamische Psychotherapie. In: Reimer Ch, Rüger U (Hg.) Lehrbuch der tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapieverfahren. Springer, Heidelberg, 4. Aufl., S. 93-112 Streeck U (2012): Psychoanalytisch-interaktionelle Therapie. In: Reimer Ch, Rüger U (Hg.) s.o., S. 113-130 24