Diagnostik und Behandlung psychischer Erkrankungen nach schweren Arbeitsunfällen 08.05.2014 BFW Leipzig Priv.-Doz. Dr. Olaf Schulte-Herbrüggen Psychiatrische Universitätsklinik der Charité im Sankt Hedwig-Krankenhaus
Psychiatrische Universitätsklinik der Charité im St. Hedwig-KHS (Direktor Prof. Dr. Andreas Heinz, Chefarzt Prof. Dr. Gallinat) Zentrum für Intensivierte Psychotherapie und Beratung Berlin - Traumaambulanz - (Ltg. PD Dr. Olaf Schulte-Herbrüggen) Angebote: Ambulanz für Gewaltopfer nach Opferentschädigungsgesetz in Kooperation mit dem LAGeSo Berlin Intensivierte Traumatherapie (tagesklinisches Angebot) Ambulanz für psychische Erkrankungen nach Berufsunfällen Supervision und Beratung für Beschäftigte in potenziell traumatisierenden Berufen
Was ist ein Trauma?
DSM-V Trauma criterion: A. The person was exposed to the following event(s): death or threatened death, actual or threatened serious injury, or actual or threatened sexual violation, in one or more of the following ways: 1. Experiencing the event(s) him/herself 2. Witnessing, in person, the event(s) as they occurred to others 3. Learning that the event(s) occurred to a close relative or close friend; in such cases, the actual or threatened death must have been violent or accidental 4. Experiencing repeated or extreme exposure to aversive details of the event(s) (e.g., first responders collecting body parts; police officers repeatedly exposed to details of child abuse); this does not apply to exposure through electronic media, television, movies or pictures, unless this exposure is work related.
Reaktionen auf eine Traumatisierung Furcht, Wut Traurigkeit Verleugnung Intrusionen Durcharbeiten Traumaarbeit Akzeptanz Integration Weiterleben Anpassungs- Störung Depression/ Angststörung/ Somatoforme Störung Sucht Akute Belastungsstörung Posttraumatische Belastungsstörung Störung durch Extrembelastung,nicht anderweitig bezeichnet ( Disorder of Extreme Stress Not Otherwise Specified (DESNOS), Andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung
Wahrscheinlichkeit PTBS nach Trauma zu entwickeln % Traumaexposition % PTSD nach Traumaexposition 60% Traumaexposition Lebenszeitprävalenz: 5-6% Männer, 10-14% Frauen 25% mehrfache Traumatisierung
Risikofaktoren für PTBS (Brewin et al. 2000)
Frühsymptome Symptome einer Stressreaktion sind normale und zu erwartende Reaktionen in der ersten Zeit nach einer Traumatisierung. 94% der Vergewaltigungsopfer zeigen das Vollbild einer PTBS in den ersten 2 Wochen. Nach 11 Wochen sind es noch 47%. Brewin 1999, 19% Acute Stress Disorder bei Gewaltverbrechen Akute Belastungsreaktion: 1. Traumakriterium 2. Dissoziation (3 Symptome: Derealisation, Amnesie, Empfindungslosigkeit, Beeinträchtigung der Umweltwahrnehmung, Depersonalisation) 3. Intrusionen 4. Vermeidung 5. Hyperarousal 6. Symptome > 2 Tage und < 1 Monat 7. Klinische signifikante Beeinträchtigung
Frühsymptome spätere Traumafolgestörung ca. 70-80% der Personen mit Akuter Belastungsstörung entwickeln später eine PTBS. ca. 50% derer, die eine PTBS entwickeln, erfüllen zuvor nicht die Diagnose einer Akuten Belastungsstörung (Bryant 2003). Inkonsistente Befundlage zur Rolle der Dissoziation (Bryant u. Harvey 1997, Classen et al. 1998, Harvey u. Bryant 1999, Murray et al. 2002, Bryant et al. 2008).
Empfehlungen zum Vorgehen National Institute for Health and Clinical Excellence (NICE):..bei milden Verläufen posttraumatischer Stressreaktionen zunächst watchful waiting (NICE, 2006, S. 123), also das aufmerksame Abwarten bzw. Beobachten, ob sich Symptome entwickeln, die über das normale Maß einer Stressreaktion nach einem traumatischen Ereignis hinausgehen, um dann gezielt mit traumaspezifischer kognitiver Verhaltenstherapie (KVT) eingreifen zu können. Nicht jede Behandlungsmethode, die gut gemeint ist, ist auch gut: Die Behandlungen soll nur empfohlen und angewendet werden, wenn ihre Effektivität empirisch gesichert ist, und dass es außerdem notwendig ist nachzuweisen, dass sie wirksamer sind als der natürliche Erholungsprozess. Ehlers et al., 2010, Clinical Psychology Review
Interventionen nach Traumatisierung Peritraumatisch früh posttraumatisch Posttraumatisch Traumatisches Ereignis Notfallpsychologie Therapie ASD Therapie PTSD
2010 12 Studien evaluieren traumafokussierte Kognitiv-behaviorale Therapie (TF-KBT). TF-KBT war effektiver als die Warteliste (6 studies, 471 Teilnehmer; 95%CI -1.06, -0.23) und unterstützende Beratung (4 Studien, 198 Teilnehmer; 95% CI -1.12, -0.23) Die Effekte waren über 6 Monate hinaus erhalten.
Prevention of Posttraumatic Stress Disorder by Early Treatment PE n=63; CT n=40; SSRI n=23; WL n=93 Start therapy 29.8 days post trauma (A.Y. Shalev et al., Arch Gen Psych, 2011)
2013
Auswertung der BG-Patienten 2012 Intensivierte Traumatherapie 21,5% Arbeitsfähig 21,5% 57% weiterhin krank Therapieabbruch aufgrund Ambivalenz
Zusammenfassung Niemals vom Ereignis auf die psychische Verfassung der/des Betroffenen schließen. Differenzialdiagnostische Einschätzung ergibt sich aus der erfassten Psychopathologie. Therapeutische Strategien richten sich nach aktueller Symptomatik und nicht am Erlebten aus. Traumafolgestörungen wie z.b. die PTBS sind gut behandelbar. Sie bedürfen aber einer konsequenten State-of-the-Art Behandlung. Insbesondere bei Arbeitsunfällen zeigt die Erfahrung, dass die Therapieziele bezüglich Motivation und Arbeitsfähigkeit von Beginn an transparent geklärt werden.
Vielen Dank für ihre Aufmerksamkeit! Kontakt Zentrum für Intensivierte Psychotherapie und Beratung Berlin - Traumaambulanz - Psychiatrische Universitätsklinik der Charité im St Hedwig-KHS olaf.schulte-herbrueggen@charite.de www.alexianer-berlin-hedwigkliniken.de/traumaambulanz