Unbewusst und vorbewusst

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Transkript:

Welche Rolle spielt das Unbewusste beim Erinnern und Verhalten? Wie können die Grundannahmen der Psychoanalyse zum Ubw im Licht der modernen Hirnforschung gesehen werden? Wolfgang Söllner Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Klinikum Nürnberg Unbewusst und vorbewusst Das Unbewusste Jener Bereich der menschlichen Psyche, der dem Bewusstsein nicht direkt zugänglich ist. Die Tiefenpsychologie geht davon aus, dass unbewusste psychische Prozesse das menschliche Handeln, Denken und Fühlen entscheidend beeinflussen, und dass die Bewusstmachung unbewusster Vorgänge eine wesentliche Voraussetzung für die Therapie von Neurosen ist. Das Vorbewusste Alle psychischen Vorgänge und Inhalte, die im Augenblick nicht aktiviert aber im Gegensatz zum Unbewussten prinzipiell zugänglich sind und im Bedarfsfalle jederzeit wieder aktiviert werden können. 1

Was ist unbewusst? Erinnerung: Nicht alles was wir wahrnehmen und erleben, können wir uns wieder ins Bewusstsein abrufen Verhalten: Ubw. Verhaltensmuster, Fehlleistungen Emotionen: Ubw. Motive, Instinkte, Triebe Kognitionen: Entscheidungen aus dem Bauch Träume Hypnose Freud s Modell: Das dynamische Unbewusste ES: Triebe, Instinkte, Temperament, Motivationen angeboren, hormonell gesteuert, unbewusst ICH: Fühlen, Denken, Erinnern, Handeln Abwehr-/ Austauschmechanismen V. a. durch Erfahrung erworben Tlw. bewusst, tlw. ubw. ÜBER-ICH: Gewissen erworben Tlw. bewust, tlw. ubw. 2

Das Unbewusste in der Hirnforschung Wir haben herausgefunden, dass im menschlichen Gehirn neuronale Prozesse und bewusst erlebte geistigpsychische Zustände aufs Engste miteinander zusammenhängen und unbewusste Prozesse bewussten in bestimmter Weise vorausgehen. Das Manifest: Elf führende Neurowissenschaftler über Gegenwart und Zukunft der Hirnforschung Christian E. Elger, Angela D. Friederici, Christof Koch, Heiko Luhmann, Christoph von der Malsburg, Randolf Menzel, Hannah Monyer, Frank Rösler, Gerhard Roth, Henning Scheich, Wolf Singer Gehirn und Geist 6; 2004 Unbewusste Anteile des Gedächtnisses: Beobachtungen nach Hirnschädigungen Blind Sehen: Kortikale Blindheit durch Schädigung des visuellen Cortex Implizites Gedächtnis: Amnesien durch Hirnschädigungen; Patienten raten richtig Split-brain-Untersuchungen: Nach Durchtrennung des Balkens; Beeinflussung des Verhaltens des Patienten durch Stimulation der rechten Hirnhälfte, ohne dass er dies bewusst wahrnimmt (Roger Sperry) Schädigung des orbitofrontalen Cortex: Enthemmtes Verhalten; Unvermögen emotionale Lerninhalte zu behalten (Antonio Damasio) 3

Gedächtnis: 3 Phasen Registrierung Sinnesorgane Kodierung Limb. System, Hippocampus Assoziationscortex Parahippocampaler Cortex 1. Kodierung (Erwerb neuer Information) 2. Speicherung (Behalten der Information) Konsolidierung (Assoziationsbildung mit vorhandenen Inhalten; Festschreibung der Erinnerung auf immer tieferen Speicherebenen; während des Schlafs) 3. Abruf (Wiederbewusstmachung) Subcorticale Zentren Kurzzeit-G. Arbeits-G. Speicherung Langzeit-G. Abruf Cortex Limb. System nach Solms & Turnbull 2008 Konsolidierung Limbisches System, Assoziationscortex Wie passiert Gedächtnisspeicherung? Kurzzeit-Gedächtnis: Funktioneller Prozess Zellverbände verdrahten sich und feuern gemeinsam Langzeit-Gedächtnis: Anatomischer Prozess In den feuernden Zellen werden genet. Mechanismen in Gang gesetzt (Proteinsynthese), die das Wachstum weiterer Synapsen an diesen Verbindungen fördern Zellen wachsen und verdrahten sich an ständig aktivierten Verbindungen Erhöhte Dichte des neuronalen Gewebes Sehr langlebig, robust An verschiedenen Orten kodiert Auf unterschiedliche Weisen kodiert (viele Gedächtnis-Subsysteme) Ausgedehnte Neuronenverbände (Netzwerke) 4

Vergessen Längere Zeit nicht aktive Synapsen sterben ab ( Use it or loose it ) Der Mensch wird mit viel mehr Anlagen zu Synapsen geboren, als er benötigt Die Umwelt bewirkt, dass ein Teil dieser Synapsen aktiviert wird, die anderen bleiben auf der Stecke ( Neuronales Purging ) Bildung von Schablonen in der frühen Kindheit Aktives und passives Vergessen Nicht alles wird konsolidiert und im LZ- Gedächtnis abgespeichert Auswahl: Teil des Materials wird aus dem Arbeitsgedächtnis ( Puffer ) hinausgedrängt wahrscheinlich im REM- Schlaf (Träume als Mülleimer unserer Erinnerung? Crick & Mitchison 1983) Aktives und passives Vergessen: Verdängen und Spurenverfall Kehrt Verdrängtes im Traum wieder? 5

Die Aktenschränke unseres Gedächtnisses Explizit: Bewusst oder bewusstseinsfähig Semantisches Gedächtnis: speichert Informationen; Wissenssystem Episodisches Gedächtnis: Bewusstes Wiedererleben früherer Erfahrungen; Bezug zum Selbst; autobiographisches Gedächtnis Implizit: (In der Regel) Unbewusst Prozedurales Gedächtnis: Körperliches Gedächtnis; habituelle motorische Fertigkeiten Priming/Emotionales Erfahrungsgedächtnis: Unser zentrales Bewertungssystem nach Roth 2004; Tulving 2005; Markowitsch 2009 Episodisches Gedächtnis Bewusstes Wiedererleben früherer Erfahrungen ABER: Jedes Wiedererleben ist ein bisschen anders Einflüsse vom emotionalen Erfahrungsgedächtnis ( Schablonen ) Geprägt von neueren Erfahrungen Geprägt von der aktuellen Situation Erinnerungen an frühere Situationen des Selbst in Beziehung zu Objekten z. T. bewusst, z. T. ubw. Autobiographisches Selbst (Damasio) Entspricht dem ICH der Psychoanalyse Lokalisation: Hippocampus 6

Läsion/Stimulierung des Hippocampus Läsion: durch OP, herpetische Enzephalitis, Hypoxie, M. Alzheimer Erhaltenes prozedurales Gedächtnis ABER: Die Fähigkeit, bewusst zu erinnern und darüber nachzudenken, geht verloren Stimulierung: Kann künstlich das Gefühl das ist mir passiert produzieren Deja-vu Halluzinationen False memory z. B. bei partieller temporaler Epilepsie Pat. HM Emotionales Erfahrungsgedächtnis Zentrales Bewertungssystem unseres Gehirns...bewertet alles, was durch uns und mit uns geschieht, danach, ob es vorteilhaft oder lustvoll war und entsprechend wiederholt werden sollte oder nachteilig und schmerzhaft und zu meiden ist. (Roth 2003) Lust-Unlust-Prinzip; völlig unbewusst Limbisches System: Eng verknüpft mit Hippocampus, Basalganglien, präfrontalem Kontrolliert den Hippocampus und damit das epxlizite (deklarative) bewusstseinsfähige Gedächtnis Cortex aus Roth 2011 7

Emotionales Erfahrungsgedächtnis Sorgt dafür, dass wir alle bewussten und ubw. Handlungsentscheidungen immer im Licht vergangener Erfahrung treffen. Bei neuerlicher Erfahrung, wird ubw. das EE- Gedächtnis aktiviert: Erzeugt Gefühle von Interesse, Neugier, Freude, Belohnungserwartung ODER Aufregung, Furcht, Abneigung. Erzeugt Erfahrungsmuster und Handlungsschablonen Neurobiologische Basis des psa. Konzepts der Übertragung bzw. des lerntheoretischen Konzepts der Schemata Verinnerlichtes Modell der Lebenserfahrung Wir Erwachsenen projizieren fortwährend unsere Erwartungen (die Resultate früherer Erfahrungen) auf die Welt, sodass wir unsere Umwelt in weit höherem Maß konstruieren als wahrnehmen (Solms & Turnbull 2002) Das Unbewusste ist ein Zensor der Wahrnehmung (Fokussierung) Unbewusste Erfahrungen ( Schablonen, Erwartungen) organisieren die Speicherung des LZ- Gedächtnisses 8

Der Einfluss von Stress und Traumatisierung auf die Erinnerung Hippocampus hat eine sehr hohe Zahl von Glucocorticoid-Rezeptoren Extremer Stress Adrenalin Cortisol neurotoxisch kann Neurone im Hippocampus zerstören Bei massivem Stress, Traumatisierung (Kriegserlebnisse, sexueller Missbrauch): Abnahme des Hippocampusvolumens Abnahme der Synapsendichte im präfrontalen Cortex Störung der Gedächtnisleistung: Erinnerung an Trauma nur eingeschränkt episodisch kodiert (Schutz?), aber implizite ubw. Erinnerungsspuren (z. B. Körperreaktion, Dissoziation) Steuerung des Verhaltens Limbisches System steuert Verhalten, beeinflusst den präfrontalen Cortex beim Entstehen von Wünschen und dem Reifen von Plänen ( Bewusster Cortex braucht die Zustimmung des limbischen Systems ) 95% unseres Verhaltens sind unbewusst (Bargh & Chartraud 1999) Angeborene Basisemotionen (Neugierde/Interesse,Wut, Furcht, Panik): lebenserhaltend Triebe: funktionieren nach dem Lust-Unlust-Prinzip (Dopamin- und Opioidgesteuert) Erlernt: Emotionales Erfahrungsgedächtnis 9

Formung der Persönlichkeit EE-Gedächtnis entscheidend Besonders aktiv in den ersten Lebensjahren (Cortex erst ab dem 3. Lj. stärker ausgereift) Abhängig von den Reaktionen der Umwelt; frühen Beziehungserfahrungen Eng verknüpft mit dem Bindungssystem Kortikale Netzwerke (deklaratives Gedächtnis) bleiben langfristig plastisch und können sich schnell verändern Das limbische System lernt langsam und ist resistent gegen Veränderung Im späteren Leben nur mit großem Aufwand veränderbar (z. B. in Lebenskrisen) Sind wir Herr im eigenen Haus? Bewusste Entscheidungen: Ebene der bewusstseinsfähigen Großhirnrinde; Wahrnehmung und Beurteilung komplexer Situationen; Bewältigung von Situationen, für die es kein gewohntes Rezept gibt Die Letztentscheidung wird jedoch emotional getroffen ( aus dem Bauch ) Kränkung des ICH (Freud) Widerspricht unserem Wunsch nach Autonomie Die kortikale Bewusstseinsebene nimmt die subkortikale nicht wahr bzw. leugnet sie Das ICH konfabuliert, d.h. es liefert - aus der Sicht des Beobachters Pseudoerklärungen und zwar in der Regel solche, die einerseits dem Selbstwertgefühl und andererseits den Erwartungen der sozialen Umwelt am besten entsprechen (Roth 2009) 10

Veränderung durch Psychotherapie? Hypothesen aus neurowissenschaftlicher Sicht (1) Stärkung des ICH (kortikale Ebene) gegenüber den ubw. subkortikalen Verhaltensmustern: Freud: Wo ES war, soll ICH werden (emanzipatorischer Anspruch der Psychoanalyse) Verstärkung der Impulskontrolle durch Mentalisierung (Fonagy) Das verändert aber nicht die verknoteten Netzwerke im limbischen System (LeDoux: Die Amygdala vergisst nie ) (2) Positive emotionale Erfahrung schafft Ersatzschaltungen in Amygdala mit eigenem Zugang zu Handlungssteuerung im präfrontalen Cortex (kompensatorische Netzwerke) Positive emotionale Lebenserfahrungen können - wenn sie lange genug und oft genug erlebt und geübt werden alte seelische Verletzungen und Traumata heilen. 11

Grenzen der Neurowissenchaften Eine "vollständige" Erklärung der Arbeit des menschlichen Gehirns, das heißt eine durchgängige Entschlüsselung auf der zellulären oder gar molekularen Ebene, erreichen wir dabei dennoch nicht. Insbesondere wird eine vollständige Beschreibung des individuellen Gehirns und damit eine Vorhersage über das Verhalten einer bestimmten Person nur höchst eingeschränkt gelingen. Denn einzelne Gehirne organisieren sich aufgrund genetischer Unterschiede und nicht reproduzierbarer Prägungsvorgänge durch Umwelteinflüsse selbst und zwar auf sehr unterschiedliche Weise, individuellen Bedürfnissen und einem individuellen Wertesystem folgend. Das macht es generell unmöglich, durch Erfassung von Hirnaktivität auf die daraus resultierenden psychischen Vorgänge eines konkreten Individuums zu schließen. 12