GERIATRIE. ÜBERRASCHEND VIELFÄLTIG.

Ähnliche Dokumente
GERIATRIE. ÜBERRASCHEND VIELFÄLTIG.

Kasuistische Beiträge zur modernen Pharmakotherapie mit Quetiapin

Symptome und Diagnosestellung des Morbus Parkinson

GERIATRIE. ÜBERRASCHEND VIELFÄLTIG.

Neurologische/ Neurogeriatrische Erkrankungen des höheren Lebensalters

GERIATRIE. ÜBERRASCHEND VIELFÄLTIG

GERIATRIE. ÜBERRASCHEND VIELFÄLTIG

GERIATRIE. ÜBERRASCHEND VIELFÄLTIG.

Wie können wir in Zukunft diese Fragen beantworten?

Die vielen Gesichter des Parkinson

Versorgung von Patienten mit Tiefer Hirnstimulation in Dülmen. Neurologische Klinik Dülmen - Christophorus-Kliniken

Cindy Former & Jonas Schweikhard

Die Parkinson Krankheit. Diagnostik und Therapie

Tiefe Hirnstimulation bei Bewegungsstörungen. Klinik für Neurologie Klinik für Neurochirurgie

Warum stürzen alte Menschen? Claudine Geser Leitende Ärztin Klinik für Akutgeriatrie

Beurteilung der striatalen Dopamin-D2-Rezeptorblockade durch Neuroleptika mit Hilfe der

GERIATRIE. ÜBERRASCHEND VIELFÄLTIG

Parkinson und Kreislaufprobleme

Kasuistische Beitriige zur modernen Pharmakotherapie mit Quetiapin

Frau Nienhaus Dr. Mellies Teilnehmer, Einführung in den Ablauf des Basislehrgangs Klärung organisatorischer Fragen

Ausbildungsinhalte zum Arzt für Allgemeinmedizin. Neurologie

M. Parkinson Ursache und Diagnose

Alt werden wollen alle aber alt sein?

PJ-Logbuch Physikalische Therapie (PRM)

PROGRAMM. Innere Medizin

Osterode Dr. med. Gregor Herrendorf Klinik für Neurologie Asklepios-Kliniken Schildautal Seesen/Harz

Gesetzliche Grundlagen der Versorgung und geriatrische Patienten

TABELLE 5. Patienten und der Kontrollpatienten (Mann-Whitney)

Überlegungen zur PsychPV- Nachfolgeregelung

Polypharmakotherapie im Altergeriatrische

Multiple Sklerose. Ambulante Diagnostik und Therapie

Ambulante videounterstützte Parkinsontherapie

Fatique Restless legs - Gangstörung

Die Multimodale Parkinsonkomplexbehandlung

Bewegungsstörungen im Schlaf. Restless-Legs-Syndrom (RLS)

Pharmakotherapie bipolarer Störungen

Parkinson-Krankheit: Neue Leitlinie für Diagnostik und Therapie veröffentlicht

Wann bin ich reif für die Geriatrie?

Aktuelle Behandlung bei M. Parkinson: Update Früh - bis Spätphase. Prof. Dr. J. Kassubek Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum Ulm

Vorwort (Paulitsch, Karwautz) Geleitwort (Lenz) I Einführung (Paulitsch) Begriffsbestimmung Historische Aspekte...

KRANKENHAUS MECHERNICH

Bewohner mit Diabetes mellitus

Quetiapin : 11 Erfahrungen mit., Ich leide an einer Depression und hab das Medikament zum ALS Einschlafhilfe vom Psychiater verschrieben bekommen.

CIDP- Chronisch inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie. Stefanie Müller Oberärztin Klinik für Neurologie Kantonsspital St.

rund 200 ausgewählte Wirkstoffe

Klinische Herangehensweise an den Patienten mit Sensibilitätsstörungen

Nutzen und Risiken der neuroleptischen Langzeitbehandlung schizophrener Erkrankungen

Patientenbroschüre. Bildgebende Verfahren zur Erkennung von Parkinsonsyndromen

GERIATRIE. ÜBERRASCHEND VIELFÄLTIG.

MEDIZINISCHE KLINIK II CAMPUS GROßHADERN HÄTTEN SIE ES GEWUSST? Akutes Nieren- und Leberversagen. Stephanie-Susanne Stecher

Polypharmakotherapie im Altergeriatrische

Anlage zur Vereinbarung gemäß 118 Abs. 28GB V vom

Behandlung nicht-motorischer. Beschwerden

Die Parkinson Krankheit. Diagnostik und Therapie

Grundlagen Neurogenetik und Bewegungsstörungen Ausblick 27. Krankheitsbilder Differenzialdiagnosen

Kognitive Störung bei Parkinson: Warum wichtig für den Hausarzt

Bildgebende Verfahren zur Erkennung von Parkinsonsyndromen

Zusatz-Weiterbildung Geriatrie

Ambulantes Geriatrisches Therapiezentrum

Innovative und multifaktorielle Therapie des Diabetes mellitus Typ 2

Risikofaktoren für eine ernsthafte Wirbelsäulenerkrankung

*Universitätsklinik der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität

Neurologische Leitsymptome und diagnostische Entscheidungen

Symptome, Diagnose, Therapie

PJ-Logbuch Rehabilitationsmedizin

Ist es die Depression? PD. Dr. med. Thomas Münzer Chefarzt Geriatrische Klinik St. Gallen AG Board Member European Academy for Medicine of Ageing

Anlage 3: Arbeitshilfe zum Umgang mit Multimedikation Stand:

Lewy-Körper-Demenz Symptome

Rolle von PET und SPECT in der Differentialdiagnose von Parkinson- Syndromen

PJ-Logbuch Neurologie

Voruntersuchungen. Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin

Osteologie und Stoffwechselerkrankungen

Vaskuläre Demenz G. Lueg Klinik für Allgemeine Neurologie Department für Neurologie Westfälische Wilhelms-Universität Münster

Demenz. Gabriela Stoppe. Diagnostik - Beratung - Therapie. Ernst Reinhardt Verlag München Basel. Mit 13 Abbildungen und 2 Tabellen

Demenzscreening oder Screening zur Identifikation von Menschen mit kognitiven Einschränkungen workshop

Zur Situation von FAS-Kindern und betroffenen Familien im Lahn-Dill-Kreis

Ausbildungsinhalte zum Arzt für Allgemeinmedizin. Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin

Frührehabilitation und Geriatrie. update 2006 Sozial- und leistungsrechtliche Zuordnung im Land Bremen

Restless legs - Syndrom. Stefan Weis, Neckarsulm

Pharmakologische Behandlung bipolarer Störungen bei (jungen) Erwachsenen. Behandlungsverzögerung. Erste Symptome früh, Diagnose spät.

Mit Pregabalin patientenorientiert behandeln

Auf der 84. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), die noch bis zum 1. Oktober in

Bewegungsstörungen. Demenzen. und. am Anfang war das Zittern. (movement disorders) und. Neuro-Geriatrie Fachtage in Haiger,,

Plattform Demenzstrategie. Diagnose Unterstützung Selbstbestimmung. Dr. med. Martin Ott. FMH Allg. Medizin, spez. Geriatrie

Kenntnisse, Erfahrungen und Fertigkeiten erworben. Weiterbildungsinhalte Kenntnisse, Erfahrungen und Fertigkeiten in

ADHS im Erwachsenenalter

Altersmedizin am Spital Männedorf für mehr Lebensqualität und Unabhängigkeit

Bedeutung von Nebenwirkungen

1. Änderung der zweiten Anmerkung zur Gebührenordnungsposition im Abschnitt EBM

PJ-Logbuch Geriatrie. Lehrkrankenhaus. Beginn des Tertials. Ende des Tertials. 1. Tertial 2. Tertial 3. Tertial

Kasuistik. Schwindel. Wolfgang Hausotter

Parkinson. durch Medikamente. Dr. Ilona Csoti, Ärztliche Direktorin. Patienteninformation. Praxisstempel Stand April 2010

Vorbeugung und Früherkennung von Gedächtnisstörungen

Abgrenzung zur Demenz: Delir und Depression Wie lautet Ihre Botschaft?

Geriatrische Tagesklinik KREIS- KRANKENHAUS MECHERNICH GMBH AKADEMISCHES LEHRKRANKENHAUS DER UNIVERSITÄT BONN. Partner für Generationen & die Region

Antiaggressive Therapie und Akutsedierung

Geriatrie Medizin für Fortgeschrittene. Beverungen, Gesundheitszentrum , 18 Uhr

Ganzheitliche Medizin für den älteren Patienten

Transkript:

GERIATRIE. ÜBERRASCHEND VIELFÄLTIG. KASUISTIK Parkinson-ähnliche Symptome bei einer 81-Jährigen Ein Fall von Dr. med. Kerstin Amadori, Oberärztin Medizinisch-Geriatrische Klinik AGAPLESION FRANKFURTER DIAKONIE KLINIKEN, Frankfurt am Main Präsentiert von der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie

Fallbeschreibung Aus der Akutneurologie eines anderen Krankenhauses wird eine 81jährige Patientin zur geriatrischen Komplexbehandlung in Ihre Station überwiesen. Die Verlegungsdiagnose gemäß Arztbrief lautet wie folgt...

Einweisungsdiagnose Multifaktorielle Gangstörung bei idiopathischem M. Parkinson vom Tremor-Dominanz-Typ chronischer Depression sensibler diabetischer Polyneuropathie akuter tiefer Beinvenenthrombose links Dranginkontinenz

Weitere Vorerkrankungen Zustand nach tiefer Beinvenenthrombose rechts 2012 Diabetes mellitus Typ 2 arterielle Hypertonie Hypothyreose postmenopausale Osteoporose Zustand nach BWK 11-Fraktur und Vertebroplastie

Bisheriger Behandlungsverlauf 4 Wochen zuvor: Aufnahme in Akutneurologie nach häuslichen Stürzen bei vorbestehender Gangstörung: Verdacht auf idiopathisches Parkinson-Syndrom erneuter Therapieversuch mit L-Dopa (niedrig dosiert und unter Domperidon-Schutz, da ein früherer Versuch wegen Unverträglichkeit abgebrochen worden war) Interkurrente Diarrhoen mit prärenalem Nierenversagen Interkurrente tiefe Beinvenenthrombose links mit nachfolgender oraler Antikoagulation

Medikation bei Verlegung L-Dopa + Benserazid 50 + 12.5 mg: 1 1 1 Domperidon 10 mg: 1 1 0 Olanzapin 7.5 mg: 0 0 1 Duloxetin 30 mg: 1 0 0 Trospiumchlorid 15 mg: 1 0 1 Ramipril 2.5 mg: 1 0 0 Colecalciferol 1.000 IE: 1 0 0 Phenprocoumon nach INR Metformin Pause

Ihre Einschätzung? Was fällt Ihnen angesichts dieser (Multi-) Medikation auf?

Auffälligkeiten in der Medikation Gleichzeitige Gabe antagonistisch wirkender Substanzen: L-Dopa = Dopamin-Vorstufe, Indikation: Alle Formen des Parkinson-Syndroms mit Ausnahme des medikamentös bedingten Parkinsonoids Olanzapin = Antagonist an Dopamin-Rezeptoren D1-D5, Indikation: Schizophrenie, bipolare Störungen; häufige Nebenwirkung: Parkinsonismus, zur Behandlung von Parkinson-Patienten NICHT empfohlen, da sehr häufig Verschlechterung der Symptomatik

Differenzialdiagnose? Welche Differenzialdiagnose vermuten Sie?

Differentialdiagnose Idiopathisches oder Neuroleptika-induziertes Parkinson-Syndrom

weiteres Vorgehen? Wie gehen Sie jetzt weiter vor?

weitere Untersuchungen I Gezielte Anamnese: laut Patientin Beginn der tremordominanten Parkinson- Symptomatik erst nach Aufnahme der neuroleptischen Medikation mit Olanzapin bei paranoid-halluzinatorischer Symptomatik im Zuge einer wahnhaften Depression subjektiv keine relevante motorische Verbesserung unter L-Dopa

weitere Untersuchungen II Klinisch-neurologische Untersuchung: Hirnnerven: Hypomimie, leichter Tremor des Unterkiefers, ansonsten regelrecht, keine Blickparese Motorik: leichtgradiges symmetrisches hypokinetisch-rigides Syndrom, feinschlägiger Ruhetremor des rechten Armes und der rechten Hand, keine Paresen Reflexe: Muskeleigenreflexe der Arme und Quadrizeps- Sehnen-Reflex seitengleich lebhaft, Triceps-Sehnen-Reflex beidseitig nicht auslösbar, keine Pyramidenbahnzeichen

weitere Untersuchungen III Klinisch-neurologische Untersuchung: Ästhesie und Algesie: seitengleich intakt, Pallhypästhesie bimalleolär 2/8, Parästhesien der Fußzehen beidseits Koordination: Dys- und Bradydiadochokinese rechts > links mit Feinmotorikstörung der Hände, Finger-Nase-Versuch rechts > links tremorbedingt unsicher, ausgeprägte posturale Instabilität, Gang mit Rollator ungerichtet unsicher, kleinschrittig, gebeugt

Syndromdiagnosen Rechts- und tremordominantes Parkinson-Syndrom Sensibles Polyneuropathie-Syndrom der Beine

weitere Untersuchungen IV Psychopathologie: Affekt aktuell ausgeglichen, modulierbar Keine psychotische Symptomatik Keine kognitiven Defizite (Mini-Mental-Status-Test: 29 von 30 Punkten)

zusätzliche apparative Diagnostik? Welche apparative Zusatzdiagnostik kann Ihnen differentialdiagnostische Klarheit verschaffen?

apparative Zusatzdiagnostik D2-Rezeptor-Szintigraphie (I-123-FP-CIT SPECT, DaTSCAN) zur Sicherung einer Neurodegeneration der Substantia nigra in klinisch unklaren Fällen, z.b.: zur Abgrenzung eines essentiellen, psychogenen Tremors zur Abgrenzung eines medikamentösen, vaskulären, atypischen oder psychogenen Parkinson-Syndroms zur Frühdiagnose bei zweifelhaftem Ansprechen auf dopaminerge Therapie

D2-Rezeptor-Szintigraphie Die D2-Rezeptor-Szintigraphie ist eine Methode mit positivem Kosten-Nutzen-Verhältnis, da mit ihr (häufige!) Fehldiagnosen und teure Fehltherapie vermieden werden können.

D2-Rezeptor-Szintigraphie Ergebnis: völlig unauffällige und seitengleiche Expression der präsynaptischen Dopamin-Transporter in den Basalganglien

Diagnose? Wie lautet Ihre Diagnose?

Diagnose Neuroleptika-induziertes Parkinsonoid unter Olanzapin

Weitere Behandlung? Welche therapeutischen Konsequenzen ziehen Sie daraus?

Weitere Behandlung Beendigung der Therapie mit L-Dopa kritische Prüfung der Indikation zur weiteren neuroleptischen Behandlung ggfs. Reduktion der Olanzapin-Dosis ggfs. Umstellung auf Clozapin oder Quetiapin konsequenter Verzicht auf typische Neuroleptika ambulante Fortsetzung der Physio- und Ergotherapie

Take Home Messages Iatrogene Schädigung als hochrelevantes, weil potentiell vermeidbares geriatrisches Syndrom! Daher vor jeder Neuverordnung: - kritische Prüfung der Indikation und Dosierung - Beachtung von Pharmakokinetik und -dynamik sowie Nebenwirkungs- und Interaktionspotential im Kontext der bestehenden Dauermedikation - Aufklärung des Patienten - Grundsatz Primum non nocere beachten!

Vielen Dank! Die Kasuistik wurde mit freundlicher Unterstützung zur Verfügung gestellt von: Dr. med. Kerstin Amadori, Oberärztin der Medizinisch- Geriatrischen Klinik AGAPLESION FRANKFURTER DIAKONIE KLINIKEN, Frankfurt am Main

Vielen Dank! Abbildungsnachweis: Abbildung D2-Rezeptor-Szintigraphie mit freundlicher Genehmigung von Herrn Dr. med. Andreas Kühn, Nuklearmedizin, Radiologisches Institut, AGAPLESION MARKUS KRANKENHAUS Frankfurt am Main