SPONTANE INTRAZEREBRALE UND VENTRIKULÄRE BLUTUNGEN A. Einführung Spontane intrazerebrale und ventrikuläre Blutungen bedingt durch Hypertonie, zerebrale Amyloidose, Gerinnungsanomalien, Antikoagulantien und vaskuläre Malformationen machen etwa 15% aller Schlaganfälle aus. B. Aufnahmerichtlinien Außer bei kleinen Blutungen mit offensichtlicher Ursache wie Antikoagulation ist Anfragenden im Prinzip immer eine Zuweisung zu empfehlen, da einerseits in etwa der Hälfte der Patienten in den ersten 24 Stunden eine Nachblutung auftritt, was zu einer akuten Verschlechterung des Zustandes führen kann und andererseits im allgemeinen eine Gefäßmalformation angiographisch ausgeschlossen werden muss. C. Initiale Diagnostik und Therapie Die Nativcomputertomographie ist die primäre Untersuchung. Zum Ausschluß oder zur Sicherung einer AVM oder eines Aneurysmas insbesondere an der Verzweigung der A. cerebri media soll bei Verdacht eine CT-Angiographie angeschlossen werden, welche in einer dringlichen Situation, d.h. bei einer raumfordernden Blutung mit schwerer Bewußtseinstrübung die Angiographie ersetzen kann. Eine Angiographie ist die beste Methode zur Definition oder zum Ausschluß von kleinen Gefäßmalformationen. Die Operationsverzögerung die mit einer Angiographie assoziiert ist beträgt erfahrungsgemäß immer mindestens eine Stunde. Daher soll bei einer schweren und progressiven Bewußtseinstrübung bei einer intrazerebralen Massenblutung darauf primär verzichtet werden. Neben dem Routinelabor ist dem Gerinnungsstatus besondere Beachtung zu schenken. 1
Falls eine raumfordernde intrazerebrale Blutung mit wesentlicher Bewußtseinstrübung vorliegt, muß sofort operiert werden. Eine arterielle Hypertonie soll präoperativ vorsichtig therapiert werden (auf 170 mmhg), da ein Bedarfshochdruck besteht. Auch wenn eine hypertensive Krise als Ursache für die Blutung verantwortlich gemacht werden muß, soll der Blutdruck vorsichtig reduziert werden (anfänglich ebenfalls 170 mmhg systolisch). Kortikosteroide oder andere spezifische Medikamente bringen bei der spontanen Intrazerebralblutung und Ventrikelblutungen keinen Nutzen und werden deshalb nicht gegeben. Bei einer nicht operierten Blutung von grenzwärtiger Größe oder bei einer ödematösen Raumforderung nach der Operation soll Mannitol 10-20 g 4-stündlich gegeben werden. D. Operationsindikationen bei Intrazerebralhämatomen Die Op-Indikation ist gegeben, wenn ein signifikantes neurologisches Defizit oder eine Bewußtseinstrübung vorwiegend auf eine hämatombedingte Kompression zurückgeführt wird. Andererseits ist die Operationsindikation nicht gegeben, wenn das neurologische Defizit vorwiegend auf die primäre Destruktion zurückzuführen ist. Im allgemeinen wird die Operationsindikation bei oberflächlichen Großhirnblutungen gestellt, wenn sie ein Volumen von mehr als 50-100 ml haben. Bei Kleinhirnblutungen ist die Operationsindikation bei Hämatomen von mehr als 20-30 ml gegeben. Bei Blutungen der Basalganglien und des Hirnstammes besteht nur in Ausnahmefällen eine Operationsindikation. Bei einer desolaten Prognose auf Grund des neurologischen oder Algemeinzustandes soll von einer Operation abgesehen werden. 2
Faktoren und Punktesystem zur Festlegung der Operationsindikation bei Intrazerebralhämatomen Pro Große Hämatome mit raumfordernder Wirkung rechts (GCS >4) 2 Groß: > 50ml Drohende Einklemmung 3 Kontra Kleine Hämatome ohne Raumforderung re Große raumfordernde Hämatome bei -3 komatösen Patienten (GCS < 4) Progrediente neurologische 2 Stabiler neurologischer Befund -2 Verschlechterung Günstige Lokalisation: Lobäre Hämatome 1 Ungünstige Lokalisation: tief gelegene -1 Hämatome Junge Patienten 2 Alte Patienten (~ > 65 Jahre) -2 Zerebelläre Hämatome >20-30 ml 2 Zerebelläre Hämatome < 20-30 ml -2 Gerinnung intakt 1 Gerinnung gestört -2 Summe N.B.: Volumenberechnung des Hämatoms: AxBxC 2 3
E. Operationsmodus bei Intrazerebralhämatomen Große intrazerebrale Spontanblutungen mit einer akuten zerebralen Kompression werden über eine Kraniotomie entfernt. Bei bestehendem oder zu erwartenden Ödem mit zusätzlicher Raumforderung wird die Dura mater plastisch erweitert und der Kalottenlappen erst sekundär wieder eingesetzt. Kleinhirnblutungen bilden insofern einen Sonderfall, als die Verhältnisse in der hinteren Schädelgrube besonders eng sind und eine akute Raumforderung hier zusätzlich einen Okklusivhydrozephalus bewirkt. Die Prognose bei einer Kleinhirnblutung ist deshalb noch mehr als bei supratentoriellen Blutungen abhängig von einer schnellen Hämatomevakuation und zusätzlicher Ventrikeldrainage. Der Operationsmodus ist bei jeder chirurgisch zu versorgenden zerebellären Blutung die Anlage einer EVD (Kocher) und die Hämatomentleerung über eine kleine Kraniotomie oder bei signifikantem Perifokaloedem eine ausgedehnte bilaterale suboccipitale Kraniektomie mit Resektion des Atlasbogens und Duraerweiterungsplastik. Bei kleineren tiefgelegenen Hämatomen, vor allem wenn die neurologische Symptomatik stabil ist, kann alternativ stereotaktisch punktiert und aspiriert werden. Dabei wird die Lokalisation computertomographisch durchgeführt, und eine dünne Sonde wird zum Zielpunkt durch ein kleines Bohrloch vorgeschoben. Eine Kraniotomie ist nicht notwendig. Der Vorteil der stereotaktischen Methode liegt in dem minimalen Operationstrauma. Ein Nachteil ist aber der, daß das meist koagulierte Hämatom nicht sofort vollständig aspiriert werden kann und über mehrere Tage mit Urokinase oder Plasminogenaktivator langsam aufgelöst werden muß. Daher kommt diese Methode bei einer akuten Hirndrucksymptomatik nicht in Frage. Ausschlußkriterien für die stereotaktische Aspiration und Lyse sind eine drohende Einklemmung, Hämatomvolumina von mehr als 100 ml, eine unkontrollierte Hypertonie und eine systemische Gerinnungsstörung. Vorläufig muß vor einer solchen Therapie eine Gefäßmalformation angiographisch ausgeschlossen werden. 4
Ausschlußkriterien für die Stereotaktische Therapie von Intrazerebralblutungen - Manifeste oder drohende Einklemmung. - Hämatomvolumen von >100 ml. - Unversorgtes Aneurysma oder Gefäßmalformation. - Unkontrollierte Hypertonie. - Gerinnungsanomalie (revertierte Antikoagulation ist keine Kontraindikation). Durchführung der Stereotaktischen Aspiration von Intrazerebralhämatomen - Angiographie oder CTA - Externe Ventrikeldrainage, falls Liquorpassage gestört. - Stereotaktische Punktion und Aspiration der zentralen Anteile. - Einlage eines Spülkatheters in die Hämatomhöhle. - Gabe von 5 mg r-tpa in 1 ml NaCl. - Nachspülen mit 2 ml NaCl um das Medikament aus dem Totraum herauszubringen. - Täglich CT-Kontrollen bis zur Auflösung des Hämatoms, aber maximal bis zum 7. Tag nach Therapiebeginn. - Im Anschluß an die CT Kontrollen Abziehen des verflüssigten Anteils des Hämatoms und erneute Applikation von 5 mg r-tpa bis maximal 3-malig. F. Spezialfälle intrazerebraler Blutungen Falls die präoperative Diagnostik ein arterielles Aneurysma oder eine arteriovenöse Malformation identifiziert, kompliziert sich das operative Vorgehen. Arterielle sackförmige Aneurysmen, häufig Aneurysmen der A. cerebri media, müssen im allgemeinen während der Hämatomentfernung gleichzeitig ausgeschaltet werden, um eine Reruptur in den folgenden Tagen zu verhüten. Bei arteriovenösen Malformationen ist die präoperative Diagnostik mit differenzierter Angiographie aufwendig und kann unter dem Zeitdruck der Notfallsituation häufig nicht adäquat durchgeführt werden. Da das Nachblutungsrisiko bei arteriovenösen Mißbildungen viel geringer ist als bei sackförmigen Aneurysmen, wird meistens primär nur das Hämatom evakuiert und die vollständige Diagnostik und die Therapie der ursächlichen Gefäßläsion später elektiv realisiert. Bei Intrazerbralblutungen unter Antikoagulation oder nach Fibrinolyse muß die Blutgerinnung anläßlich einer chirurgischen Hämatomevakuation in jedem Falle normalisiert 5
werden und postoperativ während mindestens 3 bis 4 Tagen im Normbereich gehalten werden. Besonders bei absoluten Antikoagulations-Indikationen, wie z. B. mechanischen Mitralklappenprotesen, muß deshalb das Vorgehen im Einzelfall diskutiert werden. Bei relativer oder prophylaktischer Antikoagulatinsindikation oder Gabe von Thrombozytenaggregationshemmern soll nach einer spontanen Blutung diese Therapie grundsätzlich nicht mehr aufgenommen werden. G. Therapie von Ventrikelblutungen In der Mehrheit entstehen ventrikuläre Blutung aus einer durchgebrochenen Intrazerebralblutung oder Subarachnoidalblutung. Eine Ausnahme bilden choroidale, d.h. intraventrikuläre AVM s. Die diagnostischen Überlegungen sind daher die gleichen wie bei der Intrazerebralblutung. Häufig führt eine intraventrikuläre Blutung jedoch zu einem akuten Okklusivhydrozephalus der drainiert werden muß. Die Indikation ergibt sich aus einer Bewußtseinstrübung (GCS < 13) mit Ventrikelerweiterung. Dies ist bei reiner Ventrikelblutung meist dann der Fall wenn 2 oder mehr Ventrikel mit Blut ausgefüllt sind. Falls die Foramina Monroi obliteriert sind, muß gegebenenfalls eine beidseitige frontale externe Drainage angebracht werden. Nach einigen Tagen kommt die Liquorpassage meist wieder in Gang. Allerdings gelingt es bei älteren Patienten mit massiven Blutungen trotzdem relativ selten, sie von der externen Drainage zu entwöhnen, da sich eine Resorptionsstörung dazugesellt. In jüngerer Zeit hat sich die r-tpa-fibrinolyse zur Behandlung der Ventrikelblutung eingebürgert. Die Hoffnung besteht darin, eine Shuntoperation umgehen zu können. Die Kontraindikationen und das Vorgehen entsprechen im wesentlichen der Situation des Intrazerebralhämatoms, wobei allerdings keine stereotaktische Punktion notwendig ist. Kontraindikationen für die r-tpa-lyse von Ventrikelblutungen - Unversorgtes Aneurysma, AVM - Unkontrollierte Hypertonie (RR syst. > 180 mmhg) - Gerinnungsstörung 6
Vorgehen zur r-tpa-lyse von Ventrikelblutungen - Anlage einer ein- oder beidseitigen Ventrikeldrainage. - Angiographie oder MR- bzw. CT-Angiographie - Injektion von 10 mg r-tpa in 2 ml NaCl und nachspülen mit 2 ml NaCl, bei bilateraler Therapie je 5 mg in 1 ml NaCl und Nachspülen mit je 1 ml NaCl. - Anschließend tiefer hängen des Drainageniveaus auf 5 mmhg für 2 Stunden, danach wieder auf 10 mmhg. - Täglich CT Kontrolle bis Tag 7 oder zur Auflösung der Blutung. - Am Tag 2 und 3, nach CT die Injektion gleichermaßen wiederholen, falls noch wesentlich Blut im Ventrikelsystem. Stand 10.2013 Hän/Eick/Stg 7