Übergewicht, eine Essstörung? Ein Update zur Binge Eating Disorder Ursula F. Bailer Medizinische Universität Wien Universitätsklinik für Psychiatrie Einige Folien wurden freundlicherweise von Dr. Denise Wilfley zur Verfügung gestellt.
Binge Eating Disorder (BED) Erstmals vor 50 Jahren beschrieben Übergewichtige, die wiederkehrende Essanfälle aufwiesen (= binge eating), jedoch kein purging Verhalten (= Erbrechen, Laxantien-Gebrauch) BED wurde in das DSM-IV (1994) als vorläufige Diagnose aufgenommen Studien zeigen einen hohen Anteil an Übergewicht, Depression und Angsterkrankungen in dieser Population
DSM IV Forschungs-Kriterien für Binge Eating Disorder Wiederholte Episoden von Fressattacken. Mehr essen als andere Menschen gewöhnlich essen würden Kontrollverlust Die Episoden von Fressattacken treten gemeinsam mit mindestens 3 der folgenden Symptome auf: (1)Wesentlich schneller essen als normal (2)Essen bis zu einem unangenehmen Völlegefühl (3)Essen großer Nahrungsmengen, wenn man sich körperlich nicht hungrig fühlt (4)Alleine essen aus Verlegenheit über die Menge die man isst (5)Ekelgefühle gegenüber sich selbst, Deprimiertheit, große Schuldgefühle nach dem übermäßigen Essen
DSM IV Forschungs Kriterien für Binge Eating Disorder Es besteht ein deutliches Leiden wegen der Fressanfälle. Die Fressanfälle treten im Durchschnitt an mindestens 2 Tagen in der Woche für 6 Monate auf. Die Fressanfälle gehen nicht mit dem regelmäßigen Einsatz von unangemessenen kompensatorischen Verhaltensweisen einher und sie treten nicht ausschließlich im Verlauf einer Anorexia nervosa oder Bulimia nervosa auf.
Prävalenz der BED Population Allgemeinbevölkerung Geschlechtsverteilung (w:m) Prozent übergewichtig TeilnehmerInnen an Gewichtsreduktionsprogrammen Schwer Übergewichtige vor chir. Therapie Prävalenz 2 5 % 65 : 35 % 50% 15-30 % 25 50 % Overeaters anonymous 70%
Personen mit BED unterscheiden sich von Übergewichtigen ohne BED Kalorienmenge, chaotisches Essverhalten Lange Vorgeschichte von häufigen und erfolglosen Diätversuchen Hoher Grad an essstörungsspezifischer Psychopathologie Psychiatrische Komorbidität Beeinträchtigung bei der Arbeit, in sozialen Interaktionen und in der allg. Lebensqualität
Psychopathologie und BED Yanovski et al 1993 Übergewicht mit BED Übergewicht ohne BED Depression 51% 14% Störung auf Achse I Störung auf Achse II 60% 34% 35% 16%
BED Klinische Charakteristika Depression, Angst als mögliche Auslöser für Essanfall Essanfall: reduziert Spannung
Ansatzpunkte in der Behandlung der BED Indikation zur Behandlung Binge eating (= Essanfälle) Essstörungsspezifische Psychopathologie Allg. Psychopathologie Bei einem Grossteil: Übergewicht
Medikamentöse Therapie der BED Nur wenige kontrollierte Studien und keine Studien über den Langzeitverlauf Drei Substanzklassen scheinen wirksam zu sein: Antidepressiva [v.a. Serotonin- Wiederaufnahmehemmer (SSRI)] Zentralwirksame Appetithemmer Antikonvulsiva
Abstinenzrate (1 Woche) Remission Rates 100 90 80 % binge-free 70 60 50 40 30 40% 26% 64% 30% 57% 32% 20 10 0 SSRIs Antiepileptics Obesity Medication Meds Placebo Z=2.5, p=.01 Z=2.4, p=.02 Z=2.01, p=.04 Folie wurde von Dr. Denise Wilfley zur Verfügung gestellt
Zus.fassung: Medikamente alleine Ungefähr 25% brechen in Kurzzeitstudien ab Hinweis für Überlegenheit von Med. gegenüber Plazebo bei Abstinenz von Essanfällen (1 Woche) Hinweis für Überlegenheit von Med. gegenüber Plazebo bei der Reduktion der Zahl der Essanfälle Mangelnde Hinweise für Überlegenheit von Med. gegenüber Plazebo bei der Gewichtsabnahme Hinweis für Überlegenheit von Med. gegenüber Plazebo bei der Reduktion von Depression
Psychologische/psychotherapeutische Verfahren Kognitive Verhaltenstherapie (KVT) Interpersonelle Psychotherapie (IPT) Gewichtsreduktionsprogramme kognitiv-verhaltenstherapeut. Selbsthilfe
Aufrechterhaltung von Symptomen: Zwei Erklärungsmodelle KVT MODELL Gesellschaftlicher Druck, dünn sein zu müssen IPT MODELL Interpersonelle Probleme IPT KVT Verzerrte Einstellung gegenüber Essen, Körperform und Gewicht Vermindertes Selbstbewusstsein, Dysphorie Restriktives Essverhalten Essen, als Mittel gegen negat. Gefühle Essanfälle Essanfälle
Kognitive Verhaltenstherapie (KVT) der BED Kognitiv-verhaltentherapeutische Techniken beinhalten: Selbstbeobachtung zur besseren Wahrnehmung von Überessen und restriktivem Essverhalten Modifikation von stereotypen Sichtweisen bezüglich Übergewicht und Akkzeptanz Strategien zur Rückfallprophylaxe Vernünftige Ziele bezüglich Gewichtsreduktion festlegen und Strategien entwickeln, die Essanfälle verhindern Wilfley et al. Archives of General Psychiatry. 2002; Wilfley DE. In Fairburn CG, Brownell KD, eds. Eating Disorders and Obesity. 2001.
Randomisierte kontrollierte Studien KVT der BED Wilfley et al. (2002) Nauta et al. (2002) Kenardy et al. (2002) Grilo et al. (2002) Devlin (2002) Eldredge et al. (1997) Marcus et al. (1995) Agras et al. (1995) Wilfley et al. (1993) Telch et al. (1990) 0 20 40 60 80 100 120 % reduction in BE days % abstinent
80 Percentage Remission from Binge Episodes (Intent-to-Treat: N=108) 60 40 50% 61% 20 22% 26% 0 Med Placebo CBT+Med CBT+Plac CBT+Placebo > Med and Placebo CBT+Placebo = CBT+Med CBT+Med > Med Med = Placebo Grilo CM, Masheb RM, Wilson TG: Biol Psychiatry 2005; 57:301-309.
Kognitive Verhaltenstherapie (KVT) der BED KVT: Hat einen deutlichen und andauernden Effekt auf die Essanfälle Führt zu moderater, andauernder Gewichtsabnahme bei den Personen, die keine Essanfälle mehr haben Wirksamer als Medikamente oder Plazebo Hat einen längerfristigen Effekt im Vergleich zu Gewichtsreduktionsprogrammen oder stützender Psychotherapie alleine Effektiv in der Augmentation von Gewichtsreduktionsprogrammen
Empfehlungen bezüglich medikamentöser Therapie SSRIs Mindestens 4 Wochen im oberen Dosisbereich Falls SSRIs nicht vertragen werden, oder bipolare Erkrankung vorliegt, oder starke Stimmungssschwankungen Topiramat Startdosis : 25 mg/die (am Abend); wöchentlich um 25mg/die steigern; Zieldosis: 200mg/die Andere Venlafaxin, Sibutramin, Orlistat
Zusammenfassung Medikamente SSRI Kurzfristige Effekte auf Zahl der Essanfälle, Stimmung; langfristige Effekte weniger gesichert Antikonvulsive (z.b. Topiramat), wenn SSRI erfolglos, bei Impulskontrollstörungen Strukturierte (manualisierte) Psychotherapie (KVT) Positive Effekte Gut untersucht Selbsthilfe (mit oder ohne Unterstützung) Gewichtsabnahme und körperliche Aktivität hilfreich Langzeit-Ergebnisse?