Dr. Janina Söhn Ungleiche Rechte, ungleiche Chancen: Bildungserfolg von Migrantenkindern hängt auch vom Rechtsstatus ab Konferenz Recht Bildung Migration Das Menschenrecht auf Bildung im Kontext von Migration und Integration 23. und 24.4.2015, Universität Hildesheim
Warum sind Recht und rechtlicher Status überhaupt relevant für Bildungschancen? Der Pass erlaubt keinen Rückschluss auf pädagogisch relevante Sachverhalte. (Krüger-Potratz 2005: 62f.) Inklusionsuniversalismus im Bildungssystem als Teilsystem des Nationalstaats (Bommes 1999: 214) Zudem: Kein Recht auf gute Schulnoten oder gute Schulabschlüsse Recht auf Bildung vor allem bezogen auf Minderjährige 2
Gliederung 1. Einführung 2. Soziologisches Verständnis von Rechtsstatus 3. Direkte und indirekte Wirkungsweisen des Rechtsstatus auf Bildungschancen 4. Empirisches Beispiel: Schulabschlüsse von minderjährig Zugewanderten 5. Zusammenfassung und Schlussfolgerungen 3
Hierarchie unterschiedlicher Rechtsstatus + Inländer_innen Ausländer_innen Eingebürgerte Migrant_innen Migrant_innen mit sicheren, unbefristeten Aufenthaltstiteln Migrant_innen mit befristeten Aufenthaltstiteln Migrant_innen ohne legalen Status vgl. z. B. Hammar 1985; Morris 2002; Massey & Bartley 2005
Kausal besonders relevant: Rechtsstatus bei Einreise + Inländer_innen Ausländer Eingebürgerte Migrant_innen Migrant_innen mit sicheren, unbefristeten Aufenthaltstiteln Migrant_innen mit befristeten Aufenthaltstiteln Migrant_innen ohne legalen Status (Spät-) Aussiedler_innen EU-Bürger_innen z.b. nachziehende Familienangehörige Asylsuchende ohne legalen Status
Gliederung 1. Einführung 2. Soziologisches Verständnis von Rechtsstatus 3. Direkte und indirekte Wirkungsweisen des Rechtsstatus auf Bildungschancen 4. Empirisches Beispiel: Schulabschlüsse von minderjährig Zugewanderten 5. Zusammenfassung und Schlussfolgerungen 6
Drei mögliche Wirkungsweisen von Rechtsstatus auf Bildungschancen 1. Direkt: Zugang zu Bildungsinstitutionen als Schüler_innen/Lernende 2. Direkt: Angebot von migrantenspezifischer Unterstützung und Qualität dieser pädagogischer Angebote 3. indirekt: Beeinflussung des sozialen Lebensumstände und der elterlichen Ressourcen, die Bildungschancen indirekt beeinflussen 7
Zugang zu Bildungsinstitutionen Trotz Grundrecht auf Bildung/UN-Kinderrechtskonvention Konflikt mit Aufenthaltsrecht/staatlichem Interesse an Kontrolle von (unerwünschter) Einwanderung keine Schulpflicht für Kinder im Asylverfahren oder mit Duldung inzwischen nur noch in Sachsen & Sachsen-Anhalt Schulabmeldung trotz fehlender polizeilicher Meldung: Weiterleitung an Ausländerbehörden Umsetzung der Aufhebung der Meldepflicht in 2011? 8
Angebote von migrantenspezifischer Unterstützung (1) Heutzutage für minderjährige Migrant_innen und in Deutschland geborene Kinder von Zugewanderten: keine Relevanz des rechtlichen Status stattdessen z.b. nichtdeutsche Herkunftssprache ABER: Bis Anfang der 2000er je nach Bundesland dichotome Unterscheidung zwischen (Spät-)Aussiedler_innen als deutsche Migrant_innen (z.t. plus anerkannte politische Flüchtlinge) ausländische Migrant_innen 9
Angebote von migrantenspezifischer Unterstützung (2) Spannung zwischen Differenzierung und Hierarchisierung innerhalb der Migrantenpopulation einerseits und dem Sog des Gleichbehandlungsgrundsatzes insb. im Bildungssystem andererseits: o separate schulische Verwaltungsrichtlinien o nur bei (Spät-)Aussiedler_innen symbolisches Integrationsversprechen o extra Förderangebote jenseits der Regelschulen ähnlicher Umfang der (theoretisch!) vorgesehenen Deutschförderung gleiche Bewertungs-/Einschulungsregeln allmähliche Abschaffung separater Regelungswerke und Beschulungsformen 10
Beeinflussung des sozialen Lebensumstände und der elterlichen Ressourcen durch den Rechtsstatus (1) Prämisse: Außerschulische Lebensumstände und elterliche Ressourcen sind für den Bildungserfolg der Kinder relevant, weil Bildungsinstitutionen die diesbezüglich nachteiligen Lernausgangslagen nur zum Teil kompensieren. Erste indirekte Wirkungsweise des Rechtsstatus: soziale Selektion, wer über welche rechtlichen Wege migrieren kann/muss mitgebrachte Ressourcen der Migranteneltern 11
Beeinflussung des sozialen Lebensumstände und der elterlichen Ressourcen durch den Rechtsstatus (2) Zweite indirekte Wirkungsweise des Rechtsstatus: Grad der Bleibesicherheit: psychische Belastung, fehlende Planbarkeit, Zeit & Nerven durch nötigen Kontakt mit Ausländerbehörden, Polizei etc. für Migrantenkinder und ihre Eltern (vgl. aktuell Müller et al. 2014) Grad der gesellschaftlichen (nicht nur rechtlichen) Anerkennung und Legitimität der Anwesenheit der Migrantengruppe Ökonomische Rechte der Migranteneltern: Zugang zu legaler Arbeit und ggf. arbeitsmarktpolitischer Förderung ökonomische Ressourcen und Sicherheit in der Familie Soziale Rechte der Migrantenfamilien: Zugang zu staatlichen Sozial- und Gesundheitsleistungen Zugang der Migranteneltern zu Integrationsförderung (Deutschkurse, Beratung) Aus-/Aufbau sprachlich-kultureller Ressourcen der Eltern 12
Gliederung 1. Einführung 2. Soziologisches Verständnis von Rechtsstatus 3. Direkte und indirekte Wirkungsweisen des Rechtsstatus auf Bildungschancen 4. Empirisches Beispiel: Schulabschlüsse von minderjährig Zugewanderten 5. Zusammenfassung und Schlussfolgerungen 13
Empirisches Beispiel Schulabschlüsse von Personen, die als (Spät-)Aussiedler_in oder als Ausländer_in in den Jahren 1987 2003 in die Bundesrepublik eingewanderten (Geburtsjahrgänge 1969/70 1986/87), 2005 wohnhaft in den alten Bundesländern Datenquelle: Mikrozensus 2005 (national repräsentativ) Differenzierung der ausländischen Staatsangehörigkeit bei der Einreise als Annäherung an den für diese Gruppen jeweils typischen Rechtsstatus bei Einreise und jeweils typischen sozialen Aufnahmekontexte Ausführlich: Janina Söhn (2011): Rechtsstatus und Bildungschancen. Die staatliche Ungleichbehandlung von Migrantengruppen und ihre Konsequenzen. Reihe "Sozialstrukturanalyse". Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. 14
Schulabschlüsse nach Migrationsstatus und Rechtsstatus bei Einreise 0% 20% 40% 60% 80% 100% Deutsche ohne MH 2,0 22,7 31,3 44,1 2. Generation 4,1 34,0 25,9 36,0 Zugewanderte, darunter: 7,4 40,4 26,6 25,6 Aussiedler (51.9%) 2,2 36,7 33,2 27,9 Ausländer (48.1%), darunter aus: 13,0 44,4 19,5 23,1 Ex-UdSSR (3.1%) 6,4 29,9 23,6 40,1 EU (4.8%) 7,7 47,9 19,2 25,3 Polen (3.1%) 5,5 32,6 34,2 27,7 sonstig. Drittstaaten (8.8%) 10,5 37,6 18,4 33,4 Türkei (8.6%) 22,6 54,4 13,9 9,1 Naher/Mittlerer Osten/Afrika (10.6%) 14,3 36,2 20,1 29,4 Ex-Jugoslawien (9.0%) 10,3 54,4 20,4 14,9 kein Abschluss Hauptschule Mittlere Reife (Fach-)Abitur Quelle: Mikrozensus 2005 (Forschungsdatenzentrum); eigene Berechnung; N = 96.148. Anmerkung: 18- bis 35-Jährige; Zugewandert: als Minderjährige in den Jahren 1987 bis 2003 eingereist; (Fach-)Abitur: einschließlich Schüler_innen an gymnasialen Oberstufen; Beschränkung auf alte Bundesländer.
Einige empirische Ergebnisse (1) Im Vergleich zu Gleichaltrigen ohne Migrationshintergrund: geringere Chancen aller Zugewanderten, ein Abitur zu erlangen nur hohe elterliche Bildung und Deutschkenntnisse der Aussiedler_innen aus Rumänien einflussreich Unter Zugewanderten große Varianz, wer zumindest die Mittlere Reife schafft bzw. ohne Schulabschluss bleibt: Bildungsvorteile von (Spät-)Aussiedler_innen: Statistisch nur zur Hälfte auf günstigere soziale Merkmale/elterliche Ressourcen zurückzuführen, u.a. da ökonomische Rechte von Aussiedlereltern seltener arbeitslos 16
Einige empirische Ergebnisse (2) insbesondere in Bundesländern mit konservativem Schulsystem: abwärts gerichteter Nivellierungseffekt zulasten der Aussiedlerkinder Geringe Dichte an migrantenspezifischer Förderung in kleinen und ländlichen Gemeinden: Nachteil für ausländische Kinder, die nicht Anspruch auf Extra-Förderung inkl. Fahrkostenerstattungen hatten. inklusiver Rechtsstatus von (Spät-)Aussiedler_innen: abgemilderte Bildungsrisiken bei Migrantenkindern aus Elternhäusern mit geringerem kulturellen Kapital 17
Gliederung 1. Einführung 2. Soziologisches Verständnis von Rechtsstatus 3. Direkte und indirekte Wirkungsweisen des Rechtsstatus auf Bildungschancen 4. Empirisches Beispiel: Schulabschlüsse von minderjährig Zugewanderten 5. Zusammenfassung und Schlussfolgerungen 18
Migrantengruppe: Anerkennung und Legitimität Rechtsstatus Grad der Bleibesicherheit bildungsbezogene Rechte (Zugang & Förderung) Bildungschancen öko. & soz. Rechte Zugang Erwachsener zu Sprachförderung Eltern: sozio-ökonomische Ressourcen Sprachkenntnisse typische Beeinflussung durch elterl. Ressourcen 19
Schlussfolgerungen Durchsetzung des Rechts auf sofortigen Besuch von (Regel-)Schulen auf für Migrantenkinder ohne oder mit nur prekärem Status bessere Finanzierung und pädagogische Qualifizierung für migrantenspezifischen Unterricht als selbstverständliche Daueraufgabe von Bildungseinrichtungen allgemeine Reformen, die Bildungserfolge unabhängiger von sozialer Herkunft machen, notwendiger denn je Verbesserung der politisch-rechtlichen Aufenthaltsbedingungen - von Kindern und deren Eltern als wichtige Stellschraube, die Bildungschancen von Migrantenkindern zu erhöhen 20
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit! Fragen und Anregungen gerne an jsoehn@uni-goettingen.de 21