RELIGIÖSE TOLERANZ IM RECHTSSTAAT

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Transkript:

RELIGIÖSE TOLERANZ IM RECHTSSTAAT Toleranz könnte der Schlüssel sein, der das Tor zur Lösung der Probleme aufschließt, die wir mit fremder Religiosität derzeit haben. 1 Dieser Schlüssel scheint perfekt zu passen: Goethe weitet in seinen Maximen und Reflexionen das zu enge Korsett eines verbreiteten Verständnisses von Toleranz auf und erreicht eine neue Dimension des Nachdenkens, indem er den Finger in die Wunde einer hochnäsig-bornierten Toleranz legt und verlangt, diese Art Toleranz sollte eigentlich nur eine vorübergehende Gesinnung sein. Sie muss zur Anerkennung führen. Dulden heißt beleidigen und dann später: Die wahre Liberalität ist Anerkennung. Ist das nicht die Quintessenz einer langfristig gültigen, realitätsgerechten und menschenrechtsfreundlichen Deutung und Behandlung fremder Religiosität: den anderen wenigstens geduldig zu ertragen auf dem dornenreichen Weg, ihn am Ende aber in seiner Fremdheit anzuerkennen? Tatsächlich ist eine solche anerkennende Toleranz eine angemessene Antwort des Menschen auf seine Umgebung. Mit Verweis auf die Ringparabel in Lessings Nathan der Weise lässt sich vortragen, dass Toleranz die einzig mögliche Haltung eines Menschen ist, der verstanden hat, dass es über den miteinander in Streit liegenden Wahrheitsansprüchen keinen irdischen Richter gibt, und der dennoch nicht in Resignation und toter Gleichgültigkeit verharren, sondern mit dem Fremden und dessen anderer Wahrheit leben will. 1 Bei vorliegendem Text handelt es sich um einen Auszug aus einem Vortrag in Bacharach am 23. August 2009. Der Vortrag wird veröffentlicht in: Frieder Schwitzgebel / Bauverein Wernerkapelle, Bacharach (Hgg.): Toleranz vor Augen. Das Projekt von Karl-Martin Hartmann in der Wernerkapelle in Bacharach. Mainz 2010. Coincidentia (ISSN 1869-9782), Band 1/1 2010: 187-191

188 Die staatsrechtliche Basis religiöser Toleranz Die Art und Weise, wie ein Staat sich das Verhältnis der Religionen untereinander und der Religionen zu ihm selbst zur Aufgabe machen kann, ist einer Betrachtung wert. Gesellschaften können Toleranz nicht herstellen; herstellen können sie nur einen Teil der Bedingungen, unter denen Toleranz, als Haltung der Bürger, gedeiht oder verdirbt. Hinsichtlich der Potenz des Staates gilt nichts anderes, und genau dies bringt die Redeweise von religiöser Toleranz als Verfassungsvoraussetzung 2 zum Ausdruck: Der moderne Rechtsstaat kann nicht überleben ohne eine gerechte Ordnung der Religionen und Weltanschauungen, die auf seinem Gebiet zusammen existieren; er muss einen Ort finden, und er muss diesen Ort sichern, wo die Menschen de jure die Möglichkeit haben und sie de facto auch nutzen können, ihren Glauben zu leben. Ohne diese Möglichkeit würde der Staat zum Unterdrücker einer Lebensform, die allen Menschen eigentümlich ist: des Bedürfnisses, einen Glauben gegenüber transzendenten Zusammenhängen zu haben und diesen Glauben ins Werk zu setzen wobei es vermutlich überflüssig ist, eigens zu sagen, dass zu dieser Art Glauben auch die Ü- berzeugung gehört, Transzendentes gebe es nicht. Die Ordnung der Religionen muss überdies in die Regeln des Zusammenlebens passen, welche die Verfassung verordnet; sie muss im Rechtsstaat beispielsweise Gleichbehandlung garantieren oder grundrechtliche Freiheit des Glaubens und der Religionsausübung, sie muss Staat und Religion freundlich, aber entschieden auf Distanz halten, sie muss gegenüber religiös begründeter Anmaßung auch die Achtung unserer zivilen Grundrechte sicherstellen wie beispielsweise das Recht der kleinen Mädchen auf körperliche Unversehrtheit gegenüber religiös larvierter Beschneidung oder auf Zugang zu unserem Bildungssystem. Soweit ihr das gelingt und die Abgrenzungen sind bisweilen schwierig, hat sie eine notwendige, wenn auch nicht 2 Zum Sprachgebrauch und zum Zusammenhang von Verfassungsvoraussetzung und Verfassungsentstehung vgl. Kirchhof: Der demokratische Rechtsstaat, Rn. 136ff.

Religiöse Toleranz im Rechtsstaat 189 hinreichende, Voraussetzung religiöser Toleranz geschaffen: die Einbettung der Religion in die verfassungsmäßige Ordnung. Das ist die Schranke von Toleranz, die das staatliche Recht zieht. Religiöse Freiheit endet da, wo ihr Gebrauch die fundamentalen Grundsätze unserer Verfassung (Art. 79 Abs. 3 GG.), die Grundrechte Dritter oder die Prinzipien eines freiheitlichen Religions- und Staatskirchenrechts in Gefahr bringt (BVerfGE 102, 370 (392ff.) ). Toleranz gegenüber fremdem Glauben und den Formen seiner Äußerung ist keine Einladung zum Spiel mit der Verfassung, sondern im Gegenteil deren Befestigung; denn ohne die verlässliche Garantie gesicherter Freiheit durch Recht wäre das Wagnis religiöser Toleranz von vornherein nicht zu verantworten. Mehr kann ein Rechtsstaat nicht tun, auch wenn ihm die Einbettung der Religion lebenswichtig ist und er deshalb vielleicht mehr tun möchte. Er kann Toleranz nicht herstellen, denn sie ist Menschenwerk. Er kann sie auch nicht befehlen, ohne sich lächerlich zu machen oder je nach den Umständen gar in die Gefahr von Gesinnungsterror zu geraten. Er kann sie nur umhegen, ihr pflegende Voraussetzungen schaffen, und er kann Interventionen dämpfen, die Intoleranz begünstigen. Verfassungsrechtler sprechen hier sinnfällig von Toleranzvorsorge oder Umgangstoleranz und verweisen darauf, dass staatlicher Zwang doch immer nur auf äußeres Verhalten sich richten kann. 3 Rechtstheoretiker unterscheiden einerseits die inhaltliche Bestimmung und andererseits die prozedurale Umhegung von Konstellationen durch rechtliche Regelungen; sie verweisen darauf, dass eine lebenskluge Rechtsordnung beispielsweise das Verhältnis von Arzt und Patient oder den Zusammenhang einer Familie in Ruhe sich entwickeln lassen und erst dann intervenieren wird, wenn massive Störungen zeigen, dass die handelnden Menschen ohne einen neutralen Dritten nicht mehr miteinander zurechtkommen. Für unser Problem meinen Verfassungsrechtler und Rechtstheoretiker in der Sache dasselbe: Toleranz als Haltung, also das, was am Ende darüber entscheidet, ob und wie Religionen und religiöse Menschen miteinander bestehen können, ist die reale Vorausset- 3 Vgl. Steiner: Toleranz, Sp. 3632f. Coincidentia 1 (2010)

190 zung einer guten und insbesondere einer freiheitlichen Verfassung; ohne Toleranz sind nicht nur die betroffenen Menschen, ist nicht nur die mobile Stabilität der Gesellschaft, sondern ist auch die freiheitliche Ordnung des Staates in Gefahr. Diese Voraussetzung aber kann der Staat nicht schaffen, er kann sie nur pflegen. Für diese Pflege bietet unser Grundgesetz freilich hinreichende Mittel. 4 Das Grundrecht der Glaubens- und Gewissensfreiheit (Art. 4 GG) und die Regelungen eines freiheitlichen Staatskirchenrechts, die dem Grundgesetz aus der Weimarer Reichsverfassung inkorporiert worden sind (Art. 140 GG, Art. 136ff. WRV), begründen die Religions- und Weltanschauungsfreiheit der Bürger; 5 sie schützen Religionsgemeinschaften und ziehen verlässliche Grenzen zur Freiheit anderer Menschen und zu den Rechten anderer Einrichtungen in Gesellschaft und Staat. Im Grundsatz der Neutralität verpflichtet sich der Staat zu strenger Distanz gegenüber lebendiger, und deshalb immer bedrohter, Glaubenswahrheit; im Prinzip der Parität verkündet er angemessene Gleichbehandlung und gerecht verteilte Aufmerksamkeit, und in dem Recht, Religionsgemeinschaften unter bestimmten Voraussetzungen Körperschaftsrechte zu gewähren, behält er sich Möglichkeiten hilfreicher Einwirkung vor aber nicht zur Verpflichtung dieser Gemeinschaften auf Loyalität gegenüber dem Staat, sondern zur Förderung fundamentaler Verfassungsprinzipien wie der Religionsfreiheit 6. Religiöse Toleranz gehört dazu. Und wenn die vielen beteiligten Prinzipien und Instrumente sich in ihrem spannungsreichen Spiel aneinander wund gerieben haben, so steht der Grundsatz der praktischen Konkordanz hilfreich für den Versuch bereit, die streitenden Ziele und Rechte im konkreten Einzelfall zu einem schonenden Ausgleich zu bringen. 7 Toleranz ist, auch wenn das eingangs angesprochene Verhältnis von Toleranz und Anerkennung noch zu klären wäre, eine passen- 4 Knapper Überblick mit zahlreichen Nachweisen bei Jarass, in: Ders. / Pieroth: GG, Art. 4 Rn. 1-21. 5 Vgl. Bergmann: Vom Umgang, 14. 6 BVerfGE 102, 370 (392ff.): Zeugen Jehovas. 7 Mit Bezug auf das Kopftuch in der Schule vgl. Mahrenholz: Muslimische Kultur, 10f.

Religiöse Toleranz im Rechtsstaat 191 de Antwort auf Fragen fremder Religiosität. Diese Antwort aber ist komplex und reich an Voraussetzungen. Es gibt weder tolerante Gesellschaften noch tolerante Staaten, es gibt nur tolerante Menschen; Toleranz ist eine Haltung. Sie wechselt mit den Erfahrungen, die Personen gemacht haben, und mit ihren Lebensumständen. Toleranz lässt sich nicht einklagen oder gar herstellen, sondern nur erhoffen; sie ist ein kommunikatives und bewegliches Phänomen. Gesellschaft und Staat sind an einem Klima von Toleranz und Intoleranz beteiligt; sie verfügen über Voraussetzungen, unter denen Toleranz eher gedeihen kann oder eher verderben wird. Moderne Gesellschaften müssen Toleranz als Bestandteil von Kommunikation behandeln: Sie können tolerante Haltung wahrscheinlich machen dadurch, dass sie Toleranz nicht als Einbahnstraße, sondern als unabgeschlossenen Prozess organisieren und dass sie die Verfestigung von Fremdheit tendenziell auflösen. Im Rechtsstaat ist Toleranz eine Verfassungsvoraussetzung. Er braucht sie zum Überleben, kann ihr Entstehen und Erstarken aber nur mittelbar begünstigen. Die verlässliche Garantie von Religionsfreiheit, die Achtung der Grundrechte und ein freiheitliches Staatskirchenrecht halten ihm viele Mittel bereit, religiöse Toleranz zu pflegen. Literaturverzeichnis Bergman, Jan: Vom Umgang des deutschen Rechtsstaates mit dem Islam. Manuskript, mir freundlich zur Verfügung gestellt. Jarass, Hans D. / Bodo Pieroth: Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland. Kommentar. 6. Aufl. München 2002. Kirchhof, Paul: Der demokratische Rechtsstaat die Staatsform der Zugehörigen. In: Ders. / Josef Isensee (Hgg.): Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland. Bd. IX: Die Einheit Deutschlands Festigung und Übergang. Heidelberg 1997, 221, 957ff. Mahrenholz, Ernst Gottfried: Muslimische Kultur und deutsche Toleranz. Darf es Lehrerinnen mit Kopftuch in der Schule geben? Essay im NDR, 30.07.03. Manuskript, mir freundlich zur Verfügung gestellt. Steiner, Udo: Toleranz. Rechtlich. Art. in: Evangelisches Staatslexikon. Bd. II. 3. Aufl. Stuttgart, Sp. 3630ff. Coincidentia 1 (2010)