Fall 11 (Marco Donatsch, 5./6. Dezember 2011) Analyse des Sachverhalts: befristetes Anstellungsverhältnis bei einem Bundesamt «ungenaue» Arbeitszeiterfassung durch Angestellten Vertrauensverlust des Vorgesetzten «unverzügliche» ordentliche Kündigung durch ein dem Angestellten ausgehändigtes Schreiben des Vorgesetzten 1
Problemstellungen (Überblick) Rechtsnatur und Rechtsgrundlage des Anstellungsverhältnisses Allgemeine Voraussetzungen einer formell und materiell rechtmässigen Kündigung: Kündigungsschutz im öffentlichen Dienst Rechtsweg: Vorgehen bei der Anfechtung einer Kündigung - insb.: Was kann X mit der Anfechtung der Kündigung erreichen? 2
Rechtsgrundlage: Bundespersonalgesetz (BPG, SR 172.220.1) Art. 2 BPG: Geltungsbereich Gilt namentlich für Zentralverwaltung. Art. 6 BPG: Anwendbares Recht Soweit BPG und andere Bundesgesetze nichts Abweichendes bestimmen, gelten sinngemäss die Bestimmungen des OR für das Arbeitsverhältnis. Art. 8 BPG: Das Arbeitsverhältnis ist öffentlich-rechtlicher Natur. Es entsteht in der Regel durch den Abschluss eines schriftlichen Arbeitsvertrages. 3
Bundespersonalgesetz Art. 11 BPG: Auflösung befristeter Arbeitsverhältnisse BBl 1998, S. 1613: ordentliche Kündigung sei nicht möglich! Art. 12 BPG: Auflösung unbefristeter Arbeitsverhältnisse Art. 12 Abs. 6 BPG: Nach Ablauf der Probezeit gelten als Gründe für die ordentliche Kündigung durch den Arbeitgeber: a. die Verletzung wichtiger gesetzlicher oder vertraglicher Pflichten; b. Mängel in der Leistung oder im Verhalten, die trotz schriftlicher Mahnung anhalten oder sich wiederholten; c. mangelnde Eignung, Tauglichkeit oder Bereitschaft, die im Arbeitsvertrag vereinbarte Arbeit zu verrichten; d. mangelnde Bereitschaft zur Verrichtung zumutbarer anderer Arbeit; e. schwer wiegende wirtschaftliche oder betriebliche Gründe, sofern der Arbeitgeber der betroffenen Person keine zumutbare andere Arbeit anbieten kann; f. der Wegfall einer gesetzlichen oder vertraglichen Anstellungsbedingung. 4
Bundespersonalgesetz Art. 13 BPG: Formvorschriften Die Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach den Art. 11 und 12 BPG hat schriftlich zu erfolgen (Abs. 1). Können sich die Parteien über die Beendigung nicht einigen, so kündigt der Arbeitgeber in Form einer Verfügung (Abs. 3). Art. 14 BPG: Folgen bei der Verletzung der Bestimmungen über die Auflösung (1) Der Arbeitgeber bietet der betroffenen Person die bisherige oder, wenn dies nicht möglich ist, eine zumutbare andere Arbeit an, wenn sie innert 30 Tagen nach Kenntnisnahme eines mutmasslichen Nichtigkeitsgrundes beim Arbeitgeber schriftlich und glaubhaft geltend macht, die Kündigung sei nichtig, weil sie: a. wichtige Formvorschriften verletzt; b. nach Artikel 12 Absätze 6 und 7 nicht begründet ist; (2) Verlangt der Arbeitgeber bei der Beschwerdeinstanz nicht innert 30 Tagen nach Eingang der geltend gemachten Nichtigkeit die Feststellung der Gültigkeit der Kündigung, so ist die Kündigung nichtig und die betroffene Person wird mit der bisherigen oder, wenn dies nicht möglich ist, mit einer anderen zumutbaren Arbeit weiterbeschäftigt. 5
Wesenmerkmale des privaten Arbeitsvertrags Privatautonomie, sofern keine zwingenden Bestimmungen Grundsatz der Kündigungsfreiheit «der Wille einer Partei, das Arbeitsverhältnis zu beenden, ist grundsätzlich zu respektieren Die Kündigung ist an keine objektiven Voraussetzungen gebunden und entfaltet, wenn sie einmal ausgesprochen wurde, ihre vollen Wirkungen.» (BBl 1984 II 551, 586) 6
Wesensmerkmale des öffentlichen Rechts zwingendes Recht Legalitätsprinzip (Grundlage und Schranke staatlichen Handelns ist das Recht, Art. 5 Abs. 1 BV) Staatliches Handeln muss im öffentlichen Interesse liegen und verhältnismässig sein (Art. 5 Abs. 2 BV) Rechtsgleichheit 7
Kündigungsschutz gemäss OR Prinzip der Kündigungsfreiheit Schranke: Missbräuchlichkeit (Art. 336 OR) Rechtsfolge: sehr beschränkte Entschädigungspflicht (Art. 336a OR) (zeitlich beschränkter) Bestandesschutz einzig bei Kündigung zur Unzeit (Art. 336c OR) 8
Kündigungsschutz im öffentlichen Dienst von Verfassungs wegen, d.h. auch wenn das anwendbare Personalrecht keine dementsprechenden Kündigungsschutzbestimmungen enthält sachlicher Grund (m.a.w. keine Beschränkung auf Missbrauchstatbestände) Interessenabwägung / Prüfung der Verhältnismässigkeit (mildere Massnahme?) Chance zur Bewährung Anspruch auf rechtliches Gehör Beweislast für sachlichen Kündigungsgrund? 9
Kündigungsschutz im öffentlichen Dienst Frage des Bestandesschutzes: Weiterbestand des Anstellungsverhältnisses infolge Aufhebung der Kündigungsverfügung auf dem Rechtsweg Ausgangspunkt: gesetzliche Regelung Bestandesschutz von Verfassungs wegen? Wirksamer Rechtsschutz nach Art. 29a BV (Rechtsweggarantie)? 10
Diskussion Gewährung des rechtlichen Gehörs (Art. 29 Abs. 2 BV): vorgängige Anhörung /Recht auf Stellungnahme: Behörde muss Äusserungen des Betroffenen tatsächlich zur Kenntnis nehmen und sich damit in Entscheidfindung und -begründung sachgerecht auseinandersetzen. Anspruch auf Begründung: Schriftliche Mahnung? Die historische, die teleologische als auch die systematische Gesetzesauslegung legt es nahe, nicht nur bei einer Kündigung gestützt auf Art. 12 Abs. 6 lit. b BPG, sondern auch im Falle von Art. 12 Abs. 6 lit. a BPG die Pflicht des Arbeitgebers zur Verwarnung des Arbeitnehmers, bevor eine Kündigung ausgesprochen werden darf, zu bejahen (BGr, 30. Juni 2008, 1C_277/2007, E. 5). 11