Aus dem Zentrum der. Chirurgie. des Fachbereichs Medizin der Johann Wolfgang Goethe-Universität. Frankfurt am Main

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Aus dem Zentrum der Chirurgie des Fachbereichs Medizin der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main Geschäftsführender Direktor: Prof. Dr. I. Marzi Klinik für Urologie und Kinderurologie Direktor: Prof. Dr. D. Jonas Einführung des da Vinci -Operationsroboters in die operative Urologie Habilitationsschrift für das Fach Urologie dem Fachbereich Medizin der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main vorgelegt von Dr. Wassilios Bentas Frankfurt am Main 2008

- 2 - Meinem lieben Vater 16.01.2002

- 3 - Inhaltsverzeichnis 1. Gegenstand der vorliegenden Habilitationsschrift. 6 Seite 2. Einleitung 8 2.1 Minimal-invasive Operationstechniken in der Urologie... 8 2.2 Historische Entwicklung von Roboter-Systemen in der Urologie.. 11 2.2.1 Offline Systeme.. 11 2.2.2 Online Systeme.. 12 2.3 Der da Vinci-Operationsroboter... 15 2.4. Einführung des da Vinci-Operationsroboters in die operative Urologie.. 21 2.4.1 Radikale Prostatektomie... 21 2.4.2 Radikale Prostatektomie: Frankfurter Technik.. 22 2.4.3 Radikale Zystektomie mit Anlage einer orthotopen Ileumneoblase... 22 2.4.4 Adrenalektomie.. 23 2.4.5 Nierenbeckenplastik nach Anderson-Hynes.. 24 3. Material und Methoden 25 3.1 Allgemeines... 25 3.2 Radikale Prostatektomie 27 3.2.1 Patienten. 27 3.2.2 Operationstechnik.. 27 3.2.3 Follow-up. 27 3.3 Radikale Prostatektomie: Frankfurter Technik 28 3.3.1 Patienten. 28 3.3.2 Operationstechnik.. 28 3.3.3 Follow-up. 35

- 4-3.4 Radikale Zystektomie mit Anlage einer orthotopen Ileumneoblase.. 35 3.4.1 Patient.. 35 3.4.2 Operationstechnik.. 35 3.4.3 Follow-up. 37 3.5 Adrenalektomie 38 3.5.1 Patienten. 38 3.5.2 Operationstechnik.. 38 3.5.3. Follow-up. 40 3.6 Nierenbeckenplastik 40 3.6.1 Patienten. 40 3.6.2 Operationstechnik.. 40 3.6.3 Follow-up. 41 4. Ergebnisse. 43 4.1 Radikale Prostatektomie 43 4.2. Radikale Prostatektomie: Frankfurter Technik 49 4.3 Radikale Zystektomie mit Anlage einer orthotopen Ileumneoblase.. 50 4.4 Adrenalektomie 51 4.5 Nierenbeckenplastik 52 5. Diskussion. 56 5.1 Allgemeines.. 56 5.2. Einführung des da Vinci-Operationsroboters in die operative Urologie.. 57 5.3 Aspekte des da Vinci-Systems. 67 5.4 Aktueller Stand der robotischen urologischen Chirurgie. 74 5.5 Schlussfolgerungen 78 6. Zusammenfassung 80

- 5-7. Literaturverzeichnis.. 82 8. Anhang. 94 8.1 Eigene Publikationen.. 94 8.2 Abkürzungsverzeichnis. 95 Danksagung.. 96

- 6-1. Gegenstand der vorliegenden Habilitationsschrift Im Jahr 1999 kamen wir in die glückliche Situation das da Vinci Surgical System (Intuitive Surgical Inc., Sunnyvale, California, USA), den bis heute innovativsten kommerziell verfügbaren Operationsroboter, an das Universitätsklinikum Frankfurt am Main zu bekommen. Das da Vinci-System wurde in Europa seit 1998 vorwiegend von Herzchirurgen zur Etablierung minimal-invasiver Operationstechniken eingesetzt und wurde an unserem Klinikum zunächst ausschließlich von der Klinik für Herz-Thorax- Chirurgie genutzt. In dem Bestreben, die Ende der 90er Jahre in der operativen Urologie neu entwickelten minimal-invasiven laparoskopischen Techniken in unser eigenes operatives Spektrum aufzunehmen, kamen wir bis dahin regelmäßig an unsere Grenzen. Im Vergleich, zum Beispiel zur Cholezystektomie im Bereich der Allgemeinchirurgie, fehlt der operativen Urologie ein häufiger und laparoskopisch vergleichsweise einfach durchzuführender Eingriff, so dass unsere laparoskopischen Vorkenntnisse durch nur selten durchgeführte, relativ simple laparoskopische Eingriffe, sehr begrenzt waren. Durch einen Blick auf das da Vinci-System im benachbarten Operationssaal der Klinik für Herz-Thorax-Chirurgie und inspiriert durch den regen Gedankenaustausch mit den damit operierenden Kollegen, entwickelte sich langsam aber stetig die Idee, das zur Vereinfachung minimal-invasiver laparoskopischer Operationstechniken entwickelte System auch bei urologischen Indikationen einzusetzen. Nach diversen Besprechungen mit Vertretern von Intuitive Surgical Inc., Erstellung eines da Vinci-Teams, dem ich zugehörte, Einarbeitung in das System, Übungen an Modellen sowie Simulation von Operationen an menschlichen Leichen im da Vinci- Trainingszentrum in Brüssel, konnten wir schließlich am 23.05.2000 die weltweit erste da Vinci-assistierte laparoskopische urologische Operation eine radikale

- 7 - Prostatektomie bei einem Patienten mit Prostatakarzinom erfolgreich durchführen. Dem folgten in den nächsten Monaten weltweit erste Operationen dieser Art bei diversen anderen urologischen Indikationen. Diese stellten den Anfang einer sensationellen weltweiten Erfolgsgeschichte des da Vinci in der Urologie dar. Aktuell wurden im Jahr 2007 alleine in den USA mehr als 35.000 da Vinci-assistierte radikale Prostatektomien durchgeführt. Gegenstand der vorliegenden Habilitationsschrift sind insgesamt 8 Arbeiten, die ich als Erst- oder Koautor publiziert habe und welche sich mit der Einführung des da Vinci-Systems in die minimal-invasive operative Urologie befassen [WB1-WB8, Anhang 1]. Die Untersuchungen, die den Publikationen zu Grunde liegen, habe ich seit 2000 an der Klinik für Urologie und Kinderurologie der J. W. Goethe-Universität Frankfurt am Main selbständig und in Kooperation mit anderen Kollegen unserer Abteilung durchgeführt. Alle Publikationen wurden in nationalen und internationalen peer-reviewed medizinischen Zeitschriften veröffentlicht. Die Ergebnisse der Studien waren zudem Gegenstand diverser Vorträge auf nationalen und internationalen urologischen Kongressen. Aufgrund der Arbeiten im Bereich der da Vinci-assistierten Operationen in der Urologie wurde ich 2003 vom renommierten British Journal of Urology (BJU) zu einer Übersichtsarbeit eingeladen.

- 8-2. Einleitung 2.1 Minimal-invasive Operationstechniken in der Urologie Rasante technologische Fortschritte und ein unermesslicher Erfahrungs- und Gedankenaustausch in einer globalisierten Welt haben den chirurgischen Alltag in den letzten beiden Jahrzehnten nahezu revolutioniert. Fortschritte in der Entwicklung optischer und vor allem endoskopischer Systeme sowie in der Miniaturisierung chirurgischer Instrumente haben zu einer zunehmenden Abkehr von den traditionell offenen Operationstechniken hin zu minimal-invasiven chirurgischen Zugängen geführt. Urologen haben in den letzten Jahrzehnten wiederholt technologische Neuentwicklungen in ihr Repertoire aufgenommen und dürfen sich als technikfreundliche operative Disziplin betrachten [1]. So sind zum Beispiel endourologische Techniken, angefangen von der einfachen Urethrozystoskopie über die Ureterorenoskopie bis hin zu den transurethralen sowie perkutanen pyeloskopischen Operationsverfahren, aus dem urologischen Alltag nicht mehr weg zu denken. Die Entwicklung dieser Techniken hat in der Vergangenheit auch entscheidend dazu beigetragen, dass die Urologie ein eigenständiges Fach werden konnte. Gegenüber den traditionellen, offenen Verfahren profitieren unsere Patienten von Operationen durch minimale oder natürliche Zugänge. So sind verminderter postoperativer Schmerz, verbesserte oder erhaltene Kosmetik, schnellere Rekonvaleszenz sowie kürzere Krankenhausverweildauer entscheidende Vorteile bei jedoch gleicher Sicherheit und Effektivität [2]. Die laparoskopische urologische Chirurgie begann vor etwas mehr als 15 Jahren und hat die operative Urologie zunächst elektrisiert. Im Gegensatz zu endourologischen Operationen oder der extrakorporalen Stoßwellenlithotrypsie etablierten sich jedoch die laparoskopischen Operationsverfahren trotz eindeutiger Vorteile bei zahlreichen

- 9 - urologischen Indikationen nur zögerlich, ein regelrechter Durchbruch gar blieb dieser Technik lange Jahre versagt [3]. Die anfangs in der Urologie durchgeführten laparoskopischen Operationen waren diagnostischer und ablativer Natur (intraabdominelle Hodensuche bei Maldeszensus testis, pelvine Lymphadenektomie zum Lymphknoten-Staging des Prostatakarzinoms). Durch technologische Fortschritte, verbesserte minimal-invasive operative Fertigkeiten und zunehmender operativer Erfahrung konnten im weiteren Verlauf die einfache Nephrektomie bei benignen Nierenerkrankungen, die radikale Tumornephrektomie beim Nierenzellkarzinom sowie die kontiniuitätsunterbrechende Nierenbeckenplastik bei der Nierenbeckenabgangsstenose erfolgreich laparoskopisch umgesetzt werden [2]. Durch die Berichte über die laparoskopische radikale Prostatektomie Ende der 90er Jahre durch Guillonneau und Vallancien rückte die Laparoskopie jedoch endgültig in das Blickfeld des urologischen Interesses, galt es doch das zweithäufigste Karzinom des Mannes überhaupt minimal-invasiv behandeln zu können [4]. Heute zählen Adrenalektomie, Nephrektomie, Nephroureterektomie, Lymphozelenfensterung, Varikozelenligatur, diagnostisch-therapeutische Laparoskopie beim Kryptorchismus und Nierenbeckenplastik zu den gesicherten laparoskopischen Indikationen bei benignen urologischen Erkrankungen. Die Diskussion um diese Indikationen, die Anfang der 90er Jahre im Vorgriff auf eine damals noch fehlende Datenlage geführt wurde, ist heute abgeschlossen. Die Wertigkeit laparoskopischer Verfahren bei uroonkologischen Krankheitsbildern war hingegen bis vor kurzem noch umstritten. Die heute verfügbare Datenlage attestiert jedoch der laparoskopischen Tumornephrektomie, Nephroureterektomie, Zystektomie und Prostatektomie eine Vergleichbarkeit mit den konventionellen Verfahren

- 10 - hinsichtlich funktioneller und vor allem onkologischer Ergebnisse, obwohl nur wenige prospektiv randomisierte klinische Studien vorliegen [2]. Im Vergleich zur offenen Chirurgie bietet jedoch die Laparoskopie signifikante Limitationen die es zu überwinden gilt (Tabelle 2.1.1). Anders als in der Abdominalchirurgie oder Gynäkologie, wo mit der Cholezystektomie bzw. Tubenligatur häufige und relativ einfache Eingriffe zur Aneignung laparoskopischer Grundtechniken zur Verfügung stehen, mangelt es der Urologie an entsprechenden Indikationen. Somit ist die Lernkurve in der urologischen Laparoskopie lang und beschwerlich sowie mit langen Operationszeiten und vermehrten Komplikationen verbunden [5]. Vor allem sind komplexe, ablative und vor allem rekonstruktive Operationstechniken welche insbesondere ein intrakorporales Nähen und Knoten erfordern enorm anspruchsvoll, so dass weiterführende laparoskopische Kenntnisse des Operateurs unerlässlich sind. Tabelle 2.1.1. Nachteile laparoskopischer Operationstechniken. Verlust der dreidimensionalen Orientierung Verlust der Hand-Augen-Koordination eingeschränkte Bewegungsfreiheitsgrade der Instrumente Spiegeleffekt bei Bewegungsübertragung durch fixen Trokarpunkt verminderte oder fehlende Kraftreflexion der Instrumente verstärkter Tremor durch lange Instrumente ungünstige Ergonomie

- 11 - Aus diesem Grund haben diese Techniken, die sich in der Hand des Spezialisten als vorteilhaft für den Patienten erwiesen haben, bisher keine ausreichende klinische Verbreitung in der Urologie finden können. Im Gegenteil, werden auch heute noch komplexe laparoskopische Operationen aufgrund ihres erhöhten Schwierigkeitsgrades nur von einer handvoll Operateuren weltweit routinemäßig durchgeführt [6]. 2.2 Historische Entwicklung von Roboter-Systemen in der Urologie Die Diskussion um potentielle Vorteile chirurgischer Roboter-Systeme begann in den späten 80er Jahren [7]. Anfangs wurde das größte Potential auf dem Gebiet der Neurochirurgie und Orthopädie gesehen, was zur Entwicklung von Robotern wie den ROBODOC (Integrated Surgical Systems Inc., California, USA) führte. Die hypothetischen Vorteile waren: eine verbesserte Genauigkeit von Operationen im dreidimensionalen Raum, eine erhöhte Reproduzierbarkeit repetitiver Aktivitäten, präzisere Bewegungen durch Skalierung und die Möglichkeit Operationen aus der Ferne (Telechirurgie) durchzuführen [1]. 2.2.1 Offline-Systeme Bei den Roboter-Systemen der ersten Generation handelte es sich durchwegs um Offline-Systeme. Bei diesen Systemen erfolgen anhand von fixen, vorprogrammierten Bewegungsabläufen basierend auf der präoperativen Bildgebung vollständige, vom Operateur unabhängige, automatisierte Bewegungen. Auf dem Gebiet der Urologie wurde die erste roboter-assistierte Operation mit einem solchen Offline-System 1988 von Davies et al. durchgeführt. Dabei erfolgte mit Hilfe des PUMA 560 (Programmable Universal Machine for Assembly, Connecticut Connecticut, USA) eine transurethrale Resektion der Prostata [8]. Davies definierte

- 12 - chirurgische Roboter als computer-kontrollierte Manipulatoren mit künstlicher Wahrnehmung, die zum Bewegen und Halten von chirurgischen Instrumenten zur Ausführung von chirurgischer Arbeit programmiert werden können [9]. Wahrscheinlich führte die Idee von Davies zur Entwicklung des PROBOT am Guy s Hospital in London im Jahr 1989. Beim PROBOT handelte es sich um ein automatisiertes Robotersystem der zweiten Generation, welches speziell für die transurethrale Resektion der Prostata konzipiert wurde [10]. Mit Hilfe des PROBOT erfolgte eine automatisierte, transurethrale Resektion der Prostata, die auf dreidimensionalen Resektionskoordinaten basieren, welche über eine transrektale Ultraschallsonde vor und während der Resektion generiert wurden. Obwohl sich die Methode in einer ersten Pilotstudie als sicher erwies [11], kam es nie zu einer kommerziellen Produktion. Als erstes ferngesteuertes telerobotisches System zur Anwendung bei der perkutanen Nephrolitholapaxie wurde 1996 in Baltimore, USA, der PAKY-RCM von der Gruppe um Kavoussi und Stoianovici entwickelt [12]. Aufgabe dieses Systems ist die exakte perkutane Platzierung von Nadeln in das Nierenbecken im Rahmen der perkutanen Nephrolitholapaxie aber auch bei Biopsien, z.b. der Prostata. Die Koordinaten werden dabei anhand von Daten aus Sonographie, Röntgendurchleuchtung, Computertomographie oder Kernspintomographie berechnet [13-16]. 2.2.2 Online-Systeme Im Vergleich zu Offline-Systemen sind die Online-Systeme abhängig vom Operateur, indem sie ihre Bewegungen an dessen Echtzeit-Eingaben anpassen. Sie haben sich im Gegensatz zu den Offline-Systemen in der täglichen klinischen Anwendung etablieren können.

- 13 - Automatisierte Kameraführung Der erste Online-Roboter, der durch die US-amerikanische Food and Drug Administration (FDA) für den klinischen Gebrauch in der laparoskopischen Chirurgie zugelassen wurde, war der AESOP -Kameraroboter (Automated Endoscope System for Optimal Positioning, Computer-Motion Inc., Goleta, California, USA) im Jahr 1993. Beim ersten AESOP-Modell bediente der Operateur den Roboter entweder manuell oder ferngesteuert über einen Fußpedal oder Handgriff. Die letzte Generation des AESOP wird sprachgesteuert kontrolliert [17]. Master-Slave-Systeme Die aktuellste Entwicklung auf dem Gebiet der Operationsroboter stellen die Master- Slave-Systeme dar, mit denen der Operateur über eine Kontrollkonsole ferngesteuert Roboterarme bedient. Entwickelt wurden diese Systeme auf Initiative sowohl des USamerikanischen Militärs als auch der NASA (North American Space Association) mit dem Ziel, Soldaten bzw. Astronauten mit ferngesteuerten Robotern über große Entfernungen operieren zu können, wobei das enorme zivile Potential vorerst übersehen wurde. Großvolumige Investitionen der beiden Organisationen haben schließlich zur Entwicklung der heute verfügbaren modernen Master-Slave-Systeme geführt. Mit diesen Systemen sind zwar offene Operationen prinzipiell möglich, vorwiegend werden sie jedoch in der laparoskopischen minimal-invasiven Chirurgie eingesetzt. Beim relativ einfachen ZEUS -System (Computer-Motion Inc., Goleta, California, USA) führt der sprachgesteuerte Roboter AESOP nach wie vor die Kamera. Zwei zusätzliche AESOP ähnliche Einheiten wurden modifiziert, um chirurgische Instrumente zu halten. Der Operateur sitzt entfernt vom Patienten an der Kontrollkonsole. Er wird über eine Brille mit einem dreidimensionalen (3D) Bild aus

- 14 - dem Operationssitus versorgt. Über die Konsole kann er sowohl die Kamera als auch die Instrumentenarme steuern. Darüber hinaus ermöglicht ZEUS dem Operateur ferngesteuerte Operationen über lange Distanzen mit Hilfe des Telekommunikationssystems SOCRATES [17]. Der Traum einer über eine große Entfernung gesteuerten Operation wurde im September 2001 Realität, als Marescaux et al. aus New York, USA, transatlantisch eine Cholezystektomie bei einem Patienten in Straßburg, Frankreich, laparoskopisch mit Hilfe des ZEUS durchführten. In Anlehnung an die erste nonstop Flugzeugüberquerung des Atlantiks von New York nach Paris ist dieser Eingriff als Lindbergh Operation in die Geschichte der Telechirurgie eingegangen [18]. In Deutschland wurde das ZEUS-System 1998 durch Reichenspurner in die Herz-Thorax-Chirurgie eingeführt [19]. In der Urologie wurden diverse kleinere Eingriffe bis hin zur laparoskopischen Lymphadenektomie durchgeführt [20]. Parallel zum ZEUS-System wurde von der Firma Intuitive Surgical das da Vinci- System entwickelt und 1998 auf den Markt gebracht. Bis zum Jahr 2003 konkurrierten die beiden Master-Slave-Systeme, doch nur das da Vinci-System konnte sich aufgrund seiner technischen Überlegenheit durchsetzen. Schließlich fusionierten im März 2003 beide Firmen nach jahrelangen juristischen Auseinandersetzungen über Patentrechte unter dem Namen Intuitive Surgical Inc. Das ZEUS-Projekt wurde eingestellt. Heute ist das da Vinci-System der führende Operationsroboter weltweit.

- 15-2.3 Der da Vinci-Operationsroboter Das da Vinci Surgical System ist ein technisch ausgereiftes, rechnerunterstütztes Telemanipulatorsystem. Es wurde entwickelt, um die laparoskopische Chirurgie zu vereinfachen und sie laparoskopisch unerfahrenen Operateuren zugänglich zu machen. Es handelt es sich um ein Online-System, das zu jedem Zeitpunkt der Kontrolle des Operateurs unterliegt. Es besteht aus 3 Hauptkomponenten im Sinne eines Master-Slave-Systems: 1. der Steuerungskonsole (Abb. 2.3.1), welche mit Rechnerunterstützung vom Operateur bedient wird (Master), 2. der in die Konsole eingebauten Visualisierungseinheit, welche den Operateur mit einer 3D-Darstellung des Operationssitus versorgt, sowie 3. einer fahrbaren Stativeinheit mit 3 Roboterarmen (Slave), die das 3D-Endoskop (zentraler Arm) und die Instrumente (zwei seitliche Arme) halten (Abb. 2.3.2). Abb. 2.3.1. Da Vinci-Steuerungskonsole. Abb. 2.3.2. Da Vinci-Stativeinheit.

- 16 - Die mit einem miniaturisierten mechanischen Handgelenk versehenen, speziellen da Vinci-Instrumente werden über spezielle 8-mm-Trokare eingeführt und verfügen über eine Beweglichkeit mit 6 Freiheitsgraden, die denen der menschlichen Hand überlegen sind und somit komplexe Bewegungsmuster im Situs erlauben (EndoWrist Technology; Abb. 2.3.3, 2.3.4). Abb. 2.3.3. Da Vinci-Instrumente. Abb. 2.3.4. Bewegungsfreiheitsgrade. Der Operateur sitzt an der Konsole und hält spezielle Instrumentengriffe (Master- Manipulators), über die er während des Eingriffes mit seinen beiden Händen die chirurgischen Instrumente und das Endoskop im Inneren des Patienten steuert (Abb. 2.3.5). Die Master Manipulators verfügen über Bewegungssensoren welche die Handbewegungen des Operateurs wahrnehmen, prozessorgesteuert skalieren (wahlweise 1:2,1:3 oder 1:5, Motion-Scaling) und verzögerungsfrei an die Instrumentenarme weitergeben. Dabei bewegen sich die Manipulatoren im Patienten (Slave-Manipulators) in dieselbe Richtung wie die Hände des Operateurs an den

- 17 - Master-Manipulators. Tremor und kleinere insignifikante Bewegungen des Operateurs werden darüber hinaus durch den Prozessor eliminiert. Insgesamt erreicht der Operateur so eine sehr präzise und ergonomische Handhabung seiner Instrumente. Abb. 2.3.5. Master Manipulators. Da Vinci-Instrument. Über die Visualisierungseinheit der Konsole wird der Operateur mit Bildern von der in jede gewünschte Position stufenlos lenkbaren endoskopischen Kamera versorgt. Das 3D-Endoskop besteht aus zwei parallel geschalteten, qualitativ hochwertigen 3-Chip- Kameras die den Operateur mit einem fusionierten, stereoskopischen Bild des operativen Situs versorgen (InSite Vision System, Abb. 3.2.6). Darüber hinaus ermöglicht das 3D-Endoskop eine 5- bis 10fache Vergrößerung des Operationssitus. Die Kontrollkonsole und die Visualisierungseinheit sind so angeordnet, dass der

- 18 - Operateur nach unten in den Bildschirm schaut. Durch die dreidimensionale (3D) Darstellung des Operationssitus in der Visualisierungseinheit und Anordnung der Master-Manipulators direkt darunter, entsteht für den Operateur der räumliche Eindruck, wie bei der offenen Chirurgie, von oben auf seine Hände mit den Instrumenten zu schauen und sie wie beim offenen Operieren analog im Situs zu bewegen (Surgical Immersion Technology, Abb. 3.2.7). Abb. 3.2.6. Da Vinci-3D-Endoskop. Die Konsole befindet sich bei den Eingriffen im Operationssaal einige Meter vom Patienten entfernt, so dass die Kommunikation zwischen Operateur und seinem Assistenten sowie der Operationspflegekraft direkt erfolgen kann, obwohl letztere am Operationstisch steril am Patienten stehen (Abb. 3.2.8). Der Assistent und die Operationspflegekraft wechseln nach Anweisung des Operateurs die laparoskopischen Spezialinstrumente an den Instrumentenarmen und bedienen die Assistenztrokare, über die bedarfsweise konventionelles laparoskopisches Instrumentarium eingesetzt werden kann.

- 19 - Abb. 3.2.7. Surgical Immersion Technology: Hand-Augen-Koordination. Abb. 3.2.8. Anordnung des da Vinci-Systems im Operationssaal

- 20 - Tabelle 3.2.1 fasst die Vorzüge des da Vinci-Systems zusammen und verdeutlicht, in welchem Umfang dieses System dazu beiträgt, die Begrenzungen der konventionellen Laparoskopie zu überwinden. Tabelle 3.2.1. Vergleich konventionelle und da Vinci-assistierte Laparoskopie. konventionelle Laparoskopie da Vinci Visualisierung 2D über Monitor 3D über Binokular Hand-Augen-Koordination unabhängige Kamera- und Instrumentenorientierung harmonisch Bewegungsfreiheitsgrade der 4 6 Instrumente Tremor ungefiltert gefiltert Bewegungsübertragung Spiegeleffekt variabel; abhängig vom Abstand der Instrumentenspitze zum fixen Trokarpunkt vorhanden; fixer Trokarpunkt an Bauchdecke erzwingt reverse Bewegung 1:1, 1:3 oder 1:5 nicht vorhanden; Instrumente bewegen sich in die selbe Richtung wie Hände des Operateurs Arbeitshaltung unvorteilhaft, stehend ergonomisch, sitzend

- 21-2.4. Einführung des da Vinci-Operationsroboters in die operative Urologie 2.4.1 Radikale Prostatektomie Das Prostatakarzinom ist der häufigste Tumor des Urogenitalsystems. Aus diesem Grund ist die radikale Prostatektomie der häufigste von Urologen durchgeführte Eingriff geworden [3]. Obwohl die offene retropubische radikale Prostatektomie nach wie vor den Goldstandard in der Behandlung des lokoregionären Postatakarzinoms darstellt, hat sich die laparoskopische radikale Prostatektomie nach erstmaliger Beschreibung durch Schuessler et al. 1997 in den darauf folgenden Jahren durch Fortschritte in der Operationstechnik und durch Weiterentwicklung der verwendeten Instrumente zu einer attraktiven Alternative gegenüber der offenen Operation entwickelt. Sie wurde vor allem von Richard Gaston und den Arbeitsgruppen um Guillonneau, Vallancien, Abbou, Rassweiler und Türk etabliert und standardisiert [21-27]. Es konnte gezeigt werden, dass neben den generellen Vorteilen der laparoskopischen Chirurgie die onkologischen und funktionellen Ergebnissen mit denen der offenen Chirurgie vergleichbar sind [28]. Obwohl jedoch die laparoskopische radikale Prostatektomie deutliche Vorteile für den Patienten hinsichtlich der perioperativen Morbidität bietet, hat sie sich bisher noch nicht in der Urologie etablieren können. Grund dafür ist der enorm hohe Schwierigkeitsgrad der konventionellen laparoskopischen Operationstechnik, welche eine enorme Erfahrung, insbesondere im endoskopischen Nähen und Knoten, erfordert. So erscheint eine Vereinfachung der laparoskopischen Technik dringend erforderlich, um die offene Operation als Standardverfahren abzulösen. Wir haben als weltweit erste Klinik das da Vinci-System zur Durchführung der laparoskopischen radikalen Prostatektomie eingesetzt. Unser Ziel war es, die Vorteile der laparoskopischen Chirurgie mit denen der modernen Robotertechnologie zu kombinieren und zu evaluieren, ob das da Vinci-System effektiv zur Vereinfachung

- 22 - laparoskopischer Operationstechniken in der Urologie eingesetzt werden kann. Wir haben hierfür die laparoskopische radikale Prostatektomie als Ersteingriff für den Einsatz des da Vinci-Systems ausgesucht, weil dieser Eingriff eine genaue endoskopische Visualisierung und Präparation verlangt sowie hohe Ansprüche an das endoskopische Nähen und Knoten in einem sehr begrenzten Raum retrosymphysär im kleinen Becken stellt. Neben ablativen Operationsschritten, welche neben der Prostatovesikulektomie eine Erhaltung sensibler benachbarter Strukturen (wie beispielsweise das neurovaskuläre Bündel sowie den M. sphinkter urethrae externus zur Bewahrung von Potenz und Kontinenz) erfordern, bedarf der Eingriff auch rekonstruktiver Schritte wie Rekonstruktion des Blasenhalses und vesikourethrale Anastomose. Unsere präsentierten Ergebnisse umfassen die weltweit ersten Erfahrungen mit der da Vinci-assistierten laparoskopischen radikalen Prostatektomie. 2.4.2 Radikale Prostatektomie: Frankfurter Technik Nach den ersten positiven Erfahrungen mit der da Vinci-assistierten laparoskopischen radikalen Prostatektomie wurde in mehr als 100 weiteren Eingriffen Schritt für Schritt eine roboterspezifische Frankfurter Technik für den Eingriff entwickelt. Die hier präsentierte Methode ist das Ergebnis unserer zunehmenden Erfahrung mit dem da Vinci-System, aber auch unserer großen Erfahrung mit der offenen retropubischen radikalen Prostatektomie. 2.4.3 Radikale Zystektomie mit Anlage einer orthotopen Ileumneoblase Sowohl die konventionelle laparoskopische Chirurgie als auch speziell die roboterassistierten chirurgischen Techniken haben sich von simplen ablativen Prozeduren (z.b Nephrektomie) zu anspruchsvolleren ablativen Prozeduren (z.b.

- 23 - radikale Prostatektomie) und sehr komplexen rekonstruktiven Eingriffen wie die Nierenbeckenplastik entwickelt. Hinsichtlich der radikalen Zystektomie einer der anspruchsvollsten Eingriffe im Bereich der uroonkologischen Chirurgie überhaupt war der Einsatz laparoskopischer Techniken aufgrund der hohen technischen Anforderungen bislang sehr zögerlich. Die wenigen Berichte beschränken sich auf Fallbeschreibungen, die relativ simplen Harnableitungen wurde dabei immer extrakorporal durchgeführt [29,30]. Nach eingehenden Erfahrungen mit der robotischen laparoskopischen radikalen Prostatektomie beschreiben wir hier den weltweit ersten Fall einer laparoskopischen roboterassistierten radikalen Zystektomie mit kompletter intraabdomineller Konstruktion einer orthotopen Ileum-Neoblase für die Behandlung des Transitionalzellkarzinoms der Harnblase. 2.4.4 Adrenalektomie Nachdem 1992 Gagner et al. die erste laparoskopische Adrenalektomie erfolgreich durchgeführt haben [31], konnten weitere Gruppen den Eingriff standardisieren [32-36]. Es konnte gezeigt werden, dass die Adrenalektomie eine ideale Indikation für die Laparoskopie darstellt. Obwohl die laparoskopische Adrenalektomie sich mittlerweile als Goldstandard in der Behandlung benigner Nebennierentumore etabliert hat [3], resultieren die Limitationen der konventionellen laparoskopischen Chirurgie in höheren Komplikationsraten während der ersten Eingriffe [5]. Die Adrenalektomie ist ein nicht zu unterschätzender, komplikationsträchtiger Eingriff, da die Nebenniere gut vaskularisiert ist und sich im Retroperitoneum in engster anatomischer Nachbarschaft zu Niere, Pankreas, Duodenum, Milz, Leber, A. und V. renalis sowie Aorta und V. cava befindet. Wir berichten hier über den weltweit ersten Einsatz des da Vinci-Systems bei der laparoskopischen transperitonealen Adrenalektomie.

- 24-2.4.5 Nierenbeckenplastik nach Anderson-Hynes Die laparoskopische kontinuitätsunterbrechende Nierenbeckenplastik nach Anderson- Hynes hat sich in den letzten Jahren zu einer sicheren und effektiven Technik in der Therapie der symptomatischen Nierenbeckenabgangsstenose entwickelt [37-40]. Speziell in den Händen erfahrener Operateure werden hervorragende Langzeitergebnisse erzielt, welche denen der traditionellen offenen Technik zumindest ebenbürtig sind [41,42]. Die Vorteile für den Patienten liegen in dem minimal invasiven Zugang und der damit verminderten perioperativen Morbidität. Die Krankenhausverweildauer ist verkürzt und nicht zuletzt resultiert ein verbessertes kosmetisches Ergebnis, was einen nicht zu unterschätzenden Faktor darstellt, da es sich vorwiegend um jüngere Patienten handelt [43]. Gleichwohl ist die laparoskopische Nierenbeckenplastik kein einfacher Eingriff. Sie beinhaltet die bekannten Nachteile der konventionellen Laparoskopie. Das größte Problem ist dabei die intrakorporale Naht [44]. Insbesondere der letztgenannte Aspekt führt zu einer langen Lernkurve mit anfangs sehr langen Operationszeiten. Dies hat bisher dazu geführt, dass die laparoskopische Nierenbeckenplastik weltweit nur in wenigen spezialisierten Zentren als Routineeingriff durchgeführt wird [45]. Nachdem wir genügend Erfahrungen mit dem Einsatz des da Vinci-Systems bei der laparoskopischen radikalen Prostatektomie sowie der laparoskopischen Adrenalektomie gewonnen hatten, waren wir weltweit die erste Arbeitsgruppe, die eine da Vinci-assistierte kontinuitätsunterbrechende Nierenbeckenplastik nach Anderson- Hynes durchführte. Wir berichten hier über unsere initialen Erfahrungen an 11 Patienten.

- 25-3. Material und Methoden 3.1 Allgemeines Alle Patienten wurden ausführlich über das da Vinci-assistierte Vorgehen aufgeklärt. Es wurde insbesondere die bis dahin fehlende Erfahrung mit dem da Vinci-Roboter bei urologischen Indikationen betont. Weiterhin wurden wie bei jeder anderen Operation auch mögliche operative und nicht-operative Behandlungsalternativen ausführlich erläutert. Alle Patienten entschieden sich für das jeweilige da Vinciassistierte Verfahren und gaben ihr schriftliches Einverständnis zur Operation. Neben den gewöhnlichen Operationsrisiken wurde insbesondere auf eine mögliche Konversion zur offenen Operation hingewiesen. Die Patienten wurden nicht nach Alter, Body Mass Index (BMI), betroffene Seite oder abdominelle Voroperationen selektioniert. Alle Patienten erhielten zur Darmvorbereitung 4-5 Liter Polyethylenglykol 3350 (Golytely ) am Vortag der Operation. Alle Eingriffe erfolgten laparoskopisch transperitoneal in Intubationsnarkose. Da wir keine Erfahrung in der laparoskopischen Durchführung der einzelnen Operationen besaßen, versuchten wir, unsere Fertigkeiten und Kenntnisse aus der offenen Operationstechnik laparoskopisch mit Hilfe des da Vinci umzusetzen. Postoperativ erfolgte gemäß unseren klinikinternen Standards eine Schmerzmitteltherapie mit Piritramid i.v. bis zum ersten und Metamizol i.v. oder p.o. ab dem zweiten postoperativen Tag, eine gewichtsadaptierte Thromboembolieprophylaxe mit niedermolekularen Heparinen sowie die frühzeitige Mobilisation der Patienten. Die einliegenden Drainagen wurden bei einer Fördermenge unter 50 ml/24 Stunden entfernt. Sowohl bei der radikalen Prostatektomie als auch bei der Nierenbeckenplastik war es den Patienten frei gestellt, bis zur Entfernung des transurethralen Dauerkatheters stationär zu bleiben oder mit noch liegendem Katheter entlassen zu werden.

- 26 - Die gemessene Operationszeit beinhaltete die gesamte Prozedur vom Einsatz des ersten Trokars über den Aufbau des Roboters bis hin zur Entfernung aller Trokare nach Ende der Operation und Verschluss der Haut (Schnitt-Naht-Zeit). Weiterhin wurde bei der radikalen Prostatektomie die reine Einsatzzeit des Operateurs an der Konsole (da Vinci-Einsatzzeit) bestimmt. An weiteren Informationen wurden bei allen Operationen der intraoperative Blutverlust, intra- und postoperative Komplikationen, Konversionen zur offenen Operation, Revisionen, Transfusionen sowie Krankenhausund ggf. Katheterverweildauer erhoben. Die statistische Auswertung der Daten erfolgte mit der Statistik-Software SAS, Cary, North Carolina, USA, wobei fast ausschließlich rein deskriptive Verfahren angewendet wurden. Metrische Variable wurden entweder als Mittelwert mit Standardabweichung oder als Median berechnet, jeweils mit Angabe der Variationsbreite (range). Zur Analyse der Lernkurve beim Einsatz des da Vinci-Systems für die radikale Prostatektomie wurde darüber hinaus das Verfahren der Generalized Estimating Equations verwendet. Diese Modellierungsmethode wird der Tatsache gerecht, dass wiederholte Messungen (z.b. Operationszeiten) für einen bestimmten Operateur bei diesem Eingriff korrelliert sind. Das Modell beinhaltet als Parameter die Fallnummer sowie den Operateur (eingegeben als einzelne Parameter), da die Intercepts beider Lernkurven verschieden sind (d.h., sie haben nicht den gleichen Ausgangswert hinsichtlich ihrer operativen Erfahrung).

- 27-3.2 Radikale Prostatektomie 3.2.1 Patienten Zwischen Mai 2000 und Mai 2001 wurde bei 40 (#1-40) Patienten mit einem klinisch lokal begrenzten und nicht metastasierten Prostatakarzinom eine laparoskopische radikale Prostatektomie mit Hilfe des da Vinci-Systems durchgeführt. Bei allen Patienten erfolgte während des Eingriffes eine pelvine Lymphadenektomie im Bereich der Fossa obturatoria. Präoperativ wurde bei allen Patienten neben einer ausführlichen Anamnese, eine ausführliche Diagnostik mittels rektal-digitaler Untersuchung, Prostata-spezifischem Antigen (PSA) und transrektaler sonographisch gesteuerter Biopsie der Prostata durchgeführt. Eine Skelettszintigraphie zum Ausschluss von Knochenmetastasen erfolgte ab einem PSA-Wert von 10 ng/ml. Sowohl die präoperativen Stanzbiopsien als auch das Prostatektomiepräparat sowie die pelvinen Lymphknoten wurden histologisch aufgearbeitet. Komplikationen wurden anhand der Schweregrad-Kriterien nach Dillioglugil eingeteilt [46]. Die Operationen wurden von zwei Operateuren durchgeführt, welche über eine breite Erfahrung in der offenen retropubischen radikalen Prostatektomie verfügten, jedoch nur limitierte Kenntnisse in laparoskopischen Operationstechniken hatten. 3.2.2 Operationstechnik Die Operationstechnik bei den ersten 40 da Vinci-assistierten radikalen Prostatektomien ist ausführlich unter Punkt 3.3.2 dargestellt. 3.2.3 Follow-up Das PSA wurde am 14. postoperativen Tag kontrolliert. Ein selbst entworfener Fragebogen zu postoperativen Problemen sowie zum postoperativen Kontinenz- und

- 28 - Potenzstatus wurde an alle Patienten 11 23 Monate (Median 15 Monate) nach der Operation verschickt. 3.3 Radikale Prostatektomie: Frankfurter Technik 3.3.1 Patienten Zwischen Mai 2000 und Juni 2003 wurde bei insgesamt 118 (#1-118) Patienten eine laparoskopische radikale Prostatektomie einschließlich pelviner Lymphadenektomie mit Hilfe des da Vinci-Systems durchgeführt. Nach Etablierung der da Vinciassistierten radikalen Prostatektomie mit mehrfacher Modifizierung der Operation und Entwicklung der Frankfurter Technik bei den ersten 37 (#1-37) Patienten kam bei allen folgenden 81 (#38-118) Patienten diese Technik zum Einsatz. Die präoperative Diagnostik entsprach jeweils dem unter Punkt 3.2.1 beschriebenen Vorgehen bei den ersten 40 Patienten. 3.3.2 Operationstechnik Patientenlagerung, Trokaranordnung, pelvine Lymphadenektomie Die Patienten wurden in der Trendelenburg-Position mit angelegten Armen und leicht gespreizten Beinen gelagert um das Instrumentenstativ günstig positionieren zu können. Vor Beginn der Operation wurde ein 18 Charrière (Ch.) Dauerkatheter in die Blase gelegt und mit 10 ml geblockt. Ein Verlängerungssystem wurde an den Dauerkatheter angeschlossen, um die Blase jederzeit während der Operation auffüllen zu können. Eine 1-2 cm große, paraumbilikale Minilaparotomie (Hasson-Technik) wurde durchgeführt, um den 12 mm da Vinci-Kameratrokar einzuführen. Nach Anlage eines Pneumoperitoneums (CO 2, intraperitonealer Gasdruck 12 mm/hg) wurde das 3D-Endoskop über den mittleren Trokar eingeführt. Es erfolgte zunächst die

- 29 - ausführliche Inspektion der Peritonealhöhle, bevor im Anschluss zwei 8 mm da Vinci- Trokare unter visueller Kontrolle pararektal an beiden Seiten, knapp zwei Querfinger distal des Bauchnabels, eingeführt wurden. Nach Anschluss der Roboterarme an die Trokare und Befestigung des 3D-Endoskopes an den mittleren Roboterarm wurden zwei laparoskopische da Vinci-Instrumente über die 8 mm Trokare unter direkter visueller Kontrolle eingeführt und an den linken und rechten Roboterarm konnektiert. Abbildung 3.3.2.1 zeigt die Trokaranordnung bei der da Vinci-assistierten laparoskopischen radikalen Prostatektomie. Die Operationen wurden gewöhnlich mit einer atraumatischen DeBakey Pinzette auf der linken und einem elektrischen Häkchen auf der rechten Seite begonnen. Während des Eingriffes wurde die DeBakey Pinzette auf der linken Seite eher selten ausgewechselt, das elektrische Häkchen rechts dagegen oftmals durch eine Schere oder einen Nadelhalter ersetzt. Abb. 3.3.2.1. Trokaranordnung bei der radikalen Prostatektomie.

- 30 - Im Gegensatz zu den ersten Eingriffen, wo wir eine um 30 abgewinkelte Optik verwendeten, benutzten wir im weiteren Verlauf eine 0 Optik aufgrund der besseren Darstellung der Rektumvorderwand bei der deszendierenden Präparation und des Urethrastumpfes beim Knüpfen der vesikourethralen Anastomose. Für die unterstützenden Einsätze des ärztlichen Assistenten sowie der Operationspflegekraft wurden unter visueller Kontrolle zwei weitere konventionelle 10 mm Trokare in den linken und rechten Unterbauch, knapp oberhalb der Spina iliaca anterior superior eingeführt. Für die Hilfsaufgaben kamen konventionelle laparoskopische Instrumente zum Einsatz. Nach Inspektion der abdominellen Organe und wenn notwendig Lösung von Darmadhäsionen an der ventralen oder lateralen Bauchwand erfolgte zunächst die bilaterale Lymphadenektomie im Bereich der Fossa obturatoria. Hierfür wurde das Peritoneum oberhalb der Arteria (A.) iliaca externa breit eröffnet. Der Assistent hielt dabei den medialen peritonealen Inzisionsrand nach medial von den Gefäßen weg um einen freien Blick in die Fossa obturatoria zu gewährleisten. Unter Schonung des Nervus (N.) obturatorius wurde das Fett sowie das Lymphgewebe über der A. und Vena iliaca externa sowie im Bereich der Fossa obturatoria bis zur Bifurkation der A. iliaca communis entfernt. Das Gewebe wurde über einen 10 mm Assistenztrokar unter visueller Kontrolle entfernt und in die Pathologie zur Schnellschnittuntersuchung eingeschickt. Radikale Prostatektomie: kombinierte aszendierende-deszendierende Technik Die ersten 37 Patienten wurden zu Beginn der Operation zystoskopiert und mit einem Doppel-J-Katheter beidseits versorgt, um einer postoperativen infrarenalen Obstruktion auf Grund von Mukosaschwellungen im Bereich der Anastomose und der Ureterostien vorzubeugen. In den folgenden 81 Eingriffen wurde dieser Schritt nicht

- 31 - mehr durchgeführt, da in den ersten Eingriffen die intraoperative Visualisierung der Ureterostien jeweils gut gelang und sie problemlos geschont werden konnten. Für den Fall, dass sich intraoperativ doch die Notwendigkeit einer Doppel-J-Einlage ergab, konnte dies während des Eingriffes leicht laparoskopisch mit Einführung der Doppel-J- Katheter über einen Trokar durchgeführt werden. Bei der radikalen Prostatektomie versuchten wir zu Beginn unseres Programms (Patient #1-37) die bekannten Schritte unserer standardisierten, offenen Operationstechnik kombinierte aszendierende (Walsh) und deszendierende (Campbell) Technik [2] laparoskopisch umzusetzen. Diese Technik wurde sowohl über einen transperitonealen (n=30) als auch über einen extraperitonealen Zugang (n=7) durchgeführt und soll an dieser Stelle nicht weiter erörtert werden. Radikale Prostatektomie Patienten #38-118: Frankfurter Technik Ab dem 38. Eingriff (n=81) kam eine Modifikation der durch Guillonneau und Vallancien konventionell laparoskopisch etablierten Montsouris-Technik zur Anwendung. Diese Technik, die nachfolgend im Detail beschrieben wird, wurde nach Durchführung von über 118 Prozeduren unser Standard [23]. Posteriore Dissektion: Das Peritoneum wird über eine Querinzision im Bereich des rektovesikalen peritonealen Umschlages eröffnet. Die Ductus deferentes werden mobilisiert und durchtrennt. Die Ductus-Stümpfe werden an deren Insertion an der Prostata angeklemmt und durch eine kräftige Assistenzklemme nach oben gezogen. Dadurch kommen die Samenblasen besser zur Darstellung und können lateral präpariert werden. Für die Präparation der Samenblasen wird alleinig das elektrische Häkchen verwendet. Für den Fall einer nervschonenden Prostatektomie werden die

- 32 - neurovaskulären Bündel vorsichtig nach laterokaudal ohne jegliche Anwendung von Strom unter alleiniger Zuhilfenahme der Schere und kleiner Klipps für die Hämostase separiert. Nachdem die Samenblasen komplett mobilisiert wurden, werden sie gemeinsam mit den Ductus-Stümpfen nach kranial ventral gezogen, um die Denovillier sche Faszie darzustellen. Diese wird dann inzidiert, um an den dorsalen Anteil der Prostata zu gelangen. Das prärektale Fett wird mit dem elektrischen Häkchen präpariert und die Prostata nach ventral angehoben, bis der Musculus (M.) rectourethralis erreicht ist. Nach sorgfältiger Blutstillung im Bereich der posterioren Dissektion wird nun mit der anterioren Dissektion fortgefahren. Anteriore Dissektion: Die Blase wird mit 100 ml 0,9%iger NaCl-Lösung gefüllt, um die ventrale Blasenwand identifizieren zu können. Das Peritoneum wird dann an der anterioren Umschlagsfalte über der Blase zwischen den medialen umbilikalen Ligamenten durch eine semizirkuläre Inzision mit dem elektrischen Häkchen eröffnet, um so in das Cavum retzii zu gelangen. Der Urachus wird, soweit wie möglich, kranial inzidiert, um eine inzidentelle Blaseneröffnung zu vermeiden. Nach Identifizierung der Symphyse und des Os pubis beidseits wird das infrapubische Fett präpariert und entfernt um die endopelvine Faszie und die puboprostatischen Ligamente darzustellen. Die oberflächigen Venen im Bereich der puboprostatischen Ligamente werden sorgfällig koaguliert oder durch den Assistenten geklippt. Die endopelvine Faszie wird dann beidseits vorsichtig eröffnet, so dass die laterale Fläche der Prostata nach sanftem Abschieben der anhaftenden Muskelfasern des M. levator ani entwickelt werden kann. Laterale, in die Prostata einstrahlende Gefäße werden dabei vorsichtig koaguliert. Im Anschluss werden die puboprostatischen Ligamente durchtrennt. Das laterale

- 33 - Grübchen zwischen dem dorsalen prostatischen Venenplexus (Plexus santorini) und der darunter liegenden Harnröhre wird dargestellt. Das elektrische Häkchen wird entfernt und durch einen Nadelhalter ersetzt. Der Plexus santorini wird zweimal mit einer 2-0 Polyglactin 910 Ligatur (Vicryl, Firma Ethicon, Norderstedt, Deutschland) an einer RB1-Nadel doppelt umstochen aber noch nicht durchtrennt. Für eine bessere, iintraabdominelle Handhabung werden alle Nähte vor ihrem Einsatz auf eine Länge von 10-15 cm gekürzt. Die Prostata wird nun mit Hilfe des in der Blase liegenden Dauerkatheters nach kaudal gezogen. Dabei hilft der Ballon des Dauerkatheters, den Blasenhals zu identifizieren. Die Schicht zwischen Prostata und Blase wird im Bereich der Mittellinie unter Zuhilfenahme des elektrischen Häkchens entriert. Die Blase wird dabei in einem ausreichenden Abstand von der Prostata eröffnet, um positive Absetzungsränder zu vermeiden. Nach Dissektion der anterioren Blasenwand wird der Katheter aus der Blase geholt und mit einer kräftigen Klemme nach oben gezogen. Die Inzision des Blasenhalses wird nun nach lateral beidseitig fortgesetzt. Nach ausreichender Eröffnung des Blasenhalses werden die Ureterostien beidseits identifiziert und anschließend die dorsale Blasenwand in ausreichendem Abstand zu den Ostien disseziert. Nach vollständiger Dissektion der hinteren Blasenwand werden die bereits dissezierten Ductus deferentes sowie die Samenblasen durch die Öffnung nach oben gezogen, so dass die laterale Blasenwand sowie die proximalen Prostatapfeiler klar zur Darstellung kommen. Diese werden nun beidseitig deszendierend unter Zuhilfenahme des elektrischen Häkchens durchtrennt. Für den Fall einer nervschonenden radikalen Prostatektomie werden die neurovaskulären Bündel scharf nach laterokaudal mit der Schere ohne Anwendung von Strom separiert. Dabei werden kleine Klipps für die Blutstillung gesetzt. Die Pfeiler werden soweit durchtrennt, bis der bereits identifizierte M. rectourethralis zur Darstellung kommt.

- 34 - Apikale Dissektion: Der venöse Plexus santorini wurde bereits vorher ligiert und nun an dieser Stelle des Eingriffes durchtrennt. Danach kann die Prostata nach dorsal Richtung Rektum gedrückt werden, um den Apex der Prostata darzustellen. Die anteriore Zirkumferenz der Urethra wird nun mit der Schere 1-2 mm distal des Apex durchtrennt. Der Dauerkatheter wird aus der Harnröhre luxiert und nach oben gezogen, so dass der hintere Bereich der Urethra zur Darstellung kommt und sauber mit der Schere durchtrennt werden kann. Im Fall einer nervschonenden radikalen Prostatektomie müssen die neurovaskulären Bündel hier ebenenfalls sorgfältig von der Urethra bei 5 und 8 Uhr Steinschnittlage separiert werden. Die Denovillier sche Faszie und Fasern des M. rectourethralis werden dann durchtrennt, um die Prostata aszendierend unter Schonung der Rektumvorderwand zu mobilisieren. Ein Organbergebeutel wird über einen Assistenztrokar eingeführt, das Präparat in den Beutel gepackt und intaabdominell abgelegt. Anschließend wird die Prostataloge inspiziert und eine sorgfältige Blutstillung durchgeführt. Weiterhin wird die Rektumvorderwand auf Verletzungen inspiziert. Vesikourethrale Anastomose: Zum Knüpfen der vesikourethralen Anastomose werden für beide da Vinci- Arbeitstrokare Nadelhalter eingespannt. Die Anastomose wird an der Hinterwand der Blase, beginnend bei 6 Uhr, mit Vicryl 3-0 Einzelknopfnähten hergestellt. Dabei wird die Harnröhre durch den Hilfsassistenten mit Hilfe eines Urethrabougies nach oben gehalten, so dass lediglich die hintere Wand der Harnröhre für die erste Naht gestochen wird. Insgesamt werden 5-7 Einzelknopfnähte für die Fertigstellung der Anastomose gelegt. Der letzte Stich erfolgt dabei ventral bei 12 Uhr erst nachdem der Dauerkatheter in die Blase eingeführt und seine korrekte Position überprüft wurde. Der

- 35 - Ballon wird dann gefüllt, und die Dichtigkeit der vesikourethralen Anastomose wird überprüft, indem die Blase mit 100 ml 0,9%iger NaCl-Lösung gefüllt wird. Eine 20 Ch. Robinson-Drainage wird dann über den linken Assistenztrokar eingeführt, in das Cavum retzii eingelegt und der Organbergebeutel über die mediane Minilaparotomie entfernt. Der Wundverschluss beinhaltete bei allen Patienten im Bereich der Minilaparotomie eine Fasziennaht mit 1er Vicryl Einzelknopfnähten sowie eine Intrakutannaht. Bei den Trokarinzisionen wurde lediglich die Haut verschlossen. 3.3.3 Follow-up Postoperativ wurde am siebten postoperativen Tag ein Zystogramm zur Kontrolle der Dichtigkeit der vesikourethralen Anastomose durchgeführt. 3.4 Radikale Zystektomie mit Anlage einer orthotopen Ileumneoblase 3.4.1 Patient Ein 58-jähriger Patient mit einer 9-jährigen Anamnese eines Transitionalzellkarzinoms der Harnblase mit multiplen vorausgegangenen transurethralen Resektionen sowie wiederholten intravesikalen Instillationstherapien wurde unserer Klinik zur radikalen Zystektomie bei einem nun muskelinvasiven Karzinom zugewiesen. Der Eingriff wurde laparoskopisch roboterassistiert mit Hilfe des da Vinci-Systems durchgeführt. 3.4.2 Operationstechnik Patienten-, Trokar- und Instrumentenstativpositionierung sowie die Anlage des Pneumoperitoneums erfolgten analog zum beschriebenen Vorgehen bei der radikalen Prostatektomie. Nach Inspektion der abdominellen Organe und Lösung von Darmadhäsionen an der lateralen Bauchwand erfolgte zunächst die bilaterale

- 36 - Lymphadenektomie im Bereich der Fossa obturatoria. Anschließend wurden beide Harnleiter von der Überkreuzung der Iliakalgefäße bis zur Einmündung in die Harnblase dargestellt, distal an der Harnblase geklippt und proximal der Klipps durchtrennt. Das die Harnblase überdeckende Peritoneum wurde im Bereich der Excavatio rectovesicalis eröffnet. Die Samenblasen sowie die Ductus deferentes wurden dargestellt und mobilisiert bevor die Denonvillier sche Faszie im Bereich des Ansatzes der Samenblasen inzidiert wurde. Im weiteren Verlauf wurde der Urachus im Bereich des Bauchnabels durchtrennt und das Cavum retzii entwickelt. Nachdem die Blase komplett von der ventralen Beckenwand gelöst wurde, erfolgte die Darstellung der endopelvinen Faszie mit anschließender Inzision beidseitig. Analog dem Vorgehen bei der radikalen Prostatektomie wurden die puboprostatischen Ligamente durchtrennt und der Plexus santorini ligiert. Die Blase wurde im Anschluss nach oben angehoben, um die Dissektion der lateralen Blasenpfeiler der Prostata und der Blase zu ermöglichen. Nach Durchtrennung des bereits ligierten Plexus santorini wurde die Harnröhre dargestellt und am Apex der Prostata mit der Schere durchtrennt. Nach kompletter Lösung des Präparates wurde dieses in einen großen Organbergebeutel eingeführt und in der Abdominalhöhle bis zum Ende der Prozedur verwahrt. Für die Konstruktion der Ileum-Neoblase nach HAUTMANN wurde das Ileum 15-20 cm proximal der Ileozökal-Klappe identifiziert und von dort ab 60 cm terminales Ileum mittels eines 35 mm Linear Cutters (Endoscopic Articulating Linear Cutter, ETS- FLEX, Firma Ethicon Endosurgery, Norderstedt, Deutschland) ausgeschaltet. Zunächst wurde die Position des Neoblasenhalses am kaudalen Ende der aboralen Ileumschlinge, 15 cm vom aboralen Ende, definiert. Nach antimesenterialer Inzision dieses Segmentes über eine Länge von 5 cm und Einbringen eines 22 Ch. Neoblasen-Balonkatheters (Firma Uromed, Oststeinbeck, Deutschland) durch die Harnröhre, wurde das Reservoir an den Harnröhrenstumpf mir 5 Vicryl 3-0