Bundesinnenministerium Berlin. 10. Juni 2014

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Transkript:

Bundesinnenministerium Berlin mi3@bmi.bund.de. 10. Juni 2014 Stellungnahme zum Referentenentwurf des Bundesministeriums des Innern: Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 07.04.2014 Der Verband binationaler Familien und Partnerschaften, iaf e.v. dankt für die Gelegenheit zur Stellungnahme zum vorliegenden Gesetzentwurf des Bundesinnenministeriums im Rahmen der Verbändebeteiligung. Der Gesetzgebungsentwurf soll ausweislich der Neuordnung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung sowie der Umsetzung weiterer Änderungen im Aufenthaltsrecht dienen. Darüber hinaus soll eine Regelung geschaffen werden, die Integrationsleistungen trotz fehlenden rechtmäßigen Aufenthalts durch die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis anerkennt. Diesem Anspruch und dieser Zielsetzung vermag der vorliegende Referentenentwurf nicht zu entsprechen. Vorspann Als interkultureller Familienverband setzen wir uns dafür ein, dass alle Menschen in Deutschland unabhängig ihrer sozialen, kulturellen, ethnischen oder nationalen Herkunft ihr Recht auf ein selbstbestimmtes Familienleben verwirklichen können. Wir unterscheiden dabei nicht, aus welchen Gründen die Menschen nach Deutschland gekommen sind und welchen rechtlichen Status sie haben. Familie stellt für die meisten Menschen einen stabilisierenden Faktor dar. Dies gilt vor allem für jene, die aus anderen Ländern ins Bundesgebiet gekommen sind und sich in ein neues ihnen bisher fremdes Land einleben.

Wir fokussieren daher in unserer Stellungnahme auf Änderungen, die sich auf das Recht auf Familie in Deutschland auswirken. Wir sprechen uns dafür aus, dass prekäre aufenthaltsrechtliche Situationen positiv zu verändern sind und dass faktische Inländer eine reale Perspektive erhalten, ihr Recht auf ein Familienleben umsetzen zu können. Auch ihr Familienleben und ihre Familienbeziehungen sind zu schützen. Von den zunehmenden migrationspolitischen Restriktionen, die durch den vorliegenden Referentenentwurf weiter rechtlich zementiert werden, wird auch das Recht auf Familienleben betroffen. Dabei hat die Große Koalition in ihrem Koalitionsvertrag Familienfreundlichkeit als Leitprinzip der Gesetzgebung und exekutiven Handelns verankert (vgl. Deutschlands Zukunft gestalten, S. 96). Wir können nicht erkennen, dass dieses Leitprinzip beim vorliegenden Referentenentwurf angewendet wurde und fordern daher Nachbesserungen unter Einhaltung dieses Prinzips. Im Einzelnen Familiennachzug Mit Bedauern stellen wir fest, dass weiterhin an einer nicht einheitlichen Regelung für den Familiennachzug festgehalten wird. Es ist sehr intransparent, warum einigen Personengruppen der Familiennachzug erlaubt wird, anderen nur in Teilen und andere sind gänzlich davon ausgeschlossen. Aus unserer Sicht ist es völlig unverständlich, warum solche Unterscheidungen getroffen werden. Wir fordern daher, dass für alle Personengruppen ein Anspruch auf Familiennachzug zu verwirklichen ist. Dies betrifft Jugendliche und Heranwachsende, die nach 25 a Aufenthaltsgesetz eine Aufenthaltserlaubnis erhalten, sowie geduldete Ausländer, die sich erfolgreich wirtschaftlich integriert haben ( 25 b Aufenthaltsgesetz). Grundsätzlich ist es zu begrüßen, dass diese beiden Personengruppen einen erleichterten Zugang zur Aufenthaltserlaubnis erhalten und dass der Gesetzgeber insbesondere bei der letztgenannten Personengruppe die wirtschaftliche Eigenständigkeit honoriert, die aus unserer Sicht trotz restriktiver Rahmenbedingungen erfolgte. Gerade ihnen ist der Familiennachzug zu gestatten. Eine gravierende Verschärfung im Familiennachzug sehen wir in den vorgesehenen Änderungen im 29 Abs. 2 AufenthG. Hierin wird die Privilegierung der subsidiär Schutzberechtigten im Familiennachzug zurückgenommen, die erst 2013 im Rahmen der Novellierung des Aufenthaltsrechts eingeführt wurde. Diese Änderung war aufgrund der Neufassung der QualifikationsRL notwendig geworden (vgl. Renner/Bergmann/Dienelt: Ausländerrecht,

Kommentar, 10.A., München 2013, Dienelt in: 29 AufenthG, Rdn. 18). Ein Redaktionsversehen, das nunmehr ausgeglichen werden soll, wie in der Begründung zum Gesetzentwurf angemerkt, liegt hier nicht vor. Die ursprüngliche Fassung ist daher beizubehalten. Hiernach kann ein Ehegattennachzug und der Nachzug eines minderjährigen ledigen Kindes zu subsidiär Schutzberechtigten nach Ermessen auch dann erfolgen, wenn keine Sicherung des Lebensunterhalts vorliegt ( 29 Abs. 2 Satz 1) oder die Voraussetzung des Wohnraums nicht gegeben ist. Die vorgesehene Änderung will nun, dass stets eine Lebensunterhaltssicherung gegeben und entsprechender Wohnraum vorhanden sein muss. Der beabsichtigte Wegfall der Privilegierung fordert nunmehr auch, dass der Nachziehende einfache Kenntnisse der deutschen Sprache auf dem Niveau A1 nachweisen muss. Aus unserer Beratungserfahrung wissen wir, wie schwierig sich der Spracherwerb im Herkunftsland des Nachziehenden darstellen kann und mit welch hohen Kosten, Aufwendungen und Zeit dies verbunden ist. Zudem ist genau diese Regelung Gegenstand der Behandlung beim EuGH, der auch die Vereinbarkeit mit der europäischen Familienzusammenführungsrichtlinie prüft. Generalanwalt Mengozzi äußerte bereits in seinem Schlussplädoyer starke Bedenken zur bestehenden Regelung des Spracherfordernisses vor der Einreise im Ehegattennachzug. Subsidiär Schutzberechtigte werden nach dem vorliegenden Entwurf folglich so gut wie keine realen Möglichkeiten haben, einen Familiennachzug vorzunehmen. Fraglich ist für uns jedoch, ob der vorliegende Referentenentwurf diesbezüglich einer europarechtlichen Prüfung standhalten würde. Bleiberecht Wie bereits soeben erwähnt, begrüßen wir grundsätzlich die Einführung eines stichtagsunabhängigen Bleiberechts und die Erweiterung des Bleiberechts für Jugendliche und Heranwachsende, sowie die Möglichkeit der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis bei erfolgreicher wirtschaftlicher Integration. Gleiches gilt für die nun geplante notwendige Ergänzung der Möglichkeit des Familiennachzugs zu neu angesiedelten Flüchtlingen (Resettlement) ohne Sprachanforderung. Es gibt in Deutschland faktisch viele Ausländer, die seit Jahren hier leben oder sogar hier geboren wurden, eine Familie gegründet haben, die deutsche Sprache sprechen und einem Beruf nachgehen. Viele dieser Menschen sind Geduldete. Zumeist handelt es sich bei Geduldeten um abgelehnte Asylbewerber oder um Ausländer, die illegal eingereist sind bzw. nach einer legalen Einreise und späterem Ablauf ihres Aufenthaltsrechts illegal in Deutschland verblieben sind. Die

tatsächliche oder praktische Unmöglichkeit ihrer Abschiebung beruht in der Praxis regelmäßig auf ungeklärter Identität, Passlosigkeit, Krankheit und familiären Bindungen. Dieser Personengruppe werden theoretisch in 25 a, 25 b AufenthG Erleichterungen zur Erlangung einer Aufenthaltserlaubnis ermöglicht. Insbesondere mit der Schaffung des stichtagsunabhängigen Bleiberechts für wirtschaftlich integrierte Geduldete in 25 b AufenthG und der zeitlichen Erweiterung auf 27 Jahre entsprechen den Regelungen des KJHG und ist somit als folgerichtig zu werten. Allerdings läuft diese Regelung aus unserer Sicht ins Leere, da wohl nur die wenigsten hiervon zukünftig tatsächlich Gebrauch machen können, aufgrund der Regelungen in 11 AufenthG. Nicht nachvollziehbar ist für uns, dass ein Einreise- und Aufenthaltsverbot verhängt werden kann, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass die Person in das Bundesgebiet eingereist ist, um öffentliche Leistungen zu beziehen. Hiervon soll insbesondere bei Asylsuchenden, deren Asylantrag als unzulässig, unbeachtlich oder offensichtlich unbegründet eingestuft wurde, auszugehen sein. So wird eine gesetzliche Vermutung für die Einreise zum Zwecke des Bezugs von öffentlichen Leistungen aufgestellt. Geduldete, denen dies dann unterstellt werden kann, haben aufgrund von 33 BeschVO (ein Arbeitsverbot ist auszusprechen) im Ergebnis keine Möglichkeit aus humanitären Gründen eine Aufenthaltserlaubnis zu erhalten. Damit würde auch die Bleiberechtsregelung konterkariert und es wäre zu befürchten, dass die Zahl der Personen, die dauerhaft mit einer Duldung leben müssen, weiter ansteigt. Sollte der Entwurf Gesetz werden, würde kaum noch jemand in die neue Bleiberechtsregelung hineinkommen. Ein Bleiberecht für Menschen, die über lange Jahre aufenthaltsrechtlich nur geduldet wurden, muss auf derartige Hürden verzichten. Ausweisungsrecht Die geplanten Änderungen im Ausweisungsrecht verbunden mit den Änderungen in 11 AufenthG führen aus unserer Sicht ebenso zu einschneidenden, unverhältnismäßigen Verschärfungen, die auf Familien, Paare und Einzelpersonen weitreichende Auswirkungen haben werden. Eine Reform des Ausweisungsrechts ist aufgrund der derzeitigen Divergenz der Rechtslage und der Rechtsprechung unbedingt notwendig. Das BVerfG (2 BvR 304/07) fordert eine Änderung auf der Grundlage einer Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des EGMR zur Achtung des Privatlebens gem. Art. 8 Abs. 2 EMRK. Es urteilte, dass im Falle faktischer Inländer eine

schematische Anwendung der Rechtsfolgen ohne Einzelfallbetrachtung nicht mehr möglich sein darf. Es fordert für diese Personengruppe auch im Fall der Regelausweisung eine am Einzelfall orientierte Verhältnismäßigkeitsprüfung. Nach Ansicht des BVerfG ist nicht nur bei faktischen Inländern der schematische Blick auf die Ist- und Regelausweisung wenig hilfreich, um das gesamte Spektrum betroffener Belange in den Blick nehmen zu können. Der Referentenentwurf enthält nun eine andere Systematisierung. Statt Ist-, Regel-, und Ermessensausweisung, soll nunmehr das Öffentliche Ausweisungsinteresse mit dem Privaten Bleibeinteresse abgewogen werden. Im Zuge der Neusortierung fallen dann fast alle Regelausweisungsgründe in der Praxis insbesondere Verurteilungen zu einer Freiheitsstrafe unter schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, die besonders schützenswerte private Belange in der Regel übertreffen. Bislang sind dies nur die Regelausweisungsgründe mit terroristischem bzw. extremistischem Bezug. Auf diese Weise wird eine (widerlegliche) gesetzliche Vermutung für das Überwiegen des Ausweisungsinteresses im Falle fast aller jetzigen Regelausweisungsgründe aufgestellt. Geplant ist weiter, dass private Interessen nach 55 Abs. 3 AufenthG weniger schwer wiegen sollen, wenn enge persönliche, wirtschaftliche oder sonstige Beziehungen des Ausländers an seinen Heimatstaat bestehen sowie die Möglichkeiten der Eingliederung in die dortigen Lebensverhältnisse gegeben sind. Dieser Blick auf Migration und Integration geht aus unserer Sicht an der Lebenswirklichkeit der Betroffenen vorbei und verhindert zudem eine adäquate Haltung zur gesellschaftlichen Diversität. Heute, wo zunehmend mehr der Begriff der globalisierten Familie, der globalen Beziehungen in den Blickpunkt rückt und auch hierin Ressourcen gesehen werden, vermittelt diese Formulierung, dass Integration mit Assimilation gleichzusetzen ist. Um ein wirklich modernes, den faktischen Gegebenheiten angepasstes Ausweisungsrecht, dass den in der Bundesrepublik geborenen Ausländern einen absolut wirkenden Ausweisungsschutz gewährt, handelt es sich nicht. Dies wäre aber geboten angesichts dessen, dass aufgrund der Globalisierung und Mobilität von Menschen eine alleinige Unterscheidung nach Nationalität nicht mehr zielführend ist. Stattdessen enthält die neue Systematik zahlreiche Verschlechterungen zu Ungunsten Betroffener. Weitere Anmerkungen Wir begrüßen die Einführung des 73b AufenthG (Überprüfung der Zuverlässigkeit von im Visumverfahren tätigen Personen und Organisationen). Ratsuchende berichten uns in

Beratungsgesprächen immer wieder von Korruption in Zusammenhang mit Terminvergaben und im Umgang mit Ortskräften. Zur Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Durchführung des Visumverfahrens und um Missbrauch weitestgehend auszuschließen, sehen wir es daher als notwendig an, eine Überprüfung von im Visumverfahren tätigen, nicht dem Auswärtigen Amt angehörenden Personen und Unternehmen unter Zuhilfenahme der Informationen und Erkenntnisse der deutschen Sicherheitsbehörden durchzuführen, um deren Zuverlässigkeit überprüfen zu können. Mit 4 Abs. 1 AufenthG soll die parallele Erteilung mehrerer Aufenthaltstitel bzw. eines Aufenthaltstitels zu mehreren Zwecken ausgeschlossen, sofern im Aufenthaltsgesetz nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist. Etwas anderes gilt nur für das Nebeneinander von Niederlassungserlaubnis und Daueraufenthalt EG. Das Nebeneinander verschiedener Aufenthaltstitel bsp. als Student und Ehegatte, als Erwerbstätiger und Ehegatte, aus humanitären Gründen und als Ehegatte soll nicht mehr möglich sein. Das führt bsp. dazu, dass der Inhaber eines humanitären Aufenthaltstitels nach der Eheschließung und der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach 28 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG und dem Scheitern der Ehe vor Ablauf der drei Jahresfrist zunächst ohne Aufenthaltstitel ist. Gerade Ehegatten erhalten in den ersten drei Jahren einen Aufenthaltstitel, der abhängig ist von der ehelichen Lebensgemeinschaft und damit von dem inländischen Partner. Ein weiterer Aufenthaltstitel würde die Abhängigkeit vom Ehegatten mindern und dem Nachgezogenen die Sicherheit geben, auch aufgrund eigener Belange eine Aufenthaltserlaubnis zu erhalten. Gleiches gilt für den Hochqualifizierten, der im Rahmen des Ehegattennachzugs nach Deutschland gekommen ist. Die geplante Regelung widerspricht der Lebenswirklichkeit und führt dazu, dass ein möglicher Anspruch im Fall einer Aufenthaltsverfestigung (aus EMRK-Rechten, dem Schutz der Ehe und Familie etc.) aus einem verweigerten Aufenthaltstitel verwehrt wäre. Das Recht auf die Erteilung eines Aufenthaltstitels darf nicht genommen werden, weil gleichzeitig auch ein Recht auf einen anderen Titel besteht. Die geplante Regelung stellt einen unzulässigen Eingriff in die Rechte der Betroffenen dar. Abschließende Bewertung Der vorliegende Gesetzesentwurf überzeugt nicht. Er ist unseres Erachtens nicht geeignet, Defizite beim Vollzug der Ausreisepflicht abzubauen ohne unverhältnismäßige Auswirkungen auf andere Lebensbereiche zur Folge zu haben.

Das Recht auf Familienleben stellt ein Grund- und Menschenrecht dar und ist allen zu gewähren unabhängig vom Aufenthaltsstatus des Zusammenziehenden. Es ist nicht nachvollziehbar, dass dieses Recht einigen Personengruppen gewährt wird, anderen jedoch nicht. Der Entwurf geht an dieser Stelle nicht weit genug und verkennt das Potential sowohl gesellschaftlich im Hinblick auf die integrationsfördernden Aspekte von Familie als auch arbeitsmarktpolitisch bezüglich der Qualifikationen und Ressourcen der beteiligten Personen. Zudem sei darauf hingewiesen, dass der Nachzug den demografischen Wandel in Deutschland abmildert. Gute Gründe also, eine Erweiterung des Nachzugs auf andere Personengruppen (u. a. subsidiär Schutzberechtigte, humanitärer Aufenthalt nach 25 Abs. 4 + 5 oder 25a + b AufenthG) vorzunehmen und dem verbalen Bekenntnis zur Einwanderungsgesellschaft Taten folgen zu lassen. Befremdend wirkt auf uns, dass die Möglichkeiten in 25 b und die erweiterte Fassung in 25 a AufenthG durch die Schaffung des Einreise- und Aufenthaltsverbot in 11 Abs. 7 Satz 1 und 3 faktisch wieder aufgehoben werden. Dieses Vorgehen kommt einer Perfidie gleich, vor allem da die Menschen in aller Regel aufgrund des Beschäftigungsverbotes keine Möglichkeit erhalten, zu zeigen, dass sie sehr wohl für ihren Lebensunterhalt gerne selbst aufkommen würden. D.h. sie werden mit einem Beschäftigungsverbot belegt und gleichzeitig wird ihnen unterstellt, eingereist zu sein, um allein an den sozialen Leistungen dieses Staates partizipieren zu wollen. Der Gesetzgeber verkennt, dass es vielen dieser Menschen nicht um einen Daueraufenthalt in Deutschland geht, sondern um einen vorübergehenden Schutz. Und letztendlich schadet eine auf Abwehr gerichtete Politik dem sozialen Frieden und den ökonomischen Interessen des Landes. Zahlreiche Flüchtlinge, Asylsuchende und nachziehende Familienangehörige sind gut ausgebildet, nicht wenige hoch qualifiziert. Diese Ressourcen werden weder gesehen noch genutzt. Warum sollten diese Fachkräfte nicht einer bezahlten Tätigkeit in diesem Land nachgehen? Sie könnten auf diese Weise einen Beitrag leisten zur Sicherung des Lebensunterhalts für sich selbst und ihren Familienangehörigen. Sie würden ihre beruflichen Kenntnisse und Erfahrungen diesem Land zu Gute kommen lassen und sich beruflich weiter entwickeln können. Stattdessen werden ihre Ressourcen nicht gesehen, ihre beruflichen Kenntnisse und Fähigkeiten verkümmern und bedürfen zusätzlicher Unterstützung bzw. Nachqualifizierungen, sobald ihnen ein Zugang zum Arbeitsmarkt und eine Bleibeperspektive hier eröffnet wird. Im Koalitionsvertrag wurde auf S. 14 vereinbart, dass alle Qualifizierungsreserven in Deutschland genutzt werden müssen. Davon ist der vorliegende Gesetzentwurf weit entfernt. Es wäre wünschenswert, wenn sich der Gesetzgeber endlich von seiner abwehrenden Haltung gegenüber Zuwanderern verabschieden würde und ein modernes, nachhaltiges auf die Zukunft des Landes und Europas ausgerichtetes Gesetz schaffen würde, dass sowohl den humanitären Verpflichtungen nachkommt als auch den Anforderungen einer Einwanderungsgesellschaft unter Berücksichtigung einer Willkommens- und Anerkennungskultur Rechnung trägt.