Warum denken wir, dass sie früher alt sind?

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Transkript:

Warum denken wir, dass sie früher alt sind? Prof Heleen Evenhuis Medizin für Menschen mit geistiger Behinderung Erasmus Universität Rotterdam, die Niederlande

Früher alt? Allgemeine Meinung (international): Menschen mit geistiger Behinderung sind mit 50. alt Rückschritte im Funktionieren werden einfach akzeptiert Gesundheitskosten

Genetisch früheres Altern nur bei Down Syndrom Menopause 40 Schwerhörigkeit 30 Katarakt 30 yrs Alzheimer Demenz 50 Haut

Beweis für früheres Altwerden?

Wichtige Alterserkrankungen Herzinfarkt & Apoplexie: Gleiche Frequenz und nicht früher als in Allgemeinbevölkerung 1 Krebs: Krebsleiden insgesamt gleiche Frequenz und nicht früher 2,3,4 1. Jansen et al, 2012 2. Evenhuis et al, 1996 3. Patja et al, 2001 4. Patja et al, 2006

Schwerhörigkeit (WHO Kriterien) 1 % 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 1598 Erwachsene mit geistiger Behinderung Genauso bei Katarakt 2 und Demenz 3 18-30 31-40 41-50 51-60 61-70 71-80 age (yrs) general population ID no Dow n syndrome Dow n syndrome 1. Meuwese-Jongejeugd et al, 2006; 2. Van Splunder et al, 2006; 3. Strydom et al, 2009

Feststellung Wichtige Alterserkrankungen nicht früher Handicaps des Alters zusätzlich zu bisherigen Handicaps Rückschritte im Funktionieren relativ früh Erste Erklärung für frühes Altwerden?

Studien Gesund Altwerden bei geistiger Behinderung Zwei grosse Bevölkerungsstudien gestützt auf körperliche Untersuchungen Fokus auf Prävention: Gesund Altwerden bei geistiger Behinderung (50+) Erasmus Universität Rotterdam, die Niederlande (Prof Heleen Evenhuis) Irish Longitudinal Study on Ageing (IDS-TILDA) (40+) Trinity College Dublin, Ireland (Prof Mary McCarron)

Gesund Altwerden bei geistiger Behinderung Studie Rotterdam N=1050 50+ Klienten in betreuter Situation

Kennzeichen Studiengruppe (N=1050) Geschlecht Frauen Männer Alter 50-59 60-69 70-79 80+ Versorgung Relativ intensiv in Wohngruppen betreut Unterstützung in Wohngruppen Tagesstätte Unabhängig mit wenig Unterstützung N 511 539 550 342 137 21 557 432 19 192

Die Resultate

Zusammenfassung Gesundheitsrisiken Aktivität (Schrittzähler): in der besten Gruppe 39% bewegungsarm (< 5000 Schritte) 1 Fitness: vergleichbar mit 80-90 Jährigen in Allgemeinbevölkerung 2 Hohes kardiovasculäres Risiko 3 Viel häufiger Depressionen 4 Hohe Belastung mit (spezifischen) Life Events 5 Viel häufiger Osteoporose 6 1. Hilgenkamp et al, 2012; 2. Hilgenkamp et al, 2012; 3. De Winter et al, 2012; 4. Hermans et al, 2012; 5. Hermans et al, 2012; 6. Mergler et al, in preparation

Kraft bei Händedruck im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung 1 Männer Frauen Kg Mannen Vrouwen 1. Hilgenkamp et al, 2012

Kardiovasculäre Risiken Abdominale Adipositas (Taillenumfang) 44% Hoher Blutdruck 49% Hoher Cholesterolgehalt 22% Diabetes 13% Metabolisches Syndrom 36% De Winter et al, 2012

Depression & Angst Fragenbogen: Vergleich zur Allgemeinbevölkerung 50+ Depressive Symptome 17% vergleichbar Ängstliche Symptome 16% vergleichbar Psychiatrische Diagnose: Major Depression Angststörung 5x häufiger seltener! Hermans et al, 2012

Life events 1 72% 1 negativer life event im vergangenen Jahr Top-10: Probleme in Wohngruppe Änderungen im Alltagsleben (Begleiter, Arbeit) Krankheiten, Mobilitätsprobleme Probleme in Familie Signifikante Assoziationen mit depressiven und ängstlichen Symptomen 1. Hermans et al, 2012

Volksgesundheits-Forschung im Alter Gesunde / ungesunde Lebensjahre Multimorbidität Frailty (Verletzlichkeit) Disability (Behinderung)

Definition Frailty (Verletzlichkeit) In nächster Zukunft erhöhtes Risiko auf: - Rückgang Gesundheit - Rückgang Unabhängigkeit > abnehmende physiologische Reserven kombiniert mit Älterwerden Verletzlichkeit für Stress (körperlich und psychisch) 1 1. Fried,1994

Frailty Index 1 Quantifizierung von Verletzlichkeit Auf Grund von Anhäufung von Gesundheitsproblemen Nicht-spezifisch In Relation zu Gesundheit und Alter Körperliche, psychische, soziale Probleme 1. Rockwood & Mitnitski, 2001

Berechnen Frailty Index 1 z.b. Liste mit 30 Probleme individuelle Probleme alle Probleme = Frailty Index 0 30 0 1 30 30 1.Searle et al, BMC Geriatrics 2008

Frailty index: Scoreverteilung in Allgemeinbevölkerung 70+ und 50+ 140 N 120 N 100 70+ 50+ N 80 60 40 20 0 0,1 0,2 0,3 0,4 0,5 0,6 0,7 0,8 Frailty Index Searle et al, 2008 Romero-Ortuno & Kenny, 2012 Frailty Index

Frailty Index in Studie Gesund Altwerden mit geistiger Behinderung Frailty Index-Liste mit 51 Problemen 1 In Relation zu Gesundheit und Alter Körperlich, psychisch, sozial 1. Searle et al, 2008

Studiengruppe mit geistiger Behinderung Europäische 50+ Bevölkerung Mittelwert 0.29 Mittelwert Frauen 0.14 Männer 0.11 Schoufour et al, in preparation Romero-Ortuno & Kenny 2012

Frailty Index und Alter 1,2 1. Romero-Ortuno & Kenny, 2012; 2. Schoufour et al, in preparation

Feststellung Bevölkerung mit geistiger Behinderung: Früh alt = früh verletzlich?

Fragen In welchem Alter fängt Verletzlichkeit an? Führt sie wirklich zur Verlust an Gesundheit und Unabhängigkeit? Gelegenheit für Prävention?

Gelegenheit für Prävention? Bewegung, Fitness, Sport Reihenuntersuchung Adipositas, Blutdruck, Blutzucker- und Cholesterolwerte Behandlung Ultraschalluntersuchung Knochenqualität, Vitamin D Depression Fragenbogen Diagnose & Behandlung Life Events Fragenbogen kreative Aktion? Überprüfung der Medikation 2x pro Jahr - Neuroleptika!

Metabolische Wirkung der Neuroleptika Gewicht Blutlipide Blutzucker metabolisches Syndrom 1-3 Spezielles Risiko bei neueren ( atypischen ) Neuroleptika 1. Tailor et al, 2000 2. McIntyre et al, 2001 3. McKee et al, 2005

Neuroleptika-Verordnungen bei geistig behinderten Klienten 1 2373 Klienten in Wohngruppen Neuroleptika 32% Dauer > 10 Jahre 78% Wirksamkeit nicht bewiesen Grund: Verhaltensauffälligkeiten 58% Psychotische Störung / Symptome 22.5% 1. De Kuijper et al, 2010

Vielen Dank für ihre Aufmerksamkeit!

Kontakte Aktivität & Fitness Bewegungsprogramm Adipositas & Malnutrition Kardiovaskulär Depression, Angst, Life Events Neuroleptika Stopstudium Osteoporose t.hilgenkamp@erasmusmc.nl m.vanschijndel-speet@erasmusmc.nl l.bastiaanse@erasmusmc.nl channadewinter@hotmail.com h.hermans1@erasmusmc.nl gerda.dekuijper@vanboeijen.nl s.mergler@erasmusmc.nl Frailty Multimorbidität j.schoufour@erasmusmc.nl; m.echteld@erasmusmc.nl h.hermans1@erasmusmc.nl Schlafuntersuchung mit Actiwatch e.vandijk@erasmusmc.nl