praxis kompakt Linda Schroeter Konflikte führen Die 5-Punkte-Methode für konstruktive Konfliktkommunikation Dipl.-Psychologin Linda Schroeter ist Trainerin und Coach für Führung, Konfliktmanagement und Persönlichkeitsentwicklung. BusinessVillage
Falls Sie die gewaltfreie Kommunikation nach Rosenberg kennen, werden Sie Überschneidungen mit der 5-Punkte-Methode bemerken (Rosenberg 2012). Diese sind bewusst gewählt. Auch Erkenntnisse aus anderen Ansätzen wie der Sozialpsychologie oder Neurobiologie könnten Ihnen bekannt vorkommen. Die 5-Punkte-Methode ist ein komprimiertes und vereinfachtes Modell verschiedener Ansätze zur Konfliktlösung. Sie können sie als Checkliste benutzen, um an alles Wesentliche zu denken. Wenn Sie die 5-Punkte-Methode anwenden, entwickeln Sie nicht nur ein umfassendes Verständnis der Situation, Sie erstellen ganz nebenbei auch einen guten Einstieg für das Gespräch und einen Gesprächsleitfaden! Wie das geht, erfahren Sie gleich. In den weiteren Kapiteln dieses Buches bekommen Sie noch eine Fülle an Tipps, Vorbereitungs- und Lösungsmöglichkeiten an die Hand, die Ihnen die Veränderung Ihrer Situation noch leichter machen wird. Damit Sie sich erst einmal einen Überblick verschaffen können, finden Sie auf Seite 19 als Erstes eine Box mit den 5 Punkten. Anschließend wird jeder Punkt mit seinen spannenden Zusammenhängen erklärt. Am Ende jeden Abschnittes habe ich das Wesentliche unter der Überschrift Kompakt für Sie zusammengefasst. Wenn Sie sich gleich die 5 Punkte anschauen, fragen Sie sich vielleicht, warum die 5 Punkte diese Reihenfolge haben. Ich werde immer wieder gefragt, wo man eigentlich anfangen soll. Aus jahrelanger Erfahrung habe ich gelernt, dass es sich sehr lohnt, mit der Wertschätzung zu beginnen. Das irritiert Teilnehmer in meinen Trai- Brennt ein Konflikt? 17
nings immer wieder. In dem Moment, in dem wir einen Konflikt lösen wollen, sind wir oft wütend. Wertschätzung ist meist das Letzte, was uns einfällt. Es ist aber eine Sache, an der kein Weg vorbeiführt. Um unsere Situation realistisch sehen zu können, müssen wir uns der Frage»Was schätze ich an meinem Gegenüber?«stellen. Das hat nichts mit rosa Wattebäuschen und Kuschel-Psychologie zu tun. In der Wut und Verärgerung des Augenblicks denken wir nicht klar. Und wer nicht klar denkt, kann auch nicht vernünftig Verhandeln oder Lösungen finden. Einen Schritt zurückzutreten und auch die positiven Seiten wieder zu entdecken, macht uns eine vernünftige Wahrnehmung der Situation erst (wieder) möglich. Und dieser Punkt hat noch weitere positive Nebeneffekte aber das finden Sie gleich im ersten Unterkapitel Wertschätzung auf Seite 20. Die weiteren Punkte der 5-Punkte-Methode helfen Ihnen, Ihre Situation nüchtern zu beschreiben, sich Ihrer eigenen Reaktionen bewusster zu werden, sich auf eine positive Lösung zu konzentrieren und zielführend zu handeln. Das ist nicht alles ganz so einfach, wie es auf den ersten Blick vielleicht scheinen mag. Aber es lohnt sich ungemein, sich diesen Punkten zu stellen. Denn wenn wir einen Konflikt gelöst haben, fällt uns (und unserem Gegenüber!) meist nicht nur ein Stein vom Herzen wir fühlen uns auch insgesamt deutlich wohler und haben wieder mehr Zeit und Energie für angenehmere Themen. 18 Brennt ein Konflikt?
Beginnen wir am besten jetzt mit dem Überblick: Die 5-Punkte-Methode zur Konfliktlösung 1. Wertschätzung Was schätze ich an meinem Konfliktpartner? Was könnte mein Konfliktpartner an mir schätzen? 2. Fakten Was ist objektiv geschehen? 3. Eigene Reaktion auf die Fakten Wie fühle ich mich jetzt in dieser Situation meinem Konfliktpartner gegenüber? Welche Bedürfnisse stecken dahinter? 4. Perspektive Was will ich in Zukunft mit dieser Person erleben? 5. Aktion Was kann ich anders machen? Habe ich einen Wunsch an meinen Konfliktpartner? Brennt ein Konflikt? 19
1.1 Wertschätzung Was schätze ich an meinem Konfliktpartner? Welche positiven Seiten hat Ihr Konfliktpartner? Was bewundern Sie vielleicht sogar an ihm? Welche Verhaltensweisen von ihm finden Sie angenehm, sinnvoll oder erfreulich? Es mag Sie überraschen, dass ich gerade jetzt, wo Sie vielleicht sehr wütend und verletzt sind, diese Frage stelle. Sie dürfen weiterhin fühlen, was Sie fühlen. Stellen Sie neben Ihre vielleicht sehr negativen Gefühle diese Frage:»Warum ist Ihnen diese Person eine Auseinandersetzung wert?«meiner Erfahrung nach ist der Gesprächseinstieg bei einem Konflikt viel leichter und zielführender, wenn wir der anderen Person sagen können, warum wir sie schätzen und warum sie es uns wert ist, gemeinsam eine Lösung zu finden. Wir legen damit die Motivation für das Konfliktgespräch offen. Unser Gegenüber kann sich dadurch während der folgenden Lösungsfindung sicherer fühlen. Ihm ist klar, das wir neben den Verfehlungen oder dem vielleicht einfach ärgerlichen Missverständnis auch seine positiven Seiten sehen. 20 Brennt ein Konflikt?
Abbildung 1: Zeigen wir unserem Gegenüber als Erstes unsere Wertschätzung, ist der weitere Gesprächsverlauf viel einfacher! Beispiele für einen gelungenen Gesprächsbeginn»Sie sind ein sehr fähiger Informatiker und für dieses Unternehmen sehr wichtig. Auf Ihre Einschätzung kann ich mich immer verlassen. Daher möchte ich mit Ihnen über einen Punkt sprechen, der mir in der letzten Woche etwas Sorgen bereitet hat.«anstatt:»herr Müller, wie konnten Sie das machen? Darüber müssen wir sprechen! So können Sie doch nicht handeln Als Freundin schätze ich dich sehr. Ich bin froh, dass ich mit dir über alles reden kann. Und ich freue mich immer auf unsere gemeinsame Mittagspause am Dienstag. Daher ist es mir sehr wichtig, eine Sache anzusprechen, die mir in den letzten Tagen etwas Bauchschmerzen bereitet hat.«anstatt:»tina, warum hast du das gemacht? Ist dir eigentlich klar, wie wütend ich deswegen bin?!«brennt ein Konflikt? 21