1 Beschreibung der Störungsbilder

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Transkript:

1 Beschreibung der Störungsbilder 1.1 Was sind? Als essgestört werden Menschen beschrieben, für die das Essen die missbräuchliche Funktion hat, Probleme, die ansonsten unlösbar erscheinen, auf diese Art zu bewältigen (Bruch, 1991, S. 13). werden derzeit im DSM-IV (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders der American Psychiatric Association) als Anorexia nervosa, Bulimia nervosa, nicht näher bezeichnete ( Eating disorders not otherwise specified ) und Binge Eating Störung ( Essstörung mit Fressanfällen, deutsche Fassung des DSM-IV) definiert. Der ICD-10 unterscheidet neben der Anorexie und der Bulimie mit jeweils auch atypischen Formen Essattacken bei anderen psychischen Störungen, Erbrechen bei anderen psychischen Störungen, andere und nicht näher bezeichnete. Mit Übergewicht und Adipositas werden nach internationalen Klassifikationen Abweichungen von Normalgewicht nach oben bezeichnet. Sie sind definitionsgemäß keine und nicht zwangsläufig mit pathologischem Essverhalten verbunden. Im Vorfeld klinisch zu diagnostizierender finden sich häufig Formen gestörten Essverhaltens, in denen ein mehr oder weniger starker Missbrauch des Essens im Sinne von Hilde Bruch und eine gestörte Wahrnehmung bzw. übermäßig kritische Einstellung zum eigenen Körper vorliegt. In der Regel treten beide Faktoren, der missbräuchliche Umgang mit dem Essen bzw. Nicht-Essen und die gestörte Einstellung zum Körper, gemeinsam auf. Von dieser Grauzone, die viele Menschen betrifft, ausgehend, ist der Übergang zu den klinisch manifesten und weiter unter noch genauer zu definierenden fließend. Eine Definition von Essstörung Diagnosen von Gestörtes Essverhalten im Vorfeld von Bei gestörtem Essverhalten ist das Essen angstbesetzt überwiegend außenorientiert rigide chaotisch abwechselnd rigide und chaotisch das Mittel zur Stressbewältigung in starkem Maße stimmungsabhängig stark gewichtsabhängig die Gedanken/das Erleben beherrschend. Eine gestörte Körperwahrnehmung zeichnet sich aus durch ständige Kontrolle oder kritische Beobachtung des Körpers und seiner Gestörte Körperwahrnehmung

Veränderungen, z. B. durch häufiges Wiegen, Messen des Körperumfanges, u. a. durch maßgebende Kleidungsstücke, ständiges Beobachten im Spiegel starke Abhängigkeit der Stimmung von geringfügigen Schwankungen oder Veränderungen starke Verunsicherung, wenn die äußere Erscheinung nicht den vermeintlichen Normvorstellungen entspricht ständiges Vergleichen mit anderen starke Unzufriedenheit und intensiver Beschäftigung mit einzelnen Körperpartien Vermeiden von Wiegen und Anschauen des Körpers im Spiegel Übertreibung oder Vernachlässigung der Körperpflege. 1.2 Epidemiologie: Die Verbreitung von Verbreitung von bei Mädchen und jungen Frauen, soziale Schicht und Risikogruppen Die Prävalenz von Anorexie und Bulimie wird mit ca. 5% der Frauen im Alter zwischen 14 und 35 Jahren angegeben. Diese beiden Formen der Essstörung betreffen zu ca. 95% Frauen. Die Anorexia nervosa beginnt typischerweise um die Zeit der Pubertät, im Alter zwischen 14 und 18 Jahren. Es werden allerdings auch Ersterkrankungen vor dem 10. und nach dem 25. Lebensjahr beschrieben. Das Alter der Ersterkrankung für die Bulimie ist in der Regel höher. Es wird von einem Manifestationsmaximum im 18. Lebensjahr berichtet (vgl. Krüger et. al., 2001). Die Behandlungsfälle beider Erkrankungen haben in den letzten 20 Jahren zugenommen, in den letzten zehn Jahren z. T. drastisch. Ob dies einer echten Zunahme der Erkrankungsfälle entspricht, ist wahrscheinlich, aber nicht unumstritten (Habermas, 1996). Frauen aller sozialen Schichten sind betroffen. Anorexie kommt gehäuft in den höheren Sozialschichten vor (Gard & Freeman, 1996; Mc- Clelland & Crisp, 2001). Restriktives Essverhalten, ein extremes Schlankheitsideal, Sorgen um das Gewicht und eine Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper sind in starkem Maße mit der Zugehörigkeit zu höheren sozialen Schichten und dem entsprechenden Wertesystem verbunden (McClelland & Crisp, 2001; Ogden & Thomas, 1999). Diätverhalten ist ein wesentlicher Vorläufer für die Entwicklung von (Hsu, 1996; Pudel & Westenhöfer, 1998). In nicht-westlichen Gesellschaften nimmt die Prävalenz von mit der von Diätverhalten zu (Hsu, 1996). In Europa ist ein erheblicher Teil junger Mädchen und Frauen der Hochrisikogruppe für zuzuordnen. Hier befinden sich nach einer von der Europäischen Union geförderten Studie an ca. 4.400 Schülerinnen in Westeuropa ca. 8% der Mädchen im Alter zwischen 11 und 13 und 14% der weiblichen Jugendlichen

zwischen 14 und 19 Jahren. Fast 50% der Mädchen zwischen 11 und 13 Jahren in Westeuropa haben bereits eine Diät gemacht. Ca. 40% der normalgewichtigen und der untergewichtigen Mädchen und weiblichen Jugendlichen zwischen 11 und 19 Jahren fühlen sich zu dick (Kabera, 1999). Zudem gibt es für die Entwicklung von Anorexie und Bulimie besondere Risikogruppen, in denen diese Erkrankungen häufiger als zu erwarten auftreten. Hierzu gehören Sportlerinnen und Sportler, Ballettschülerinnen (Hsu, 1996), Gymnasiastinnen und Studentinnen und auch Patientinnen und Patienten mit Diabetes mellitus (Herpertz et al., 1998). Weitaus verbreiteter als die genannten Formen von sind Übergewicht und Adipositas. Deren Prävalenz steigt kontinuierlich. In der Bundesrepublik Deutschland ist ca. jeder zweite Erwachsene übergewichtig (BMI > 25) und jeder fünfte bis sechste adipös (BMI > 30, Leitlinienentwurf der Deutschen Adipositas-Gesellschaft 1999) 1. Die Prävalenz der Adipositas liegt je nach Geschlecht und Altersgruppe zwischen 5% bis 45%, mit einer Häufung zwischen 45 und 64 Jahren (Pudel & Westenhöfer, 1998). In westlichen städtischen Gesellschaften zeigt sich ein negatives Verhältnis zwischen sozialem Status und Adipositas: Je höher die eigene soziale Schicht und die der Eltern desto weniger verbreitet ist sie. In traditionellen Gesellschaften scheint dies umgekehrt zu sein. Neben Umwelteinflüssen scheinen genetische Faktoren bei der Entstehung und Aufrechterhaltung der Adipositas eine erhebliche Rolle zu spielen. Übergewicht und Adipositas werden nicht zu den gerechnet, da sie nicht per se mit gestörtem Essverhalten und entsprechend gestörten Einstellungen einhergehen und nicht regelhaft Ausdruck seelischer Probleme oder Konflikte sind. Es gibt allerdings eine Untergruppe von Übergewichtigen und Adipösen, deren ungünstiges Ess- und Bewegungsverhalten durch seelische bzw. interpersonelle Konflikte bedingt ist. Vermutlich gibt es hier sehr starke Überschneidungen zu Patientinnen und Patienten mit Binge Eating Störung. Zudem können Übergewicht und Adipositas mit erheblichen intrapsychischen und interpersonellen Problemen einhergehen, die ebenfalls der fachkundigen Behandlung bedürfen (vgl. Cuntz, 2001; v. Hippel & Pape, 2001). Übergewicht, Adipositas und 1.3 Diagnostik und klinische Erscheinungsformen 1.3.1 Anorexia nervosa Die Betroffenen haben eine große Angst davor, dick zu werden und halten ihr Körpergewicht bewusst deutlich unter der altersentsprechenden Norm. 1 Der Body Mass Index (BMI, auch: Quetelets-Index) ist der Quotient aus dem Körpergewicht in kg zur Körperoberfläche (Quadrat der Körpergröße in Meter).

Merkmale der Anorexie Die Gewichtsphobie Die Beeinflussung des Körpergewichts kann durch extreme Nahrungsrestriktion, durch Erbrechen, Abführmittel-, Appetitzügler- oder Diuretikamissbrauch erreicht werden. Das Verhältnis zum eigenen Gewicht, zur eigenen Figur und die Wahrnehmung der eigenen Körpererscheinung sind auffällig verändert. Die Betroffenen erleben sich unabhängig vom tatsächlichen Gewicht als zu dick und können die eigene Figur und ihren Körper nicht realistisch wahrnehmen oder darstellen. Hinzu kommen eine intellektuelle und körperliche Hyperaktivität, ein erstaunliches Leistungsstreben trotz körperlicher Einschränkung und eine sekundäre Amenorrhoe. Eine Amenorrhoe wird dann angenommen, wenn die Periode nur unter Hormoneinnahme auftritt. Die Amenorrhoe tritt bei bis zu 50% der Patientinnen schon vor oder zu Beginn der Gewichtsabnahme auf. Für das Verständnis der bei der Anorexie wirksamen seelischen Faktoren wird die Gewichtsphobie zum entscheidenden Kriterium, das sie von anderen Formen des Fastens, die z.b aus religiösen oder politischen Motiven, aber auch im Zusammenhang mit anderen seelischen Erkrankungen, z. B. Depressionen oder Hysterien, unterscheidet (Habermas, 1996). In der ICD-10 der WHO (International Classification of Mental and Behavioral Disorders) wird eine Anorexia nervosa (F 50.0) folgendermaßen diagnostiziert: Diagnostische Kriterien der Anorexie Atypische Anorexie Kriterien der ICD-10 für Anorexia nervosa (F 50.0) 1. Körpergewicht mindestens 15% unter dem erwarteten oder Quetelets- Index (BMI, vgl. oben) von 17,5 oder weniger 2. Gewichtsverlust selbst herbeigeführt durch: a. Vermeidung von hochkalorischen Speisen und eine oder mehrere der folgenden Möglichkeiten: b. selbstinduziertes Erbrechen c. selbstinduziertes Abführen d. übertriebene körperliche Aktivitäten e. Gebrauch von Appetitzüglern und/oder Diuretika 3. Körperschema-Störung als eine tief verwurzelte überwertige Idee; sehr niedrige Gewichtsschwelle 4. Endokrine Störung (Hypothalamus-Hypophysen-Gonaden-Achse): Amenorrhoe (bei Männern: Libido- und Potenzverlust) Bei Beginn der Erkrankung vor der Pubertät Abfolge der pubertären Entwicklungsschritte verzögert oder gehemmt Sind nicht alle genannten Bedingungen erfüllt, handelt es sich nach der ICD-10 um eine atypische Anorexia nervosa (F 50.1). Hierunter fallen z. B. Frauen, die untergewichtig sind, restriktiv essen, eine Körperschemastörung aufweisen und eine sekundäre Amenorrhoe haben, deren Gewicht aber

nicht unter 15% des Idealgewichts liegt. Die Kriterien der Anorexia nervosa im DSM-IV (American Psychiatric Association, 1994) unterscheiden sich gering von denen der ICD-10. In der Formulierung der Körperschemastörung liegt der Fokus auf der Einstellung und der affektiven Dimension. Außerdem wurde die Verleugnung der Schwere der Erkrankung in die Definition aufgenommen. Die Klassifikation nach DSM-IV ist zudem hilfreich, weil sie zwischen einer restriktiven und einer bulimischen Form der Anorexie unterscheidet. Mit letzterer sind Anorektikerinnen mit Essanfällen sowie selbst induziertem Erbrechen oder Laxanzien- bzw. Diuretikaabusus gemeint. Sie wurden bisher als Bulimarexien oder Mischformen bezeichnet. Eine Reihe von Studien hat gezeigt, dass es wichtige und zuverlässige Unterschiede zwischen konsequent Nahrung verweigernden, restriktiven und periodisch bulimischen anorektischen Patientinnen gibt (vgl. Cierpka & Reich, 2001; Krüger et al., 2001; Reich, 1999; sowie Kap. 8.2 in diesem Band). Restriktive und bulimische Anorexie 1.3.2 Bulimia nervosa Die Betroffenen sind andauernd mit Nahrungsaufnahme, -beschaffung und -zubereitung beschäftigt. Es kommt zu Essanfällen mit Kontrollverlust: Die Betroffenen nehmen in kurzer Zeit große Nahrungsmengen zu sich, ohne aufhören zu können. Ihnen ist das Gefühl für Hunger und Sättigung verloren gegangen. Es besteht eine überwertige Furcht vor einer Gewichtszunahme². Um diese zu vermeiden, verwenden die Betroffenen unter anderem selbst induziertes Erbrechen, Fasten, Abführmittel, Diuretika, Appetitzügler, Schilddrüsenpräparate sowie exzessiven Sport. Kriterien der ICD-10 für eine Bulimia nervosa (F 50.2) 1. Andauernde Beschäftigung mit dem Essen, unwiderstehliche Gier nach Nahrungsmitteln, Essattacken 2. Vermeidung von Gewichtszunahme durch: a. selbst induziertes Erbrechen b. Missbrauch von Abführmitteln c. zeitweilige Hungerperioden d. Einnahme von Appetitzüglern, Schilddrüsenpräparaten, Diuretika 3. Krankhafte Furcht, dick zu werden 4. In der Vorgeschichte häufig Episoden von Anorexia nervosa, die voll ausgeprägt oder verdeckt mit mäßigem Gewichtsverlust und/oder vorübergehender Amenorrhoe gewesen sein können Merkmale der Bulimie Diagnostische Kriterien 2 Dabei sind Bulimikerinnen leicht untergewichtig, normalgewichtig oder auch übergewichtig.

Atypische Bulimie Bulimie- Kriterien im DSM-IV purging und non-purging Bulimie Nicht näher bezeichnete Weiterhin wird eine atypische Bulimie (F 50.3) definiert. Diese umfasst normalgewichtige Frauen mit einer Bulimie sowie Patientinnen, die nicht alle Hauptkriterien einer Bulimie erfüllen. Die Diagnosekriterien des DSM- IV unterscheiden sich von denen der ICD-10: Kriterien des DSM-IV für Bulimia nervosa A. Wiederkehrende Episoden von Essanfällen. Eine Episode ist charakterisiert durch: 1. Essensaufnahme in einer kurzen Zeitspanne (bis zu 2 Stunden), die Nahrungsmenge ist definitiv größer, als die meisten Menschen in einer vergleichbaren Zeit unter ähnlichen Umständen essen würden. 2. Ein Gefühl des Kontrollverlustes während des Essanfalles (das Essen nicht stoppen oder nicht kontrollieren zu können, was bzw. wie viel gegessen wird). B. Wiederkehrendes, unangemessenes Kompensationsverhalten, um eine Gewichtszunahme zu verhindern, wie selbst induziertes Erbrechen, Abusus von Laxanzien, Diuretika, Klistieren oder anderer Medikation, Fasten oder exzessive sportliche Übungen. C. Essanfälle und unangemessene Kompensationsmechanismen treten im Schnitt mindestens zwei Mal wöchentlich für drei Monate auf. D. Die Selbstwahrnehmung ist unangemessen durch Figur und Gewicht beeinflusst. E. Die Störung tritt nicht ausschließlich während Episoden einer Anorexia nervosa auf. Das DSM-IV unterscheidet außerdem eine purging von einer non purging Bulimie. Mit letzterer werden Patientinnen bezeichnet, die nicht erbrechen oder Laxanzienabusus betreiben, sondern im Wechsel Essanfälle haben, intermittierend fasten, Diäten machen oder exzessiv Sport treiben. Mindestens ein Drittel der Patientinnen und Patienten, die eine Behandlung wegen einer Essstörung suchen, haben keine Anorexia nervosa oder Bulimie nach den Kriterien des DSM-IV (Krüger et al., 2001). Im DSM-IV werden sie unter dem Sammelbegriff EDNOS (Eating Disorders Not Otherwise Specified, DSM-IV 307.50), nicht näher bezeichnete zusammengefasst. Im ICD-10 werden hierfür die oben bereits genannten Diagnosen definiert. Der Begriff nicht näher bezeichnete (EDNOS) erscheint aus klinischer Sicht ungünstig, da er nahelegen kann, es handle sich um Störungen mit geringem Krankheitswert oder geringer klinischer Relevanz.

1.3.3 Binge Eating Disorder (Essstörung mit Fressanfällen ) Sie ist in der ICD-10 nicht definiert, im DSM-IV (1994) durch folgende Merkmale gekennzeichnet: Kriterien des DSM-IV für Binge Eating Disorder A. Wiederholte Episoden von Fressanfällen. Eine Episode ist folgendermaßen charakterisiert: Essen einer Nahrungsmenge in einem abgegrenzten (z. B. zweistündigen) Zeitraum, die definitiv größer ist als die, die meisten Menschen in einem ähnlichen Zeitraum unter ähnlichen Umständen essen würden. Ein Gefühl des Kontrollverlustes über das Essen während der Episode (z. B. mit dem Essen nicht aufhören bzw. nicht kontrollieren zu können, was und wie viel man isst). B. Die Episoden von Fressanfällen treten gemeinsam mit mindestens drei der folgenden Symptome auf: Es wird wesentlich schneller gegessen als normal. Es wird bis zu einem unangenehmen Völlegefühl gegessen. Es werden große Nahrungsmengen gegessen, obwohl man sich körperlich nicht hungrig fühlt. Die betreffende Person isst allein, weil sie sich wegen der Menge schämt. Nach dem übermäßigen Essen treten Selbstekel, Deprimiertheit oder starke Schuldgefühle auf. C. Es besteht deutliches Leiden wegen der Fressanfälle. D. Die Fressanfälle treten im Durchschnitt an mindestens 2 Tagen in der Woche für 6 Monate auf. E. Die Fressanfälle treten nicht in Kombination mit regelmäßigen kompensatorischen Verhaltensweisen (z. B. Purging-Verhalten, Fasten, exzessive körperliche Betätigung) oder ausschließlich im Verlauf einer Anorexia oder Bulimia nervosa auf. Essstörung mit Fressanfällen im DSM-IV 1.3.4 Adipositas Adipositas wird nach Schweregraden gemäß dem Body Mass Index (BMI) eingeteilt: Schweregrade der Adipositas Übergewicht: BMI 25,0 bis 29,9 Adipositas Grad I: BMI 30,0 bis 34,9 Adipositas Grad II: BMI 35,0 bis 39,9 Adipositas Grad III (Extreme Adipositas): BMI größer 40,0. Schweregrade des Adipositas