Skript zur Vorlesung Partielle Differentialgleichungen, klassische Methoden

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Transkript:

Skript zur Vorlesung Partielle Differentialgleichungen, klassische Methoden Christian Meyer basierend auf der Vorlesung Theorie partieller Differentialgleichungen von Prof. F. Tröltzsch, TU Berlin

Material für: ca. 12 Vorlesungen à 9 Minuten Fehler und Kommentare bitte an: cmeyer@gsc.tu-darmstadt.de Stand: 24. Juni 211

Inhaltsverzeichnis Kapitel 1. Einführung und Motivation 5 1 Notation 6 Kapitel 2. Mathematische Modellierung 9 1 Die Kontinuitätsgleichung 1 2 Die Impulsbilanz 12 3 Die Energiebilanz 15 4 Die Wärmeleitgleichung und Laplace-Gleichung 17 5 Die Wellengleichung 18 6 Rand- und Anfangsbedingungen 2 Kapitel 3. Grundbegriffe und Klassifikation 23 Kapitel 4. Elliptische Differentialgleichungen die Laplace-Gleichung 29 1 Trennung der Variablen die Fourier-Methode 3 2 Fundamentallösung 38 3 Die Greensche Funktion 47 4 Maximumprinzip 53 Kapitel 5. Parabolische Differentialgleichungen die Wärmeleitgleichung 61 1 Fundamentallösung 62 2 Maximumprinzip und Eindeutigkeit 66 Kapitel 6. Hyperbolische Differentialgleichungen die Wellengleichung 71 1 Die eindimensionale Wellengleichung die d Alembertsche Formel 71 2 Die Wellengleichung in R 3 die Kirchhoffsche Formel 74 Anhang A. Grundlagen für die Separationsmethode 79 1 Fourier-Reihen 79 2 Sturm-Liouvillesche Eigenwertprobleme 85 Anhang. Literaturverzeichnis 89 Anhang. Index 91 3

KAPITEL 1 Einführung und Motivation Inhalt 1 Notation 6 Partielle Differentialgleichungen (in diesem Skript mit PDGl en abgekürzt) spielen in zahlreichen physikalisch-technischen Anwendungen eine herausragende Rolle. Prominente Beispiele sind die Navier-Stokes-Gleichungen in der Strömungsmechanik die Maxwell-Gleichungen des Elektromagnetismus die Schrödiner-Gleichung in der Quantenphysik. Aber auch in anderen Bereichen spielen PDGl en eine wichtige Rolle wie beispielsweise in der Chemie oder den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften. Physikalische Größen hängen i.d.r. von mehreren unabhängigen Variablen ab, wie beispielsweise der Zeit und den drei Raumrichtungen. PDGl en setzen zeitliche und räumliche Ableitungen von Funktionen miteinander in Beziehung. Dieses Vorgehen erlaubt es zahlreiche Prozesse zu realitätsnah modellieren. Ein klassisches Beispiel ist die Wärmeleitgleichung, bei der die zeitliche Entwicklung der Temperaturverteilung in einem Körper mit dem räumlichen Temperaturgradienten in Relation gebracht wird. der physikalische hintergrund ist anschaulich klar: je gößer die Temperaturunterschiede in einem Körper sind, desto schneller wird sich die Temperatur an einem gegebenen Punkt des Körpers ändern. Es ist leider kaum möglich, eine einheitliche mathematische Theorie der PDGl en zu formulieren, da die verschiedenen Typen von PDGl en auf unterschiedliche Weise behandelt werden müssen. Man unterscheidet im Wesentlichen drei Arten: elliptische PDGl en parabolische PDGl en hyperbolische PDGl en. Wir werden uns im Laufe der Vorlesung mit jeweils einem grundlegenden linearen Beispiel für die einzelnen Typen von PDGl en befassen. Die mathematische Behandlung der verschiedenen Typen unterscheidet sich nicht nur hinsichtliche der Analysis und damit verbundenen Fragestellungen wie Existenz und Eindeutigkeit einer Lösung, sondern auch bezüglich der Lösungsansätze und -methoden. Bei den Methoden zur Lösung einer PDGl handelt es sich im Wesentlichen um numerische Näherungsverfahren, da PDGl en i.a. nicht per Hand lösbar sind. Wir werden allerdings einige Spezialfälle kennenlernen, in denen es dennoch möglich ist, Lösungen analytisch zu bestimmen. Hinsichtlich der numerischen Lösungsverfahren sei beispielsweise auf die Vorlesung Numerik parabolischer Differentialgleichungen verwiesen. 5

6 1. EINFÜHRUNG UND MOTIVATION Auch für jeweils einen der drei Typen von PDGl en gibt es keine einheitliche Theorie, sondern verschiedene Zugänge. Beispielsweise können elliptische Gleichungen mit Hilfe der so genannten klassischen Theorie behandelt werden, aber auch mittels der schwachen Lösungstheorie oder als Operatorgleichung im Banachraum 1 betrachtet werden. Die einzelnen Zugänge basieren auf völlig unterschiedlichen mathematischen Grundlagen. Wir werden uns im Rahmen dieser Vorlesung vor allem mit dem klassischen Zugang befassen, die schwache Theorie wenn es die Zeit erlaubt allerdings am Ende der Vorlesung ebenfalls kurz ansprechen, da sie für wichtige numerische Verfahren wie beispielsweise die Finite Elemente Methode unerlässlich ist. Das vorliegende Skript und damit die gesamte Vorlesung basiert in weiten Teilen auf den Vorlesungen Theorie partieller Differentialgleichungen von Prof. F. Tröltzsch (TU Berlin) und Elementare partielle Differentialgleichungen von Prof. R. Farwig (TU Darmstadt). Ihnen gebührt mein Dank für die Bereitstellung des jeweiligen Vorlesungsmaterials. 1 Notation Bevor wir mit der eigentlichen Vorlesung beginnen, wird eine kurze Einführung in die verwendete Notation gegeben. Hängt eine Funktion von mehreren Veränderlichen ab, wie beispielsweise f(x, t), dann bezeichnen wir die partiellen Ableitungen mit f x, f t. Hängt die Funktion von nur einer Variablen ab, beispielsweise f(t), so schreiben wir d f. Der Gradient einer Funktion f : d t Rn R, f : x f(x), ist der durch f(x) = f x 1. f x n definierte Zeilenvektor. Die Jacobi-Matrix einer Funktion f : R n R m ist definiert durch f 1 f 1 f x 1 x 2... 1 x n f 2 f 2 f f x (x) = 1 x 2... 2 x n.... f m f m f x 1 x 2... m x n Wir bezeichnen offene, einfach zusammenhängende Teilmengen des R n als Gebiet. Ist Ω R n ein beschränktes Gebiet, dann wird mit C(Ω) die Menge der stetigen Funktionen auf Ω bezeichnet. Die Menge der auf Ω k-mal stetig diffbaren Funktionen heißt C k (Ω). Die Menge der bis zum Rand von Ω stetigen Funktionen bezeichnen wir mit C( Ω). Mit der Supremumsnorm u := u C( Ω) = sup u(x) (1.1) x Ω wird die Menge zu einem Banachraum, s. z.b. [Alt, 26, Abschnitt 1.2]. Entsprechend wird C k ( Ω) mit der Norm u C k ( Ω) = sup D α u(x) x Ω α k 1 was im gewissen Sinne äquivalent zur schwachen Theorie ist

1. NOTATION 7 zu einem Banach-Raum. Hierbei ist α ein Multiindex, deren genaue Definition wir in Kapitel 3 noch kennenlernen werden. Sei x R n gegeben. Die euklidische Norm von x bezeichnen wir mit ( n ) 1/2 x := Die offene Kugel im euklidischen Raum mit Radius r um den Punkt x wird mit i=1 x 2 i B(x; r) := {x R n : x x < r} bezeichnet. Ihre Oberfläche wird mit S(x; r) = B(x; r) bezeichnet. Ist A R n eine (Lebesgue-)messbare Menge, dann bezeichnen wir mit A = dx das (Lebesgue- A )Maß der Menge A. Sei Ω R n ein Gebiet und {f n }, n N, f n : Ω R, eine Folge von Funktionen, die gleichmäßig auf Ω gegen eine Funktion f konvergiert. Dann schreiben wir für n. f n (x) f(x) in Ω sup f n (x) f(x) x Ω

KAPITEL 2 Mathematische Modellierung Inhalt 1 Die Kontinuitätsgleichung 1 2 Die Impulsbilanz 12 3 Die Energiebilanz 15 4 Die Wärmeleitgleichung und Laplace-Gleichung 17 5 Die Wellengleichung 18 6 Rand- und Anfangsbedingungen 2 Wir beschränken uns in diesem Kapitel auf die Grundgleichungen der Kontinuumsphysik in Eulerschen Koordinaten zur Beschreibung der Bewegung eines Fluids unter inneren und äußeren Kräften. Genauer gesagt betrachten wir die Massenerhaltungsgleichung oder Kontinuitätsgleichung Impluserhaltungsgleichung oder Impulsbilanz Energieerhaltungsgleichung oder Energiebilanz. Im Rahmen dieser Vorlseung können wir die Herleitung dieser Gleichungen nur sehr grob skizieren; eine wesentlich detaillierte Herleitung dieser Gleichungen lässt sich beispielsweise in Spurk [1996] finden. Natürlich umfasst die mathematische Modellierung weitaus mehr Gebiete als nur die Grundgleichungen der Kontinuumsphysik in dieser Form. Allerdings ist die Herleitung dieser PDGl en als durchaus repräsentativ anzusehen. Darüber hinaus befassen wir uns in diesem Abschnitt mit wichtigen Vereinfachungen dieser Grundgleichungen für bestimmte physikalische Spezialfälle. Diese Vereinfachungen weisen ebenfalls typische Aspekte der mathematischen Modellierung auf und führen zudem auf drei spezielle PDGl en, mit denen wir uns im Laufe der Vorlesung aus mathematischer Sicht näher befassen werden: Schwingungs- und Wellengleichung Laplace-Gleichung Wärmeleitgleichung Abschließemd sei darauf hingewiesen, dass alle Umformungen und Berechnungen in diesem Kapitel rein formal sind und keineswegs mathematisch rigoros betrachtet werden sollen, d.h. insbesondere, dass wir uns in diesem Kapitel nicht um die Regularität der betrachteten Funktionen kümmern. 9

1 2. MATHEMATISCHE MODELLIERUNG 1 Die Kontinuitätsgleichung Gegeben sei die Strömung eines Fluids, wie z.b. Wasser oder Luft. Wir betrachten eine feste Menge an Fluidteilchen, die wir im Folgenden als Teilchenpaket bezeichnen. Da sich das Teilchenpaket in der Strömung bewegt, hängt auch das von ihm bedeckte Volumen von der Zeit ab. Wir wollen dieses mit dem Teilchenpaket mitbewegte Volumen als V (t) bezeichnen. Das Axiom der Massenerhaltung sagt aus, dass Masse weder verschwinden noch entstehen kann. Das bedeutet, dass sich die Masse des Teilchenpakets zeitlich nicht ändert. Es gilt also M = ρ(x, t) dx = konst. d ρ(x, t) dx =, (1.1) V (t) dt wobei ρ(x, t) die Dichteverteilung des Fluids ist. Die weitere Umformung dieser Gleichung ist nicht-trivial, da das vom Teilchenpaket bedeckte Volumen V (t) von der Zeit abhängt und man deshalb nicht einfach Differentiation und Integration in (1.1) vertauschen kann. Abhilfe schafft hier das Reynoldssche Transporttheorem, das eine Überführung des obigen Ausdrucks in ein ortsfestes Volumen ermöglicht. Wir wollen das Reynoldssche Transporttheorem hier nur kurz motivieren. Eine rigorose Herleitung basiert auf einer Integraltransformation in materielle Koordinaten und ist in [Spurk, 1996, Abschnitt 1.2.3] zu finden. Sei V das (ortsfeste) Volumen, das das betrachtete Teilchenpaket zum Zeitpunkt t einnimmt. Da sich das Teilchenpaket in der Strömung bewegt, ist klar, dass es dieses Volumen i.d.r. sofort wieder verlässt und neue Fluidteilchen über die Oberfläche von V in das Volumen eintreten. Deshalb ist die Änderung der Masse des Teilchenpakets nicht allein durch die Dichteänderung in V gegeben, sondern der Massenstrom über die Oberfläche von V muss ebenfalls berücksichtigt werden. Für den Fall der Massenerhaltung lautet das Reynoldssche Transporttheorem daher wie folgt: d dt V (t) ρ(x, t) dx = V V (t) ρ t dx + ρ u n da, (1.2) V wobei u die Geschwindigkeit des Fluids, V die Oberfläche von V, da das zugehörige Oberflächenelement und n die äußere Normale auf V bezeichnen. Das Oberflächenintgral modelliert in der Tat den Zu- bzw. Abfluss in V, da u n da = u d A den Volumenstrom aus V heraus darstellt, und ρ u n da deshalb den Massenstrom durch die Oberfläche V von V modelliert, vgl. Abb 1.1. Abbildung 1.1. Massenstrom durch ein Testvolumen

2. DIE KONTINUITÄTSGLEICHUNG 11 Das Reynoldssche Transporttheorem gilt allerdings nicht nur für die Dichte ρ, sondern allgemein für Volumen bezogene Fluideigenschaften, wie beispielsweise auch die Energiedichte: Satz 1.1 (Reynoldssches Transporttheorem) Die Funktion ϕ(x, t) beschreibe eine auf das Volumen bezogene Fluideigenschaft. Des Weiteren bezeichne V (t) das mit einem beliebigen Teilchenpaket mitbewegte Volumen, während V das Volumen ist, das zu einem festen Zeitpunkt t > von diesem Teilchenpaket eingenommen wird. Dann gilt d dt V (t) ϕ(x, t) dx = V ϕ t dx + V ϕ u n da, wobei u die Geschwindigkeit des Fluids ist und n die äußere Normale auf V bezeichnet. Mit Hilfe des Reynolds schen Transporttheorems kann man nun die Kontinuitätsgleichung herleiten. Dazu setzen wir (1.2) in (1.1) ein und erhalten ρ t dx + ρ u n da =. (1.3) V V Diese Gleichung bedeutet anschaulich, dass Zu- und Abfluß in bzw. aus dem Volumen V und die Dichteänderung in V gerade im Gleichgewicht sind. Dieses entspricht auch unserer täglichen Erfahrung, was sehr deutlich im Fall von inkompressiblen Strömungen wird, d.h. bei Strömungen von Fluiden deren Dichte konstant ist, wie z.b. Wasser. Dann vereinfacht sich (1.3) zu ρ u n da =, V was nichts anderes bedeutet, als dass alles, was in V hineinströmt, auch wieder hinausströmen muss, was sehr anschaulich bei einer einfachen Rohrströmung klar wird (vgl. Übung). Um die Kontinuitätsgleichung in differenzieller Form herzuleiten, betrachten wir wieder (1.3) und wenden den Integralsatz von Gauß auf das Oberflächenintegral an: Satz 1.2 (Integralsatz von Gauß) Sei Ω R n ein Gebiet mit hinreichend glattem Rand und φ : Ω R n eine stetig differenzierbare Funktion. 1 Dann gilt div φ dx = φ n da, wobei div die Divergenz bezeichnet, die durch div φ n φ i := x i definiert ist. Ω 1 Diese Voraussetzung an φ kann man stark abschwächen, s. beispielsweise [Evans, 1998,...]. Dort lassen sich auch die genauen Voraussetzungen an das Gebiet nachlesen. Ω i=1

12 2. MATHEMATISCHE MODELLIERUNG Angewandt auf (1.3) ergibt sich damit ( ρ ) t + div (ρ u) dx. (1.4) V In den obigen Überlegungen war das Teilchenpaket und damit das Testvolumen V beliebig. Deshalb gilt (1.4) für jedes beliebige Volumen V, was nur erfüllt sein kann, wenn der Integrand verschwindet, d.h. wenn gilt ρ t + div (ρ u) =. (1.5) Diese PDGl wird auch als Massenerhaltungs- oder Kontinuitätsgleichung bezeichnet, da sie sich aus dem Prinzip der Massenerhaltung ableitet, wie wir gesehen haben. 2 Die Impulsbilanz Der Impuls eines starren Festkörpers ist bekanntermaßen durch das Produkt aus dessen Masse und Geschwindigkeit gegeben. Analog dazu ist der Impuls eines Teilchenpakets in einer Strömung gegeben durch I = ρ(x, t) u(x, t) dx (2.1) V (t) gegeben, wobei V (t) wieder das mit dem Teilchenpaket mitbewegte Volumen bezeichnet. 2 Nach dem ersten Newtonschen Axiom ist die Änderung des Impulses eines Körpers in unserem Fall des Teilchenpakets gleich der auf diesen Körper wirkenden Kraft F : d I dt = F. (2.2) Aus dem Reynolds schen Transporttheorem und dem Satz von Gauß folgt für die linke Seite mit i = 1, 2, 3 d dt I i = d ρ u i dx dt V (t) = ρ u i u n da = = = = V V V V V t (ρ u i) dx + V [ t (ρ u i) + div (ρ u i u)] dx [ ρ u i t + u i [ ( ρ u i ρ t + u i t + ρ u j x j j }{{} = ( ui ) ρ t + u u i dx, ρ u j + ρ x j j j ) ( ui + ρ t + j wobei wir die Kontinuitätsgleichung (1.5) ausgenutzt haben. u j u i x j ] dx u j u i x j )] dx (2.3) Die auf unser Teilchenpaket wirkende Kraft F setzt sich aus zwei Komponenten zusammen: 2 Das Integral in der Formel ist komponentenweise zu verstehen.

2. DIE IMPULSBILANZ 13 Volumenkräften, die in jedem Punkt des betrachteten Volumens wirken, wie beispielsweise die Erdanziehungskraft oder elektromagnetische Kraftfelder bei elektrisch leitenden Strömungen Oberflächen- oder Kontaktkräften, die nur an der Oberfläche des Volumens wirken und durch die durch Reibung bedingte Wechselwirkung des Teilchenpakets mit dem umgebenden Fluid entstehen. Im Fall der Volumenkräfte beschränken wir uns auf die Erdanziehungskraft. Wie bei einem starren Festkörper ist sie durch das Produkt aus Masse und Erdbeschleunigung gegeben, also F V = ρ g dx, (2.4) V wobei g die Erdbeschleunigung bezeichnet. Man beachte, dass wir hier nicht zwischen V und V (t) unterscheiden müssen, da das ortsfeste Volumen V ja gerade so gewählt war, dass es zum Zeitpunkt t mit V (t) übereinstimmt, und das Integral in (2.4) im Gegensatz zum Reynolds schen Transporttheorem nicht nach der Zeit differenziert wird. Die Oberflächenkraft ergibt sich als Integral über den Spannungsvektor F A = t da. (2.5) V Der Spannungsvektor gibt an, welche Kraft pro Flächeneinheit das umgebende Fluid auf unser Teilchenpaket ausübt. Er lässt sich in drei Komponenten zerlegen, eine Abbildung 2.1. Der Spannungsvektor Druckspannung senkrecht zur Oberfläche und zwei Schubspannungen tangential dazu (s. Abb. 2.1) und ergibt sich aus dem symmetrischen Spannungstensor 3 über ( 3 ) 3 t = τ n = τ ij n j (2.6) i=1, j=1 wobei n wieder die äußere Normale auf V bezeichnet. 3 Die Symmetrie von τ kann aus der Drehimpulserhaltung gefolgert werden, s. [Spurk, 1996, Abschnitt 2.4].

14 2. MATHEMATISCHE MODELLIERUNG Insgesamt folgt damit aus (2.1) (2.5), dass für i = 1, 2, 3 gilt ( ui ) ρ V t + u u i dx = ρ g i dx + t i da V V = ρ g i dx + τ ij n j da = V V ρ g i dx + V V j j τ ij x j dx, wobei wir wieder den Satz von Gauß verwendet haben. Es gilt demnach [ ( ui ) ρ V t + u u i ρ g i τ ] ij dx = für i = 1, 2, 3. x j j Wie bei der Herleitung der Kontinuitätsgleichung war das betrachtete Teilchenpaket beliebig, so dass die obige Gleichung für jedes Testvolumen V gelten muss, was nur erfüllt sein kann, wenn der Integrand verschwindet: ( ui ) ρ t + u u i = ρ g i + j τ ij x j für i = 1, 2, 3 oder in symbolischer Schreibweise: ( u ) ρ t + u u = ρ g + div τ (2.7) Hierbei bezeichnet u die Transponierte der Jacobi-Matrix von u, und die einfache Überschiebung u u ist definiert durch ( u i u u := u j = ( u) x j )i T u. j Des Weiteren ist div τ := ( τ ij j x j ) i die tensorielle Divergenz. Die PDGl (2.7) heißt Impulsbilanz und stellt das erste Newtonsche Axiom im Fall strömender Fluide in Eulerschen bwz. ortsfesten Koordinaten dar. Um mit der Kontinuitätsgleichungen ein geschlossenes Gleichungssystem für die Unbekannten ρ und u zu erhalten, muss der Spannungstensor als Funktion dieser Unbekannten ausgedrückt werden. Dies geschieht mit Hilfe so genannter Materialgleichungen, also Gleichungen, die im Rahmen der Kontinuumsphysik nicht allgemein gültig sind, sondern nur für spezielle Materialien gelten und daher meistens auch noch experimentell zu ermittelnde Materialparameter enthalten. Das weitaus wichtigste Materialgesetz zur Beschreibung des Spannungstensors in Fluiden ist das Cauchy- Poisson-Gesetz für Newtonsche Fluide: τ ij = pδ ij + λ u k δ ij + η ( u i + u j ) für i, j = 1, 2, 3 (2.8) x k x j x i k mit δ ij := { 1, i = j, sonst. Des Weiteren bezeichnet die skalare Größe p den Druck im Fluid. Er ist eine weitere unbekannte Feldgröße des Fluids, für die ebenfalls ein Materialgesetz benötigt wird.

2. DIE ENERGIEBILANZ 15 Man erkennt an (2.8), dass der Druck die Wechselwirkungen zwischen Fluidteilchen im hydrostatischen Fall, d.h., wenn u(x, t), vollständig beschreibt. Dann gilt τ ij = p δ ij und für den Spannungsvektor gilt nach (2.6), dass t = p n, so dass die Oberflächenspannungen und -kräfte im Fluid senkrecht auf den Testvolumina stehen, vgl. Abb 2.1. Es handelt sich demnach um reine Druckkräfte und alle Schub- bzw. Scherkräfte entfallen im hydrostatischen Fall. Darüber hinaus sind λ und η materialabhängige Zähigkeiten, die ihrerseits wieder Funktionen von Druck und Temperatur des Fluids sein können. Durch das Materialgesetz (2.8) wird eine große Zahl technisch relevanter Fluide sehr gut beschrieben, wie beispielsweise Luft, Wasser oder auch Mineralöle. Es gibt allerdings auch Fluide deren Verhalten sich nicht durch (2.8) beschreiben lässt, wie z.b. Blut oder Zahnpasta. Wir nehmen nun an, dass λ und η konstant sind. Dann ergibt sich durch Umbenennung der Summationsindizes und Vertauschung der Differentiationsreihenfolge τ ij = p ( 2 u ) ( k 2 u i + λ + η + 2 u ) j x j j x i x k x i x 2 k j j x j i x j = p + (λ + η) ( uj ) + η 2 u i. x i x i x j x 2 j j Setzt man dies unter Benutzung des Vektor-Laplace u := ( j dann erhält man die Navier-Stokes-Gleichungen j 2 u i ) x 2 i in (2.7) ein, j ( u ) ρ t + u u = ρ g p + (λ + η) (div u) + η u (2.9a) ρ + div (ρ u) =, t (2.9b) wobei die zweite Gleichung gerade die Kontinuumsgleichung (1.5) ist. Um daraus ein geschlossenes Gleichungssystem zu erhalten, muss man noch ein Materialgesetz für die Beziehung zwischen Druck und Dichte angeben. Der einfachste Ansatz hierfür ist der eines inkompressiblen Fluids, bei dem ρ(x, t) = konst. gilt. Dann folgt aus (2.9b), dass div u =, und die Navier-Stokes-Gleichungen vereinfachen sich zu ( u ) ρ t + u u η u + p = ρ g (2.1a) div u =. (2.1b) 3 Die Energiebilanz Die Energie eines strömenden Fluids setzt sich aus zwei Bestandteilen zusammen, der inneren Energie E und der kinetischen Energie K. Die innere Energie ist auf molekulare Bewegung im Fluid zurückzuführen, was im Rahmen der Kontinuumsphysik nicht explizit modelliert wird. Stattdessen führen wir eine innere Energie pro Masseneinheit e als neue unbekannte Feldgröße ein, aus der sich die innere Energie des betrachteten Teilchenpakets analog zu Masse und Impuls durch E = e ρ dx V (t)

16 2. MATHEMATISCHE MODELLIERUNG ergibt. Analog zum starren Festkörper ist die kinetische Energie des Teilchenpakets durch K = 1 ρ u 2 dx 2 V (t) gegeben, wobei. die euklidische Norm im R 3 bezeichnet. Nach dem Energieerhaltungssatz der klassischen Mechanik 4 ergibt sich die zeitliche Änderung der Gesamtenergie eines Körpers durch die Leistung der am Körper angreifenden Kräfte plus der zugeführten Wärmeenergie, in Formeln: d dt (K + E) = P + Q, (3.1) wobei P die Leistung der angreifenden Kräfte und Q die zugeführte Wärmemenge bezeichnen. Die Leistung die eine Kraft auf einen Massepunkt ausübt ist durch das Produkt aus den Beträgen dieser Kraft und der Geschwindigkeit in Richtung dieser Kraft gegeben. Für unser Teilchenpaket folgt daher mit Hilfe des Satzes von Gauß: P = ρ u i g i dx + u i t i da V i V i = ρ u i g i dx + u i τ ij n j da V i V = = V V ρ u i τ ij u i g i dx + da i V x ij j ( ) ρ u g + div ( u τ) dx. i j (3.2) Die zugeführte Wärmemenge wiederum ergibt sich aus dem Wärmestrom q in das Volumen V hinein, das das Teilchenpaket zum Zeitpunkt t einnimmt: 5 Q = q n da = div q dx. (3.3) V Da die im Teilchenpaket gespeicherte Energie zunimmt, falls der Wärmestrom in das Volumen V hinein und damit entgegen der äußeren Normalen n gerichtet ist, geht das obige Integral mit negativem Vorzeichen in die Energiebilanz ein. Darüber hinaus haben wir mit dem gleichen Argument wie im Fall von (2.4) auch in (3.2) und (3.3) das zeitabhängige Volumen V (t) durch V ersetzt. Für die linke Seite in (3.1) liefern das Reynolds sche Transporttheorem, der Satz von Gauß und die Kontinuitätsgleichung völlig analog zu (2.3) (mit u 2 + e anstelle von u i ) d dt (K + E) = d ( u 2 ) ρ dt V (t) 2 + e dx [ u 2 ) = ρ t( 2 + e V V ( u 2 )] + u 2 + e dx. 4 Spezialfall des ersten Hauptsatzes der Thermodynamik 5 Der Wärmestrom tangential zur Oberfläche von V spielt dabei keine Rolle, er tritt ja nicht in das Volumen ein. Daher die Multiplikation mit n.

2. DIE WÄRMELEITGLEICHUNG UND LAPLACE-GLEICHUNG 17 Setzt man diese Gleichung zusammen mit (3.2) und (3.3) in (3.1) ein, so erhält man die Energiebilanz in integraler Form: [ u 2 ) ( u 2 )] ( ) ρ t( 2 + e + u 2 + e dx = ρ u g + div ( u τ) div q dx. V Auch diese Gleichung gilt wieder für beliebige Teilchenpakete, also für beliebige Volumina, woraus die Energiebilanz in differentieller Form folgt: [ u 2 ) ( u 2 )] ρ t( 2 + e + u 2 + e = ρ u g + div ( u τ) div q. (3.4) Um zusammen mit Kontinuitätsgleichung und Impulsbilanz ein geschlossenes Gleichungssystem zu erhalten ist neben dem Materialgesetz für τ ein weiteres für den Wärmestrom notwendig. Ein Beispiel hierfür lernen wir im folgenden Abschnitt kennen. V 4 Die Wärmeleitgleichung und Laplace-Gleichung In diesem Abschnitt werden wir die Energiebilanz für den Spezialfall des ruhenden idealen Gases vereinfachen. Dies führt auf zwei PDGl en, die wir im Laufe der Vorlesung aus mathematischer Sicht genauer untersuchen werden. Zunächst führen wir die innere Energie e auf eine andere Feldgröße zurück, die Temperatur θ = θ(x, t). Im Fall eines (kalorisch) idealen Gases gilt e = c v θ mit der spezifischen Wärmekapazität c v, die ein materialabhängiger Parameter ist. 6 Eine detaillierte Herleitung dieser Beziehung geht über diese Vorlesung hinaus und ist in [Müller, 1994, Abschnitt 2.3] zu finden. Darüber hinaus nehmen wir an, dass das Gas ruhe, d.h. u(x, t). 7 Dann vereinfacht sich (3.4) zu ρ t (c v θ) + div q =. (4.1) Wie bereits oben angedeutet, benötigt man noch ein Materialgesetz für den Wärmestrom q. Wir betrachten hier das Fouriersche Gesetz für isotrope Materialien: q = κ θ (4.2) mit der materialabhängigen skalaren Wärmleitfähigkeit κ. Der Hintergrund dieses linearen Materialgesetzes ist die so genannte Gradientendiffusion: der Wärmestrom zeigt entgegen des Temperaturgradienten, also vom Warmen ins Kalte, und ist umso größer, je größer der Temperaturunterschied ist. In (4.1) eingesetzt ergibt sich ρ t (c v θ) div (κ θ) =. 6 Im Fall des idealen Gases ist sie durch c v = (3R)/(2M) gegeben, wobei R die universelle Gaskonstante und M die molare Masse ist. 7 Diese Annahme ist nicht ganz realistisch, da Temperaturunterschiede in Gasen immer auch einen konvektiven Wärmetransport und damit eine Strömung induzieren. Bei geringen Temperaturunterschieden kann diese jedoch als vernachlässigbar angesehen werden.

18 2. MATHEMATISCHE MODELLIERUNG Nehmen wir weiterhin an, dass c v und κ konstant sind, erhält man die folgende PDGl: ρ c v θ θ = (4.3) κ t mit dem Laplace-Operator θ := div θ = i 2 θ x 2 i (4.4) (s. Übungsaufgabe). O.B.d.A. nehmen wir an, dass ρ = c v = κ = 1, 8 so dass sich die folgende PDGl ergibt θ θ =, (4.5) t die als (lineare) Wärmeleitgleichung bezeichnet wird. Diese Gleichung beschreibt nicht nur die Wärmeausbreitung in ruhenden (idealen) Gasen, sondern auch in Festkörpern mit isotroper Wärmeleitfähigkeit. Wir konzentrieren uns nun auf den stationären Fall, d.h. den Fall bei dem die Temperaturverteilung zeitlich konstant ist. Dieses thermische Gleichgewicht stellt sich beispielsweise ein, wenn in einen Köper unendlich lange eine konstante Wärmemenge eingebracht wird und die Abstrahlung an die kühlende Umgebung ebenfalls immer konstant ist. Dann vereinfacht sich (4.5) zu θ =, (4.6) der so genannten Laplace-Gleichung. Bei dieser Gleichung geht man davon aus, dass die Wärme über den Rand des Körpers eingebracht wird, was mathematisch durch eintsprechende Randbedingungen modelliert werden muss, auf die wir in Abschnitt 6 eingehen werden. Wird die Wärmeenergie als verteilte Wärmequelle eingebracht, wie beispielsweise in einem Microwellenherd, dann erhält man statt der homogenen Gleichung (4.6) die folgende inhomogene PDGl θ = f, (4.7) die auch als Poisson-Gleichung bezeichnet wird. Die Gleichungen (4.5) (4.7) sind mathematisch sehr gut untersucht und stellen Referenzfälle für ganze Klassen von PDGl en dar, so genannte elliptische und parabolische Gleichungen. Sie modellieren nicht nur die Wärmeausbreitung in ruhenden Fluiden und Festkörpern; es gibt zahlreiche andere physikalische Phänomene, die gut durch (4.5) (4.7) abgebildet werden, wie beispielsweise das zweite Ficksche Gesetz der Spezies-Diffusion im Fall von (4.5) oder die elektrostatische Potentialgleichung im Fall von (4.6). 5 Die Wellengleichung In diesem Abschnitt wollen wir mit Hilfe der Navier-Stokes-Gleichung (2.9) und der Kontinuitätsgleichung (1.5) eine PDGl herleiten, die die Ausbreitung einer Schallwelle durch ein ruhendes Medium (Fluid) beschreibt. Schall kann als kleine Druckschwankung interpretiert werden, die sich mit Schallgeschwindigkeit durch das Fluid bewegt. 8 Wenn dies nicht der Fall ist, kann man (4.3) durch die Variablentransormation t = (κ/ρ c v )t in (4.5) überführen.

2. DIE WELLENGLEICHUNG 19 Der Druck taucht als Feldgröße in den Bewegungsgleichungen eines Fluids auf, weshalb sich die Gleichungen für die Ausbreitung des Schalls daraus ableiten lassen. Dazu spalten wir Druck, Dichte und Geschwindigkeit zunächst in einen Gleich- und einen Schwankungsanteil auf: 9 p(x, t) = p + p (x, t) ρ(x, t) = ρ + ρ (x, t) u(x, t) = u + u (x, t) = u (x, t). (5.1) Die so genannten Gleichanteile p und ρ werden als sehr viel größer als die Schwankungsanteile angenommen, die der Schallausbreitung zugeordnet werden. Der Gleichanteil der Geschwindigkeit erfüllt u =, da das Fluid als ruhend angenommen wurde, was bereits in den obigen Formeln berücksichtigt wurde. Da das Fluid ruht, werden die Gleichanteile als räumlich und zeitlich konstant angenommen. Bei der Schallausbreitung spielt die Reibung nur eine untergeordnete Rolle, was man daran erkennt, dass Schallwellen als minimale Druckstörungen sich vergleichsweise weit ausbreiten. Wir vernachlässigen daher die Reibungsterme in den Navier-Stokes- Gleichungen (2.9), sodass für die Zähigkeiten λ = η = gilt. Dann resultiert aus (2.9a) die so genannte Euler-Gleichung für ein reibungsfreies Fluid: ( u ) ρ t + u u = p, (5.2) wobei wir auch die Gravitation vernachlässigt haben, da die durch den Schall bewegten Massen sehr klein sind. Wir setzen jetzt die Dekompositionen aus (5.1) in (5.2) und die Kontinuitätsgleichung (1.5) ein und erhalten: t (ρ + ρ ) + div ( (ρ + ρ ) u ) = ( u (ρ + ρ ) ) t + u u = (p + p ). Da die Schwankungsgrößen sehr klein gegenüber dem jeweiligen Gleichanteil sind, vernachlässigen wir die Terme, in denen die Schwankungsgrößen oder deren Ableitungen quadratisch auftauchen, was einer Linearisierung der obigen Gleichungen entspricht. 1 Wenn man zudem berücksichtigt, dass die Ableitungen der konstanten Gleichanteile verschwinden, erhält man: ρ t + ρ div u = (5.3) ρ u t = p. (5.4) Wir haben somit vier Gleichungen für fünf Unbekannte. Um das Gleichungssystem zu schließen, benötigen wir noch ein Materialgesetz, die Druck-Dichte-Beziehung, deren detaillierte physikalische Herleitung in Ehrenfried [24] zu finden ist: p (x, t) = c 2 ρ (x, t), 9 Die Schwankungsgeschwindigkeit v ist nicht die Schallgeschwindigkeit, sondern die Schnelle, also die Geschwindigkeit, mit der Wellenberge und -täler auf- und abschwingen. 1 Um die Ableitungen vernachlässigen zu können, sind streng genommen weitere Voraussetzungen nötig, s. Ehrenfried [24].

2 2. MATHEMATISCHE MODELLIERUNG wobei c die Schallgeschwindigkeit im jeweiligen Fluid ist. Wir setzen diese Beziehung jetzt in die linearisierte Kontinuitätsgleichung (5.3) ein und differenzieren diese nach der Zeit: 11 1 2 p c 2 t + ρ ( ) 2 div u =. t Auf der anderen Seite bilden wir die Divergenz von (5.4): ( u ) ρ div + div ( p ) =. t Wegen div ( (. )) = (div. ) und div =, s. (4.4), ergibt eine Subtraktion der t t beiden Gleichungen: 2 p t 2 c2 p =. (5.5) Diese PDGl wird als Wellengleichung bezeichnet. Sie kann als Referenzfall für die Klasse der hyperbolischen Gleichungen angesehen werden. Im räumlich eindimensionalen Fall reduziert sie sich auf die so genannte Schwingungsgleichung 2 p t 2 p 2 c2 =. (5.6) x2 Die Wellengleichung beschreibt nicht nur die Ausbreitung von Schallwellen, sondern von Wellen allgemein. So wird beispielsweise die Ausbreitung einer elektromagnetischen Welle ebenfalls durch diese Gleichung beschrieben, die sich in dem Fall aus den Maxwell schen Gleichungen ableiten lässt. 6 Rand- und Anfangsbedingungen Wie bei gewöhnlichen Differentialgleichungen benötigt man bei PDGl en neben der Differentialgleichung selbst weitere Bedingungen um eine Lösung eindeutig festzulegen, so genannte Rand- und Anfangsbedingungen. Wir leiten hier exemlarisch die Rand- und Anfangsbedingungen für die Wärmeleitgleichung (4.5) und die Laplace-Gleichung (4.6) her. Dazu betrachten wir statt eines Fluids die Temperaturverteilung in einem (Fest-)Körper, die ebenfalls durch die lineare Wärmeleitgleichung (4.5) oder im stationären Fall durch (4.6) beschrieben wird. Die PDGl gilt in jedem Punkt des vom Körper bedeckten Gebietes Ω R 3, d.h. z.b. θ(x) = x Ω. Am Rand von Ω, hier mit Γ bezeichnet, d.h. Γ = Ω, können verschiedene Situationen auftreten: (1) Dirichlet-Ranbedingungen: Die Temperatur am Rand ist genau gleich einer vorgebenen Temperatur θ Γ, d.h. θ(x) = θ Γ (x) x Γ. Diese Wahl der Randbedingung motiviert sich dadurch, dass die Temperaturverteilung im Raum i.d.r. stetig ist, und die Temperatur am Rand des 11 Mathematisch gesehen ist dies eine rein formale Umformung, da sie die Lösungsmenge eventuell verändert. Gleiches gilt für die folgende Umformung.

2. RAND- UND ANFANGSBEDINGUNGEN 21 Körpers daher mit der Umgebungstemperatur übereinstimmt. Diese Randbedingung idealisiert die Realität allerdings im gewissen Sinne, da sie die Wirkung der Körpertemperatur auf die Umgebung nicht berücksichtigt. Ist θ Γ, dann sricht man von homogenen Dirichlet-Randbedingungen, sonst von inhomogenen. (2) Neumann-Randbedingung: Hierbei wird der Wärmestrom am Rand vorgegeben. Liegt beispielsweise vollständige Isolation vor, bedeutet das, dass keine Wärme über den Rand abfließen kann, also q(x) n =. Unter Berücksichtigung des Fourierschen Gesetzes (4.2) folgt also κ θ (x) = x Γ, (6.1) n θ wobei = θ n die Normalenableitung bezeichnet. Da kein Material n vollständig isolierend wirkt, ist auch dies eine idealisierte Randbedingung. Bei (6.1) handelt es sich wieder um eine homogene Neumann-Randbedingung, wäre die rechte Seite ungleich Null; hätten wir eine inhomogene Neumann- Randbedingung. (3) Robin-Randbedingung: Im Gegensatz zur Dirichlet- und Neumann-Randbedingung stellt die Robin- Randbedingung bei niedrigen Temperaturen ein durchaus realitätsnahes Modell dar. Sie ist gegeben durch κ θ (x) + α θ(x) = x Γ, n wobei α > die materialabhängige Wärmeübergansgzahl ist. Auch hier unterscheidet man wieder zwischen dem homogenen und inhomogenen Fall. Die drei Randbedingungen werden manchmal auch als Randbedingung erster, zweiter und dritter Art bezeichnet. Es gibt weitere Randbedingungen für die Laplace- Gleichung, beispielsweise Randbedingungen, die die Wärmestrahlung berücksichtigen, was bei hohen Temperaturen entscheidend ist. Diese Randbedingungen sind dann i.d.r. nicht-linear wie beispielsweise die Boltzmann-Randbedingung. Bei zeitabhängigen Problemen werden neben Randbedingungen auf Γ auch noch Anfangsbedingungen zum Startzeitpunkt t = t benötigt. Bei der Wärmeleitgleichung wird dazu einfach die Temperaturverteilung im Körper zur Startzeit vorgegeben: θ(x, t ) = θ (x) x Ω. Bei PDGl en mit einer zweiten Zeitableitung wie der Wellengleichung (5.5) wird eine weitere Anfangsbedingung benötigt, vgl. Kapitel??.

KAPITEL 3 Grundbegriffe und Klassifikation In diesem Kapitel werden wir eine Schreibweise kennenlernen, mit der man elegant eine allgemeine Form einer PDGl formulieren kann. Danach werden wir PDGl en zweiter Ordnung in drei Klassen unterteilen. Im Gegensatz zu Kapitel 2 werden wir im Folgenden Vektoren nicht mehr durch einen Vektorpfeil kennzeichnen. Des Weiteren heißt die gesuchte Lösung einer PDGl von nun an u, und wir bezeichnen den Vektor der unabhängigen Variablen (x 1,..., x n ) gelegentlich einfach als x. Um eine PDGl kompakt aufschreiben zu können, führen wir so genannte Multiindizes ein: Definition 1.1 Sei n N. Ein n-tupel nicht-negativer reeller Zahlen α = (α 1,..., α n ), α i N {}, i = 1, 2,..., n, heißt Multiindex. Der Betrag von α ist definiert durch α := α 1 +... + α n. Mit Hilfe von Multiindizes lassen sich (mehrfache) Ableitungen sehr kompakt schreiben. Dazu sei n N und α ein gegebener Multiindex. Ferner sei u : R n R eine α -mal stetig diffbare Funktion. Wir definieren D α u := α u x α 1 1 x α 2 2... x αn Beispielsweise erhalten wir für n = 5, α = (, 1,, 2, ): 3 u n. (1.2) D α u =. x 2 x 2 4 Derartige Differentialoperationen mit Multiindizes kann man natürlich auch mehrfach hintereinander ausführen, z.b. für n = 3 α = (1,, 2), β = (, 1, 1) D α D β 5 u 5 u u = = x 1 x 2 3 x 2 x 3 x 1 x 2 x 3 3 (wobei wir vorausgesetzt haben, dass u 5-mal stetig diffbar und somit der Satz von Schwarz anwendbar ist, so dass die Differentiationen vertauscht werden können). Falls α = e j (j-ter kartesischer Einheitsvektor) ist D α u = u x j. Wir schreiben in diesem Fall auch einfach D j u = u x j. Entsprechend erhält man beispielsweise D i D j u = 2 u x i x j und u = (D i u) n i=1, u = n Di 2 u. Mit dieser Schreibweise ist lässt sich der allgemeine Differentialoperator aus (1.2) auch als D α u = D α 1 1 D α 2 2...Dn αn u schreiben. Mit Hilfe von (1.2) können wir nun definieren, was wir unter dem Begriff partiellen Differentialgleichung eigentlich genau verstehen wollen: 23 i=1

24 3. GRUNDBEGRIFFE UND KLASSIFIKATION Definition 1.2 (Partielle Differentialgleichung) Sei Ω R n, n N, ein Gebiet und F : Ω R k R, k N, und f : Ω R gegebene Funktionen. Eine Gleichung der Form F (x, D α1 u(x),..., D αk u(x)) = f(x), x Ω, (1.3) heißt partielle Differentialgleichung (PDGl) in n reellen Veränderlichen für die gesuchte Funktion u : Ω R. Dabei sind α 1,..., α k Multiindizes, also jeweils Vektoren der Dimension n. Gilt α i m für alle i = 1,..., k, und existiert ein α j mit α j = m, so heißt die PDGl von m-ter Ordnung. 1 (Wir gehen bei dieser und den folgenden Definitionen davon aus, dass die Nichtlineartät F keinen Term nullter Ordnung enthält, d.h. keinen Term, der von u unabhängig ist und als Summand auftaucht. Die rechte Seite f ist somit der einzige Term dieser Art.) Definition 1.3 Ist f(x), dann heißt eine PDGl der Form (1.3) homogen. Andernfalls nennen wir sie inhomogen. Beispiel 1.4 Es sei n = 2, sodass u = u(x 1, x 2 ). Das Gebiet ist durch den Einheitskreis gegeben, d.h. Ω = {(x 1, x 2 ) x 2 1 + x 2 2 < 1}. Wir wählen k = 2 und F (x, w) = x 1 w 2 1 + w 2, α 1 = (1, ), α 2 = (1, 2). Dann ergibt sich die folgende (homogene) PDGl Ihre Ordnung ist m = 3. x 1 (D 1 u) 2 + D 1 D 2 2u =, x Ω. Wie bei gewöhnlichen Differentialgleichungen benötigt man noch weitere Gleichungen, um Lösungen von PDGlen eindeutig zu bestimmen, so geannte Anfangs- und Randbedingungen, s. Abschnitt 2.6. Wieviele derartiger Gleichungen benötigt werden, hängt von der Ordnung der PDGl ab. Beispiele hierfür werden wir im Laufe der Vorlesung noch kennenlernen. Im Folgenden werden wir verschiedene Typen von PDGl en unterscheiden. Definition 1.5 (Lineare und nichtlineare PDGl) Im Folgenden sei Ω R n ein Gebiet und f : Ω R eine gegebene Funktion. (1) Eine partielle Differentialgleichung der Form a α (x)d α u = f(x) (1.4) α k mit gegebenen Funktionen a α heißt linear. (2) Hat eine partielle Differentialgleichung k-ter Ordnung die Form a α (x)d α u + F (x, D α1 u,..., D αl u) = f(x), α =k mit α 1,..., α l < k (d.h. alle in F stehenden Ableitungen besitzen die Ordnung kleiner als k), dann heißt sie semilinear. Der Term α =k a α(x)d α u wird (linearer) Hauptteil genannt. 1 Dabei wird stillschweigend vorausgesetzt, dass nach D aj x u umgestellt werden kann, diese Ableitung also wirklich auftritt.

3. GRUNDBEGRIFFE UND KLASSIFIKATION 25 (3) Hat eine PDGl die Ordnung k und die Gestalt a α (x, D β1 u,..., D βp u)d α u + F (x, D α1 u,..., D αl u) = f(x), α =k wobei α 1,..., α l, β 1,.., β p k 1 gilt, so heißt sie quasilinear. Der Hauptteil ist hier zwar nichtlinear, die höchsten Ableitungen kommen allerdings nur linear vor. (4) Trifft keiner der vorigen Fälle zu, so heißt die PDGl nichtlinear. Wir beobachten, dass jede lineare PDGl semilinear und jede semilineare PDGl quasilinear ist. Beispiel 1.6 x 3 1D 2 D 3 u + D 1 u = (1) Homogene, lineare PDGl 2. Ordnung: { aα D α u + D β u = (2) Inhomogene, semilineare PDGl 2. Ordnung: mit α = (, 1, 1), a α (x) = x 3 1, β = (1,, ) x 3 1D 2 D 3 u + (D 1 u) 2 = sin(x) (3) Homogene, quasilineare PDGl 2. Ordnung: x 3 1(D 2 D 3 u)(d 1 u) 2 = (4) Homogene, nichlineare PDGl 1. Ordnung: (D 1 u) 2 + (D 2 u) 2 = Bemerkung 1.7 In der Literatur lässt sich im Falle linearer PDGl en häufig folgende Notation für die linke Seite von (1.4) finden: Lu := a α (x)d α u. α k L wird als Differentialoperator bezeichnet. Er bildet Funktionen auf andere Funktionen ab. Beispielsweise bildet L = = i D2 i zweimal stetig diffbare Funktionen auf stetige ab. Differentialoperatoren sind deshalb Abbildungen in Funktionenräumen. Wir hatten bereits in Kapitel 2 die Begriffe elliptische, parabolische und hyperbolische PDGl erwähnt. Wir wollen diese Begriffe nun für den Fall von semilinearen PDGl en zweiter Ordnung exakt definieren. PDGl en zweiter Ordnung kommt eine besondere Bedeutung zu, da sie in vielen physikalischen Modellen auftreten, vgl. (4.5), (4.6) und (5.5). Nach Definition 1.5(2) kann eine solche PDGl in die Form n n a ij (x)d i D j u + F (x, u, D 1 u,..., D n u) = f(x) (1.5) i=1 j=1 gebracht werden. Hierbei sind α 1,..., α l < 2 wie in Definition 1.5(2) und die a ij : Ω R sind so gewählt, dass a ij = a α, falls die i-te und j-te Komponente des entsprechenden Multiindex α ungleich Null sind, und a ij, sonst. Die a ij definieren eine Matrix A R n n, A = (a ij ) n i,j=1, die wir Koeffizientenmatrix nennen

26 3. GRUNDBEGRIFFE UND KLASSIFIKATION wollen. Wir können o.b.d.a. annehmen, dass A symmetrisch ist. Falls dies nicht der Fall ist, können wir die PDGl so umformen, dass eine symmetrische Koeffizientenmatrix entsteht, denn wegen des Satzes von Schwarz, also D i D j u = D j D i u für zweimal stetig diffbare u, gilt: n a ij D i D j u = i,j=1 n i,j=1 a ij + a ji 2 D i D j u =: Die neue Koeffizientenmatrix à ist dann symmetrisch. n ã ij D i D j u. Die Einteilung der PDGl ist durch die Vorzeichen der Eigenwerte von A gegeben: Definition 1.8 (Elliptische, parabolische, hyperbolische PDGl en) Wir betrachten eine PDGl der Form (1.5) mit symmetrischer Koeffizientenmatrix A. Die PDGl heißt (1) elliptisch in x Ω, falls die Eigenwerte von A(x) entweder alle positiv oder alle negativ sind, (2) parabolisch in x Ω, falls alle Eigenwerte von A(x) entweder positiv oder negativ sind, außer einem, der gleich Null ist. (3) hyperbolisch in x Ω, falls A(x) nur einen negativen Eigenwert hat und alle anderen Eigenwerte positiv sind, oder falls A(x) nur einen positiven Eigenwert hat und alle anderen negativ sind. Falls die entsprechende Eigenschaft in jedem Punkt x Ω gilt, heißt die PDGl elliptisch, parabolisch bzw. hyperbolisch. Bemerkung 1.9 Falls es sowohl mehrere positive als auch negative Eigenwerte gibt und keiner der Eigenwerte gleich Null ist, nennt man die PDGl ultrahyperbolisch. Derartige Gleichungen werden wir im Rahmen dieser Vorlesung nicht behandeln. Bemerkung 1.1 Wir beobachten, dass diese Einordnung von PDGl en nur vom Hauptteil abhängt. Lineare PDGl en zweiter Ordnung als Spezialfall semilinearer Gleichungen werden daher genauso eingeteilt wie in Definition 1.8. Des Weiteren spielt auch die Inhomogenität keine Rolle bei der Einteilung von PDGl en in elliptische, parabolische und hyperbolische Gleichungen. i,j=1 Lemma 1.11 Sei n = 2 (zweidimensionales Gebiet). Dann ist die PDGl in (1.5) elliptisch, falls a 11 a 22 a 2 12 > parabolisch, falls a 11 a 22 a 2 12 = hyperbolisch, falls a 11 a 22 a 2 12 <. Beweis: Der Einfachheit halber unterdrücken wir die (mögliche) Abhängigkeit von A von x. Für die Eigenwerte λ i, i = 1, 2, von A R 2 2 gilt λ 1 λ 2 = det A = a 11 a 22 a 12 a 21 = a 11 a 22 a 2 12. Ist die PDGl elliptisch, dann gilt nach Definition 1.8(1) λ 1 λ 2 >, woraus die erste Aussage folgt. Entsprechend diskutiert man die anderen Fälle.

3. GRUNDBEGRIFFE UND KLASSIFIKATION 27 Beispiel 1.12 Wir betrachten u.a. die PDGl en aus Kapitel 2. (1) Lapace-Gleichung: Nach (4.6) ist die Laplace-Gleichung durch n u = Di 2 u = i=1 gegeben. Da keine gemischten Ableitungen auftreten, gilt A = I := diag( 1,..., 1) in (1.5). Die Eigenwerte von A sind also alle negativ, so dass die Laplace-Gleichung elliptisch ist. Wir beobachten außerdem, dass die PDGl linear ist. Die gleichen Aussagen gelten natürlich auch für die Poisson-Gleichung (4.7), da die Inhomogenität bei der Einordnung der PDGl keine Rolle spielt. (2) Wärmeleitgleichung: Die Wärmeleitgleichung lautet nach (4.5) u n t 2 u x 2 i i=1 =. (1.6) Hierbei ist Anzahl der reellen Veränderlichen durch n + 1 gegeben, und t =: x n+1 ist die (n + 1)-ste Variable. Damit ist (1.6) äquivalent zu n Di 2 u + D n+1 u =, so dass i=1 1... 1... A =...... 1... da keine Ableitung nach x n+1 im Hauptteil der PDGl auftaucht. Nach Definition 1.8(2) ist die PDGl daher parabolisch. 2 Wie die Laplace-Gleichung ist auch diese PDGl linear. (3) Wellengleichung: Wieder setzen wir x n+1 := t. Dann ist die Wellengleichung durch n c 2 Di 2 u + Dn+1u 2 =, i=1 gegeben, vgl. (5.5). Damit ist c 2... c 2... A =...... c 2... 1 und die Wellengleichung nach Definition 1.8(3) deshalb hyperbolisch. Wie Wärmeleit- und Laplace-Gleichung ist auch die Wellengleichung linear. 2 Beachte, dass die Eigenwerte der Diagonalmatrix A gerade die Diagonaleinträge sind.

28 3. GRUNDBEGRIFFE UND KLASSIFIKATION (4) Tricomi-Gleichung: Diese PDGl ist definiert durch 2 u x 2 + 2 u = x x 2 1 x 2 2 D1u 2 + D2u 2 =. 2 Sie taucht bei der Modellierung transsonischer Fluide auf. Hierbei ist die Koeffizientenmatrix gegeben durch A(x) = A(x 1, x 2 ) = ( ) x2 1 Demnach ist die Tricomi-Gleichung elliptisch in {x R 2 : x 2 > }, parabolisch auf {x R 2 : x 2 = } und hyperbolisch in {x R 2 : x 2 < }. Die zunächst willkürlich erscheinende Einteilung von PDGl en zweiter Ordnung nach den Vorzeichen der Eigenwerte der Koeffizientenmatrix ist dadurch begründet, dass die PDGl en in der jeweilige Klasse durch ähnliche Techniken analytisch behandeln und lösen lassen. 3 Wir werden uns in den nächsten Kapiteln eingehender mit Laplace-, Wärme- und Wellengleichung als Prototypen für elliptische, parabolische und hyperbolische PDGl en befassen. Andere lineare PDGl en dieser Typen lassen sich mit ähnlichen Techniken behandeln. 4 Nichtlineare PDGl en dagegen erfordern andere Techniken, auf die wir aus Zeitgründen nicht eingehen können. 3 Das gilt sowohl für analytische wie auch numerische Lösungstechniken. 4 Vorausgesetzt die Daten, wie z.b. die Koeffizientenfunktionen, sind genügend regulär.

KAPITEL 4 Elliptische Differentialgleichungen die Laplace-Gleichung Inhalt 1 Trennung der Variablen die Fourier-Methode 3 2 Fundamentallösung 38 3 Die Greensche Funktion 47 4 Maximumprinzip 53 Im folgenden Kapitel untersuchen wir die Klasse der elliptischen PDGl en. Wir konzentrieren uns dabei auf die Laplace- bzw. Poisson-Gleichung (4.6) und (4.7), also 1 u(x) = und Randbdg. für x in Ω u(x) = f(x) und Randbdg., für x in Ω wobei wir die ersten zwei Randbedingungen aus Abschnitt 2.6 betrachten, d.h. u u(x) = g(x) für x auf Γ oder (x) = g(x) für x auf Γ, n wobei Γ = Ω wieder der Rand von Ω ist. Die Lösung u wird im Folgenden als skalarwertig angenommen. Zunächst lernen wir ein Verfahren kennen, mit dem man Lösungen der Laplacebzw. Poisson-Gleichung in bestimmten Situationen explizit ausrechnen kann. Danach analysieren wir diese Gleichungen aus mathematischer Sicht. Wir zeigen, unter welchen Umständen eindeutige Lösungen dieser Gleichung existieren, und entwickeln eine allgemeine Darstellung solcher Lösungen. Diese Darstellung lässt zudem verschiedene Aussagen über die jeweilige Lösung zu. Die damit zusammenhängende Theorie wird klassische Theorie genannt. Diese Theorie diskutiert Fragen nach Existenz und Eindeutigkeit in den Räumen die sich beim ersten Blick auf die PDGl anbieten, im Fall der Laplace-Gleichung z.b. im Raum der zweimal stetig diffbaren Funktionen. Bemerkung.13 Auf ähnliche Weise wie für die Laplace- bzw. Poisson-Gleichung kann man diese Theorie auch für eine ganze Klasse von elliptische PDGl en der Form div A(x) u(x) = f(x) (A(x) u(x)) n(x) + α(x) u(x) = g(x) für x in Ω für x auf Γ entwickeln. Hierbei ist A : Ω R n n eine für alle x Ω (uniform) positiv definite Matrix, und α : Γ R erfüllt α(x) α > für alle x Γ. Hierzu muss man 1 Wie schon im vorigen Kapitel bezeichnen wir die Lösung einer PDGl mit u. 29

3 4. ELLIPTISCHE DIFFERENTIALGLEICHUNGEN DIE LAPLACE-GLEICHUNG allerdings hohe Regularitätsanforderungen an A und α stellen. Diese kann man umgehen, wenn man elliptische PDGl en mit Hilfe der so genannten schwachen Theorie diskutiert, s. Abschnitt??. 1 Trennung der Variablen die Fourier-Methode Bei der Fourier-Methode handelt es sich um eine Technik, mit der man eine große Zahl linearer PDG en auf einfachen Gebieten, wie beispielsweise einem Rechteck oder einem Kreis, lösen kann. Sie ist auch als Methode der Trennung der Variablen oder Separationsmethode bekannt. Als Lösungen ergeben sich i.a. allerdings unendliche Reihen, also etwas unhandliche Objekte. Wir erläutern in dieser Vorlesung diese Technik nur für homogene PDGl en. Man kann sie auch auf inhomogene PDGl en adaptieren, worauf wir aber nicht eingehen werden, s. Bemerkung 1.5. Die Fourier-Methode erklärt man am einfachsten an Beispielen, was wir im Folgenden anhand zweier Laplace-Gleichungen ausführen werden. 1. Beispiel Die Laplace-Gleichung auf dem Einheitsquadrat Wir betrachten die Laplace-Gleichung auf dem Einheitsquadrat mit inhomogenen Dirichlet-Randbedingungen u = in Ω = (, 1) (, 1) (1.1a) u = g auf Γ = Ω. (1.1b) Die Rand-Inhomogenität g habe folgende Struktur: g(, y) = g(1, y) = y [, 1], g(x, ) = x [, 1], g(x, 1) = f(x) x [, 1] mit einer gegebenem Funktion f. Die Inhomogenität g ist also nur auf dem oberen Rand des Quadrats ungleich Null. Wir nehmen an, dass die Lösung folgende Struktur hat u(x, y) = X(x)Y (y) (1.2) (oder eine additive Superposition solcher Lösungen ist). Hierbei sind X, Y : [, 1] R Funktionen, die nur von einer Variablen abhängen. Bei (1.2) handelt es sich um einen Ansatz, den Separationsansatz, d.h. wir vermuten nur, dass eine mögliche Lösung so aussehen könnte. 2 Beim Separationsansatz treten die unabhängigen Variablen x und y (multiplikativ) getrennt voneinander auf, daher der Name Trennung der Variablen. Setzt man den Seperationsansatz in die Laplace-Gleichung (1.1a) ein, ergibt sich (unter der Annahme, dass X(x), Y (y) ) X (x) X(x) = Y (y) Y (y). 2 Die Struktur des Gebiets, also des Quadrats {(x, y) R 2 : x (, 1), y (, 1)}, bei dessen Beschreibung x und y unabhängig voneinander sind, deutet darauf hin, dass der Separationsansatz zum Erfolg führen könnte.

4. TRENNUNG DER VARIABLEN DIE FOURIER-METHODE 31 Die linke Seite dieser Gleichung hängt nur von x ab, die rechte nur von y. Dann können die beiden Seiten nur gleich sein, wenn sie gleich einer Konstanten sind, die wir λ R nennen wollen. Es folgt also bzw. X (x) X(x) = Y (y) Y (y) = λ (1.3) X (x) + λx(x) = in (, 1) (1.4) Y (y) λy (y) = in (, 1). (1.5) Die erste GDGl (1.4) entspricht gerade dem Sturm-Liouvilleschen Eigenwertproblem (A.2.1) aus Anhang A. Aus der Dirichlet-Randbedingungen (1.1b) ergeben sich folgende Randbedingungen für (1.4): u(, y) = X()Y (y) =! y [, 1] X() = X(1) =, (1.6) u(1, y) = X(1)Y (y) =! y [, 1] also Randbedingungen der Form (A.2.2). Nicht-triviale Lösungen für (1.4) mit diesen Randbedingungen sind nach Satz A.2.2 nur möglich, falls λ mit einem Eigenwert λ n = (n π) 2, n = 1, 2,..., übereinstimmt. Die zugehörige nicht-triviale Lösung ist dann die Eigenfunktionen in (A.2.11), also X n (x) = sin(n π x), bzw. jedes beliebige Vielfache davon. Um also überhaupt nicht-triviale Lösungen zu erhalten, muss die Konstante in (1.3) also gleich einem Eigenwert sein, so dass die zweite GDGl für Y durch Y (y) (n π) 2 Y (y) = in (, 1) (1.7) gegeben ist. Nach den Überlegungen im vorigen Abschnitt ist die Lösung dieser Gleichung durch (2.5) gegeben, also: Y (y) = c 1 e n π y + c 2 e n π y. Die Randbedingung bei y = lautet u(x, ) = für alle x [, 1], so dass Y nach derselben Argumentation wie in (1.6) die Randbedingung Y () = erfüllen muss. Es gilt also! Y () = c 1 + c 2 = c 1 = c 2. Die Lösung von (1.7) hat daher die Form Y (y) = c 1 ( e n π y e n π y) = 2 c 1 sinh(n π y) =: 2 c 1 Y n (y) mit Y n (y) = sinh(n π y). Zusammenfassend haben wir damit gezeigt, dass die Funktionen u n (x, y) := X n (x)y n (y) = sin(nπ x) sinh(nπ y) die Laplace-Gleichung (1.1a) und die Randbedingungen u(x, ) = und u(, y) = u(1, y) = erfüllen. Man sieht leicht, dass wegen der Linearität der Laplace-Gleichung dasselbe auch für beliebige Linearkombinationen der u n gilt. Um auch die Randbedingung u(x, 1) = f(x) zu erfüllen, wählen wir als Ansatz für die Lösung der PDGl eine unendliche Linearkombination der u n : u(x, y) = c n u n (x, y) = c n sin(nπ x) sinh(nπ y). (1.8) n=1 n=1