Südtiroler Akademie für Allgemeinmedizin Seminar 16.10.2015 Diagnostische Entscheidungsfindung in der Allgemeinmedizin Andreas Sönnichsen Institut für Allgemeinmedizin und Familienmedizin Universität Witten/Herdecke
Maxime für alle Entscheidungen Krankheit verhindern Heilung unterstützen Mensch Leiden lindern Schaden abwehren
Entscheidungsfindung in der Diagnostik klinische Expertise des Arztes Studienevidenz Sensitivität, Spezifität Patient bereit Konsequenzen zu tragen Entscheidung für diagnostische Maßnahme Prävalenz der gesuchten Erkrankung Ökonomie Konsequenzen aus dem Ergebnis
Die Vierfeldertafel Krank Gesund Test positiv Richtig positiv Falsch positiv Fehler 2. Art Alle Testpositiven Test Negativ Falsch negativ Fehler 1. Art Richtig negativ Alle Testnegativen Alle Kranken Alle Gesunden Alle Untersuchten
Diagnostische Szenarien AIDS könnte eingedämmt werden, wenn alle HIV- positiven identifiziert und gekennzeichnet würden. Die gesamte Bevölkerung soll daher gescreent werden (möglichst weder falsch positive noch falsch negative). Streptokokkentonsillitis kann zur Abkürzung der Erkrankung antibiotisch behandelt werden. Antibiotische Übertherapie soll aber wegen Resistenzbildung unbedingt vermieden werden. Der diagnostische Test soll Erkrankte mit hoher Sicherheit anzeigen (möglichst keine falsch positiven) Streptokokkentonsillitis ist wegen Komplikationen gefährlich. Wenn der Test negativ ist, soll sicher ausgeschlossen sein, dass der Patient eine Streptokokkeninfektion hat (möglichst keine falsch negativen).
Typen diagnostischer Tests Entdeckungstest (Screening- Test) Bestätigungstest (klinischer Verdacht) Ausschlusstest (Differentialdia gnose) Hohe Sensitivität und Spezifität Hohe Spezifität Hohe Sensitivität
Ziel eines diagnostischen Tests Verbesserung des Outcomes Ermöglichen einer Entscheidung Darum Kein Test ohne Konsequenz Abwägen des Test-Risikos gegen möglichen Nutzen Folgerisiken eines Tests im Blick haben
Beispiel Tiefe Beinvenenthrombose
Wells-Score bösartige Erkrankung Lähmung oder Immobilisation des betroffenen Beins Bettlägerigkeit seit mehr als drei Tagen oder große Operation in den letzten 12 Wochen lokaler Druckschmerz (Wade, Oberschenkelinnenseite) Schwellung der gesamten Gliedmaße Umfangsdifferenz > 3 cm zwischen beiden Beinen (Mitte der Wade) einseitiges eindrückbares Ödem Erweiterte und gestaute oberflächliche Venen frühere dokumentierte tiefe Venenthrombose andere Erklärung für Beschwerden wahrscheinlich (-2) 0 0 1 1 1 1 0 0 0 0
Wells-Score: diagnostische Aussagekraft Test positiv (Score 2) Test negativ (Score < 2) Tiefe Venenthrombose (krank) Keine tiefe Venenthrombose (gesund) pv 51 22 70% 75 296 80% 126 318 444 Sensitivität 40,5%, Spezifität 93,1%
D-Dimer: diagnostische Aussagekraft Test positiv (Score 2) Test negativ (Score < 2) Tiefe Venenthrombose (krank) Keine tiefe Venenthrombose (gesund) pv 66 83 44% 9 213 96% 75 296 371 Sensitivität 88%, Spezifität 72%
Beispiel Streptokokken-Tonsillitis
Streptokokken-Schnelltest Sensitivität 86,8%, Spezifität 96,6%, LR 25,5 Schnelltest + Schnelltest Streptokokken + Streptokokken 46 4 92,0 % 7 112 94,1 % 53 116 169 Prädiktiver Wert N Engl J Med 333 (1995):1301-1307
Streptokokken: klinische Einschätzung Sensitivität 35,8%, Spezifität 96,6%, LR 10,5 Hausarzt + Hausarzt Streptokokken + Streptokokken 19 4 82,6 % 34 112 76,7 % 53 116 169 Prädiktiver Wert N Engl J Med 333 (1995):1301-1307
Beispiel Akute Bronchitis
Sensitivität und Spezifität des CRP zur Detektion der Pneumonie
Sensitivität und Spezifität des CRP zur Differenzierung zwischen viral und bakteriell
Akute Bronchitis: weitere Diagnostik - CRP CRP > 50 mg/l CRP < 50 mg/l Bakterielle Infektion a: 250 b: 150 c: 250 d: 350 Accuracy = Prozentsatz der korrekt Nicht-bakterielle klassifizierten: Infektion a+d/a+b+c+d = 60% pos. prädikt. Wert = Posttestwahrscheinlichkeit: a/a+b = 62,5% neg. prädikt. Wert: d/c+d = 58,3% a+c: 500 b+d: 500 a+b+c+d = 1000 BMJ 2005; Sensitivität: a/a+c = 50% Spezifität: d/b+d = 70% Prävalenz = Prätestwahrscheinlichkeit: a+c/a+b+c+d = 50%
Akute Bronchitis: weitere Diagnostik - CRP Accuracy = Prozentsatz der korrekt Pneumonie Keine Pneumonie klassifizierten: a+d/a+b+c+d = 72,4% CRP > 20 mg/l CRP < 20 mg/l a: 40 b: 266 c: 10 d: 684 pos. prädikt. Wert = Posttestwahrscheinlichkeit: a/a+b = 13,1% neg. prädikt. Wert: d/c+d = 98,6% a+c: 50 b+d: 950 a+b+c+d = 1000 BMJ 2005; Sensitivität: a/a+c = 80% Spezifität: d/b+d = 72% Prävalenz = Prätestwahrscheinlichkeit: a+c/a+b+c+d = 5%
Testqualität in Abhängigkeit von der Prävalenz Unabhängig von der Prävalenz Sensitivität Spezifität Likelyhood-Ratio Abhängig von der Prävalenz Positiver prädiktiver Wert Negativer prädiktiver Wert Accuracy