.2 Inspektion 207 Selten ist die lokal begrenzte Adipositas. Bei Frauen kommt z. B. eine starke Fettablagerung in der unteren Körperhälfte vor, während der Oberkörper schlank bleibt. Der Madelung-Fetthals (s. S. 12) ist durch Lipome im Bereich des Nackens und supraklavikulär (ggf. bis in die obere Thoraxapertur wachsend) ausgezeichnet. Er kommt vor allem bei alkoholkranken Männern vor. Solitäre oder multiple Lipome sind gutartige, langsam wachsende, je nach ihrem Bindegewebsanteil mehr der weniger derbe Knoten im Unterhautfettgewebe. Sie können am ganzen Körper auftreten. In der multiplen Form veranlassen sie gelegentlich die Differenzialdiagnose gegenüber der Neurofibromatose (Morbus Recklinghausen). Kleine schmerzlose Lipome in der vorderen Medianlinie (Linea alba) werden leicht mit epigastrischen Hernien (s. S. 227) verwechselt. Bei Nabelbrüchen ist die Diagnose meist leicht, da sich der vorgewölbte Bruchsack beim Husten und Pressen füllt und die Bruchpforte mit dem Finger meist leicht aufzufinden ist. Wenig beachtet, aber nicht selten sind insulin-induzierte Lipohypertrophien und Lipoatrophien an Stellen wiederholter subkutaner Insulin-Injektionen. Sie kommen fast nur bei jüngeren Diabetikern und bei Frauen häufiger als bei Männern vor. Aszites Flüssigkeitsansammlungen im Bauchraum (Aszites) können verschiedene Ursachen haben: Krankheiten der Leber (Leberzirrhose) Thrombose mit Stauung in der V. cava oder in der Pfortader Pankreatitis Peritonitis (bakteriell, Auoimmunkrankheiten, z. B. Kollagenosen) bösartige Tumoren im Bauchraum mit Peritonealkarzinose, Ovarialfibrom Rechtsherzinsuffizienz, Herzbeutelkrankheiten nephrotisches Syndrom. Der Entwicklung eines Aszites infolge einer Leberzirrhose geht ein zunehmender Meteorismus ( Blähbauch ) voraus: Der Wind kommt vor dem Regen. Der Aszites führt zu einer Vorwölbung des Bauches, die sich von der des Meteorismus deutlich unterscheidet. Da die freie Flüssigkeit ein höheres Gewicht als die luftgefüllten, geblähten Darmschlingen hat, verteilt sie sich möglichst breit. Es kommt dann beim liegenden Patienten zu einer flachen Form des Bauches mit starker Vorwölbung der Flanken. Die Flüssigkeit kann durch Prüfung der Fluktuationswelle nachgewiesen werden. Hierzu legt man eine Hand an die Seite des Bauches und klopft mit der anderen an die gegenüberliegende Seite. Die Flüssigkeit schwappt rasch gegen die tastende Hand.
208 Untersuchung des Abdomens! Nur das kurze Anschlagen der Flüssigkeitswelle spricht für Aszites, während sich eine Erschütterungswelle im Fettgewebe träge und weicher ausbreitet. Indem ein Mituntersucher seine Handkante in der Mittellinie des Bauches des Kranken auflegt, kann die Erschütterungswelle im Bauchdeckenfettgewebe unterbrochen werden. Die durch das seitliche Beklopfen verursachte Welle der freien Flüssigkeit im Bauchraum wird jedoch nicht beeinflusst. Sicherer gelingt der Nachweis eines Aszites mit der Perkussion. Da die gasgefüllten Darmschlingen auf der Flüssigkeit schwimmen, ist über ihnen der Klopfschall tympanitisch, während der Klopfschall über der Flüssigkeit gedämpft ist. Es ergibt sich eine etwa kreisförmige Dämpfungsfigur. Bei Seitlagerung des Pa tienten verschiebt sich diese Figur entsprechend der Schwere der Flüssigkeit. Sehr kleine Ergüsse im Bauchraum weist man am besten in Knie-Ellenbogen- Lage des Patienten durch die Perkussion nach: am tiefsten Punkt des herabhängenden Bauches ist der Klopfschall gedämpft (Abb..3). Große Ovarialkystome (Abb..4 b) können mit Aszites verwechselt werden. Wenn sie viel Flüssigkeit enthalten, ist der Klopfschall über ihnen gedämpft. Diese Flüssigkeit ist aber nicht frei beweglich. Daher fehlt die typische Flankendämpfung des Aszites, außerdem fehlt beimovarialkystom die Verschieblichkeit der Dämpfung bei Lagewechsel. Meteorismus Die Blähung des Abdomens durch übermäßige Gasbildung im Darm bei Dyspepsie, Darmverschluss, Leberzirrhose, Pfortaderhochdruck u. a. führt zu einer Auftreibung des Bauches (Meteorismus) (Abb..4 c). Bei isoliertem Meteorismus des Dickdarms findet sich indessen mehr eine Form, die den Aszites nachahmt mit Vorwölbung der seitlichen Partien. Verwechselungen sind bei Beachtung des Klopfschalls kaum möglich. Differenzialdiagnostisch muss auch an stark flüssig- Abb..3 Nachweis eines kleinen Aszites durch Perkussion in Knie-Ellen bogen-lage.
.2 Inspektion 209 Abb..4 Querschnitt des Bauches. a bei Aszites: freie Flüssigkeit im Bauchraum, b bei Ovarialkystom: Eierstockzyste mit Flüssigkeit, c bei Meteorismus: luftgefüllte Darmschlingen..2.2 Beckenform Das knöcherne Becken ist mindestens tastbar dorsal am unteren Ende der Lendenwirbelsäule und am angrenzenden Kreuzbein, dem Beckenkamm bis zu den beidseitigen Spinae anteriores superiores und dem oberen Schambeinast bis zur Symphyse. Die Form zeigt Geschlechtsunterschiede mit einem breiteren Ausladen der Beckenschaufeln, dem stärkeren Vorspringen der Symphyse mit dem Schamhügel (Mons pubis) und dem flacheren Verlauf der Schambeinäste bei Frauen im Vergleich zu Männern. Die Michaelis-Raute gibt gute Hinweise auf Fehlstellungen einschließlich Asymmetrien des Beckens. Sie ist ein auf der Spitze stehendes Viereck, dessen Ecken von vier Gruben gebildet werden: die unterste entspricht der Steißbeina b c keitsgefüllte Darmschlingen z. B. im Rahmen einer Zöliakie gedacht werden. Bei schlanken Personen ist gelegentlich die peristaltische Bewegung an geblähten Darmschlingen zu beobachten.
2 Untersuchung des Abdomens spitze, die obere dem Dornfortsatz des letzten Lendenwirbels und die beiden seitlichen den Spinae iliacae posteriores superiores. Heute sind bei uns nur noch selten Deformierungen des Beckens infolge einer Rachitis zu sehen: eine Abflachung in sagittaler Richtung, eine stärkere Vorwärtsneigung der Beckeneingangsebene und ein Abwinkeln des Kreuzbeines nach vorne mit verstärkter Lordose der Lendenwirbelsäule..2.3 Behaarung und Pigmentierung des Abdomens Stärker springen die Geschlechtsunterschiede in der Behaarung des Abdomens ins Auge. Während bei der Frau die Schambehaarung kranial in einer waagerechten Linie abschneidet, verläuft sie beim Mann nicht so stark in die Breite, sondern zieht sich zum Nabel hin, diesen oft mit den letzten Ausläufern erreichend. Starke Körperbehaarung bei Frauen mit mehr oder weniger deutlicher männlicher Verteilung, oft auch deutlichem Bartwuchs (Hirsutismus), kommt u. a. bei Nebennierentumoren vor, die eine allgemeine Vermännlichung hervorrufen können. Weibliche Behaarungsform mit einer Bauchglatze bei Männern kann im Rahmen einer Leberzirrhose vorkommen. Neben der Behaarung ist auch die Pigmentierung der Haut hormonellen Einflüssen unterworfen und deshalb pathognomonisch bedeutsam. Bei Frauen ist die Linea alba durchschnittlich stärker pigmentiert als bei Männern. Während der Schwangerschaft verstärkt sich die Pigmentierung und wird auch oberhalb des Nabels oft deutlich. Nach der Entbindung erfolgt eine meistens nicht vollständige Rückbildung. Außerdem finden wir bei der Schwangerschaft eine verstärkte Pigmentierung der Mamillen und der großen Labien. Pigmentverschiebungen treten außerdem als Folge von Bestrahlungen und starker Wärmeanwendung auf. Wir finden solche ring- oder fleckförmigen Pigmentierungen häufig bei Patienten, die wegen rezidivierender Bauchschmerzen oft Wärmflaschen oder Heizkissen aufgelegt haben. Typische Marmorierungen gibt es auch nach Strahlentherapie. Als Striae werden 0,1 1 cm breite, rötliche (Striae rubrae) oder blasse (Striae albae), leicht geriffelte, unregelmäßig begrenzte Linien bezeichnet, die meist in schräger Richtung über den unteren Partien des Abdomens kraniokaudal, oft auch über den Gesäßbacken verlaufen. Die Striae rubrae treten v. a. in der Schwangerschaft, bei Adipositas oder bei Morbus Cushing auf, die Striae albae nach der Schwangerschaft oder nach starker Gewichtsabnahme. Sie entstehen durch Risse der elastischen Fasern der Haut. Über den Gesäßbacken kommen sie auch in der Pubertät vor, bei Mädchen häufiger als bei Jungen..2.4 Abnorme Gefäßzeichnung der Bauchwand Eine verstärkte Gefäßzeichnung des Bauches erregt oft die Aufmerksamkeit des Untersuchers auf den ersten Blick. Zuweilen muss man aber erst sorgfältig da-
.3 Palpation 211 nach suchen. Eine Erweiterung der Arterien findet sich vor allem bei der Aortenisthmusstenose, bei der der Umgehungskreislauf zur unteren Körper hälfte teilweise über die A. thoracica interna und A. epigastrica erfolgt (s. S. 158). Die Erweiterung und stärkere Pulsation lässt sich bei Kenntnis der anatomischen Verhältnisse leichter ertasten als sehen. Erweiterungen der Venen der Bauchwand sind bei behinderter Durchgängigkeit der V. cava inferior und bei Stauungen im Pfortaderkreislauf nachweisbar. Verschlüsse der V. cava inferior kommen bei aufsteigenden Thrombosen der Beinvenen vor. Charakteristisch ist dabei die Erweiterung der Venen der seitlichen Bauchwand, während bei Stauungen im Pfortaderkreislauf mehr die Venen der Nabelgegend vorspringen. Als Ursache einer Pfortaderstauung kommt vor allem die Leberzirrhose infrage. Auch die zuweilen nicht leicht zu diagnostizierende Thrombose der V. lienalis und das Cruveilhier-Baumgarten-Syndrom (s. S. 202) führen zur Erweiterung der Venen der Nabelumgebung. Wegen der Ähnlichkeit der geschlängelten Venen mit verknäuelten Schlangen wird dieses Bild Caput Medusae genannt..3 Palpation Für die Bauchdiagnostik ist die Palpation besonders wichtig. Günstig dazu ist ein freier Zugang von beiden Seiten des liegenden Patienten. Zu achten ist auf seine bestmögliche Entspannung. Der Patient soll ruhig und bequem liegen und ruhig und entspannt atmen. Das Kopfende der Untersuchungsliege oder des Bettes darf nicht zu flach gestellt sein. Zur bequemen Entspannung der Bauchdecken ist manchmal ein leichtes Anwinkeln der Beine (Kissen unter die Knie) hilfreich. Die Palpation soll mit zarten, warmen Händen erfolgen, am besten von der rechten Seite des Kranken. Man vermeide zu heftiges Drücken und alle schmerzhaften Manipulationen. Im Blickkontakt mit dem Patienten ist auf dessen Reaktionen (Schmerzen? Selbstlokalisation von Beschwerden?) zu achten.! Die Tastuntersuchung sollte nicht dort beginnen, wo Spontanschmerzen angegeben werden. Mit der Palpation des Bauches werden verschiedene Fragen beantwortet, die im Einzelnen mit der jeweiligen Organuntersuchung erläutert werden. Generell sollen folgende Fragen geklärt werden: Bauchdecken- (Abwehr-)Spannung? Klopf- oder Druckschmerzhaftigkeit der Bauchdecken? Lage, Größe und Konsistenz der Bauchorgane? Druckschmerzhaftigkeit einzelner Organe? abnorme Resistenzen? abnorme Gefäßpulsationen?