Bildung in der Kindertagesstätte. Curriculum. zur Umsetzung des Bildungsauftrages in Kindertageseinrichtungen im.

Ähnliche Dokumente
Anlage 1. Sehr geehrte/r Erzieher/in,

Anlage 20a Auswertung Fragebogen an Leitung Kita 6

Anzahl FK Teilnahme Curriculum 9 päd. FK 1 Leit.

SPB als Arbeitsmittel

Anzahl FK Teilnahme Curriculum 19 päd. FK 2 BL 1 Leitg.

Diplomarbeit von Dagmar Senst

Curriculum zur Qualifizierung gemäß 21 Abs. 3 Nrn. 2 und 4 KiFöG. Modul 1. Bildungsauftrag

Ausbildung von staatlich anerkannten Erziehern und Erzieherinnen an Fachschulen für Sozialpädagogik

Sprachliche Bildung für Kinder unter Drei

3. infans-steg- Kongress am 19. Mai 2017 in BAD KROZINGEN Beziehung gestalten Bildungsprozesse sichern

Literaturhinweise für die Arbeit an diesem Thema:

Pädagogisches Institut für Elementarpädagogik Stuttgart (PIEKS)

Leitbild Schule Teufen

Materialien für die interne Evaluation zum Berliner Bildungsprogramm

Vereinbarung zum Orientierungsplan für Bildung und Erziehung in Tageseinrichtungen für Kinder in Baden-Württemberg

Kindertageseinrichtungen auf dem Weg

Niedersächsisches Kultusministerium. Frühpädagogische Anforderungen an die betriebliche Tagesbetreuung Empfehlungen des Orientierungsplans

AWO pro:mensch. Kinder betreuen. Familien beraten.

Hinweise zur zentralen schriftlichen Prüfung im Rahmen der Abschlussprüfung an der Fachschule für Sozialpädagogik

Grundsätze elementarer Bildung. Wie lernen kleine Kinder? Elterninformation

Leitbild der OS Plaffeien

Erziehen, bilden und begleiten

Leitfaden zur Elternarbeit zwischen den kommunalen Kindertageseinrichtungen des Eigenbetriebes Kindertageseinrichtungen Dresden und den Eltern

Empfehlung. der Stadt Leipzig für eine Konzeptgliederung einer Trägerkonzeption im Leistungsbereich Kindertageseinrichtungen

Zusammenfassung zum Fachtag Blossin, Februar 2012 Workshop -Baustein: Bildungsauftrag im Hort

1. Berufliche Identität/Selbstverständnis und professionelle Perspektiven weiterentwickeln ENTWURF. Ausbildungsplan Fachakademie für Sozialpädagogik

Lernort Praxis Regionalkonferenz am 04.Juli 2014 länderspezifische Situation: Sachsen

Die Ausgestaltung der leistungs- und kindorientierten Grundschule Tagung des Landeselternrates

SCHÖN, DASS DU DA BIST.

Materialien für die interne Evaluation zum Berliner Bildungsprogramm

1. Berufliche Identität/Selbstverständnis und professionelle Perspektiven weiterentwickeln. Inhalte ENTWURF

Aufbauqualifizierung Kindertagespflege

Herzlich Willkommen zum. Netzwerktreffen 2017

Standards für die Multiplikation des infans-konzepts der Frühpädagogik

Bildung und Erziehung in Kindertagesbetreuung

Unser Leitbild. Was macht uns als Lebenshilfe Erlangen-Höchstadt aus? Was wollen wir gemeinsam als Lebenshilfe erreichen?

Leitbild. Kindergarten Winzeln. für Kinder, Eltern, Team und Träger

Methoden der Selbstreflexion 4 3. Haltung und Einstellung zum Beruf 4 3. Arbeitsfelder Kita und eföb 2 1

Seelsorgeeinheit Karlsruhe-Hardt. Leitbild. der katholischen Kindertagesstätten und Kindergärten

Sprachliche Bildung als Querschnittsaufgabe in elementaren Bildungseinrichtungen. Michaela Hajszan Graz, 26. Mai 2011

Arbeitshilfe zur Erstellung einer pädagogischen Konzeption

Kompetenzen zur Übergangsgestaltung: ein neues Profil pädagogischer Fachkräfte

Qualifikationsphase (Q1) - GRUNDKURS. Unterrichtsvorhaben II:

Konsultations-Kindertagesstätte

Wie findet Sprachförderung in der Kindertageseinrichtung statt?

Bildungs- und Erziehungsempfehlungen für Kindertagesstätten in Rheinland-Pfalz

Vorlage für eine individuelle Lernzielvereinbarung im Modul zur Erlangung der staatlichen Anerkennung

2. Selbstbild und Rolle klar(e) Haltung zeigen Zusammenarbeit mit Eltern Problemverhalten in Fähigkeiten verwandeln 8

FRL Innovationsprozesse Kitas. Richtlinie

Konzept Frühkindliche Bildung, Betreuung und Erziehung (FBBE) der Stadt Zug. Kurzfassung

Schlüsselkompetenzen der Erzieherin (entnommen aus der Ausbildungskonzeption der Fachakademie für Sozialpädagogik Aschaffenburg)

Erziehungspartnerschaft - Auf die Haltung kommt es an

KINDER, WAS FÜR EIN LEBEN!

I. Vorschulischer Bereich und Übergang in die Schule

WILLKOMMEN AUF DER HOMEPAGE DES KINDERHAUSES WILMA

Frühes Lernen: Kindergarten & Schule kooperieren

Lernergebnisse einer Jugendarbeiter*innenausbildung

Möglichkeit der Anschlussqualifizierung 160+ von Kindertagespflegepersonen

INKLUSIONSFACHKRAFT PÄDAGOGIK DER VIELFALT

Das Kindeswohl als Maßstab für die Ausgestaltung gesetzlicher Regelungen zum Begleiteten Umgang

Handlungsschritte Alltagsintegrierte Sprachbildung und Beobachtung

Prof. Dr. Jörn Borke & Carmen Hoffmann

Vielfalt als Herausforderung und Chance - Kita St Michael in Amberg Bildungsort und Nachbarschaftszentrum

Literaturhinweise für die Arbeit an diesem Thema:

Der neue Lehrplan Fachschule Sozialpädagogik. Vorstellung des neuen Lehrplans NRW in Sachsen-Anhalt Juni 2014

Leitbild der städtischen Kindergärten und Horte

Zertifikatskurs Brückenbauer Experte / Expertin für den Übergang Kindertagesstätte Grundschule. Gudrun Zimmermann Schulartbeauftragte Grundschulen

Professionalität in Hort und Grundschule

LEITBILD DER JUGENDARBEIT REGENSDORF

Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg

Leitbild. der Kindertagesstätten im Caritasverband Worms e. V.

Leitbild. Katholische Gesamtkirchengemeinde Ellwangen Philipp-Jeningen-Platz 2 Telefon: 07961/

Eingewöhnung Kindertagesstätte Spielkiste Magdeburg. Transition Übergang Familie Kindertagesstätte Krippe 0 3 Jahre

Trägerverein Freies Kinderhaus e.v. Leitbild

Leitbild Viktoria-Stiftung Richigen

Arbeitshilfe zur Erstellung einer pädagogischen Konzeption

Leitbild der Ehninger Kindergärten

Moderierung und Dokumentation früher Bildungsprozesse in Eltern Kind Gruppen

Bildungsthemen der Kinder: Entwicklungspsychologische Grundlagen

4.7 Integration von Kindern mit Behinderungen

Unser Bild vom Menschen

Sechs Bausteine zur Einführung des Orientierungsplans für pädagogische Fachkräfte in baden-württembergischen Kindertagesstätten

Lüneburger Bildungskonferenz 2013

Philosophie und Pädagogik der Partizipation

Anrechnung von Fort- und Weiterbildungsangeboten

INTERNATIONALE AKADEMIE an der Freien Universität Berlin Institut für den Situationsansatz

BILDUNGS- UND LERNGESCHICHTEN. Astrid Glückstein Erz.10

SONDERPÄDAGOGISCHES ZENTRUM BACHTELEN GRENCHEN L E I T B I L D

Vorzeichen BARMHERZIGKEIT Bezüge im Lehrplan für die Fachakademie für Sozialpädagogik, 1. und 2. Studienjahr

Bildungsfelder. Bildungsfelder. Bildungsfelder. Bildungsfelder. Kommunikationsfreudige und medienkompetente Kinder. Starke Kinder

Unsere Vision. Jugendliche in der Stadt Bern. sind gesund, fühlen sich wohl und wachsen in einem unterstützenden Umfeld auf;

Entdeckungen im Alltag! Bildungsarbeit mit Mädchen und Jungen im Kindesalter

Übergang Kindergarten- Grundschule. Eva Hammes-Di Bernardo Saarbrücken

Bildung ab Geburt?! Orientierungsrahmen für frühkindliche Bildung, Betreuung und Erziehung

Es gilt das gesprochene Wort. Sehr geehrter Herr Schürmann, sehr geehrte Frau Schlecht, meine sehr geehrten Damen und Herren,

GEMEINSAME GESTALTUNG DES ÜBERGANGS VON DER KINDERTAGESEINRICHTUNG IN DIE GRUNDSCHULE

Leitbild Bildung des Landkreises Elbe-Elster

Transkript:

Bildung in der Kindertagesstätte Curriculum zur Umsetzung des Bildungsauftrages in Kindertageseinrichtungen im Freistaat Sachsen sowie erste Erfahrungsberichte aus der Praxis

IMPRESSUM Herausgeber: Sächsisches Landesamt für Familie und Soziales Abteilung 4 Landesjugendamt Reichsstraße 3 09112 Chemnitz Telefon: 0371 577-0 Fax: 0371 577-282 E-Mail: Landesjugendamt@slfs.sms.sachsen.de Web: www.slfs.sachsen.de/lja Redaktion: Verantwortlich: Ursula Specht, Leiterin des Landesjugendamtes Ansprechpartnerin: Angelika Scheffler Tel.: 577-418 Red. Bearbeitung: Angelika Scheffler Antje Just Titelgestaltung: Medienzille e.v., Radebeul (Henrik Papperitz, Tilo Haßmann) Druck: 2. unveränderte Auflage: Chemnitz, November 2004

Inhaltsverzeichnis Seite Vorwort 4 1. Bildung als Anforderung an berufliches Handeln 6 von Erzieher/-innen 2. Rechtsrahmen für den B I L D U N G S A U F T R A G 9 3. Zum Curriculum 11 4. Modularer Aufbau des Curriculums I. Modul Kindheit und Bildung im gesellschaftlichen Kontext 12 Zeitrichtwert: 32 Stunden II. Modul Bindungen als Grundlage kindlicher Bildungs- 14 prozesse Zeitrichtwert: 20 Stunden III. Modul Kindliche Entwicklung aus konstruktivistischer Sicht 16 Zeitrichtwert: 20 Stunden IV. Modul Kindliche Bildungsprozesse beobachten, analysieren, 18 gestalten, reflektieren und dokumentieren Zeitrichtwert: 80 Stunden V. Modul Das Team als Lern-, Entwicklungs-, und 20 Kooperationsgemeinschaft Zeitrichtwert: 24 Stunden VI. Modul Erziehungspartnerschaft 22 Zeitrichtwert: 30 Stunden VII. Modul Kooperation als Herausforderung bei der 24 Gestaltung von Bildungsprozessen Zeitrichtwert: 34 Stunden 2

5. Erfahrungsberichte aus der Praxis 26 5.1 Modellprojekt zur Implementierung des Bildungs- 27 auftrages in Leipziger Kindertagesstätten 5.1.1 Entwicklung von Identität in Abgrenzung zu 28 Identifikation Dipl.-Psychologe Dr. Marcus Stück 5.1.2 Die Kindertageseinrichtung als Lernwerkstatt 35 Dipl.-Pädagogin Stefanie Gödert 5.2 Modellprojekt zur Implementierung der Ergebnisse 40 des Bildungsprojektes in Dresden 5.2.1 Die Qualifikation von Leiterinnen 41 Dipl.-Sozialpädagogin Itta Schmidt Anlagen DVD Lernspuren 46 Exemplarische Darstellung zur Bearbeitung einer 47 Videosequenz am Beispiel Baumhaus Curriculum zum Thema Erziehungspartnerschaft 56 Zertifikat (Muster) 58 Literaturempfehlungen/Videoempfehlungen 59 3

Vorwort Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr sagt ein Sprichwort. Wenn wir heute von lebenslangem Lernen sprechen, wirkt dieser Spruch eher fraglich. Er enthält aber eine Erkenntnis, die zwar nicht neu ist, jedoch zunehmend von der Gehirn- und Lernforschung wissenschaftlich bestätigt wird: Je jünger die Lernenden sind, um so effektiver sind ihre Lernprozesse. Diese Erkenntnis gilt es für die Praxis in den Kindertageseinrichtungen zu nutzen. Ihre Profilierung als Bildungsort ist deshalb eine der wichtigsten Herausforderungen der aktuellen Pädagogik. Nicht erst seit bekannt werden der Ergebnisse der PISA-Studie beschäftigt sich Sachsen mit der Umsetzung des Bildungsauftrages in Kindertageseinrichtungen. Der Freistaat Sachsen beteiligte sich bereits 1997 gemeinsam mit den Ländern Brandenburg und Schleswig-Holstein an dem Bundesmodellprojekt Zum Bildungsauftrag von Kindertageseinrichtungen, welches 2000 abgeschlossen wurde. Hier wurde ein zeitgemäßes, auf den neuen Erkenntnissen der frühkindlichen Pädagogik beruhendes Verständnis vom Lernen der Kinder vermittelt. Daraus abgeleitet wurde den Erzieher/-innen die Tragweite ihrer Haltung und ihres Handelns gegenüber dem sich selbst bildenden Kind verdeutlicht. In Sachsen entwickelten sich im Ergebnis der Diskussion zur Verwertbarkeit dieser Erkenntnisse vielfältige Aktivitäten. Den Schwerpunkt eines sich anschließenden Landesmodellprojektes Zur Implementierung der Ergebnisse aus dem Bundesmodellprojekt zum Bildungsauftrag von Kindertageseinrichtungen bildete die Auseinandersetzung mit den Fragen zur praktischen Umsetzung für sächsische Kindertageseinrichtungen. Im Ergebnis dieses Projektes konnten die Erfahrungen im Umgang mit diesem neuen Bildungsverständnis verdichtet werden und es entstanden Materialien aus der Praxis für die Praxis, die allen sächsischen Kindertageseinrichtungen zur Verfügung gestellt werden konnten. In zahlreichen Fachtagungen wurden mit Vertretern aus den Jugendämtern der Landkreise und der kreisfreien Städte, der Trägerverbände, der Ausbildung, des Landesjugendamtes sowie des Sächsischen Sozialministeriums die Konsequenzen für die frühe Bildung von Kindern aufgezeigt. Im Blickfeld stand dabei vor allem die Qualifizierung sowie Fortbildung der Fachkräfte. 4

Aus diesem Anlass entwickelte der Landesarbeitskreis Bildungsauftrag in Kindertageseinrichtungen, der durch das Sächsische Landesjugendamt geführt wird, gemeinsam mit dem Sächsischen Staatsministerium für Soziales das vorliegende Curriculum zur Umsetzung des Bildungsauftrages in sächsischen Kindertageseinrichtungen. Neben Erkenntnissen aus den hier benannten Modellprojekten des Bundes und des Landes, sind in dieses Curriculum auch erste Erfahrungen aus Leipzig, Dresden und dem Mittleren Erzgebirgskreis eingeflossen, die in eigener Verantwortung Bildungsoffensiven für das pädagogische Personal in ihren Kindertageseinrichtungen gestartet haben. Die Erfahrungsberichte, welche auch Bestandteil dieser Broschüre sind, spiegeln die ersten Auseinandersetzungen mit den Bildungsinhalten wider und sollen das Anliegen des Curriculums verdeutlichen. Dieses Curriculum versteht sich als ein Element, das der Qualifizierung der Fachkräfte bei der Umsetzung des Bildungsauftrages in Kindertageseinrichtungen dienen soll. Es soll Erzieher/-innen, Leiter/-innen, Fachberater/ -innen und Fortbildner/-innen eine Hilfe für die professionelle Bildungsarbeit mit Kindern sein. Helma Orosz Staatsministerin für Soziales Ursula Specht Leiterin des Landesjugendamtes 5

1. Bildung als Anforderung an berufliches Handeln von Erzieher/-innen Auf dem Weg in die Wissensgesellschaft richtet sich das öffentliche Interesse zunehmend auf das Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen. An der Diskussion darüber, wie und wo Bildung in unserer Gesellschaft stattfindet, beteiligen sich neben Eltern, Erzieher/-innen und Lehrer/-innen auch Politiker/-innen, Wissenschaftler/-innen sowie Vertreter/-innen der Wirtschaft. Dies geschieht zum einen bundesweit, vor allem aber auch in den Ländern und Kommunen. Es ist zu einer öffentlichen Frage geworden, welche Arrangements und welche Unterstützung Kindern und Jugendlichen beim Erwerb von Kompetenzen geboten werden sollen. Notwendigerweise geraten dabei vor allem die Institutionen in den Blickpunkt, in denen ein beträchtlicher Teil der Kindheit in unserer Gesellschaft stattfindet. Ebenso bedeutsam erscheint damit die Frage nach dem Zusammenspiel bzw. der Komplexität der Bildungsprozesse. Bildung und Erziehung von Kindern findet überall dort statt, wo sich Kinder aufhalten: in öffentlichen wie privaten Räumen. Das schließt neben den Familien auch die vielen Gelegenheiten ein, die durch den sozialen Raum geboten werden. Betreuung und Erziehung von Kindern sind soziale Prozesse, die z. B. durch historische Ereignisse, kulturelle Normen und Werte, demografische Veränderungen und familiäre Entwicklungen beeinflusst werden. In gleicher Weise sind auch Wissen und Bildung der Dynamik einer sich immer rascher verändernden Gesellschaft unterworfen. Damit wird die Frage von zentraler Bedeutung, wie Bildung und Erziehung in einer Welt gestaltet werden kann, die immer weniger prognostizierbar ist und in der das Heranwachsen von Kindern und Jugendlichen zunehmend von Übergängen und Brüchen begleitet wird. Kinder von heute müssen auf lebenslanges Lernen in einer medienbestimmten Welt vorbereitet werden. Dabei müssen sie zunehmend mit Diskontinuität umgehen und die aus Übergängen resultierenden Anforderungen bewältigen. Demnach ist dem Erwerb von Kompetenzen zur Aneignung und Erschließung von Wissen ebenso wie zur individuellen Lebensbewältigung eine zunehmende Bedeutung einzuräumen. Dabei erscheint es insbesondere erforderlich, die Gestaltung von Bildungsprozessen an der Komplexität von Lernen auszurichten und ein über die Grenzen von Institutionen hinausgehendes Bildungsverständnis zu Grunde zu legen. Ein solches Bildungsverständnis beachtet die Vernetzung unterschiedlicher Lernorte ebenso wie die Integration formaler und informeller Bildung. 6

Die Eigenverantwortung des Individuums bei der Gestaltung des eigenen Bildungsprozesses im Bildungssystem erhält eine wesentliche Verstärkung. Kindertageseinrichtungen sind Einrichtungen, die eine Schnittstelle zwischen formaler und informeller Bildung bilden. Daher ist es die Aufgabe von Fachkräften in diesem Bereich, Bildungsprozesse herauszufordern, zu unterstützen, zu steuern und dabei aber die Eigenaktivität von Kindern zu fördern, sie zu begeistern und zu motivieren. Eltern als Erziehungspartner sollen sich hierbei ebenso angesprochen fühlen. Für die Diskussion um die Gestaltung von Bildungsarrangements wird erstens davon ausgegangen, dass Kinder sich selbst von Geburt an bilden und dass Bildung im lebenslangen Dialog mit Anderen wie auch mit der Umwelt stattfindet. Zweitens benötigen Kinder für die Gestaltung des Bildungsprozesses die Unterstützung von Erwachsenen, emotionale Sicherheit (Zuwendung, Vertrauen, Anerkennung, Wertschätzung...) sowie immer wieder neue Herausforderungen. Der Beitrag von Erwachsenen bei der gemeinsamen Gestaltung von Bildungsprozessen mit Kindern und Jugendlichen kann sehr vielfältig sein. Diese Prozesse werden in erster Linie bestimmt durch die gesellschaftlich zugewiesenen Aufgaben und Funktionen des Erwachsenen und natürlich durch seine Beziehung zum Kind. Die Institutionen Schule und Jugendhilfe definieren ihren Bildungsauftrag zunächst aus ihren gesetzlichen Grundlagen heraus. Was das bei einer ganzheitlichen Betrachtungsweise der Zielgruppe Kind für die Ausgestaltung bedeutet, muss im Rahmen strategischer und konzeptioneller Überlegungen gemeinsam erörtert werden. Mit der Vereinbarung Zur Kooperation von Kindergarten und Grundschule liegt in Sachsen für die pädagogischen Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen und Grundschulen ein Arbeitsmaterial vor, das als arbeitsfeldübergreifende Orientierung zur Umsetzung des Bildungsauftrages zu verstehen ist. Die aufgeführten Entwicklungsbereiche eröffnen den Zugang zur Ausbildung von Schlüsselkompetenzen. Das Zusammenleben von Kindern in Kindertageseinrichtungen fordert den Erwerb solcher bewusst heraus. Um so wichtiger ist es, dass Schule später dort anknüpfen kann und darauf aufbaut. Mit dem vorliegenden Curriculum zur Fortbildung der pädagogischen Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen legt der Landesarbeitskreis Zum Bildungsauftrag in Kindertageseinrichtungen eine weitere Grundlage zur qualifizierten Umsetzung des Bildungsauftrages der Einrichtungen vor. 7

Dabei wird an vielfältige Erfahrungen aus unterschiedlichen Modellprojekten sowie an die Erkenntnisse bundesweiter Debatten zur Bildung in früher Kindheit wie auch zur Qualifizierung der Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern angeknüpft. Anliegen dieses Curriculums ist es deshalb, die Weiterentwicklung der bisherigen Prozesse zu sichern, aber auch neue Diskussionen anzuregen. Den Qualifikationsstand der Erzieher/-innen aufgreifend sowie den Stand der Qualitätsentwicklung in den Einrichtungen berücksichtigend, fokussiert das vorliegende Curriculum die Besonderheiten der Bildungsprozesse in früher Kindheit. Die Qualifizierung der Professionellen zielt auf eine pädagogische Arbeit, die am Wesen des Kindes und an seinen Lebensverhältnissen ansetzt, aber auch am Wandel in der Gesellschaft ausgerichtet ist. Die Fachkräfte sind aufgefordert, sich kontinuierlich mit den sich verändernden Anforderungen an ihre Arbeit auseinander zu setzen, neue wissenschaftliche Erkenntnisse in ihrem Handeln umzusetzen und dabei Erfahrungen der Praxis zu integrieren. Die Arbeit mit verschiedenen Instrumenten und Methoden bei der Umsetzung des Bildungsauftrages vor dem Hintergrund der Vielfalt der Träger- und Einrichtungskonzepte sind Aufgaben, denen sich die Mitarbeiter/-innen zu stellen haben. Fortbildung ist ein wesentlicher Aspekt, der die Entwicklung der Qualität der pädagogischen Arbeit unterstützt, so dass es letztlich gelingen kann, allen Kindern in sächsischen Tageseinrichtungen gleiche Bildungs- und damit Entwicklungschancen einzuräumen. Dabei gilt es auch, die Wahrnehmung der spezifischen Verantwortung von Trägern, Pädagoginnen/-pädagogen und Eltern für Qualitätsentwicklung in den Kindertageseinrichtungen stärker auszuprägen. Damit eröffnet sich die Chance für die Einrichtungen, eine Kultur des kooperativen Zusammenwirkens und partnerschaftliche Beziehungen aufzubauen. 8

2. Rechtsrahmen für den B I L D U N G S A U F T R A G In dem Sächsischen Gesetz zur Förderung von Kindern in Kindertageseinrichtungen (Gesetz über Kindertageseinrichtungen SächsKitaG) vom 27. November 2001 wird, noch deutlicher als in den Vorgängergesetzen, der eigenständige und umfassende Betreuungs-, Bildungs- und Erziehungsauftrag festgeschrieben. Dieses eindeutige Bekenntnis in Form einer rechtlichen Verankerung für einen eigenständigen und umfassenden Betreuungs-, Bildungs- und Erziehungsauftrag der Einrichtungen findet sich in so deutlicher Ausprägung noch im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB), dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (GG) und in der Verfassung des Freistaates Sachsen wieder. Indem Bildung ein solcher Stellenwert zugewiesen wird, dokumentiert der Freistaat Sachsen auch die Übernahme seiner eigenen Verantwortung für Bildung in beispielgebender Weise. Das im BGB verankerte Familienrecht regelt neben der Pflicht und dem Recht zur elterlichen Sorge auch den Umgang des Kindes mit anderen Personen, zu denen das Kind Bindungen besitzt. Hier ist das Wohl des Kindes das Maß der Dinge. Im Artikel 1 GG steht, dass alle im GG aufgeführten Grundrechte als unmittelbar geltendes Recht wirken. Daran schließt im Artikel 2 das Recht eines Jeden auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit. Für Kinder und Jugendliche gilt dieses Recht selbstverständlich auch. Kinder und Jugendliche haben hierbei ein Recht auf Hilfe, Unterstützung und Begleitung durch Eltern, Familien sowie weitere geeignete Personen und Institutionen; formalrechtlich gilt das bis zur Volljährigkeit. Artikel 6 GG bestimmt, dass die Pflege und Erziehung der Kinder ein natürliches Recht der Eltern und eine den Eltern zuvörderst obliegende Pflicht sei. Damit ist nicht ausgeschlossen, dass Eltern und Familien bei der Wahrnehmung ihres Pflege- und Erziehungsrechts und der Ausübung ihrer diesbezüglichen Pflichten Unterstützung und Begleitung in Anspruch nehmen können. In der Verfassung des Freistaates Sachsen sind die Grundrechte, die aus dem GG übernommen wurden, in den Artikeln 14 38 festgeschrieben. Artikel 22 enthält die Grundrechte der Ehe und Familie. Im Absatz 2 des Artikel 22 der sächsischen Verfassung gibt es eine Besonderheit. Dort ist festgeschrieben: Wer in häuslicher Gemeinschaft Kinder erzieht oder für Hilfsbedürftige sorgt, verdient Förderung und Entlastung. Im Umkehrschluss ist Kindererziehung auch außerhalb von häuslicher Gemeinschaft legitim. 9

Das Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) ist das Regelwerk des Bundes, das für die Sorge um das Wohl der Kinder und Jugendlichen wichtige Normen enthält. Es unterstützt die Personen und Institutionen, die sich für die Belange von Kindern, Jugendlichen und Familien engagieren und bietet Entscheidungshilfen für eine begründete Förderung und angemessene Forderung in den unterschiedlichen Bereichen der Jugendhilfe. Der 1 des KJHG ist die Weg weisende Norm für alle, die Verantwortung für die Betreuung, Bildung und Erziehung von jungen Menschen tragen. Die Paragrafen 22 bis 25 3. Abschnitt KJHG enthalten die maßgeblichen Normen zur Förderung der organisierten Tagesbetreuung, Erziehung und Bildung von Kindern. Der 26 KJHG (Ländervorbehalt) ermächtigt die Bundesländer, Regelungen zu Inhalt und Umfang der in diesem Abschnitt festgeschriebenen Aufgaben und Leistung zu treffen, weil mit dem Ländervorbehalt - den unterschiedlichen Gegebenheiten in den Ländern besser Rechnung getragen werden kann. Wie bereits angeführt, ist im 2 Abs. 3 SächsKitaG der eigenständige und umfassende Betreuungs-, Bildungs- und Erziehungsauftrag der Einrichtungen festgeschrieben. Damit werden die Kindertageseinrichtungen verpflichtet, Bildungsangebote zu gestalten. Ein wichtiges Ziel für den Kindergartenbereich ist in diesem Zusammenhang die Vorbereitung der Kinder auf die Grundschule. Eine gute theoretische Grundlage für die Realisierung dieses Ziels ist die gemeinsame Vereinbarung des Sächsischen Staatsministeriums für Soziales (SMS) und des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus (SMK) zur Kooperation von Kindergarten und Schule. Mit dieser Vereinbarung gehen beide Fachministerien von einem gemeinsamen Grundverständnis von Bildung und Erziehung aus. Anknüpfend an das Vorhaben, Kooperationsvereinbarungen zwischen Kindertageseinrichtung und Grundschule zur besseren Gestaltung des Übergangs in die Schule zu treffen, haben das SMS und das SMK vor, eine gemeinsame Vereinbarung für die Zusammenarbeit der Erzieherfachschulen und den Trägern der Praxiseinrichtungen zu schließen. Grundlage für diese neuen Wege der Zusammenarbeit sind die Beschlüsse der Kultusministerkonferenz und der Jugendministerkonferenz. Diese Beschlüsse verpflichten beide Fachministerien, fest verankerte Strukturen 10

zur Umsetzung der Rahmenvereinbarung für die Ausbildung und Prüfung von Erzieherinnen und Erziehern zu schaffen und Möglichkeiten der Vernetzung der Strukturen verschiedener Verantwortungsträger zu suchen. Konkret geht es bei der Rahmenvereinbarung um eine Reform der Erzieherausbildung. Kern der Reform ist die Ausgestaltung von Lernort Schule und Lernort Praxis. In Sachsen werden diese Anforderungen zukünftig auf der Grundlage eines lernfeldstrukturierten Lehrplanes umgesetzt. Die Verzahnung von Theorie und Praxis soll dabei durch den Wechsel von Schul- und Praxisblöcken realisiert werden. 3. Zum Curriculum Um die Ziele des Curriculums umsetzen zu können, bedarf es einer Grundhaltung, in welcher das Kind als konstruierendes Kind anerkannt wird. In der Konsequenz heißt das, sich selbst auch als Forscher zu verstehen. In diesem Sinne sind die Inhalte des Curriculums nicht in Form einer Beschulung zu vermitteln. Der Erwachsene soll angeregt werden, auf der Grundlage seiner Erfahrungen sein berufliches Handeln zu reflektieren, sich handlungsorientiert Wissen anzueignen und dabei eigene Selbstbildungsprozesse erfahren. Das Curriculum versteht sich als ein Konzept für die Fortbildung von Erzieher/-innen und Leiter/-innen sowie deren fachliche Beratung. Es umfasst 240 Stunden und untergliedert sich in 7 Module. Die ausgewiesenen Stundenzahlen für die Module sind als Orientierung zu verstehen und entsprechend des Fortbildungsbedarfes der Teilnehmer/-innen flexibel zu gestalten. Dabei ist ein übergreifendes Bearbeiten der Module möglich. Die sozialpädagogischen Inhalte, die in den gesellschaftlichen Kontext zu setzen sind, sollen sich am aktuellen Stand der Bildungsdebatte orientieren. Die Fortbildung wird mit einem Zertifikat abgeschlossen. Die Zertifizierung erfolgt auf der Grundlage der Dokumentation eines Prozesses in einem konzeptionellen Teilbereich, welches an einem Beispiel die Realisierung des Kompetenzzuwachses beschreibt, sowie einem Kolloquium in Form einer Präsentation 11

4. Modularer Aufbau des Curriculums I. Modul Kindheit und Bildung im gesellschaftlichen Kontext Zeitrichtwert: 32 Stunden Zielstellung: Die pädagogischen Fachkräfte beschäftigen sich mit unterschiedlichen Perspektiven auf Bildungsprozesse in früher Kindheit und leiten aus der Auseinandersetzung mit wissenschaftlichen Erkenntnissen und politischen Zielsetzungen Handlungsanforderungen für ihre eigene Arbeit ab. Sie reflektieren ihre eigene Bildungsbiografie und positionieren sich zur Bedeutung von Bildung in und für die Biografie jedes einzelnen. In der Auseinandersetzung mit historischen und aktuellen Kindbildern in der Gesellschaft entwickeln sie ihr eigenes Bild vom Kind ständig weiter. Die Entwicklung ihrer Professionalität richten pädagogische Fachkräfte auch auf die Umsetzung des Bildungsauftrages in ihren Einrichtungen. Entlang der jeweiligen Konzeptionen der Einrichtungen leiten sie daraus eigene Handlungsmaximen für die Gestaltung von Bildungsprozessen gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen ab. Pädagogische Fachkräfte setzen sich mit den gesellschaftlichen Bildungsund Erziehungszielen auseinander, reflektieren deren gesellschaftspolitische und werteorientierende Dimensionen und werden sich der politischen Verantwortung ihrer sozialpädagogischen Tätigkeit bewusst. Inhaltliche Schwerpunkte: Berichte zur gesellschaftlichen Situation: national und international Studien zur Bildungssituation von Kindern Beschlüsse, Statements u.a. von Fachgremien und Institutionen zur Bildungsdebatte, (z. B. Forum Bildung, Bundeskuratorium, Kultusministerkonferenz, Jugendministerkonferenz) Wissenschaftliche Untersuchungen und Ergebnisse (z. B. Bundesmodellprojekt Zum Bildungsauftrag von Kindertageseinrichtungen ) 12

Aktuelle Entwicklungen zur Bildungsdebatte im Bereich Kindertageseinrichtungen, z. B. Nationale Qualitätsinitiative, Entwicklung von Bildungsplänen Kindheit als gesellschaftliches Konstrukt Kindbilder im Kontext pädagogischer Konzeptionen Sozialökologischer Ansatz Sozialisation und Biografie Methodische Hinweise: Für die Arbeit in diesem Modul bieten sich folgende Methoden an: Selbststudium Gruppenarbeit Exzerpterstellung Präsentation Dokumentation Video Empfehlungen für den Einsatz audio-visueller/elektronischer und anderer Lehrmaterialien Bundesministerium für Bildung und Forschung (Hrsg.): Potentiale Dimensionen der Wissenschaftlichen Auswirkung auf Bildungsprozesse und Bildungsstrukturen. Delphi-Befragung. Bonn 1998 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.): Zukunftsfähigkeit sichern! Für ein neues Verständnis von Bildung und Jugendhilfe. Bonn 2001 Arbeitsstab Forum Bildung (Hrsg.): Empfehlungen des Forum Bildung. Forum Bildung 2001 Videofilme: Donata Elschenbroich, Otto Schweizer, Deutsches Jugendinstitut: - Das Rad neu erfinden, 1999 - Das Jahrhundert des Kindes, 1999 - Erzieherinnenporträts, 2002 Die Inhalte, welche zur Bearbeitung des gesellschaftlichen Kontexts verwendet werden, sollten eine ständige Aktualisierung erfahren und damit den zeitgemäßen Stand der Bildungsdebatte widerspiegeln. 13

II. Modul Bindungen als Grundlage kindlicher Bildungsprozesse Zeitrichtwert: 20 Stunden Zielstellung: Pädagogische Fachkräfte gestalten die Beziehung zu Kindern im Bewusstsein der Bedeutung von Bindung für die kindlichen Bildungsprozesse. Sie lassen sich in ihrem Handeln von einer empathischen Grundhaltung leiten, betrachten Bindung als Eingang in ein System wechselseitiger Anerkennung und stellen die individuellen Bindungsbedürfnisse der Kinder in den Mittelpunkt. Sie berücksichtigen dabei die biografische Situation des Kindes. In ihrer Verantwortung für die Gestaltung förderlicher Rahmenbedingungen stellen sie sich als Bindungsperson zur Verfügung. Inhaltliche Schwerpunkte: Grundlagen der Bindungstheorie: Bindungsmuster, Interaktionsformen, Aufbau, Verhältnis von Bindung und Exploration Eingewöhnungsphase, Bedeutung und Gestaltung, Zusammenarbeit mit Eltern Konzept der wechselseitigen Anerkennung Co-Konstruktion Gruppenstrukturen (Peerbeziehungen, gruppendynamische Prozesse) Methodische Hinweise: Reflektion eigener Handlungsfelder Theorieinputs (Bindungstheorie) Kindbeobachtungen Dokumentation eines Eingewöhnungsprozesses und Reflexion in der Lerngruppe 14

Empfehlungen für den Einsatz audio-visueller/elektronischer und anderer Lehrmaterialien Leu, H.-R. (1998) : Zum Konzept der wechselseitigen Anerkennung. In: Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg (Hrsg.): Auf dem Weg zu einem Bildungsauftrag für Kindertageseinrichtungen. Dokumentation der 1. Fachtagung des Modellprojektes: Zum Bildungsauftrag von Kindertageseinrichtungen. Berlin, Potsdam, S. 12-23 Barth, K., Mende, H.-G.: Was brauchen Kinder, um sich seelisch gesund zu entwickeln? Kinder Tageseinrichtungen aktuell Mo, Heft 10, Kronach 2001 Frick, J.: "Trotz allem" eine starke Persönlichkeit - Schützende Faktoren in Kindheit und Jugend. Kindergarten heute, Heft 6, Freiburg 1998 Laewen, H.-J., Andres, B., Hedervari, E.: Die ersten Tage - Ein Modell zur Eingewöhnung in Krippe und Tagespflege. Beltz Verlag, 4. Auflage 2002 Laewen, H.-J., Andres, B., Hedervari, E.: Ohne Eltern geht es nicht. Beltz Verlag 2000 infans (Hrsg): Die ersten Tage in der Krippe. Kommentierte Videodokumentation zweier Eingewöhnungsverläufe, Berlin 15

III. Modul Kindliche Entwicklung aus konstruktivistischer Sicht Zeitrichtwert: 20 Stunden Zielstellung: Aus Kenntnis der systemisch-konstruktivistischen Sichtweise auf kindliche Entwicklung fordern pädagogische Fachkräfte Selbstbildungsprozesse bei Kindern heraus und schaffen die dafür benötigten personalen, zeitlichen und räumlich-materiellen Bedingungen. Inhaltliche Schwerpunkte: Erkenntnisse aus der Gehirnforschung und Neurobiologie Entwicklungsbereiche o sozial-emotionale Entwicklung, o kognitive Entwicklung, o sprach-kommunikative Entwicklung, o körperlich-motorische Entwicklung, o alltags- und themenorientiertes Wissen, o musisch-künstlerische Entwicklung Lerntheorie aus systemisch-konstruktivistischer Sicht Zur Beachtung: Die Entwicklung von Kindern vollzieht sich komplex und niemals linear. Dennoch halten wir es für wichtig, dass die o. g. Entwicklungsbereiche differenziert betrachtet werden. Methodische Hinweise: Beobachtungsübungen zum Thema konstruierendes Kind (Einzel- und Gruppenbeobachtung), DVD Lernspuren Gruppenarbeit Reflexion in der Gruppe Selbststudium Vortrag/Diskussion Lernwerkstatt, Lernerfahrungen Literaturstudium 16

Empfehlungen für den Einsatz audio-visueller/elektronischer und anderer Lehrmaterialien Schäfer, G.: Bildungsprozesse im Kindesalter. Weinheim, München 1995. Schäfer, G.: Bildung beginnt mit der Geburt. Beltz-Verlag: Weinheim, Basel, Berlin, 2. Auflage, 2002 Singer, W.: Wie kann ein Mensch was lernen? Vortrag anlässlich des ersten Werkstattgesprächs der Initiative Mc Kinsey bildet, Frankfurt/Main am 12. Juni 2001 Spitzer, M.; Lernen, Gehirnforschung und die Schule des Lebens. Heidelberg, Berlin, Akademischer Verlag 2002 Oerter, R., Noam, G.: Der konstruktivistische Ansatz. In: Oerter, R. (Hrsg.): Klinische Entwicklungspsychologie. Weinheim, S. 45-48, 1999 Textor, M.: Der konstruktivistische Ansatz. Kindergartenpädagogik online, Handbuch 17

IV. Modul Kindliche Bildungsprozesse beobachten, analysieren, gestalten, reflektieren und dokumentieren Zeitrichtwert: 80 Stunden Zielstellung: Pädagogische Fachkräfte respektieren die kindliche Aktivität und Kreativität. Sie begreifen Bildungsprozesse von Kindern als aktives, selbstgestaltetes Geschehen. Daraus leiten sie ihre Verantwortung als Co- Konstrukteure ab. Sie initiieren vielfältige Bildungsanlässe und regen damit Bildungs- und Entwicklungsprozesse an. Auf der Grundlage einer sicheren Beobachtung planen, gestalten, begleiten, reflektieren und dokumentieren sie Bildungsprozesse. Dabei nutzen sie vielfältige Methoden und Medien. Pädagogische Fachkräfte übernehmen die Verantwortung für die gemeinsame Gestaltung der Prozesse, sie beziehen vor allem Eltern kontinuierlich ein. Inhaltliche Schwerpunkte: Beobachtung (Beobachtungsformen, Beobachtungssituationen, Beobachtungsinstrumente, Rolle des Beobachters, Beobachtungsschwerpunkte, Kollegiale Beratung, Datenschutz) Bildungsrahmen gestalten: Themen der Kinder erkennen, Themen zumuten, Freiwilligkeit, Interessen wahrnehmen, Gesprächsführung mit Kindern lernen, Bildungsbiografien von Kindern erkennen Planung von pädagogischen Prozessen Gestalten von Lernsituationen im Alltag, im Spiel, als Angebot und in Projekten (Alltagssituationen als Lernsituation nutzen), Rahmenbedingungen gestalten: Personen, Material, Zeit, Erfahrungsräume (z. B. Lernwerkstatt, Atelier) Dokumentation der kindlichen Entwicklung, Umgang mit den Produkten von Kindern Dokumentation der pädagogischen Arbeit: Entwicklungsgespräche mit Eltern, Präsentation von Lernergebnissen der Kinder, Portfolio Grundhaltungen von Erzieher/-innen bearbeiten, um Selbstorganisation bei Kindern zu ermöglichen und herauszufordern 18

Methodische Hinweise: Übungen zum Beobachtungsverfahren Reflexion der Beobachtung Interview, Kollegiale Beratung, Einsatz von Technik/Medien Werkstattarbeit Vortrag/Diskussion Biografiearbeit Literaturstudium Zur Beachtung: Die Beobachtungsinstrumente sind als Orientierungshilfe zu verstehen. Dabei stehen die Stärken im Vordergrund. Den individuellen Entwicklungsunterschieden der Kinder ist Rechnung zu tragen. Empfehlungen für den Einsatz audio-visueller/elektronischer und anderer Lehrmaterialien Prof. Dr. Beller, E. K. & Beller, S.: Kuno Bellers Entwicklungstabelle. Modifizierte Fassung vom Juli 2000, 2. Auflage 2002 Laewen, H.-J.: Grenzsteine der Entwicklung als Instrument der Früherkennung von Auffälligkeiten von Kindern in Kindertagesstätten. In: Siepmann, G. (Hrsg.): Frühförderung im Vorschulbereich. Frankfurt/Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, S. 67 69. Laewen, H.-J., Andres, B. (Hrsg.): Forscher, Künstler, Konstrukteure. 2000, Weinheim, Berlin, Basel, Beltz-Verlag Leu, H.R. : Bildungs- und Lerngeschichten von Kindern. Zum Bildungsauftrag von Kindertagesstätten. In: DJI Bulletin, 2002 Heft 60/61, S. 8-12: Sächsisches Staatsministerium für Soziales, Gesundheit, Jugend und Familie (Hrsg.): Praxis für Praxis. Dresden 2002 19

V. Modul Das Team als Lern-, Entwicklungs- und Kooperationsgemeinschaft Zeitrichtwert: 24 Stunden Zielstellung: Pädagogische Fachkräfte begreifen die Zusammenarbeit im Team als wesentliche Grundlage für eine erfolgreiche und qualifizierte Arbeit in Kindertageseinrichtungen und für eine förderliche Arbeitsatmosphäre. Pädagogische Fachkräfte verstehen sich als Teil eines Teams und bringen ihre individuellen Ressourcen in die verschiedenen Prozesse der Kindertageseinrichtung ein. Sie nutzen die Teamarbeit, um den Bildungsauftrag in ihren Einrichtungen professionell und kompetent zu verwirklichen. Dabei gehen sie von gesellschaftspolitischen Anforderungen und aktuellen Gegebenheiten im Territorium aus. Sie wenden gemeinsam Instrumente zur Evaluation und Dokumentation von Bildungsprozessen an. Auftretenden Konflikte bei der Prozessgestaltung begegnen sie mit angemessenen Strategien. Inhaltliche Schwerpunkte: Entdecken der eigenen Individualität durch Biografiearbeit und Arbeit an den persönlichen Ressourcen Gruppendynamische Prozesse gestalten, Veränderungen im Team, Rollen und Funktionen im Team, Konfliktmanagement, Arbeitsorganisation Konzepte in Bezug auf die Anforderungen des Bildungsauftrages entwickeln Qualitätsmanagement, verschiedene Evaluations-, Dokumentationsund Reflexionsmethoden auswählen, kennen und anwenden lernen Methodische Hinweise: Selbsterfahrung durch Biografiearbeit Reflexion des eigenen Arbeitsfeldes Üben von unterschiedlichen Moderations- und Präsentationstechniken Gesprächsführung zu unterschiedlichen Inhalten, Rollenspiele 20

Empfehlungen für den Einsatz audio-visueller/elektronischer und anderer Lehrmaterialien Schmid, B., Fauser, P.: Teamentwicklung aus systemischer Sicht. 2004 Bongard, B., Schwarzkopf, F. Viele Ideen - ein Profil. 2000 Fthenakis, W. E., Hanssen, K., Oberhuemer, P., Schreyer, I. (Hrsg.): Träger zeigen Profil. Qualitätshandbuch für Träger von Kindertageseinrichtungen. 2003 Musiol, M.: Biografizität als Bildungserfahrung. In: Laewen, H.-J., Andres, B. (Hrsg): Bildung und Erziehung in der frühen Kindheit Bausteine zum Bildungsauftrag von Kindertageseinrichtungen. Neuwied, Kriftel, Berlin 2002. Preissing, C. (Hrsg.): Qualität im Situationsansatz. Qualitätskriterien und Materialien für die Qualitätsentwicklung in Kindertageseinrichtungen. 2003 Strätz, R., Hermens, C., Fuchs, R., Kleinen, K., Nordt, G.: Qualität für Schulkinder in Tageseinrichtungen. Ein nationaler Kriterienkatalog. Beltz-Verlag, 2003 Tietze, W., Viernickel, S. (Hrsg.): Pädagogische Qualität in Tageseinrichtungen für Kinder. Ein nationaler Kriterienkatalog. Beltz-Verlag, 2003 21

VI. Modul Erziehungspartnerschaft Zeitrichtwert: 30 Stunden Zielstellung: Pädagogische Fachkräfte praktizieren eine auf Respekt und Vertrauen aufbauende Erziehungspartnerschaft mit Eltern und anderen Bezugspersonen der Kinder. Sie nutzen zur Beteiligung von Eltern verschiedene Formen, beziehen die vielfältigen Lebensmuster sowie Zeit- und Arbeitsstrukturen ein und unterbreiten entsprechend unterstützende Angebote. Inhaltliche Schwerpunkte: Gesetzliche Handlungsrahmen kennen und anwenden Zusammenarbeit mit Elternvertretungen Methoden der Elternarbeit Gesprächsführung Beschwerdemanagement Pädagogische Anliegen transparent gestalten Eltern als Co-Akteure anerkennen Elternbeteiligung Elternberatung und -bildung Methodische Hinweise: Praktische Übungen zur Gesprächsführung Rollenspiele Werkstattarbeit Projekte Gruppenarbeit Reflexion der Praxis Zur Beachtung Im Rahmen des sächsischen Modellprojektes Familienbildung in Kooperation mit Kindertageseinrichtungen wurde ein Curriculum zur Erziehungspartnerschaft entwickelt, welches methodisch zur Bearbeitung der Inhalte eingesetzt werden kann (siehe Anlage). 22

Empfehlungen für den Einsatz audio-visueller/elektronischer und anderer Lehrmaterialien Dusolt, H.: Elternarbeit. Ein Leitfaden für den Vor- und Grundschulbereich. Beltz Verlag, 2. Auflage 2004 Sächsisches Landesamt für Familie und Soziales (Hrsg): Abschlussbericht zum Modellprojekt Familienbildung in Kooperation mit Kindertageseinrichtungen. 2004 Sächsisches Landesamt für Familie und Soziales (Hrsg): Zwischenbericht zum Modellprojekt Familienbildung in Kooperation mit Kindertageseinrichtungen. 2003 Sächsisches Staatsministerium für Soziales, Gesundheit, Jugend und Familie (Hrsg.): Praxis für Praxis. Dresden 2002 Textor, M.: Kooperation mit den Eltern. Don Bosco Verlag, 2000 23

VII. Modul Kooperation als Herausforderung bei der Gestaltung von Bildungsprozessen Zeitrichtwert: 34 Stunden Zielstellung: Ausgehend von gesellschaftlichen Bildungs- und Erziehungszielen arbeiten pädagogische Fachkräfte mit unterschiedlichen Professionellen zusammen. Dabei übernehmen sie Verantwortung für die Gestaltung von Übergängen. Sie entwickeln in Kooperation mit der Grundschule geeignete Formen, um Kinder beim Übergang von der Kindertagesstätte in die Grundschule zu unterstützen. Sie nutzen vorhandene Netzwerkstrukturen und bauen diese sozialraumbezogen aus. In Orientierung am sozialpädagogischen Auftrag der Kindertagesstätte beteiligen sie sich an Planungsprozessen im Gemeinwesen und präsentieren ihre Einrichtung als Bildungseinrichtung. Inhaltliche Schwerpunkte: Kooperation Kindertageseinrichtung und Grundschule Übergang Kindertageseinrichtung/Grundschule, Gestaltung der Schuleingangsphase Formen der Zusammenarbeit zwischen Kindertageseinrichtung und Grundschule (Entwicklungsgespräche, Projekte, Werkstattarbeit) Kindertageseinrichtung als Bestandteil des Gemeinwesens Kindertageseinrichtung als Bildungsstätte Erziehungspartnerschaften im Netzwerk Methodische Hinweise: Werkstattarbeit, z.b. Entwerfen einer Kooperationsvereinbarung, Sozialraumanalyse Arbeit mit Fallbeispielen Auswertung von Erfahrungsberichten Rollenspiele 24

Empfehlungen für den Einsatz audio-visueller/elektronischer und anderer Lehrmaterialien Sächsisches Staatsministerium für Soziales (Hrsg.): Zur Kooperation von Kindertageseinrichtungen und Grundschule. Dresden, 2003 Sächsisches Staatsministerium für Soziales, Gesundheit, Jugend und Familie (Hrsg.): Praxis für Praxis. Dresden 2002 Sächsisches Landesamt für Familie und Soziales (Hrsg.): Mit Kindern Hort machen. Chemnitz, 2000 Sächsisches Landesamt für Familie und Soziales (Hrsg.): Mit Kindern Hort machen Abschlussbericht. Chemnitz, 2001 Sächsisches Landesamt für Familie und Soziales (Hrsg.): Mit Kindern Hort machen Dokumentation zur Ausstellung Starke Typen in sächsischen Horten. Chemnitz, 2001 25

5. Erfahrungsberichte aus der Praxis Ausgangspunkt für die Bildungsdebatte in Sachsen war das Bundesmodellprojekt Zum Bildungsauftrag von Kindertageseinrichtungen, welches in Zusammenarbeit mit den Ländern Brandenburg, Sachsen und Schleswig-Holstein durchgeführt wurde (Projektzeitraum 01.07.1997-30.06.2000). Projektträger war das Institut für angewandte Sozialisationsforschung früher Kindheit e.v., Berlin, unter der Leitung von Hans-Joachim Laewen. In dem Projekt wurden vorhandene und neue Forschungsergebnisse zusammengeführt, insbesondere in den Bereichen Entwicklungspsychologie, Frühsozialisation, Lerntheorien, gesellschaftliche Entwicklung und Pädagogik. In dem sich anschließenden sächsischen Landesprojekt zur Implementierung der Ergebnisse des Bundesprojektes Zum Bildungsauftrag von Kindertageseinrichtungen (Projektzeitraum 01.09.2000-31.12.2001), welches durch das Sächsische Staatsministerium für Soziales gefördert wurde, konnten die Inhalte des Bundesmodellprojektes einer breiten Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden. In der Weiterführung starteten 2002 die Stadt Dresden, Eigenbetrieb Kindertageseinrichtungen, und die Stadt Leipzig modellhaft eine Qualifizierungsoffensive für die Leiter/-innen und Erzieher/-innen von Kindertageseinrichtungen. Beide Projekte wurden wissenschaftlich begleitet. Sie wurden gefördert durch das Sächsische Staatsministerium für Soziales und fachlich unterstützt durch das Sächsische Landesjugendamt. Die Projekte hatten zum Ziel, Vorschläge zur Ausgestaltung von Weiterbildungsangeboten zu entwickeln. Die dabei gesammelten Erfahrungen finden sich in diesem Curriculum wieder. In den folgenden Berichten werden aus unterschiedlichen Perspektiven (Vermittler, Praxisbegleiterin, Trägervertreterin) die individuellen Erfahrungen aus den Projekten gespiegelt. 26

5.1. Modellprojekt zur Implementierung des Bildungsauftrages in Leipziger Kindertagesstätten Laufzeit des Projekts 01.08.2002 bis 31.07.2005 Projektträger Stadt Leipzig, Jugendamt Projektleitung Dipl.-Pädagogin Stefanie Gödert Wissenschaftliche Begleitung Prof. Dr. Stefan Danner Dipl.-Sozialarbeiterin/Sozialpädagogin Martina Kramer Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur der Stadt Leipzig. Das Modellprojekt zur Implementierung des Bildungsauftrages in Leipziger Kindertagesstätten hat das Anliegen, die Kindertageseinrichtungen der Stadt Leipzig zu modernen Bildungseinrichtungen zu entwickeln. Durch gezielte Fortbildungsmaßnahmen will das Jugendamt Leipzig Innovationsprozesse in Kindertageseinrichtungen anstoßen, Umsetzungsprozesse unterstützen sowie die Projektergebnisse flächendeckend als fachliche Standards in die Kindertageseinrichtungen der Stadt implementieren. Wissenschaftliche Grundlage des Modellprojekts sind die Erkenntnisse aus dem Bundesmodellprojekt Zum Bildungsauftrag von Kindertageseinrichtungen (1997-2000). Zunächst wurde ein Curriculum für die Qualifizierung der pädagogischen Fachkräfte (Fachberater/-innen, Erzieher/-innen und Leiter/-innen) in den Leipziger Kindertageseinrichtungen entwickelt. Durch die Praxisbegleitung in sechs ausgewählten Modelleinrichtungen werden die Teams in die Lage versetzt, ihr Handeln in Bezug auf die Selbstbildungsprozesse der Kinder zu überprüfen und zu verändern. Die wissenschaftliche Begleitforschung hat die Aufgabe, während der Projektphase die in Gang gesetzten Effekte systematisch zu untersuchen. Im Ergebnis des Modellprojektes wird ein verändertes Bildungsverständnis bei den Erzieher/-innen erwartet, welches messbare positive Auswirkungen auf die pädagogische Arbeit mit Kindern zeigt. Auf der Basis aktueller Forschungsergebnisse werden Qualifizierungsstandards entwickelt und die Erfahrungen bezüglich der Umsetzung der Fortbildungsmaßnahme multipliziert. 27

5.1.1 Entwicklung von Identität in Abgrenzung zu Identifikation - Anforderungen an die Ermöglicher - Dipl.-Psychologe Dr. Marcus Stück Wenn mich jemand fragt, wie ich im Rahmen der Curriculum-Ausbildung als Diplom-Psychologe arbeite, dann sage ich ihm: Ich bin kein Referent oder Dozent, denn das würde bedeuten ich referiere über etwas. Ich bin auch kein Trainer, denn das würde bedeuten ich trainiere eine spezifische, mir bekannte Zielgröße. Sondern ich bin Ermöglicher. Ich ermögliche mit meiner Arbeit die Entwicklung von Potentialen und fördere den Identitätsausdruck bei den Teilnehmer/-innen der Curriculum-Ausbildung. Ich trage nicht vor und die anderen konsumieren, das wäre Identifikation, sondern ich stimuliere, stelle Fragen, konfrontiere, forsche mit den anderen nach eigenen Antworten über sie selbst und helfe ihnen beim Antworten finden. Im psychologischen Fachchinesisch heißt das, ich fördere die Selbstreflexion. Ebenso wie die, die mir gegenüber sitzen, keine Erzieher/- innen sind, welch ein fürchterliches Wort, sondern Ermöglicher/-innen. Wobei sie Kindern die Möglichkeit geben ihre Potentiale zu entfalten und sich mit den Themen zu bilden, für die sie wirklich Interesse zeigen. Insofern ist es heute spannend Ermöglicher/-in zu sein, wenn man es schafft: Bildung bzw. die theoretischen Konstrukte der Bildungskonzeption wie Situationsansatz, wechselseitige Anerkennung, Ko-Konstruktion, komplexe Wahrnehmung, Selbstbildung bewusst zu (er)leben und (vor) zu leben, die täglichen Handlungen zu ent-automatisieren die eigene Identität als Erzieher/in zu erwerben in Abgrenzung zur Identifikation. Der Ansatz des Ermöglichers stammt von Rolando Toro, einem chilenischen Pädagogen und Anthropologen, der die Einstellung, dass das Leben im Mittelpunkt steht (biozentrisches Prinzip), in seinem pädagogischen Konzept (Biodanza 1 ) verwirklicht hat (s. Abb. 1). 1 Biodanza ist eine, von dem chilenischen Pädagogen R. Toro 1960 entwickelte gesundheitspsychologisch-präventiv wirkende Selbstregulationsmethode, die v. a. mit sensomotorischen, nonverbal-kommunikativen und emotionalen Erfahrungsebenen des Identitäts-Ausdrucks arbeitet. Dabei werden spezielle Übungen mit Tanzelementen und Musik für die Persönlichkeitsbereiche Vitalität, Affektvität, Kreativität, Sexualität und Transzendenz durchgeführt. 28

An der Förderung des Identitätsausdrucks setzt meine Arbeit in der Curriculum-Ausbildung der Bildungskonzeption an. Identität (lat. Selbigkeit) ist die Bewusstheit über das eigene Selbst bzw. über die eigenen Positionen und Rollen, die ich als Ermöglicher einnehme. Der Begriff Identität ist aufgrund seiner Komplexität ihrer Komponenten und Strukturen schwer fassbar und handhabbar. Die Identität hat eine biologische Genese, die von der Zellidentität (Immunologie) bis zu anderen Formen der psychischen und verhaltensmäßigen Identität reicht (u.a. sexuelle Identität, kreative Identität, selektive Identität). Das Wort Ermöglicher stammt aus der spanischen Sprache (span.: facilidador ). Rolando Toro (zit. in Garcia, 1997) beschreibt, dass jeder Mensch ein genetisches Potential in sich trägt, welches er im Verlauf des Lebens ausdrückt und im Ausdruck (der Handlung) seine Identität erkennt. Dieses Erkennen basiert nicht nur auf dem kognitiven Begreifen, sondern geschieht auch auf tieferen Identitätsebenen im Erlebnis (emotional, zellulär, regressiv). Die Umwelt gibt ihm die Möglichkeit dazu, je nachdem, ob er mit positiven Ökofaktoren (positive Bildungsfaktoren: u.a. sichere Bindung, wechselseitige Anerkennung, Situationsansatz, Liebe) aufwächst oder mit negativen Ökofaktoren (negative Bildungsfaktoren: u.a. Kritik, Verbote, Nicht-Akzeptanz, Vorgeben von Bildungsthemen). Das genetische Potential wird nach R. Toro erlebnisorientiert in den Bereichen Kreativität (Umgang mit Grenzen), Vitalität (Aktivität und Entspannung), Sexualität (Genuss), Affektivität (Empfindsamkeit, Empathie, Beziehung zum anderen) und Transzendenz (Beziehung zur Natur) zum Ausdruck gebracht. Ziel ist die Integration auf drei Ebenen: mit sich selbst, mit dem anderen und mit der Natur. Wie kann ich Identität entwickeln (Identitätsfaktoren)? Faktor 1: Identitätsentwicklung durch den Ausdruck dessen, was ich denke und fühle (reflexive Aktivität, aktives Tun): Nach Garcia (1999) erkenne ich mich selbst im bewussten momentanen Erlebnis und in der aktiven Handlung. Was ich tue, das bin ich, haben die Griechen es ausgedrückt und es als Poesis bezeichnet (Aristoteles). Um die Identität auszuprägen, muss ich Teilnehmer/-innen der Curriculum-Ausbildung darin bestärken, dass sie ihr Denken und Fühlen z.b. bzgl. ihrer Arbeit in Handlungen ausdrücken. D.h. sich im eigenen Erleben und Ausprobieren der neuen Bildungsaspekte im Alltag erkennen. Ein erster Schritt zum Tun ist das verbale Reflektieren über das, was Teilnehmer/-innen denken und empfinden zu den Themen der Curriculum-Module. Diese reflexive Aktivität beinhaltet das Nachdenken über die eigene Arbeit, durch das In-Fragestellen der eigenen Arbeit und der eigenen Position zu den neuen Aspekten der Bildungskonzeption. 29

Abb. 1 Das theoretische Modell zum Identitätsausdruck nach Toro (zit. in Garcia, 1997) Ich als Ermöglicher darf Ihnen diese reflexive Arbeit bzw. Innenschau nicht abnehmen, indem ich sie mit Vorträgen unterhalte weil ich es selbst nicht aushalte, wenn jemand nicht weiß, was er von sich aus produzieren möchte. Die reflexive Aktivität ist im Modell menschlicher Regulationsaktivitäten als internale Reflexionsaktivität beschrieben (s. Abb. 2) und ist ein wichtiger Faktor zur Herausbildung eigener Identität und die damit verbundene personale Stabilität, die sie im Alltag erfolgreicher agieren lässt (Schröder, 1999, Stück, 1998, 2000). 30

Soziale Regulation Subjekt sozialer Kontext Person Gegenstand Sachproblem Gruppe Sachbezogene Regulation Reflexive Aktivität Emotionsregulation Regulierung des Mensch-Umwelt-Systems Regulation und Stabilisierung des Selbstsystems Es gibt zwei Mechanismen der Mensch-Umwelt-Regulation: Regulation bzgl. des Mensch-Umwelt-Systems einerseits und die innere Regulation und Stabilisierung des Subjekts andererseits. Ersteres bezieht sich auf die soziale und sachbezogene Regulation zwischen Mensch und seinem sozialen Kontext (Sachproblemen, Gegenständen, Gruppen) und erfordert Kompetenzen wie Intelligenz und Soziabilität. Dazu gehört auch das Suchen nach Hilfe in seinem sozialen Umfeld (soziales coping). Innere Regulation bedeutet zum Einen Emotionsausgleich, also die Balancierung von innerer Erregung (emotionales Coping), zum Bespiel durch Entspannung und reflexive Aktivitäten, wie das Nachdenken über sich selbst und seine Regeln etc. Abbildung 2: Modell menschlicher Regulationsaktivitäten (zit. in Schröder, 1997) Faktor 2: Identitätsentwicklung durch die Begegnung mit dem Anderen und Kommunikation: Nach Piaget (zit. in Zimbardo und Gerrig, 1996) und Buber (zit. in Garcia, 1997) manifestiert sich die Identität in der Begegnung mit dem Anderen. Der Andere ist der Spiegel meiner selbst. Um Identität zu entwickeln ist es notwendig, im Tun seine eigenen Bedürfnisse dem Anderen mitzuteilen. Deshalb sind das Üben und die Förderung der Kommunikation auf allen Ebenen notwendig. D.h. im Kollektiv/Gruppe der Kindertageseinrichtung (vertikal) sowie zwischen Jugendamt und Kindertageseinrichtung (horizontal). Die Kommunikation sollte dabei zu partnerorientierten Konfliktlösungen führen. 31

Faktor 3: Identitätsentwicklung braucht Zeit und ist mit Krisen verbunden: D.h. auch der Ermöglicher muss Geduld haben und die krisenhaften chaotischen Prozessverläufe bei den Teilnehmern, die er angestoßen hat, aushalten. Die Teilnehmer/-innen projizieren in einem Übertragungsprozess eigene Krisen nach außen auf den Ermöglicher, der wiederum seine eigenen Prozesse nicht auf den Teilnehmer übertragen darf (Gegenübertragung). Krisen und Identitätsentwicklung können nicht kontrolliert, sondern nur begleitet werden, bis sich eine neue Ordnung einstellt (Vertrauen in das teleonomisch 2 ordnende Prinzip im Chaos). Faktor 4: Der größte Feind der Identitätsentwicklung ist Druck und Angst. Seitens des Ermöglichers sollte ohne Druck gearbeitet werden, da Druck Angst erzeugt. Hinsichtlich des Angsterlebens ist die Berufsgruppe der Erzieher/-innen relativ gesund, d.h. es liegen sehr gute Ausgangsbedingungen vor, um Identitätsarbeit zu leisten. Wir haben im Rahmen einer Belastungsanalyse bei 120 Lehrer/-innen, Sozialpädagoginnen/-pädagogen und Erzieher/-innen die Ängstlichkeit, d.h. die Bereitschaft in bedrohlichen Situationen mit Angst zu reagieren, untersucht (Stück et al., 2003) (n=120). Bei Erzieher/ -innen ist diese generalisierte, situationsunabhängige Angstbereitschaft nur bei 13,5% der untersuchten Personen über ein kritisches Kriterium (Kriterium: Stanine >= 7 ; abnormal erhöht) erhöht ausgefallen. D.h. sie haben sehr gute Voraussetzungen, um relativ angstfrei in für sie neue Situationen zu gehen und sich auszuprobieren. Bei den zwei anderen Berufsgruppen sieht das bei weitem nicht so gut aus. Sozialpädagoginnen/-pädagogen sind am ängstlichsten (33,3% Stanine >= 7), gefolgt von Lehrer/-innen (27,5% Stanine >= 7). Faktor 5: Vermeidung von Identifikationen: Das Gegenteil von Identität ist die Identifikation (lat. Idem derselbe, facere machen). Identifikation wäre z.b.: nachahmen, nachsprechen, auswendig lernen. Dadurch drücke ich nicht das aus, was aus mir selbst kommt. Welche psychologische Arbeitsmethodik brauche ich, um Identität im Rahmen der Curriculum-Ausbildung auszubilden? Auf Grundlage der o.g. Aspekte ist es notwendig, die Reflexion der Teilnehmer/-innen über eigene Ansichten zu fördern und Teilnehmer zu ermutigen, das, was sie denken und fühlen, im Alltag zu tun. 2 Teleonomie ist das Ordnungsprinzip im Chaos, d.h. das Vertrauen, das es im Chaos eine ordnende Kraft gibt. Das gilt für alle lebende Systeme (z.b. biologisch, psychologisch, chemisch, sozial). (Chaostheorie, Ilya Prigogine, 1998/ Nobelpreisträger für Chemie 1997) 32