Möglichkeiten und Grenzen der Stressbewältigung. Prof. Dr. Matthias Jerusalem Humboldt-Universität zu Berlin

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Transkript:

Möglichkeiten und Grenzen der Stressbewältigung Prof. Dr. Matthias Jerusalem Humboldt-Universität zu Berlin

Überblick Persönliche Ressourcen, Stress und Bewältigung Bewältigbarkeit und Bewältigungserfolg Einschränkungen für erfolgreiche Stressbewältigung Fazit

Persönliche Ressourcen, Stress und Bewältigung

Stress Stress ist die persönliche Einschätzung, dass die eigenen Ressourcen bzw. Bewältigungsmöglichkeiten durch interne und/oder externe Anforderungen beansprucht oder überfordert werden und die persönliche Kontrollierbarkeit sowie das Wohlbefinden gefährdet sind.

Stress Das Stresserleben ist umso intensiver, je höher die Anforderungen im Verhältnis zu eigenen Ressourcen und Fähigkeiten eingeschätzt werden und je bedeutsamer die persönlichen Folgen erscheinen. Stresserleben: Herausforderung Bedrohung Schaden/Verlust Einschätzungen persönlicher Kontrolle

Transaktionale Stresstheorie Antezedenzien Mediatoren Effekte Umweltbedingungen Persönliche Ressourcen Erlebte Anforderung Stresserleben: Herausforderung Bedrohung Verlust Erlebte Bewältigungsmöglichkeiten C O P I N G Affekte Physiologische Prozesse Soziale Funktionstüchtigkeit Wohlbefinden Gesundheit Based on Lazarus & Folkman, 1984, 1987

Transaktionale Stresstheorie Antezedenzien Mediatoren Effekte Umweltbedingungen Persönliche Ressourcen Erlebte Anforderung Stresserleben: Herausforderung Bedrohung Verlust Erlebte Bewältigungsmöglichkeiten C O P I N G Affekte Physiologische Prozesse Soziale Funktionstüchtigkeit Wohlbefinden Gesundheit Based on Lazarus & Folkman, 1984, 1987

Verlaufsmuster der Stressprozesse Herausforderung Bedrohung Kontrollverlust 1 2 3 4 5 6 7 8 9 Hohe Selbstwirksamkeit / Misserfolge

Verlaufsmuster der Stressprozesse Herausforderung Bedrohung Kontrollverlust 1 2 3 4 5 6 7 8 9 Niedrige Selbstwirksamkeit / Misserfolge

Transaktionale Stresstheorie Antezedenzien Mediatoren Effekte Umweltbedingungen Persönliche Ressourcen Erlebte Anforderung Stresserleben: Herausforderung Bedrohung Verlust Erlebte Bewältigungsmöglichkeiten C O P I N G Affekte Physiologische Prozesse Soziale Funktionstüchtigkeit Wohlbefinden Gesundheit Based on Lazarus & Folkman, 1984, 1987

Selbstwert (SW), elterliche Unterstützung (EU) und Alkoholkonsum von Schülern 60 SW niedrig/eu gering 50 40 30 20 SW hoch/eu gering SW hoch/eu hoch 10 SW niedrig/eu hoch 0 1. MZP 2. MZP

Selbstwert & Alkoholkonsum 80 Gramm reiner Alkohol pro Woche 7. Klasse 8. Klasse 9. Klasse 60 niedriger Selbstwert 40 20 hoher Selbstwert 0 13;8 14;0 14;8 14;8 15;0 15;8 15;9 16;1 16;9 Alter

Transaktionale Stresstheorie Antezedenzien Mediatoren Effekte Umweltbedingungen Persönliche Ressourcen Erlebte Anforderung Stresserleben: Herausforderung Bedrohung Verlust Erlebte Bewältigungsmöglichkeiten C O P I N G Affekte Physiologische Prozesse Soziale Funktionstüchtigkeit Wohlbefinden Gesundheit Based on Lazarus & Folkman, 1984, 1987

Sprachkompetenz, Aufenthalt und Einsamkeit Einsamkeit Sprachkompetenz hoch Sprachkompetenz gering 45 40 35 30 Ausländische Jugendliche < 5 5 bis 8 > 8 Jahre Aufenthalt

Sprachkompetenz, Aufenthalt und Selbstwert Selbstwertgefühl Sprachkompetenz gering Sprachkompetenz hoch 35 30 25 < 5 5 bis 8 >8 Jahre Aufenthalt Ausländische Jugendliche

Selbstwirksamkeit, Beschäftigungsstatus und gesundheitliche Beschwerden Beschwerden 28 26 24 22 20 18 16 14 12 10 SW niedrig SW hoch arbeitslos erwerbstätig 8 1989 1990 1991

Soziale Unterstützung, Beschäftigungsstatus und gesundheitliche Beschwerden Beschwerden 27 22 arbeitslos keine Unterstützung 17 Unterstützung 12 7 erwerbstätig 1989 1990 1991

Transaktionale Stresstheorie Antezedenzien Mediatoren Effekte Umweltbedingungen Persönliche Ressourcen Erlebte Anforderung Stresserleben: Herausforderung Bedrohung Verlust Erlebte Bewältigungsmöglichkeiten C O P I N G Affekte Physiologische Prozesse Soziale Funktionstüchtigkeit Wohlbefinden Gesundheit Based on Lazarus & Folkman, 1984, 1987

Gesellschaftlicher Wandel, Stress und Gesundheit Persönliche Ressourcen -.52.52 Emotionales Coping Arbeitssituation -.34 Negativer Stress.56.14 -.23 Wohn- Situation Gesundheitsbeschwerden

Bewältigbarkeit und Bewältigungserfolg

Bewältigbarkeit Ereignisse sind besonders stressreich und schwer zu bewältigen, wenn sie negativ unvorhersehbar unkontrollierbar mehrdeutig überwältigend sind sowie wichtige Lebensinhalte und Lebensziele gefährden. Beispiele: Naturkatastrophen, Pandemien, Folter

Kriterien für Bewältigungserfolg? Stressbewältigung Bewältigungserfolg Stressbewältigung = alle Anstrengungen, mit Belastungen fertig zu werden Mögliche Kriterien erfolgreicher Stressbewältigung Problemlösungen Funktionsfähigkeit Gesundheit Persönliche Zielerreichung Wohlbefinden

Einschränkungen für erfolgreiche Stressbewältigung

Persönliche Absichten und Ziele Überzogene, unrealistische Ansprüche und Ziele Zeitliche Orientierung (z.b. Arbeitslosigkeit/Trennung) - Bewältigung von Arbeitsplatz-/Partnerverlust - Umgang mit Befindlichkeit, sozialen Reaktionen, finanziellen Problemen - Erfolgreiche/erfolglose Suche (neuer Arbeitsplatz/Partner) Nicht erreichte/erreichbare Ziele Umorientierung? - Bedeutsamkeit (z.b. Berufserfolg, privates Glück, persönliche Existenz, Gesundheit) - Ausmaß notwendiger Veränderungen - Zugewinn oder Erhalt von Lebensqualität - Verzweiflung oder selektive/kompensatorische Strategien

Soziale Normen (Sozialverträglichkeit) Gesellschaftliche Werte und Weltanschauungen Individuelles/kollektives Gesellschaftssystem Ritualisierte Bewältigung, z.b. Sterben/Tod (Auflehnung, Schock Verzweiflung, Trauer Ablösung, normale Funktionsfähigkeit) Erwartung persönlicher Bewältigungsanstrengungen (Kranke, Arme, Arbeitslose) Traumatische Ereignisse: erst Sinnkrise, dann Sinnfindung Bewältigungsmittel (Drogen, Selbstjustiz, Diebstahl versus Kommunikation, Entspannung, Wettbewerb, gerichtliche Klagen) Gesellschaftliche Erfolgsfelder (Funktionstüchtigkeit, Gesundheit, Eigeninitiative, Wohlstand, Beliebtheit)

Persönliche Stile und Fehleinschätzungen Bewältigungsstile - Emotions- und Problemorientierung - Vigilanz und Vermeidung Unrealistischer Optimismus - Unterschätzung von Risiken (defensiver Opt.) - Überschätzung von Bewältigungsmöglichkeiten (funktionaler Opt.) Realitätsbezug - Subjektive Kontrolle und objektive Kontrollierbarkeit - Übereinstimmende Einschätzung der Beteiligten (z.b. Partner, Familie) Nebenwirkungen: Erschöpfung von Ressourcen - Individuell begrenzte Energie - Belastbarkeit des sozialen Umfeldes - Inanspruchnahme systemischer Ressourcen (z.b. Familie)

Systemischer Stress: individuelle und kollektive Bewältigung Soziale Vergleiche - Erfolgreiche Bewältigungsmodelle - Selektive Abwärtsvergleiche (Befindlichkeit) und Aufwärtsvergleiche (Erfolgszuversicht) Sozialer Rückhalt - Erwartete Unterstützung - Erhaltene Unterstützung - Soziale Isolation und soziale Willkür Community Stress - Mehrere Betroffene (Dyade, Familie, Gemeinde ) - Kollektives Coping (Übereinstimmung von Einschätzungen, Zielen, Maßnahmen und Koordination; z.b. strukturelle Arbeitslosigkeit) - Soziale Dynamik ( pressure-cooker-effect ): Gerüchte, Unsicherheit, Explosion sozialen Klimas Chaos, Panik (z.b. Vogelgrippe)

Extreme Belastungssituationen Eindeutige schwere Verluste - Bewältigungsblockade - Verhaltensdesorganisation - Aktionismus Existenzbedrohende Traumata - Langfristige, schwerwiegende Schäden mit Chronifizierung über Jahrzehnte - Hohe psychologische Verwundbarkeit unabhängig von Erfahrungen, Erfolg und Persönlichkeit Terminale Erkrankungen - Sinnfindung statt Kontrolle, Meaning statt Mastery - Nicht Resignation/Hilflosigkeit Akzeptanz/Gelassenheit - Empirische Befundlage: Sinnfindung und Akzeptanz gelingen kaum

Fazit Persönliche Ressourcen fördern konstruktive Stresseinschätzungen und erfolgreiche Stressbewältigung. Einschränkungen der Bewältigung liegen in: - eigenen Ansprüchen, Bewältigungsstilen und Fehleinschätzungen, - sozialen Normen, - systemischen Belastungen und - extremen Lebenssituationen.

Möglichkeiten und Grenzen der Stressbewältigung Prof. Dr. Matthias Jerusalem Humboldt-Universität zu Berlin