Praxis: Klausuren Was kommt auf Sie zu? Sachverhaltsfeststellung rechtliche Bewertung Regelungen hierzu - etwa Beweiserhebung und -verwertung finden Sie in den Verfahrensordnungen (z.b. StPO, ZPO, VwGO) Rechtsanwendung auf den konkreten Sachverhalt
Fall: A hasst den B leidenschaftlich. Er fasst den Plan, den B dies auch spüren zu lassen. Zu diesem Zweck besorgt er sich ein gutes, scharfes Messer bei seinem Freund F, einem Eisenwarenhändler. Am späten Abend stellt A den B auf dunkler Straße. Er sticht dem B die Klinge des Messers tief in die Seite und dreht die Klinge einmal herum. B sackt blutend und vor Schmerz schreiend in sich zusammen. Der von Passanten herbeigerufene Krankenwagen kann das Schlimmste verhindern. Trotz intensiver Behandlung der tiefen Wunde kann die schwer verletze Niere des B nicht mehr gerettet werden. Wie hat A sich nach dem StGB strafbar gemacht? Bearbeitervermerk: Tötungsdelikte sind nicht zu prüfen.
223 Körperverletzung 1. Wer eine andere Person körperlich mißhandelt oder an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
Gutachtenstil und Subsumtion Sachverhalt Vermutung Untersuchung Vgl. Fall Körperverletzung, 223 Abs. 1 StGB? Voraussetzungen: eine andere Person körperlich mißhandelt oder an der Gesundheit schädigt jede üble, unangemessene Behandlung, die das körperliche Wohlbefinden mehr als nur unwesentlich einschränkt Ergebnis Objektiver Tatbestand der Körperverletzung ist erfüllt
Gang des Gutachtens klassischer dreigliedriger Syllogismus 1. Obersatz = Hypothese ( A könnte sich gem. X strafbar gemacht haben ) 2. Untersatz = Abgleich der Hypothese mit dem Geschehenen ( A erfüllt alle Voraussetzungen von X. ) 3. Ergebnis ( A hat sich gem. X strafbar gemacht. ) 1. Obersatz (Tatbestandsmerkmal) 2. Definition (des Merkmals) 3. Subsumtion des SV unter TBM 4. Ergebnis juristischer viergliedriger Syllogismus
Gedankliche Vorprüfung Rechtliche Beurteilung zunächst überblicksartig erarbeiten Den Beteiligten die möglicherweise von ihnen erfüllten Tatbestände zuordnen Offenkundig nicht einschlägige Delikte ausschließen und möglicherweise verwirklichte Delikte und Probleme vermerken Alles auf ein Schmierblatt! Die methodische Überprüfung Ihrer Vermutung der Tatbestandsverwirklichung bildet den Kern erst des Gutachtens selbst.
Fall: A hasst den B leidenschaftlich. Er fasst den Plan, den B dies auch spüren zu lassen. Zu diesem Zweck besorgt er sich ein gutes, scharfes Messer bei seinem Freund F, einem Eisenwarenhändler. Am späten Abend stellt A den B auf dunkler Straße. Er sticht dem B die Klinge des Messers tief in die Seite und dreht die Klinge einmal herum. B sackt blutend und vor Schmerz schreiend in sich zusammen. Der von Passanten herbeigerufene Krankenwagen kann das Schlimmste verhindern. Trotz intensiver Behandlung der tiefen Wunde kann die schwer verletze Niere des B nicht mehr gerettet werden. Wie hat A sich nach dem StGB strafbar gemacht? Bearbeitervermerk: Tötungsdelikte sind nicht zu prüfen.
gedankliche Vorprüfung zu Fall 1: - gefragt ist nur nach A - als deliktisches Verhalten kommen Tötungs- und Körperverletzungsdelikte sowie evtl. Verstöße gegen das WaffG in Betracht - gefragt ist nur nach der Strafbarkeit nach dem StGB - Tötungsdelikte sind nach dem Bearbeitervermerk ausgeschlossen Arbeitshypothese 01: Strafbarkeit des A gem. 223 I StGB Arbeitshypothese 02: Strafbarkeit des A gem. 223, 226 I Nr. 2 StGB
I. Durch den Stich mit dem Messer, durch den B eine tiefe Wunde in der Seite erlitt, könnte sich A wegen Körperverletzung gem. 223 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben. (Obersatz = Hypothese) Dazu müsste er eine andere Person körperlich misshandelt oder an der Gesundheit geschädigt haben. (Untersatz) 1) Das Opfer der Tat müsste eine andere Person sein. (Obersatz) Eine andere Person ist jeder Mensch mit Ausnahme des Täters selbst. (Definition) B ist ein anderer Mensch. (Subsumtion) B ist eine andere Person. (Ergebnis)
I. Durch den Stich mit dem Messer, durch den B eine tiefe Wunde in der Seite erlitt, könnte sich A wegen Körperverletzung gem. 223 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben. (Obersatz = Hypothese) Dazu müsste er eine andere Person körperlich misshandelt oder an der Gesundheit geschädigt haben. (Untersatz) 2) Diese müsste A durch den Stich mit dem Messer körperlich misshandelt haben. (Obersatz) Eine körperliche Misshandlung ist jede üble und unangemessene Behandlung, die das körperliche Wohlbefinden nicht unerheblich beeinträchtigt. (Definition) A hat dem B sein Messer in den Bauch gerammt und ihm dadurch eine tiefe Wunde beigebracht, was nicht nur die Körperintegrität des B stark eingeschränkt, sondern ihm auch starke Schmerzen bereitet hat. (Subsumtion) B hat also C durch den Stich mit dem Messer B körperlich misshandelt. (Ergebnis)
I. Durch den Stich mit dem Messer, durch den B eine tiefe Wunde in der Seite erlitt, könnte sich A wegen Körperverletzung gem. 223 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben. (Obersatz = Hypothese) Dazu müsste er eine andere Person körperlich misshandelt oder an der Gesundheit geschädigt haben. (Untersatz) 3) Weiterhin könnte A dadurch die Gesundheit des B beschädigt haben. (Obersatz) Eine Schädigung der Gesundheit ist das Hervorrufen oder Steigern eines pathologischen Zustands. (Definition) Durch den Stich hat B eine Wunde erlitten und musste stationär behandelt werden. (Subsumtion) Eine Gesundheitsschädigung durch den Stich mit dem Messer liegt mithin vor. (Ergebnis) Durch den Stich mit dem Messer, durch den B eine tiefe Wunde in der Seite erlitt, hat sich A wegen Körperverletzung gem. 223 Abs. 1 StGB strafbar gemacht. (Endergebnis)
Die Definition ist das Ergebnis der Gesetzesauslegung (und daher oft umstritten). Die Subsumtion ist Unterordnung des Sachverhaltes unter die Voraussetzungen der Norm, bzw. die einmal gefundene Definition. und wie kommt man zu der richtigen Definition?
Gesetzlichkeitsprinzip nulla poena, nullum crimen sine lege (Art. 103 Abs. 2 GG, 1 StGB) Verbot des Gewohnheitsrechts Rückwirkungsverbot Bestimmtheitsgebot Analogieverbot
Auslegung eines Gesetzes darf nie den von der Verfassung vorgegebenen Rahmen verlassen (verfassungskonforme Auslegung) 1) Wortlaut-Auslegung: Der juristische bzw. umgangssprachliche Wortsinn wird ermittelt. 2) systematische Auslegung Ermittlung des Sinnzusammenhangs, der sich aus der Stellung einer Vorschrift im gesetzlichen Kontext ergibt. 3) historische Auslegung Die Vorschrift wird im Lichte der legislatorischen Begründung und Regelungsziele betrachtet. 4) teleologische Auslegung Sinn und Zweck des Gesetzes namentlich der Schutzzweck der Norm wird bestimmt und die Bedeutung der einzelnen Tatbestandsmerkmale hieran ausgerichtet.
II. Durch den Stich mit dem Messer, durch den B eine tiefe Wunde in der Seite erlitt und eine Niere verlor, könnte sich A wegen schwerer Körperverletzung gem. 223 Abs. 1, 226 I Nr. 2 StGB strafbar gemacht haben. Dazu müsste die Körperverletzung dazu geführt haben, dass die verletzte Person ein wichtiges Glied des Körpers verliert oder dauernd nicht mehr gebrauchen kann. 1) Die Niere des B müsste ein Glied im Sinne von 226 I Nr. 2 StGB sein. (Obersatz) 2) Nächster Schritt: Definition Aber was ein Glied i.s.d. 226 I Nr. 2 StGB ist, ist umstritten...
a) Nach einer Meinung ist ein Glied im Sinne von 226 I Nr. 2 StGB jeder Körperteil, der mit einem anderen durch ein Gelenk verbunden ist. (Definition) Die Niere des C ist ein Teil seines Körpers, aber mit dem übrigen Körper nur durch Gefäße verbunden, nicht aber über Gelenke. (Subsumtion) Auf Grundlage dieser Meinung wäre die Niere des C daher kein Glied im Sinne von 226 I Nr. 2 StGB. (Ergebnis)
b) Eine weitergehende Ansicht versteht unter einem Glied gemäß 226 I Nr. 2 StGB nicht nur Körperteile, die mit anderen durch Gelenke verbunden sind, sondern auch äußere Körperteile, wie z.b. Nase und Ohren. (Definition) Die Niere ist aber ein inneres Körperteil. (Subsumtion) Folglich kommt auch diese Ansicht zu dem Ergebnis, dass die Niere kein Glied im Sinne von 226 I Nr. 2 StGB ist. (Ergebnis)
c) Einer dritten Auffassung nach sind Glieder Körperteile, die eine in sich abgeschlossene Existenz mit besonderer Funktion im Gesamtorganismus haben. (Definition) Die Niere ist ein Körperteil, dem die besondere Funktion zukommt, den Stoffwechselhaushalt des Körpers zu regulieren. Sie wird als eigenständiges Organ angesehen. Sie hat also eine in sich abgeschlossene Existenz mit besonderer Funktion im Gesamtorganismus (Subsumtion) und ist daher nach dieser Ansicht ein Glied im Sinne von 226 I Nr. 2 StGB. (Ergebnis)
Streitentscheid erforderlich
Auslegung eines Gesetzes darf nie den von der Verfassung vorgegebenen Rahmen verlassen (verfassungskonforme Auslegung) 1) Wortlaut-Auslegung: Der juristische bzw. umgangssprachliche Wortsinn wird ermittelt. 2) systematische Auslegung Ermittlung des Sinnzusammenhangs, der sich aus der Stellung einer Vorschrift im gesetzlichen Kontext ergibt. 3) historische Auslegung Die Vorschrift im Lichte der legislatorischen Begründung und Regelungsziele betrachtet. 4) teleologische Auslegung Sinn und Zweck des Gesetzes namentlich der Schutzzweck der Norm wird bestimmt und die Bedeutung der einzelnen Tatbestandsmerkmale hieran ausgerichtet.
Wortlaut: Streitentscheid erforderlich In der Umgangssprache bezeichnet man mit Gliedern Gliedmaßen, vor allem Arme und Beine. Für Gliedmaßen sind Gelenkverbindungen typisch. Innere Organe werden hingegen nicht als Glieder bezeichnet. Der Begriff Glied bezeichnet aber nicht nur Extremitäten, sondern kann in einer anderen Wortbedeutung auch einen Teil einer übergeordneten Einheit benennen, also ein Glied in einer funktionalen Kette. So verstanden wäre die Niere ein Glied in der Kette körperlicher Funktionen.
Systematik: Streitentscheid erforderlich Gesetzgeber hat in 226 ein ausdifferenziertes System zur Erfassung schwerer Verletzungsfolgen geschaffen. Dort sind als Verletzungsobjekte die Augen, das Gehör, das Sprechvermögen und die Fortpflanzungsfähigkeit genannt. Würde 226 I Nr. 2 StGB auch äußere Körperteile ohne Gelenkverbindung und innere Organe umfassen, dann wäre 226 I Nr. 1 StGB überflüssig.
Historie: Streitentscheid erforderlich Der ursprünglich vorgesehene Begriff der Verstümmelung wurde als zu unklar empfunden und deswegen ersetzt.
Sinn und Zweck: Streitentscheid erforderlich Die schwere Körperverletzung ist ein erfolgsqualifiziertes Delikt gegen die körperliche Unversehrtheit (vgl. Strafrahmen). Der Verletzungserfolg gegenüber inneren Organen steht dabei äußeren Verletzungen nicht nach. Im Gegenteil: Verletzungen innerer Organe sind regelmäßig gravierender als solche am äußeren Körper.
d) Streitentscheidung Die Meinung, die auch innere Organe als Glieder im Sinne von 226 I Nr. 2 StGB betrachtet, berücksichtigt, dass die schwere Körperverletzung ein erfolgsqualifiziertes Delikt gegen die körperliche Unversehrtheit ist. Der Verletzungserfolg gegenüber inneren Organen steht dabei äußeren Verletzungen nicht nach. Im Gegenteil: Verletzungen innerer Organe sind regelmäßig gravierender als solche am äußeren Körper. (teleologische Argumentation) Dem muss man aber den Wortlaut entgegenhalten: 226 I Nr. 2 StGB bezeichnet das Verletzungsobjekt als Glied. In der Umgangssprache bezeichnet man mit Gliedern Gliedmaßen, vor allem Arme und Beine. Für Gliedmaßen sind Gelenkverbindungen typisch. Innere Organe werden hingegen nicht als Glieder bezeichnet. Damit stellt sich die Frage, ob durch eine Einbeziehung innerer Organe in den Begriff des Gliedes nicht sogar die Wortlautgrenze überschritten und damit Art. 103 II GG und 1 StGB verletzt werden. Der Begriff Glied bezeichnet aber nicht nur Extremitäten, sondern kann in einer anderen Wortbedeutung auch einen Teil einer übergeordneten Einheit benennen, also ein Glied in einer funktionalen Kette. So verstanden wäre die Niere ein Glied in der Kette körperlicher Funktionen. Dies mag ein sehr weites Verständnis des Begriffes sein, zeigt aber, dass die Grenze der maximal möglichen Wortbedeutung noch nicht überschritten wird, wenn man die Niere als Glied des Körpers bezeichnet. Freilich indiziert diese Argumentation, die sich recht weit vom natürlichen Sprachgebrauch entfernt, dass die Niere kein Glied ist. Das gilt vor allem auch vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebots. Entsprechend hat der Gesetzgeber eine ausdifferenzierte Regelung geschaffen, die sich über 226 I Nr. 1, 2 und 3 StGB erstreckt und eine Reihe spezifischer Verletzungsfolgen nennt. Es kommt somit auf bestimmte, näher bezeichnete Verletzungsfolgen an (Wortlaut/Systematik). Dazu würde es nicht passen, den Begriff Glied ausweitend zu deuten. Das wird auch durch die Gesetzgebungsgeschichte unterstrichen, wonach der ursprünglich vorgesehene Begriff der Verstümmelung als zu unklar empfunden und deswegen ersetzt wurde. Entsprechend würde die ausweitende Deutung des Begriffs Glied dazu führen, dass die Nr. 1 von 226 I StGB obsolet würde: Dort sind als Verletzungsobjekte die Augen, das Gehör, das Sprechvermögen und die Fortpflanzungsfähigkeit genannt. Würde 226 I Nr. 2 StGB auch innere Organe umfassen, dann wäre 226 I Nr. 1 StGB überflüssig (Systematik). Mithin haben die für die dritte Meinung sprechenden teleologischen Aspekte keinen Niederschlag in Wortlaut, Systematik und Genese von 226 I Nr. 2 StGB gefunden. Sie muss daher abgelehnt werden. Folglich ist die Niere des C kein Glied im Sinne von 226 I Nr. 2 StGB.
II. Durch den Stich mit dem Messer, durch den B eine tiefe Wunde in der Seite erlitt und eine Niere verlor, könnte sich A wegen schwerer Körperverletzung gem. 223 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben. Dazu müsste die Körperverletzung dazu geführt haben, dass die verletzte Person ein wichtiges Glied des Körpers verliert oder dauernd nicht mehr gebrauchen kann. 1) Die Niere des B müsste ein Glied im Sinne von 226 I Nr. 2 StGB sein. (Obersatz) 2) Nächster Schritt: Definition... Argumente gegeneinander abwägen und für eine Ansicht und damit auch für ein Ergebnis entscheiden