Peter Bartelheimer Teilhabe als Leitidee vorbeugender Sozialpolitik? Impulsbeitrag zum FWGW-Themenentwicklungsworkshop Integrieren, Befähigen, Ermächtigen? Ziele, Leitbilder und Fachkonzepte vorbeugender Sozialpolitik 2. Juni 2015, Düsseldorf
Fragen für den Impulsbeitrag»Teilhabe»,»Verwirklichungschancen«in»Göttinger«Lesart Basiskonzept und Anwendungsfragen Verhältnis der Leitbegriffe»Teilhabe»,»Integration»,»Inklusion» Positive Gegenbegriffe zu Ausgrenzung wie passen sie zu einander»teilhabe» und»prävention» Schnittmengen und Spannungen Lebenslagen, Risikogruppen, Lebenslauf, Sozialraum Konkurrierende oder komplementäre Bezugspunkte für vorbeugende Sozialpolitik 2 Dr. Peter Bartelheimer, 2. Juni 2015
Warum ich Projekthintergründe Berichterstattung zur sozioökonomischen Entwicklung in Deutschland Teilhabe als Leitkonzept der Sozialberichterstattung Evaluationen sozialer Dienstleistungsarbeit Sozialberatung Intensive ganzheitliche Betreuung Arbeitsuchender in SGB III / SGB II Beratungskonzeption der Bundesagentur für Arbeit, SGB III / SGB II Leistungen für Bildung und Teilhabe Implementationsstudie EU-Projekte CAPRIGHT Resources, Rights and Capabilities: in search of social foundations for Europe Re-InVEST - Rebuilding an inclusive, value based Europe of solidarity and trust through social investments 3 Dr. Peter Bartelheimer, 2. Juni 2015
Begriffe sind wichtig - und fordern Anstrengung Sozialpolitik und Wissenschaft brauchen normative Bezugspunkte Ungleichheit ist Verschiedenheit, die eine Gleichheitsnorm verletzt Gleichheitsnormen unterliegen gesellschaftlicher Entwicklung Normative Orientierungen werden immer wieder neu verhandelt Leitbegriffe begründen Ansprüche auf sozialstaatliche Intervention Wie viel Ungleichheit akzeptieren Institutionen? Welche Benachteiligungen lösen korrigierende Eingriffe aus? Neue politische Begriffe: Teilhabe, Inklusion, Prävention erfüllen noch nicht die Bedingungen einer positiven Norm Zwei Aufgaben von Wissenschaft»Anstrengung des Begriffs«geklärte Begriffe anbieten Rekonstruktion normativer Inhalte von Rechtsbegriffen und Diskursen 4 Dr. Peter Bartelheimer, 2. Juni 2015
Was Teilhabe alles bedeuten kann z.b. in der Enquete-Kommission Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität Teilhabe als außerökonomische Wohlfahrt Indikatorenbereich Soziales/Teilhabe Teilhabe als Norm gerechter Verteilung materiellen Wohlstands Verteilungsleistung: Güter, Ressourcen, Lebenschancen Teilhabe als (mehrdimensionale) selbstbestimmte Lebensführung aktive Teilhabe an der Gesellschaft, Leben in Würde in den zulässigen ökologischen Grenzen Teilhabe als Gleichstellungsanspruch gleichberechtigte Teilhabe von Frauen / Männern mit / ohne Migrationshintergrund Teilhabe als demokratische (Mit-) Gestaltung Mitbestimmung, demokratische Teilhabe, Teilhaberechte 5 Dr. Peter Bartelheimer, 2. Juni 2015
»Teilhabe»,»Verwirklichungschancen«in»Göttinger«Lesart Basiskonzept und Anwendungsfragen 6 Dr. Peter Bartelheimer, 2. Juni 2015
Was macht Teilhabe aus Aktivitäten und Handlungsmöglichkeiten, die ein Individuum erreichen kann soziale Beziehungen eingehen an gesellschaftlichen Aktivitäten teilnehmen in Lebenssituationen einbezogen sein Leben aktiv gestalten Ressourcen sind instrumentell für Aktivitäten, die Teilhabe vermitteln Lebensweise Aktivitäts- und Beziehungsmuster, mit dem Personen in verschiedene Lebenssituationen einbezogen sind Teilhabenorm Niveau von Ressourcen und Handlungsmöglichkeiten, das eine selbstbestimmte Lebensweise ermöglicht 7 Dr. Peter Bartelheimer 2. Juni 2015
Die»Mutterfolie«für soeb:»umwandlung«von Ressourcen in Teilhabe Chancenaspekt von Freiheit Verfahrensaspekt von Freiheit Gesellschaftliche, institutionelle Bedingungen ( z.b. regionale»umwandlungsfaktoren«)»ressourcen«: Güter, Dienstleistungen, soziale Rechte Auswahlmenge an»verwirklichungschancen«erreichte Lebensweise als Teilhabeposition Persönliche Potenziale (individuelle»umwandlungsfaktoren«) 8 Dr. Peter Bartelheimer, 2. Juni 2015
Teilhabe in der International Classification of Function, Disability and Health Aus: Deutschsprachige Fassung der ICF, DIMDI (2005), S. 23 9 Dr. Peter Bartelheimer, 2. Juni 2015
Teilhabe in ICF und soeb Gemeinsamkeiten und Unterschiede Identische Struktur Zielgröße»Funktionsfähigkeit«: teilhaben durch persönliche Aktivitäten Persönliche und Kontextfaktoren ermöglichen / begrenzen Teilhabe Gemeinsame Orientierung an gesellschaftlicher Normalität Funktionsfähigkeit ohne gesundheitliche Einschränkungen Gesellschaftlich übliche Lebensweise Unterschiedliche Ausgangspunkte für»umwandlung«körpersysteme und Körperstrukturen Ressourcen (Güter, Dienstleistungen, Rechte) soeb-konzept gewichtet Wahlmöglichkeiten höher Gleichheit der Wahlmöglichkeiten, nicht Ergebnisgleichheit 10 Dr. Peter Bartelheimer, 2. Juni 2015
Wie man Programme bewertet (1) das klassische Evaluationsparadigma Bedarf Sozioökonomische Probleme Programm Wirkung Ergebnis Ziele Input Operationen Output Relevanz Bewertung Wirksamkeit Effizienz Nutzen und Nachhaltigkeit 11 Dr. Peter Bartelheimer, 2. Juni 2015
Wie man Programme bewertet (2) Teilhabewirkung sozialstaatlicher Intervention Soziales Sicherungssystem, Sozialstaatsregime Sozialstaatliche Transfers und Dienstleistungen Umwandlungsfaktoren Intervention Zustand t (Episode) Lebensverlaufsmuster Summe bisheriger Aktivitäten, Beziehungen, Teilhabeeffekte, Umwandlungsfaktoren Auswahlmenge t (Optionen) Lebensweise Auswahlmenge t+1 (Optionen) Veränderung durch Intervention? Persönliche Ressourcen, Umwandlungsfaktoren Zustandt t+1 gewählte Option Wirkung auf Lebensverlaufsmuster künftige Handlungsmöglichkeiten, Umwandlungsfaktoren Makroökonomischer Rahmen, Märkte, Unternehmensstrategien 12 Dr. Peter Bartelheimer, 2. Juni 2015
Methodische Anforderungen einer Teilhabeorientierung (1) Mehrdimensionalität Teilhabepositionen mehrdimensional beschreiben und vergleichen Direkte und indirekte Wohlfahrtsmessung Ressourcen und Aktivitätsmuster Einkommen, Vermögen, Konsumausgaben Bildungs-, Erwerbs- und Lebensverläufe, Arbeitszeit, Haushaltsstruktur, Konsumhandeln»Kontrafaktische«Informationen über Optionen und Wahlentscheidungen Differenzierung von Präferenzen und Anpassungen Teilhabe ist eine Norm relativer Wohlfahrt Vorstellungen von einem Mindestniveau angemessener Lebensführung 13 Dr. Peter Bartelheimer, 2. Juni 2015
Methodische Anforderungen einer Teilhabeorientierung (1) Wie viel Gleichheit steckt in der Teilhabenorm Kein stufenloser Maßstab für Wohlfahrtspositionen ein Korridor? Ausschluss und Prekarität als Grenzen nach unten? Reichtum als Grenze nach oben? Schwellen für Teilhabe sind gesellschaftlich umkämpft und für Berichterstattung oder Evaluation zu rekonstruieren 14 Dr. Peter Bartelheimer, 2. Juni 2015
Anwendungsfall: Integriertes Beratungsangebot für Alleinerziehende IBA Kein experimentelles Design Vergleichsgruppe Nichtteilnehmerinnen schwer zu bilden Steuerungskennzahl Integrationsquote wenig aussagekräftig Zielgröße daher: Wirkungen im Fall Erweitern sich im Rahmen der Projektteilnahme Optionen für Vereinbarkeit von familiärer und beruflicher Teilhabe (Ausbildung, Arbeit)? Wo setzen Modellprojekte an, um Teilhabechancen zu erweitern und bei der Realisierung zu unterstützen? Anteil der Projektbetreuung an Ergebnissen? Wirkungsmodell Teilhabechancen»unser 4PM«Fragestellung: Wovon hängt»umwandlung«von Kinderbetreuung in Integration in Ausbildung oder Arbeit ab? Eigenes Modell zur Fallrekonstruktion vgl. Gleichstellungsbericht 2011 15 Dr. Peter Bartelheimer, 2. Juni 2015
Was hemmt die»umwandlung«persönliche und strukturelle Faktoren Persönliche Umwandlungsfragen Wie viel Arbeit / Ausbildung ist mit Elternschaft vereinbar»mit sich als Mutter und mit sich selbst im Konflikt«Arbeit oder Ausbildung Wie viel Fremdbetreuung ist gut für mein Kind»nicht arbeiten gehen, um eine andere Frau dafür zu bezahlen, dass sie mit meinem Kind zusammen sein darf«strukturelle Umwandlungshemmnisse Kinderbetreuung passt nicht zum Arbeitsmarkt Schichtarbeit»im Werk«- nicht in der Kita Wie das Jobcenter die Vereinbarkeit sieht Wenn die»motivation«fehlt Schwelle für bedarfsdeckende Arbeitsaufnahme (»weg vom Amt«) 16 Dr. Peter Bartelheimer, 2. Juni 2015
»Teilhabe»,»Integration»,»Inklusion» was passt, was passt nicht 17 Dr. Peter Bartelheimer, 2. Juni 2015
Inklusion passt: Interventionsstrategie, die gleiche Teilhabe sichert Individualisierte Leistungen bereitstellen Adressat/inn/en definieren positive Ergebnisse / Wirkungen Wahl- und Entscheidungsrechte achten Nutzer/innen sozialer Dienstleistungen beteiligen Leistungssysteme fallbezogen koordinieren Orientierung an gesellschaftlich üblichen Teilhabeformen Regelsysteme statt Sondersysteme z.b. Geldleistungen vor Sachleistungen oder Gutscheinen, Mietvertrag vor stationärer Versorgung Anspruchsregeln von Fürsorge zu einer Politik der Rechte»Moralisch barrierefreier«zugang allgemeine Rechtsansprüche auf sozialen Ausgleich schaffen 18 Dr. Peter Bartelheimer, 2. Juni 2015
Wie inklusiv sind Institutionen und Programme? Inklusiv sind Institutionen und Strukturen die Menschen nicht aufgrund zugeschriebener oder unveränderlicher Merkmale von Teilhabemöglichkeiten ausschließen 19 Dr. Peter Bartelheimer, 2. Juni 2015
Integration, Aktivierung: passen nicht Das»schadhafte Objekt«sind hier immer nur die persönlichen Umwandlungsfaktoren Integration Z.B. Beschäftigungsfähigkeit als Anpassung ans Beschäftigungssystem und Bearbeitung persönlicher Defizite Aktivierung Fehlende Motivation als handlungsleitende Defizitkonstruktion 20 Dr. Peter Bartelheimer, 2. Juni 2015
»Teilhabe» und»prävention» 21 Dr. Peter Bartelheimer, 2. Juni 2015
Schnittmengen und Spannungen Gemeinsame Orientierung an Lebensführung Instrumentelle Sicht auf Transfers Aufwertung von Beratung und Assistenz als Handlungsformen sozialer Dienstleistung Prävention ist normativ unbestimmt Auch offen für Fürsorgelogik:»würdige«und»unwürdige«Armut»Die Kinder können nichts dafür«einzelfallhilfen sind kein Sparprogramm»Präventionsrenditen«sind unsicher Das Konzept erschwert die Orientierung am Fall 22 Dr. Peter Bartelheimer, 2. Juni 2015 ]
Lebenslagen, Risikogruppen, Lebenslauf, Sozialraum 23 Dr. Peter Bartelheimer, 2. Juni 2015
Welcher Wohlfahrtsbegriff passt zu Teilhabe Lebenslage / Verwirklichungschancen (capability) Wohlfahrtsmessung: was macht Teilhabe aus Wohlfahrtsproduktion Wie kommt Teilhabe zustande Welche Funktionssysteme (re-) produzieren ungleiche Teilhabe (abhängige und selbständige) Erwerbsarbeit Leistungen für andere in sozialen Nahbeziehungen bürgerliche, politische und soziale Rechte Bildungsbeteiligung und kulturelle Teilhabe Vermögensansprüche Lebensverlaufsforschung Teilhaberisiken und Teilhabeeffekte kumulieren in Biografien 24 Dr. Peter Bartelheimer, 2. Juni 2015
Lebenslagen sind kollektive Teilhabemuster Normativer, nicht methodologischer Individualismus Teilhabepositionen sind mehrdimensional Aktivitäten und soziale Beziehungen in verschiedenen Bereichen haben Eigenwert und instrumentelle Bedeutung für Teilhabe Z.B. Eigenwert von Bildungsbeteiligung, Erwerbsarbeit, Konsum Teilhaberisiken können sich wechselseitig ausgleichen oder kumulativ verstärken Z.B. entscheidet sich das prekäre Potenzial atypischer Beschäftigung im Haushaltskontext Typische Teilhabepositionen beschreiben die Sozialstruktur und das gesellschaftliche Wohlfahrtsregime Z.B. Zonen von Teilhabe, Prekarität (im weiten Sinn) und Ausschluss 25 Dr. Peter Bartelheimer, 2. Juni 2015
Sozialraum passt: wie wird Teilhabe (re-)produziert Muster der Interaktion von Sektoren der Wohlfahrtsproduktion prägen Sozialräume (sozial-)staatliche Institutionen Öffentlicher Sektor Unternehmen Private Haushalte Quartiere wirken mehr oder weniger»inklusiv«auf Ressourcenausstattung und Umwandlungsbedingungen für individuelle Teilhabe Mehrebenenenproblem der Sozialraumperspektive: Aggregierte Daten zum Quartier und Individualdaten aufeinander beziehen 26 Dr. Peter Bartelheimer, 2. Juni 2015
Mehr... http://www.soeb.de Berichterstattung zur sozioökonomischen Entwicklung in Deutschland http://www.sofi-goettingen.de Soziologisches Forschungsinstitut (SOFI) an der Georg-August Universität Göttingen 27 Dr. Peter Bartelheimer, 2. Juni 2015