Theoretische Grundlagen und Ergebnisse zum Projekt Erfolg und Misserfolg von Veränderungen

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Transkript:

Theoretische Grundlagen und Ergebnisse zum Projekt Erfolg und Misserfolg von Veränderungen Langfassung November 2003 Siegfried Greif, Bernd Runde und Ilka Seeberg 1 Lernen an Erfolgen und Misserfolgen Das Innovationstempo hat in allen Bereichen zugenommen. Die Veränderungen der Produkte und Dienstleistungen, Technik, Strukturen und Prozesse sind in Unternehmen und anderen Organisationen nicht nur sehr viel häufiger und kurzzyklischer, sondern zugleich komplexer geworden. Nur diejenigen Unternehmen haben eine Zukunft, die sich erfolgreich verändern. Die Entwicklung der Fähigkeiten und Kompetenzen zum Veränderungsmanagement zählt heute zu den wichtigsten Lernaufgaben in Organisationen. Veränderungsmanagement ist nach unserer Definition ein kontinuierlicher Prozess der Exploration, Analyse, Evaluation und des Managements vieler kleiner und manchmal auch großer vorhergesehener und nicht vorhergesehener Probleme und Misserfolgsrisiken (Greif, Runde & Seeberg, im Druck, Kapitel 1). Ziel ist eine hohe Erfolgsrate beim Erreichen erwarteter Ziele und der als wichtig angesehenen Evaluationskriterien. Der Erfolg der Veränderungen kann nicht allein durch objektivierbare Wirtschaftlichkeitskriterien (z.b. verbessertem Return on Investments) gemessen und durch die offizielle Abschlussbewertung der Geschäftsführung festgestellt werden. Um als Erfolg Bestand zu haben, ist es erforderlich, dass die Veränderungen auch nach der informellen Bewertung durch die verschiedenen Leitungsebenen sowie alle einflussreichen Schlüsselpersonen und Gruppen in- und außerhalb der Organisation das Etikett Erfolg erhalten. Veränderungsmanagement ist eine Kernverantwortung der Leitungsebenen. Die resultierenden Aufgaben müssen von den Leitungsebenen im Zusammenwirken mit den Mitarbeiter/innen bewältigt werden. Zur Planung und Durchführung der Veränderungen werden in größeren Unternehmen oft externe oder interne Unternehmensberater herangezogen, Projektleiter eingesetzt und Projektteams gebildet. Im Unterschied zum Projektmanagement bei zeitlich begrenzten Veränderungsprojekten sind die Managementaufgaben bei langfristigen Veränderungsprozessen in der Regel komplexer. Ihr Erfolg hängt von der Unterstützung und Mitarbeit vieler Organisationsmitglieder ab. Starke organisationale Veränderungen lösen bei den Betroffenen Verunsicherungen aus und rufen informelle und formelle Widerstände hervor. Dadurch können weitere Probleme entstehen. Zum Veränderungsmanagement gehört nach unserer Definition deshalb auch eine kontinuierliche Exploration potentieller Probleme und Risiken sowie immer wieder neue Reanalyse und Bewertung der Veränderungen. Die Veränderungen müssen an neue Situationen angepasst und selbst auch kontinuierlich verändert werden. Neu erkannte, beeinflussbare Probleme oder Erfolgs- und Misserfolgsfaktoren müssen gemanaged werden Nicht alle Veränderungen sind erfolgreich. Nach einer Studie über Veränderungen im Bereich der Personalentwicklung bleibt die Mehrzahl der Projekte deutlich hinter den von den Auftraggebern vorgegebenen Zielen zurück (Boonstra 2000). In kleinen und mittelständischen Unternehmen erreichen von 1.036 befragten Unternehmen im Durchschnitt nur etwa 26% die angestrebten Ziele der Innovationen voll und ganz, 62% zum Großteil, 16% teilweise und weniger als 1% eher nicht (Diekhoff, Hoffmann, Schreurs & Schröter 2001). Vollkommene Misserfolge sind demnach sehr selten. In unserer Untersuchung gehen wir der Frage nach, ob die Investitionen in Veränderungen in Unternehmen von den Beteiligten bereits als Erfolg gewertet werden, wenn ihre Ziele nur zum Großteil erreicht werden. In unserer Untersuchung über Erfolge und Misserfolge organisationaler Veränderungen 1 waren Praxisexperten aus sieben Ländern bereit, jeweils die erfolgreichsten und am wenigsten erfolgreichen Projekte oder größten Misserfolge zu beschreiben und zu analysieren, an denen sie mitgewirkt haben. Dadurch konnten wir nicht nur beispielgebende, sehr erfolgreiche Veränderungen (Best-Practice- 1 Das vorliegende Projekt wurde im Rahmen eines vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Programm Identifizierung und Bilanzierung erfolgreicher Veränderungen in der Arbeitsgestaltung und Unternehmensorganisation unter der Projektträgerschaft des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DRL) mit dem Förderkennzeichen 01HV0001 finanziert und vom Fachgebiet Arbeits- und Organisationspsychologie der Universität Osnabrück (Leitung Prof. Dr. Siegfried Greif) durchgeführt (Juli 2000 bis Februar 2002). 10-2003 - Fachgebiet Arbeits- und Organisationspsychologie (Prof. S. Greif) der Universität Osnabrück 1

Modelle), sondern auch Fallbeispiele mit vielen Schwierigkeiten, Problemen, Managementfehlern und Misserfolgen (Bad-Practice-Beispiele) erfassen und untersuchen. Unsere Fallsammlung liefert eine Grundlage für Organisationen und Unternehmensberatungen, die anhand dieser Praxisbeispiele ihre Fähigkeiten und Kompetenzen zum Veränderungsmanagement weiterentwickeln wollen. Best- Practice-Modelle dürfen in der Regel mit Nennung der Organisationen veröffentlicht werden. Bad- Practice-Beispiele müssen dagegen nach der Analyse anonymisiert aufbereitet werden, um sie zur Fortbildung von Geschäftsführern, Projektleitern und Unternehmensberatern verwenden zu können. 2 Theoretische und methodische Grundannahmen Nach Praxiserfahrungen unterscheiden wir bei organisationalen Veränderungen zwischen allgemeinen und spezifischen Merkmalen. Nach unserer theoretischen Grundannahme liefern allgemeinen wissenschaftlichen Theorien der Veränderungen nur sehr abstrakte Klassifikationen und Analysen konkreter Veränderungsdynamiken in Organisationen liefern (Greif, Runde & Seeberg, im Druck, Kapitel 2). Jede Veränderung in einer Organisation wird durch ihre besondere Vorgeschichte, die jeweilige aktuelle wirtschaftliche Situation, die Organisationskultur, -struktur, -technologie und Ablauforganisation und durch die individuellen Biografien sowie spezifische Stärken und Schwächen der einflussreichen Schlüsselpersonen im Veränderungsprozess geprägt. Für die Generierung konkreter praktischer Interventionen im Einzelfall sind konkrete, auf den Einzelfall bezogene Analysen nützlicher. Man kann zwar immer auch Vergleiche zu anderen Veränderungen ziehen, sollte dabei aber niemals die Besonderheiten und möglicherweise Einzigartigkeit des speziellen Falls vernachlässigen. Wenn nun aber jede Veränderung wesentlich durch Besonderheiten geprägt ist, brauchen wir Theorien zum Veränderungsmanagement und Methoden, mit denen wir sowohl die allgemeinen Merkmale, als auch die Besonderheiten von Einzelfällen Veränderungen systematisch untersuchen und beschreiben können. Ein Ziel unserer Untersuchung ist es, herauszufinden, ob sich diese postulierten gemeinsamen Bewertungsmerkmale und Erfolgsfaktoren in unserer breit angelegten, internationalen Befragung vieler Praktiker/innen nachweisen lassen. Unternehmensberater verwenden oft Beispiele aus anderen Unternehmen. Ihre Konzepte sind oft nicht sehr genau ausformuliert. Sie stützen sich oftmals nur auf Thesen und Zitate, untermauert mit passend ausgewählten Best-Practice-Modellen aus Referenzfirmen. Wenn Spezialisten und Mitarbeiter/innen aus der Organisation präzise kritische Fragen zum Veränderungskonzept und dessen Übertragbarkeit stellen, geben Berater in der Anfangsphase oft nur ungenaue Antworten oder verweisen auf noch ausstehende künftige Analysen oder die Beteiligung der Spezialisten und Mitarbeiter/innen bei der Entwicklung von geeigneten Maßnahmen. Dieses Verhalten soll hier nicht als Schwäche problematisiert werden, sondern als eine gängige Problemlösung, die durchaus praktisch nützlich ist und theoretisch genauer analysiert werden kann. Berater und andere Praxisexperten mit viel Erfahrung im Veränderungsmanagement haben es nämlich gelernt, mit kritischen Fragen und Problemen im Verlauf der Projekte, die sie beraten umzugehen. Unsere Hypothese ist, dass sie sich dabei weniger auf die offiziell vertretenen, ausformulierten Theorien oder genaues Faktenwissen stützen (auf das sogenannte explizierte Wissen), sondern überwiegend auf beiläufig erworbenes (implizites) Veränderungswissen. Fachleute wie Reichwald (2002) vertreten in Anlehnung an Nonaka (1998) die Auffassung, dass das implizite Wissen für den Erfolg und das Lernen in innovativen Organisationen besonders wichtig ist. Um es leichter weitergeben zu können, muss es sprachlich ausformuliert (expliziert) werden. Implizites Erfahrungswissen von anderen Personen lässt sich allerdings kaum vollständig sprachlich erfassen und wiedergeben. Erfahrungen muss man selbst machen. Aktuelle Konzepte zum Wissensmanagement stützen sich vorwiegend auf dem explizierten Wissen. Kluge (1999) erweitert die Konzepte und entwickelt ein theoretisches Konzept zum Erfahrungsmanagement. Unsere methodische Grundannahme ist, dass es zumindest teilweise möglich und praktisch nützlich ist, das Erfahrungswissen von Praktikern durch spezielle Interview-Methoden zu erfassen. Eines der Hauptziele unseres Projekts ist es, sowohl praxisrelevantes explizites als auch implizites Erfahrungswissen systematisch zu erfassen und zu beschreiben, soweit dies mit heutigen Methoden möglich erscheint und zur Entwicklung praxisbezogener Theorien zum Veränderungsmanagement heranzuziehen. Implizites Erfahrungswissen kann nur schwer sprachlich ausgedrückt werden. Um es zu explizieren, kann man versuchen, es sprachlich zu übersetzen oder es zu visualisieren und bildlich darzustellen. Wir haben dazu eine Interviewmethode angewandt, die eine schrittweise Verbalisierung mit Visualisierung durch Kartentechniken und einfache Strukturlegetechniken ermöglicht. Auf diesem Wege erarbeiten wir mit den befragten Praxisexperten gewissermaßen ihre subjektive Theorie zur Beschreibung und Erklärung der Fallbeispiele für erfolgreiche und weniger erfolgreiche Veränderungen, an denen sie aktiv beteiligt waren. 10-2003 - Fachgebiet Arbeits- und Organisationspsychologie (Prof. S. Greif) der Universität Osnabrück 2

Unsere Interview- und Fragebogeninstrumentarium nennen wir Change Explorer (Greif, Runde & Seeberg, 2002). Es besteht aus einem Interview zur Exploration und Analyse der Besonderheiten des Einzelfalls und zwei Standardfragebögen (Bewertung der Ergebnisse und Überprüfung der Erfolgs- /Misserfolgsfaktoren) zur Analyse der typischen, verallgemeinerbaren Merkmale 2. Dadurch können sowohl die Gemeinsamkeiten, als auch die Unterschiede in den subjektiven Bewertungen von Ergebnissen organisationaler Veränderungen aus Sicht der Beteiligten sowie deren Erklärung der Erfolge oder Misserfolge dieser Veränderungen erfasst werden. Interviews zur Erhebung von Erfahrungen benötigen relativ viel Zeit (1½ bis 2 Stunden). Es war nicht leicht, 346 Praktikerinnen und Praktiker für zeitintensive Befragungen in einem Feld zu gewinnen, in dem durch die Veränderungen über die wir mit ihnen sprechen wollen, teilweise extremer Zeitdruck an der Grenze der Überforderung entstanden ist. Es scheint sich jedoch zu lohnen, diese Zeit zu investieren, denn nach dem Interview äußerten viele der interviewten Personen spontan, dass es für sie sehr nützlich war, systematischer als zuvor über ihre Erfahrungen und Einschätzungen reflektiert zu haben. Die Ergebnisse können auf einem Auswertungsworkshop präsentiert und diskutiert werden, um explizite oder implizite Meinungsunterschiede und Bewertungskonflikte zu klären und eine gemeinsame Veränderungstheorie zu erarbeiten (Greif, Runde & Seeberg, in Vorber.). Dadurch können bisher unerkannte Misserfolgsrisiken entdeckt und gemeinsam praktische Verbesserungsvorschläge generiert werden. Um die Erfolgschancen weiter zu verbessern und einen vollen Erfolg zu erzielen, ist es erforderlich, so früh wie möglich alle erkennbaren Schwierigkeiten, Probleme und Misserfolgsrisiken bei Veränderungen zu analysieren und Maßnahmen zu ihrer Überwindung einzuleiten. Durch die Interviews und Fragebögen können wir herausfinden, welche Risiken aus der Sicht erfahrener Praktiker/innen auftreten und wie sie erkannt und bewältigt werden können. Unser Change Explorer kann dazu verwendet werden und ist deshalb nicht nur eine Analyseinstrument, sondern gleichzeitig auch ein Managementinstrument. 3 Ausgangsfragen der Untersuchungen Jede Untersuchung über Erfolg und Misserfolg von Veränderungen provoziert sofort sehr grundsätzliche Ausgangsfragen. Was ist eigentlich ein Erfolg und was ist ein Misserfolg bei Veränderungen? Gibt es allgemeinverbindliche Kriterien, die als Bewertungsmerkmale herangezogen werden? Gibt es Unterschiede in den Bewertungsmerkmalen zwischen Geschäftsführer/innen, Unternehmensberater/innen, Projektleiter/innen und Mitarbeiter/innen oder Mitgliedern des Betriebsrats bzw. Personalrats? Lässt sich in Unternehmen und anderen Organisationen verschiedener Länder und Kulturen überhaupt ein übereinstimmendes Verständnis über Bewertungsmerkmale und Erfolgsfaktoren finden? In unseren Interviews haben wir die folgenden beiden offenen Fragen gestellt und mit Kategoriensystemen ausgewertet: (1) Woran machen unterschiedliche beteiligte Personen in Veränderungsprojekten den Erfolg bzw. Misserfolg fest (sie werden auch als Erfolgskriterien oder Bewertungsmerkmal bezeichnet)? (2) Auf welche Ursachen führen die Beteiligten den Erfolg bzw. den Misserfolg des Veränderungsprojektes zurück? (so genannte Erfolgsfaktoren)? Um eine differenzierte Erhebung und Analyse der Bewertungsmerkmale und Erfolgsfaktoren aus Sicht der befragten Personen zu ermöglichen, wurde der Interviewleitfaden in mehreren Schritten entwickelt und praktisch getestet. In den Interviews wurde nach Möglichkeit jeweils die relativ erfolgreichste organisationale Veränderung der letzten Zeit (wir nennen sie A-Projekt ) und im Kontrast dazu eine wenig erfolgreiche Veränderung (das Z-Projekt ) erfasst, an dem die Interviewpartner/innen selbst beteiligt waren. Für beide Veränderungen wurden Strukturbilder entwickelt, in denen die subjektiv wichtigsten Merkmale und Zusammenhänge dargestellt werden. Diese Strukturbilder explizieren nach unserem Annahmen die subjektiven Veränderungstheorien der befragten Praktiker/innen (siehe Greif, Runde & Seeberg, im Druck, Kapitel 2 und 4). 2 Der Interviewleitfaden und die Fragebögen werden bei Greif, Runde und Seeberg (in Vorber.) wiedergegeben und können auf Anfrage zugesandt werden. 10-2003 - Fachgebiet Arbeits- und Organisationspsychologie (Prof. S. Greif) der Universität Osnabrück 3

4 Ergebnisse 4.1 Untersuchte Stichprobe Um zu überprüfen, ob es die postulierten verallgemeinerte Bewertungsmerkmale und Erfolgsfaktoren gibt, sind Untersuchungsstichproben geeignet, die möglichst heterogen zusammengesetzt sind. Um herauszufinden, ob die Unternehmensgröße, Branche oder der Bereich, in dem die Veränderungen angestrebt werden (z.b. in der Personalentwicklung oder im Qualitätsmanagement) eine Rolle spielen, haben wir in unseren Befragungen ein sehr breites Spektrum von Organisationen und Bereichen berücksichtigt. In den meisten bekannten Erfolgsfaktorenuntersuchungen werden nur einzelne Auskunftspersonen meistens nur Projektleiter und Führungskräfte befragt. In unserer Untersuchung haben wir unterschiedliche Personen (Geschäftsführer/innen, Projektleiter/innen, Mitarbeiter/innen, Betriebs- oder Personalräte und Unternehmensberater/innen) einbezogen. Im Zuge der Globalisierungs- und Internationalisierungsprozesse wird es bei Veränderungen künftig immer wichtiger, Sichtweisen international und interkulturell zu vergleichen und miteinander zu integrieren. Aus diesem Grunde wurden neben einer großen und systematischen Erhebung in deutschen Organisationen exploratorisch auch Praktiker/innen aus Großbritannien, den Niederlanden, den USA, Griechenland, Spanien und Südkorea befragt 3. Die Untersuchungsteilstandardisierten Interviews und schriftlichen Befragungen wurden an dieser internationalen und branchenübergreifenden Stichprobe erhoben. Neben einer großen systematischen Erhebung in deutschen Organisationen wurden exploratorisch auch US-amerikanische, britische, griechische, koreanische, niederländische und spanische Unternehmen befragt. Insgesamt wurden 346 Interviews in 211 Organisationen aus 7 Ländern durchgeführt. Mit 141 interviewten Personen stammte der größte Teil der Auskunftspersonen aus Deutschland. Aus Großbritannien kamen 27, aus Griechenland 18, Korea 29, aus den Niederlanden 41, aus Spanien 12 und den USA 36. Tabelle 1 gibt eine Übersicht zur Anzahl der Befragten in den einzelnen Branchen. Wie die Übersicht zeigt, wurde ein breites Branchenspektrum berücksichtigt. Tab. 1: Anzahl der Befragten nach Branchen Branche Anzahl Konsumgüter Industrie 29 Investitionsgüter 58 Informations- und Kommunikationsindustrie 25 Verkehr Handel 33 Banken Versicherungen 16 Gesundheit Pflege 22 Bildung 20 Beratung 40 andere Dienstleistungen 27 öffentlicher Dienst 73 Keine Angabe 3 Gesamt 346 Tabelle 2 zeigt, dass die meisten Auskunftspersonen deutscher und auch ausländischer Herkunft aus mittleren und großen Unternehmen stammen. Deutlich mehr als die Hälfte der deutschen Unternehmen befindet sich in einer Konzernstruktur mit mehr als 1.000 Mitarbeitern. Tab. 2: Größe der Organisationen (Mitarbeiterzahl, Angaben in %) 3 Unsere universitären Kooperationspartner waren: Dr. Angela Carter, Institute of Work Psychology, University of Sheffield (GBR), Prof. Dr. Celeste Wilderom, University of Twente (NL), Prof. Dr. Robert D. Pritchard, Director of the Industrial/Organizational Psychology Program, Texas A&M University (USA) und ihre Mitarbeiter(innen). 10-2003 - Fachgebiet Arbeits- und Organisationspsychologie (Prof. S. Greif) der Universität Osnabrück 4

1-49 50-249 250-999 > 1000 Deutschland 9,0% 18,0% 12,0% 60,9% GB 10,7% 21,4% 3,6% 64,3% Griechenland 11,8% 29,4% 11,8% 47,1% Korea 10,3% 10,3% 48,3% 31,0% Niederlande 12,8% 17,9% 23,1% 46,2 % Spanien 8,3% 25,0% 16,7% 50,0% USA 34,3% 28,6% 11,4% 25,7% Wie Tabelle 3 wiedergibt, erzielen mehr als die Hälfte der einbezogenen Unternehmen einen konzernbezogenen Umsatz von wenigsten 250 Mio. Euro. Die britischen Auskunftspersonen stammen eher aus kleinen und mittleren Unternehmen mit einem durchschnittlichen Umsatz von ca. 125 Mio. Euro. Auch die griechischen und koreanischen Auskunftspersonen stammen eher aus kleineren und mittleren Unternehmen mit einem Umsatz am Standort von bis zu 250 Mio. Euro. Tab. 3: Größe der Organisationen (Umsatz in Euro, Angaben in %) 0 249 250 Mio. 1,25 4,9 Non-Profit > 5 Mrd. Mio. 1,24 Mrd. Mrd. Deutschland 18,5% 25,8% 27,4% 14,5% 13,7% GB 9,1% 50,0% 22,7% 13,6 4,5% Griechenland 71,4% 28,6% Korea 69,0% 31,0% Niederlande 6,9% 51,7% 10,3% 17,2% 13,8% Spanien 75,0% 25,0% USA 26,1% 69,6% 4,3% Tabelle 4 stellt die Verteilung der Auskunftspersonen auf die unterschiedlichen Rollen in den Veränderungsprojekten dar. In Deutschland ist das formulierte Ziel einer möglichst breiten Verteilung auf die verschiedenen Rollen erreicht worden. Aufgrund der geringen Stichprobengröße in den anderen Ländern sind nicht alle Zellen der Tabelle besetzt bzw. nur sehr gering besetzt, was in der Folge eine perspektivenspezifische interkulturelle Auswertung unmöglich macht. Die starke Häufung so genannter Sonderfälle in der Tabelle resultiert durch eine Vermischung von Funktionen in den Projekten. So kann der Geschäftsführer z.b. gleichzeitig Projektleiter sein, der Projektleiter wiederum kann auch als interner Berater zumindest phasenweise eine übergeordnete Funktion innehaben. Tab. 4: Rollen bzw. Funktionen der Auskunftspersonen (GF: Geschäftsführung, PL: Projektleitung, UB: Unternehmensberater, BR: Betriebs-/Personalrat, MA: Mitarbeiter) Auftraggeber Sonderfall GF PL UB BR MA Deutschland 19 41 14 14 23 7 20 GB 8 9 8 1 2 Griechenland 3 2 3 10 Korea 4 9 3 2 8 Niederlande 8 15 4 2 12 Spanien 1 6 3 1 1 USA 3 6 5 7 15 10-2003 - Fachgebiet Arbeits- und Organisationspsychologie (Prof. S. Greif) der Universität Osnabrück 5

4.2 Welche Arten von Veränderungen wurden untersucht? Die Veränderungen lassen sich nach dem Bereich grob in drei Projektklassen einteilen: Veränderungen im Bereich Personalentwicklung, zur organisationalen Reorganisation (Veränderung der Strukturen und Prozesse) und Einführung oder Weiterführung von Total Quality Management (TQM). In Tabelle 5 wird die Anzahl der Befragten nach diesen Klassen von Veränderungen wiedergegeben. Zu jeder Klasse konnte ein große Anzahl von Befragungen durchgeführt werden. Besonders viele Projekte gehörten zum Bereich Reorganisation. Tab. 5: Anzahl der Befragten nach Projektklassen Veränderungsklasse Anzahl Personalentwicklung 68 Reorganisation 337 TQM 126 Gesamt 432 10-2003 - Fachgebiet Arbeits- und Organisationspsychologie (Prof. S. Greif) der Universität Osnabrück 6

4.3 Wie hoch ist der Zielerreichung und der Erfolg? Der bewertete Zielerreichungsgrad der erfolgreichen A-Projekte ist über die Veränderungsklassen hinweg vergleichbar. Nach Abbildung 1 findet sich die niedrigste Zielerreichung (40%) im Bereich Personalentwicklung (weniger erfolgreiche Z-Projekte) und die höchste (78%) bei den erfolgreichen Reorganisationen (A-Projekte). Die Auswertung zeigt, dass auch bei den weniger erfolgreichen Z- Projekten der Zielerreichungsgrad im Durchschnitt immerhin noch 40% (Personalentwicklung), 47% (Reorganisation) und 50% (TQM) erreicht, also keineswegs nahe bei Null liegt. Diese relativ niedrigen Prozentwerte werden jedoch von den Befragten als unzureichend angesehen. Die Unterschied des Zielerreichungsgrads pro Projektklasse sind statistisch signifikant (df=2; Chi-Quadrat=5,2 bzw. 4,9 bzw. 4,7). Personalenwicklung 40% 74% Reorganisation 47% 78% TQM 50% 72% 0% 20% 40% 60% 80% 100% Erfolgreiches Projekt Weniger erfolgreiches Projekt Abb. 1: Erfolgsbewertung (Prozent der Zielerreichung) getrennt nach Projektklassen Zusätzlich zum Zielerreichungsgrad haben wir die Frage gestellt, inwieweit die Veränderungen insgesamt als Erfolg oder als Misserfolg bewertet werden. Dazu haben wir den Interviewten eine Skala von + 5 bis 5 vorgelegt und sie gefragt, wo sie das Projekt auf dieser Skala als Erfolg (positive Ergebnisse, Vorteile, Verbesserung), als Misserfolg (negative Ergebnisse, Nachteile, Verschlechterung) oder weder/noch einschätzen. In Abbildung 2 werden diese signifikanten Unterschiede der Mittelwerte der Veränderungsklassen wiedergegeben (Reorganisation: df=328; t=25.3; p<.00; Personalentwicklung: df=66; t=9,23; p<.00; TQM= df=123; t=16,3; p<.00). Personalentwicklung Reorganisation TQM -2-1 0 1 2 3 4 5 Erfolgreiches Projekt Weniger erfolgreiches Projekt Abb. 2: Erfolgsbewertung getrennt nach Projektklassen (Vollkommener Erfolg= + 5, vollkommener Misserfolg= - 5): 10-2003 - Fachgebiet Arbeits- und Organisationspsychologie (Prof. S. Greif) der Universität Osnabrück 7

Veränderungen in der Personalentwicklung werden in den Erfolgschancen und Misserfolgsrisiken extremer beurteilt als TQM- und Reorganisationsprojekte. D.h. erfolgreiche Personalentwicklungsprojekte werden positiver bewertet als erfolgreiche Reorganisationsprojekte und diese wiederum positiver als erfolgreiche TQM-Projekte. Das umgekehrte Muster zeigt sich für Misserfolgsprojekte. Personalentwicklungsprojekte bekommen die schlechtesten Bewertungen, gefolgt von Reorganisationsund TQM-Projekten (vergleiche Abbildung 2). Geschäftsführer, Projektleiter und Unternehmensberater schätzen erfolgreiche Veränderungen unabhängig von der Veränderungsklasse positiver ein als die Mitarbeiter. Auch auf die Frage nach der Zielerreichung sind die Projektleiter und Unternehmensberater wesentlich positiver eingestellt als die Mitarbeiter. Sie schätzen die Zielerreichung im Durchschnitt um 15 Prozentpunkte höher ein. Für die Gruppe der weniger erfolgreichen Veränderungen ergibt sich hingegen ein anderes Muster. Die Geschäftsführer beurteilen diese Veränderungen deutlich schlechter als Unternehmensberater und Projektleiter. Auch die Mitarbeiter und die Personalvertretung kommen hier zu einem deutlich kritischeren Urteil. Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass die Projektleitung und die Unternehmensberater zu positiveren Bewertungen neigen wohingegen die Geschäftsführung und Mitarbeiter tendenziell eher kritischer über die Projekte urteilen. 4.4 Bewertungsmerkmale und Erfolgsfaktoren 4.4.1 Interviewauswertung Zur Auswertung der qualitativen Antworten aus den Interviews wurden inhaltliche Kategoriensysteme und Manuals erstellt (102 Kategorien für die Bewertungsmerkmale und 96 für die Erfolgsfaktoren). Die Auswertungskräfte erhielten eine systematische Ausbildung und ihre Kodierungen wurden stichprobenartig auf ihre Reliabilität (Beobachterübereinstimmung) überprüft. Die mit Kappa-Koeffizienten erfassten Reliabilitäten erreichten Werte zwischen.69 und.92, mit einem Mittelwert bei.79. Die Beobachterübereinstimmungen sind nicht optimal, aber hinreichend für die Verwendbarkeit der mit dem Kategoriensystem gewonnenen Ergebnisse. Für derart umfangreiche Kategoriensysteme kann man kaum höhere Koeffizienten erzielen. Auf die Frage nach den Bewertungsmerkmalen, an denen sie unabhängig von der Erfolgseinschätzung den Erfolg oder Misserfolg festmachen, beziehen sich die mit Abstand häufigsten Antworten auf die Folgen für die Mitarbeiter (ca. 38%). An zweiter Stelle werden Merkmale der Projektorganisation (ca.20%) genannt und danach qualitativ wirtschaftlichen Merkmale (ca. 15%). Unter qualitativ wirtschaftlichen Merkmalen werden u. a. Reduzierungen von Schnittstellen und Verbesserungen der Prozessabläufe genannt. Erfolge von Veränderungen werden also weniger an monetären/finanziellen Aspekten festgemacht, sondern an dem, was sich für die Mitarbeiter im konkreten Arbeitsablauf positiv ändert. Wie einige Interviewpartner herausstellten, ist es selbstverständlich, dass die Veränderungen auch an quantitativen Kriterien der Wirtschaftlichkeit gemessen (Kosteneinsparungen, Rentabilität oder Return on Investment) erfolgreich sind. Wichtiger, weil kritischer für die Erfolgsbewertung, sind jedoch die oben genannten Merkmale. Die Ursachen für den Erfolg oder Misserfolg eines Projektes werden vor allem in Merkmalen der Projektorganisation (ca. 24%), Merkmalen der Mitarbeiter und unteren Führung (ca. 23%), qualitativ wirtschaftlichen Merkmalen (ca. 14%) und Merkmalen der Geschäftsführung (ca. 12%) gesehen. Ein besonders interessantes Ergebnis betrifft die Rolle der Geschäftsführung. Bei erfolgreichen Projekten wurde die Geschäftsführung nur in 8% aller Fälle als Ursache für den Erfolg genannt. Bei Misserfolgsprojekten wird sie jedoch in 16% der Nennungen für das Misslingen verantwortlich gemacht. 4.4.2 Analysen der Fragebögen Zur Untersuchung der Mehrdimensionalität der Fragebögen wurden für die Bewertungsmerkmale und Erfolgsfaktoren jeweils getrennte multiple Faktorenanalysen durchgeführt. Die Vielfalt der einzelnen Bewertungsmerkmale kann trotz der sehr heterogen zusammengesetzten internationalen Stichprobe jeweils auf wenige gemeinsame Faktoren reduziert werden 4. Dies bestätigt unsere theoretische 4 Bei den Bewertungsmerkmalen lassen sich nach einer Hauptkomponentenanalyse nach dem Scree-Test 7 Faktoren finden. In der mit Varimax zur Einfachstruktur rotierten Faktorenanalyse erklären sie 55% der Varianz. Die entsprechenden Ergebnisse der Erfolgsfaktoren sind 8 Faktoren und 49% der Varianz. 10-2003 - Fachgebiet Arbeits- und Organisationspsychologie (Prof. S. Greif) der Universität Osnabrück 8

Grundannahme, dass Praktiker/innen zur Bewertung der Veränderungen und Erklärung der Ursachen für Erfolge und Misserfolge auf gemeinsame Merkmale zurückgreifen. Auf der Grundlage der multiplen Faktorenanalyse der Bewertungsmerkmale haben wir Subskalen zur Erfassung der Dimensionen konstruiert und auf ihre Reliabilität (Cronbachs Alpha) hin überprüft. Tabelle 6 gibt die Subskalen und Reliabilitäten zu den Subskalen der Bewertungsmerkmale wieder. Die Werte sind durchweg befriedigend bis sehr hoch und in zwei per Zufall getrennten Teilstichproben sehr stabil 5. Der Fragebogen kann als Instrument zur schnellen Einschätzung der Bewertungsmerkmale eingesetzt werden 6. 5 Um die Stabilität der Ergebnisse durch eine so genannte Kreuzvalidierung überprüfen zu können, haben wir die Gesamtstichprobe per Zufall in zwei Teilstichproben mit gleichen Anteilen von A- und Z-Projekten geteilt. (Wir danken Ines Kemmelmeier für die hierfür erforderliche, aufwendige Transformation der Datensätze.) Wie unten dargelegt wird, wurden die multiplen Faktorenanalysen, die darauf aufbauende Skalenkonstruktion, die multiplen Regressionen, linearen Modelle und regelbasierten Analysen zunächst nur an der ersten Unterstichprobe durchgeführt. Alle Ergebnisse konnten in der zweiten Stichprobe stabil wieder gefunden werden. 6 Erfahrungsgemäß dauert das Ausfüllen des Fragebogens nur ca. 10-15 Minuten. 10-2003 - Fachgebiet Arbeits- und Organisationspsychologie (Prof. S. Greif) der Universität Osnabrück 9

Tab. 6: Subskalen und Reliabilitäten des Fragebogens zur Bewertung der Veränderungen (MA: Mitarbeiter/innen; Reliabilität: Cronbachs Alpha) Subskala Item- Anzahl Beispiel-Fragen (unvollständige Auswahl) Reliabilität Stichprobe Reliabilität Stichprobe Impr: Viele verschiedene Verbesserungen Econ: Quantitative Wirtschaftlichkeitskennziffern 7 Arb: Sicherung von Arbeitsplätzen PInnov: Produktinnovation Soz: Soziale und kulturelle Verbesserungen Umw: Umweltverbesserungen 8 - Verbesserung der Motivation der MA - Verbesserung der Zufriedenheit der MA - Verbesserung der Qualifizierung der MA - Verbesserung der Zufriedenheit der Kunden - Positive Kundenentwicklung - Verbesserung der Flexibilität der Organisation - Verbesserung der Innovationsbereitschaft - Entwicklung einer innovativen und lernenden Organisation - Eigene Zufriedenheit und Erfolgserlebnisse 2 - Höherer Return on Investments - Positive Umsatzentwicklung 3 - Sicherung von Arbeitsplätzen in der Region - Sicherung von Arbeitsplätzen auf überregionalen Arbeitsmärkten 2 - Herstellung von Produkten bzw. Lieferung von Dienstleistungen für morgen - Technische Verbesserungen von Produkten 5 - Positive Folgen für die allgemeine Kultur und Bildung - Verbesserung der Frauenförderung - Positive Folgen für die interkulturellen Beziehungen - Förderung junger Mitarbeiter/innen - Förderung der körperlichen und psychosozialen Gesundheit 5 - Verbesserung der Umwelt - Verringerung des Energieverbrauchs und Nutzung umweltschonender und ungefährlicher Energiequellen - Verwendung umweltverträglicher Rohstoffe für die Produkte - Verbesserungen im Recycling von Material und Produkten Nach: Nachhaltigkeit 4 - Verbesserung der Langlebigkeit/ Reparaturfreundlichkeit von Produkten - Aufklärungsprogramme zum nachhaltigen Konsum - Rücknahme von ge- und verbrauchten Produkten - Erhöhung der Gerechtigkeit zwischen den heute lebenden Auss: Ausschussverringerung Menschen und zukünftigen Generationen 2 - Geringere Ausschussquoten - Niedrigere Nachbearbeitungskosten 1 2 0.93 0.91 0.85 0.84 0.81 0.81 0.75 0.91 0.90 0.89 0.92 0.96 0.96 0.85 0.89 0.92 Interessant ist, dass sich in der Faktorenanalyse ein starker Faktor ergibt, fast ein Generalfaktor, in dem sich viele unterschiedliche positive Folgen sammeln. Wir haben ihn Viele verschiedene Verbesserungen (Impr) genannt. Auch die Fragen zur Einschätzung der Verbesserung der Wirtschaftlichkeit (Return on Investment, Umsatzentwicklung sowie Verringerung der Kosten) und die Optimierung der Prozesse laden auf diesem Faktor. Lediglich die Frage zur Verbesserung des Shareholder Values korreliert nicht substanziell. Dieses Ergebnis zeigt, dass die subjektive Bewertung der Ergebnisse der Veränderungen per Fragebogen eher ganzheitlich und wenig differenzierend erfolgt. Die beiden Fragen zum Return on Investment und zur Umsatzentwicklung korrelieren miteinander sehr hoch und laden auch auf anderen Faktoren. Da es Sinn macht, sie trotz ihrer hohen Korrelation zum Hauptfaktor getrennt einzuschätzen, haben wir aus ihnen eine Subskala (mit nur zwei Items) gebildet und die aus der anderen Skala herausgenommen. In der weiteren Auswertung der Ergebnisse zeigen sich Unterschiede, die diese methodisch angreifbare Entscheidung nachträglich stützen. Hier wären allerdings weitere Untersuchungen und erforderlich oder eine Überarbeitung der Items zur Wirtschaftlichkeit. In der Faktorenanalyse ließen sich allerdings die Items zur Erfassung der Wirtschaftlichkeit und der 7 Im untersuchten Fragebogen sind zwei sehr hoch korrelierende Frage zur Wirtschaftlichkeit enthalten (Höherer Return on Investments und positive Umsatzentwicklung), deren Reliabilität durchaus bereits hoch erscheint. Die Fragen zur Wirtschaftlichkeit ließen sich allerdings durch die Faktorenanalysen nicht vom Faktor Viele verschiedene Verbesserungen trennen. Dennoch haben wir sie aus probeweise als gesonderte Subskala in den weiteren Berechnungen mitlaufen lassen, weil dieses Kriterium in der Fachliteratur oft gesondert erfasst wird und weil sie in den Interviews eine gut trennbare Oberkategorie bilden. Die Ergebnisse zeigen, dass diese Entscheidung durchaus sinnvoll war. Im Fragebogen wurden hier zwei ähnliche, bisher nicht untersuchte Fragen ergänzt (Rentabilität der Investition und höherer Gewinn nach Steuern), um die Konsistenz der Skala zu erhöhen. Dies bedarf allerdings einer empirischen Überprüfung. 10-2003 - Fachgebiet Arbeits- und Organisationspsychologie (Prof. S. Greif) der Universität Osnabrück 10

In unserem überarbeiteten Fragebogen haben wir eine Subskala zur Verbesserung der Prozesse (Proz) ergänzt. Hier war im ursprünglichen Fragebogen nur ein einzelnes Item vorhanden. In der Fachliteratur und in unseren Interviews ist die Optimierung der Prozesse und Abläufe eine als sehr wichtig angesehene Kategorie (dort unter dem Oberbegriff Qualitative Wirtschaftlichkeit ). In den Faktorenanalysen finden wir hierzu allerdings keinen trennbaren Faktor. Das Einzelitem, das dieses Bewertungsmerkmal inhaltlich am besten repräsentiert ( Optimierung von Fertigungsverfahren/Arbeitsabläufen ) haben wir als Einzelitem in die weiteren Berechnungen aufgenommen, um seine Zusammenhänge nicht zu vernachlässigen. Im neuen Fragebogen haben wir hier probeweise weitere ähnliche Fragen ergänzt (Kürzere Prozesse/ geringere Zykluszeiten und effizientere Abläufe). Ob diese Fragen zusammen eine reliable Subskala bilden, muss noch empirisch überprüft werden. In Tabelle 7a und b werden die ebenfalls nach einer multiplen Faktorenanalyse konstruierten Subskalen zur Erfassung der Erfolgsfaktoren mit ihren Reliabilitäten wiedergegeben. Die Werte sind durchweg hoch bis sehr hoch und in unseren beiden per Zufall getrennten Teilstichproben sehr stabil. Der Fragebogen kann als Instrument zur schnellen Screening der Erfolgsfaktoren eingesetzt werden 8. Nach unseren theoretischen Annahmen hängt der Erfolg der Veränderungen von den jeweiligen Kontextbedingungen (z.b. Marktsituation), Organisationsstrukturen und Prozessen, ständigen Situationsanalysen und gemeinsamen Problemlösungen oder Maßnahmen sowie der informellen Bewertung der Maßnahmen durch einflussreiche Schlüsselpersonen und -gruppen auf allen Ebenen ab (Greif, Runde & Seeberg, im Druck, Kapitel 2). Die Kontextbedingungen und Veränderungsmöglichkeiten müssen dabei allerdings immer auch von Personen erkannt, vermittelt und umgesetzt werden. Wie wir nach unserer Theorie erwartet haben, finden wir starke personenbezogene Faktoren (siehe Tab. 7a). So bilden alle Items zur Beschreibung der Merkmale und Verhaltensweisen der obersten Führungsebene oder Geschäftsführung einen Faktor, wie auch jeweils die Fragen zur Projektleitung, zum Projektteam und zur Unternehmensberatung. Unerwartet ist, dass die Fragen zur Einbeziehung und Information der Mitarbeiter/innen nicht zusammen mit den übrigen mitarbeiterbezogenen Items so hoch korrelieren, dass sie einen Faktor konstituieren. Sie korrelieren interessanterweise hoch und nicht trennbar mit den übrigen Fragen zur Führung. Hohes Engagement oder Commitment der Führung und eine perfekte Führung ist demnach aus der Sicht der Befragten gleichzeitig eng mit aktiver Einbeziehung und Beteiligung sowie guten Information der Mitarbeiter/innen über die Veränderungen verbunden. Genau betrachtet ist dieses Ergebnis sehr plausibel, Die Mitarbeiter/innen zu informieren und zu beteiligen, gehört bei organisationalen Veränderungen zunächst einmal zur Verantwortung der Führung. Bei den Fragen zu den Mitarbeiter/innen korrelieren die Items untereinander hoch, in denen negative Erfahrungen, Misstrauen, Furcht vor Veränderungen, Angst vor Arbeitsplatzverlust oder Zusatzbelastungen durch die Veränderungen thematisiert werden und ergeben zusammen einen konsistenten Faktor. Wir haben sie zur Subskala Misstrauen (Miss) zusammengefasst (siehe Tab. 7b). Dieser Faktor kann als Negativ-Pol der Offenheit der Mitarbeiter/innen für die Veränderungen angesehen werden. Interessant ist, dass hier auch das Item Großer Problem- und Leidendruck lädt. Es korreliert umgekehrt zur Erwartung, dass Problem- und Leidendruck für erfolgreiche Veränderungen förderlich sind. Um diesen veränderungsförderlichen Druck zu erfassen wären vermutlich genauere Formulierungen erforderlich. 8 Erfahrungsgemäß dauert das Ausfüllen des Fragebogens nur ca. 5 Minuten. 10-2003 - Fachgebiet Arbeits- und Organisationspsychologie (Prof. S. Greif) der Universität Osnabrück 11

Tab. 7a: Subskalen und Reliabilitäten des Fragebogens zur Einschätzung der Erfolgs- /Misserfolgsfaktoren (GF: Geschäftsführung, PL: Projektleiter, PT: Projektteam, MA: Mitarbeiter/innen, UB: Unternehmensberater. Reliabilität: Cronbachs in Stichprobe S1 und S2) Erfolgsfaktoren Items Beispiele (unvollständige Auswahl) Alpha S1 Alpha S2 Führ: Führung und Einbeziehung der MA PL: Projektleiter u. Projektmanagement 16 - Glaubwürdigkeit der Informationen der GF - Eindeutiges Engagement der GF - Perfekte Führung durch GF - Gute Zusammenarbeit zwischen den Ebenen - Vorbildfunktion der GF für die MA - Aktive Einbeziehung und Beteiligung der MA - Klare Ziele und Rahmenbedingungen - Information über Ziele und Projektverlauf - Erforderlichkeit der Veränderungen war allen klar - Große Offenheit der GF für Innovationen 13 - Große Problemlösekompetenz des PL - Gute Projektmanagementerfahrungen und Kompetenzen des PL - Glaubwürdigkeit des PL - Engagement des PL - Perfektes Management durch PL - Vorbildliches Verhalten des PL - Exakte Zielvorgaben durch PL - Genaue Kenntnisse von Abläufen und Strukturen des Unternehmens - Offenheit des PL für Innovationen - Erfolgreiche Bewältigung von Konfliktsituationen durch PL - Gutes Beziehungsnetzwerk des PL zu den Beteiligten PT: Projektteam 8 - Sorgfältige Auswahl der PT-Mitglieder - Hohe Akzeptanz in ihren Arbeitsbereichen - Ausbildung des PT für Projektaufgaben - Häufige Reflexion im PT über Arbeitsweise und Methoden - Gute Informationskontakte im PT - Übereinstimmung in den Zielen UB: Unternehmensberater - Sehr harmonische Beziehungen im PT 15 - Glaubwürdigkeit des UB - Engagement des UB - Hilfreiche Außenperspektive durch UB - UB hat Problem genau erfasst - Großer Erfahrungs- und Wissensvorsprung des UB - Genaue Kenntnisse des UB von Abläufen und Strukturen des Unternehmens - Anpassen des Vorgehens an Situation - Gutes Beziehungsnetzwerk des UB zu den Beteiligten - UB half beim Bewältigen von Konfliktsituationen 0,92 0,91 0,94 0,94 0,88 0,74 0,96 0,96 In unserer Untersuchung können wir zwei weitere personenbezogene Misserfolgsfaktoren isolieren, die sich allerdings nicht einzelnen Personen oder Gruppen, sondern den Beziehungen der Personen untereinander zuzuordnen sind (siehe Tab. 7b). Sie werden im Folgenden behandelt. Die Fragen über die Existenz von Kommunikationsproblemen gruppieren sich, wie zu erwarten war, zu einem statistisch isolierbaren Misserfolgsfaktor. Wir haben ihn nach Items mit den höchsten Lösungen als Kommunikationsprobleme (Komm) bezeichnet. Plausibel ist, dass sich hier gleichzeitig ein enger Zusammenhang zum personellen Wechsel in der Projektleitung und im Projektteam ergibt. Ein typisches Symptom für Kommunikationsprobleme ist anscheinend auch eine sofortige Suche nach Schuldigen, wenn sich Probleme ergeben. Außerdem werden hier die Entscheidungen in der Geschäftsführung nicht sorgfältig ausdiskutiert, sondern, wie Praktiker/innen dies nennen, nur abgenickt. Die resultierenden Kommunikationsprobleme zeigen sich sehr klar in der Itemformulierung, dass derartige Beschlüsse privat sofort wieder in Frage gestellt werden. Dies verweist sehr klar auf die nach unseren ersten Praktikerbefragungen (vgl. Greif et al., 1998) eingearbeitete Bedeutung negativer informellen Kommunikation und Bewertung der Veränderungen als Misserfolgsfaktor. In unseren Erhebungen haben wir nur wenige Veränderungsprojekte, an denen Personen aus verschiedenen Ländern und Kulturen beteiligt sind. Aber bei diesen Veränderungen zeigt sich, dass Diversifität (diversity) ein trennbarer Misserfolgsfaktor ist, bzw. ein Problem, zu dem es bisher in den von uns untersuchten Veränderungen, wie wir befürchtet haben, keine im Allgemeinen als erfolgreich eingeschätzten Lösungen gibt. Wir konnten deshalb aus diesem Fragen einen Faktor bilden, den wirt Kulturelle Unterschiede (Div) genannt haben. Allerdings wären bei der hier sehr kleinen Stichprobe weitere Erhebungen erforderlich. 10-2003 - Fachgebiet Arbeits- und Organisationspsychologie (Prof. S. Greif) der Universität Osnabrück 12

Tab. 7b (Fortsetzung): Subskalen und Reliabilitäten des Fragebogens zur Einschätzung der Erfolgs-/Misserfolgsfaktoren Erfolgsfaktoren Items Beispiele (unvollständige Auswahl) Alpha S1 Alpha S2 Miss: Misstrauen, Befürchtungen 0,78 0,80 und Druck Komm: Kommunikationsprobleme im Verlauf Div: Kulturelle Unterschiede Res: Genügend Ressourcen 7 - Negative Erfahrungen aus früheren Projekten machten die Betroffenen misstrauisch - Viele fürchteten sich vor den Veränderungen - Viele hatten Angst um ihren Arbeitsplatz - Großer Problem- und Leidendruck - Erhebliche zusätzliche Arbeitsbelastungen 7 - Zwischen PL und GF gab es Kommunikationsprobleme - Zwischen PL und PT gab es Kommunikationsprobleme - Sofortige Schuldigensuche, wenn etwas schief ging - Entscheidungen in der GF wurden nur abgenickt, aber privat sofort wieder in Frage gestellt - Wechsel in der Projektleitung - Wechsel im PT 10 - Kulturelle Unterscheide haben die Kommunikation schwierig gemacht - Unterschiedliche kulturelle Herkunft:(Einzelfragen zur GF, PT und den übrigen Beteiligten) - Projekt betraf Unternehmensbereiche unterschiedlicher Länder 5 - Genügend Personal für Projekt - Genügend Zeit für Projekt - Genügend Geld für Projekt - PT hatte genügend Zeit - PL hatte genügend Personen und Ressourcen 0,81 0,74 0,91 0,91 0,78 0,81 Obwohl wir im ursprünglichen Fragebogen unterschiedliche nicht-personenbezogene Fragen etwa zur Ausgangs- und Konkurrenzsituation und zu den erforderlichen Ressourcen aufgenommen hatten, konnten wir mit der multiplen Faktorenanalyse einzig zu den Ressourcen einen gemeinsamen Faktor finden. Dieser Faktor wird durch eine Subskala Genügende Ressourcen (Res) mit 5 Fragen erfasst, ob genügend Personal, Zeit und Geld vorhanden war. Das Ergebnis entspricht im Übrigen unserer Erwartung (siehe Greif, Runde und Seeberg. Im Druck, Kap. 2), dass bei subjektiven Befragungen Praktiker/innen vorwiegend verallgemeinerte personenbezogene Merkmale als Erfolgsfaktoren heranziehen. verwenden. Eine Auswertung der Unterschiede zwischen den relativ erfolgreichen A- und den weniger erfolgreichen Z-Projekten mit den in Tabelle 6 und 7 aufgeführten Subskalen und der Einzelfrage zur Prozessoptimierung, ergibt durchgängig bei allen Variablen hochsignifikante Unterschiede, jeweils in der erwarteten Richtung (p<0.01, parameterfreie Wilcoxon-Tests, Gesamtstichprobe). Die beiden überarbeiteten Fragebögen, mit denen die angesprochenen Subskalen erfasst werden können, werden von Greif, Runde und Seeberg (im Druck, Anhang) publiziert. Wir sind sehr daran interessiert, dass sie in weiteren Erhebungen eingesetzt und überprüft werden und schicken gern auf Anfrage die deutschen oder englischsprachigen, niederländischen oder spanischen Versionen der Fragebögen zu. Wir empfehlen, jeweils nur die Subskalen auszuwählen, die für die Bewertung der Veränderungen anwendbar sind. Wenn z.b. bei einem Projekt keine externe Unternehmensberatung beteiligt war, macht es keinen Sinn die Subskala zur Einschätzung der Berater zu verwenden. Wenn nur der Fragebogen ohne Interview eingesetzt wird, empfehlen wir, als Oberkriterien aus dem Interviewleitfaden, die oben angesprochenen Fragen zum Erfolgsrating und zum Prozentsatz der Zielerreichung als Items zu ergänzen. 4.5 Vorhersage der Zielerreichung mit den Subskalen der Fragebögen Nach den Annahmen unserer Theorie (Greif, Runde und Seeberg, im Druck, Kapitel 2) erwarten wir, dass der von den Praktiker/innen eingeschätzte Erfolg oder Misserfolg der Veränderungen durch die oben aufgeführten personenbezogenen Erfolgsfaktoren statistisch vorhergesagt werden können, wie sie durch die Subskalen des unseres Fragebogens erfasst werden, insbesondere durch die Subskalen zur Führung und Projektleitung. Diese Hypothese haben wir mit drei verschiedenen statistischen Verfahren überprüft: (1) multiple Regressionsanalysen, (2) lineare Strukturgleichungsmodelle und (3) regelbasierte Methoden. Diese Methodenkombination erscheint uns hier zweckmäßig, wie im Folgenden erläutert wird. 10-2003 - Fachgebiet Arbeits- und Organisationspsychologie (Prof. S. Greif) der Universität Osnabrück 13

Ein großes Problem in unserem Untersuchungsfeld ist, dass bei organisationalen Veränderungen relativ selten sämtliche Erfolgsfaktoren und Bewertungsmerkmale gleichzeitig vorkommen, die wir mit unseren Subskalen erfassen. Bei den Bewertungsmerkmalen ist beispielsweise eine Verbesserung des Shareholder Values nur selten ein sinnvolles Zielkriterium. Kann aber in Einzelfällen ein besonders wichtiges Merkmal sein. Das allgemeiner gefasste Merkmal Verbesserung der Wirtschaftlichkeit wird von Praktiker/innen zwar wesentlich häufiger, aber keineswegs immer als wichtiges Kriterium für die Definition des Erfolgs der Veränderungen angesehen (siehe Greif, Runde und Seeberg, im Druck, Kapitel 1 und 2). Sehr selten wird wiederum die Produktinnovation (PInnov) oder die Nachhaltigkeit (Nach) als verwendbares Kriterium eingeschätzt. Die seltener verwendeten Bewertungsmerkmale können aber für bestimmte Projekte zentral sein und dürfen nicht vernachlässigt werden. Bei den Erfolgsfaktoren können nach unseren Erfahrungen alle Veränderungen mit unserer Subskala zur Führung und Einbeziehung der Mitarbeiter/innen (Führ) eingeschätzt werden und nahezu alle mit der Subskala Projektleiter und Projektmanagement (PL). Wenn allerdings keine externen Unternehmensberater beteiligt sind, können sie nicht mit der betreffenden Subskala eingeschätzt werden. Wenn kein Projektteam gebildet wurde oder wenn es keine Beteiligten aus verschiedenen Ländern stammen, können die betreffenden Subskalen nicht verwendet werden. Die Stichprobe würde extrem schrumpfen, wenn wir nur die Fälle beibehalten, bei denen sämtliche Subskalen (Bewertungsmerkmale und Erfolgsfaktoren) von den Befragten verwendet werden konnten. Sie wäre auch sehr speziell und nicht mehr sehr aussagekräftig für häufige Veränderungskonstellationen. Im Folgenden erläutern wir die Verwendung der einzelnen Methoden. (1) Mit multiplen Regressionsanalysen können wir schrittweise Gesamtmodelle mit sämtlichen Variablen erstellen, indem wir fehlende Daten jeweils nur paarweise ausschließen. Multiple und einfache Produkt- Moment-Korrelationen gelten als statistisch robuste Zusammenhangsmaße und können auch für kleine Stichproben berechnet werden. Allerdings können bei dieser Methode die Kovarianzen zwischen den Variablen nicht mehr zuverlässig ermittelt und nicht kontrolliert werden. Diese eher induktive Methode ist deshalb methodisch angreifbar und lediglich zur Erkundung möglicher Zusammenhänge geeignet, die durch zusätzliche empirische Erhebungen statistisch gesichert überprüft werden müssen. (2) Wenn man, wie in unserem Fall, eine Theorie über die durch den Fragebogen erfassbaren theoretischen Konstrukte und ihre Zusammenhänge entwickelt hat (vgl. Greif, Runde & Seeberg, in Vorber., Kapitel 2) und annehmen kann, dass die Zusammenhänge linear sind, kann man die Güte der Anpassung (den so genannten Fit) der Daten an diese Theorie mit linearen Strukturgleichungsmodellen, Maximum-Likelihood- Schätzungen und statistischen Fit-Indikatoren überprüfen. Wir würden zwar nicht annehmen, dass alle Zusammenhänge linear sind, aber wir können erwarten, dass dies zumindest partiell der Fall ist. Das bekannteste Verfahren ist LISREL (Jöreskog, 1984). Mit diesen Methoden können konfirmatorische Faktorenanalysen durchgeführt werden. Im Unterschied zur klassischen multiplen Faktorenanalyse kann man hier, wie der Name sagt, den Fit einer theoretisch angenommen Faktorenstruktur statistisch testen. Genauso kann auch im Unterschied zur herkömmlichen multiplen Regressionsanalyse die Güte der Anpassung eines theoretisch erwarteten Vorhersagemodells überprüfen. Dabei werden sehr präzise alle Kovarianzen geschätzt. Aus allen Kovarianzen werden die übrigen wechselseitigen Zusammenhänge herauspartialisiert. Unten werden die Ergebnisse konfirmatorischer Faktorenanalysen und linearer Vorhersagemodelle zur Überprüfung unserer theoretischen Annahmen wiedergegeben. Wenn man allerdings wie in unserem Fall viele Variablen erfasst, benötigt man bei diesen Verfahren sehr große Stichproben. Zudem müssen wir, selbst wenn wir für kleinere Stichproben wie unsere geeignete, relativ robuste Verfahren, wie sie in EQS angeboten werden verwenden (Bentler & Woodward, 1979, Byrne, B.M., Ullmann, 2001), fehlende Daten jeweils listenweise ausscheiden. Wie dargelegt, ist es in unserer Stichprobe nicht möglich, dies unter Beibehaltung aller theoretischen Konstrukte zu realisieren, weil die Stichprobe extrem schrumpfen würde. Wir können daher nur ein Basis-Modell mit den Hauptkonstrukten testen und bei den konfirmatorischen Faktorenanalysen nur wenige Items einbeziehen. (3) Die Artefaktgefahr ist bei linearen Strukturgleichungsmodellen groß, unter anderem weil bei den Kovarianzen Varianzanteile herauspartialisiert werden. Manches Strukturgleichungsmodell hat sich nicht replizieren lassen. Es empfiehlt sich deshalb, die Vorhersagen aus diesen Modelle mit Kreuztabellierungen und robusten Vorhersagemodellen zu überprüfen. Hier empfehlen sich so genannte regelbasierte Methoden (Mitchell, 1997; Winston, 1992) 9. Dabei wird nach einer optimalen Regel gesucht, durch die Untergruppen einer Stichprobe in unserem Fall Gruppen mit unterschiedlichen Zielerreichungsgrad optimal vorhergesagt werden können. An unserem Beispiel unten kann diese elementare Methode leicht nachvollzogen werden. Der Vorteil dieser Methode ist, dass sie auch zur Erfassung nicht-linearer Zusammenhänge geeignet sind. Wie wir sehen werden, kann dadurch die Vorhersage des Zielerreichungsgrads verbessert werden. Ähnlich wie die Strukturgleichungsmodelle erfordert die Methode allerdings vollständige Datensätze. Wir können sie deshalb ebenfalls nur auf ein Basismodell anwenden. Wie bei der oben beschriebenen Konstruktion und Überprüfung der Reliabilität der Subtestskalen wurden alle Berechnungen zuerst an einer der beiden per Zufall getrennten Substichproben durchge- 9 Wie danken Günther Gediga für die methodische Beratung und Durchführung der Berechnungen. 10-2003 - Fachgebiet Arbeits- und Organisationspsychologie (Prof. S. Greif) der Universität Osnabrück 14