Manuskript Beitrag: Zur Kasse, Autofahrer! Streit um die Pkw-Maut Sendung vom 5. November 2013 von Anke Becker-Wenzel, Martina Morawietz und Karl Sippel Anmoderation: Mit mir nicht! Kanzlerin Merkels entschiedene Ablehnung einer Pkw-Maut verhallt gerade ganz sachte. So ist das wohl in Zeiten von Koalitionsverhandlungen. Für die Maut kämpft ja vor allem CSU-Chef Seehofer. Leidenschaftlich. Doch sicher ist nur eins: Die Große Koalition fahndet jetzt nach Mitteln für Straßeninstandhaltung. Und die lange umstrittene und seit Jahrzehnten diskutierte Maut ist nun mal eine Geldquelle. Was immer das am Ende für uns alle bedeuten kann. Dazu Anke Becker-Wenzel und Martina Morawietz. Text: Achtung aufgepasst: Hier kommt die Maut. O-Ton Horst Seehofer, CSU, Ministerpräsident Bayern: Warum sollen wir in Italien und überall bezahlen und andere bei uns nicht. Für ihn völlig unverzichtbar. Kaum vorstellbar, dass sie sich ihm noch entwinden kann. Doch einzig bei der Maut war Merkels Wahlversprechen klar. O-Ton Angela Merkel, CDU, Bundeskanzlerin: Mit mir wird es eine Maut für Autofahrer im Inland nicht geben. Wahlsieger Seehofer als Maut-Held: Gerechtigkeit für deutsche Autofahrer. Bayern gegen den Rest Europas. Dabei geht das Mautgespenst schon seit mehr als 20 Jahren in der Politik um, vor allem in der Union. 1990 - Einheit. Kohl und Waigel brauchten Geld für die maroden Straßen im Osten. 1990 sollten dafür alle zahlen. O-Ton Volker Rühe, CDU, ehemaliger Generalsekretär, am
18.12.1990: Aus meiner Sicht ist es nicht vorstellbar, dass nur deutsche Staatsbürger belastet werden. Das ist ein ganz wesentliches Element, dass wir in angemessener Weise die Ausländer mit einbeziehen. Stattdessen wurde einfach die Mineralölsteuer erhöht. Kohl war das lieber. 1993 - Doch die Idee von der Maut für Deutschlands Straßen gefiel noch vielen Verkehrsministern. O-Ton Günther Krause, CDU, ehemaliger Bundesverkehrsminister, am 9.2.1993: Neubau, Ausbau, Instandhaltung und Kapitalzins muss durch Gebühren finanziert werden. 1994 - Was folgt, ist ein Wettlauf der Maut-Modelle. Mautautomaten, Kameras, Leitsysteme oder doch nur eine Vignette? Ministerphantasien. O-Ton Matthias Wissmann, CDU, ehemaliger Bundesverkehrsminister, am 30.6.1994: Ein elektronisches System hätte den Vorteil, dass wir im Unterschied zur Vignettenlösung Viel- und Wenig-Fahrer voneinander unterschieden könnten und keinen großen Bürokratieaufwand hätten. Am Ende kam nicht viel dabei heraus. Die Maut bleibt trotz alledem irgendwie ein politischer Dauerbrenner. 2000 - Jahrtausendwende. Rot-Grün beauftragt eine Kommission. Die Empfehlung: Maut für alle, Vignette auch für Pkw. Doch das ist äußerst unpopulär, deshalb beschließt die Regierung erst einmal nur eine Maut für Lkw. Toll Collect heißt die neue Zaubertechnik, und wieder wird gerechnet, und auch ausprobiert. Ein deutscher Prototyp, als Exportschlager gedacht. Doch der wird erst nach jahrelanger Verzögerung einsatzbereit, kostet Milliarden, bevor es ans kassieren geht. Die Lkw-Maut als Einstieg für alle, wieder taucht die Pkw-Maut auf, fragt sich nur wie. 2011. O-Ton Joachim Herrmann, CSU, Innenminister Bayern, am 18.4.2011: Denkbar wäre eine Pkw-Maut, eine Vignette wie in Österreich oder ähnliche Modelle. O-Ton Peter Ramsauer, CSU, Bundesverkehrsminister, am
6.10.2011: Ich brauche um den riesigen Erwartungen im Hinblick auf die Straßeninfrastruktur nachzukommen, dauerhafte nachhaltige Finanzierungsquellen. Die CSU ist sich einig. Doch die Kanzlerin widerspricht, schon lange vor der Wahl. O-Ton Angela Merkel, CDU, Bundeskanzlerin, am 22.07.2011: Also zu meinen Projekten gehört sie nicht. Das ist der Schwesterpartei egal. Nur drei Monate später: Nürnberger Parteitag. Beschluss: Pkw-Vignette auf Bundesautobahnen. Wieder zwei Jahre später: Seehofer macht aus der Maut für Ausländer seinen Wahlkampfschlager - und fühlt sich Bayern verpflichtet. O-Ton Horst Seehofer, CSU, Ministerpräsident Bayern: So wie die Bevölkerung in Bayern zu diesem Punkt eingestellt ist, kann ich überhaupt nicht aus Koalitionsverhandlungen in Berlin zurückkommen, ohne eine Lösung zur Pkw-Maut. Seehofer weiß, in Bayern kommt seine Mautversessenheit gut an. Wir sind an der bayerisch-österreichischen Grenze bei Lindau am Bodensee. O-Ton Willi Lehnert, Autofahrer: So wie es jetzt ist, emfinde ich es als ungerecht, weil wir überall woanders bezahlen müssen. O-Ton Helmut Ruf, Autofahrer: Schweiz, Österreich, Italien, Spanien, Frankreich. Ich finde das unfair, dass wir das nicht machen, dass die Leute unser Land durchfahren, nix bezahlen und wir zahlen unsere Straßen und unsere Reparaturen selber. Seehofer wurde mit der Maut zum strahlenden Wahlsieger und verweist auf die Lage in Europa. In 21 europäischen Ländern zahlen Autofahrer eine Straßennutzungsgebühr, manche nur für Teilabschnitte. Direkte Nachbarländer Deutschlands wie Frankreich, Italien und Polen erheben die Maut streckenbezogen. Mit einer Vignette wie in Österreich zahlt man je nach Zeitraum der Nutzung einen Pauschalbetrag von bis zu 80 Euro im Jahr. Nun muss die CSU einen Weg finden, um nach mindestens 20- jähriger Debatte nur Ausländer zu belasten, und nicht die deutschen Autofahrer. Spott und Hohn von Experten.
O-Ton Prof. em. Heiner Monheim Verkehrsexperte: Ja das ist halt der populistische Teil an der Geschichte. Es ist natürlich ein Unsinn, so zu tun, als wäre es unser Hauptproblem, dass es Ausländer gibt, die auf deutschen Straßen rumfahren. O-Ton Prof. Michael Brenner, EU-Verfassungsrechtler: Dieses Schlagwort Vignette für Ausländer mag vielleicht im Wahlkampf hilfreich gewesen sein, politisch und vor allem europarechtlich umzusetzen lässt sich dieses Vorhaben nicht. Eine Vignette? Im digitalen Zeitalter für Experten eine völlig untaugliche Lösung. O-Ton Prof. em. Heiner Monheim, Verkehrsexperte: Sie ist dumm, sie regelt gar nichts, sie kassiert ab, aber ansonsten. Sie zahlen, egal wie viel sie fahren. Sie zahlen, egal wo sie fahren. Also eine Vignette ist das dümmste Instrument, was sie sich vorstellen können. Auch europarechtlich ist die Lage keineswegs geklärt. Zwar hat EU-Kommissar Kallas den Bayern zunächst Auftrieb gegeben, aber die EU-Sprecherin schränkte das gleich ein. O-Ton Marlene Holzner, EU-Sprecherin: Wir kennen keine konkreten Pläne und deshalb können wir auch nicht sagen, ob sie mit Europäischem Recht vereinbar sind oder nicht. O-Ton Prof. Michael Brenner, EU-Verfassungsrechtler: Brüssel hat lediglich gesagt, dass Deutschland die Kfz- Steuer reduzieren kann, das ist richtig. Und es hat auch gesagt, dass eine unterschiedslos zu erhebende Maut für Deutsche und für EU-Ausländer gemeinschaftsrechtlich zulässig ist. Nicht mehr und nicht weniger hat die Kommission bislang gesagt. Und sie konnte auch nicht mehr sagen, weil sie konkrete Pläne ja bislang überhaupt nicht kennt. Obendrein sagen Kritiker, der ganze Aufwand für die Ausländer lohne sich nicht. Der ADAC hat schon mal nachgerechnet. Kommt die Maut für alle, muss die Kfz-Steuer für die Deutschen gesenkt werden. Und dann fangen die Probleme erst richtig an. O-Ton Ralf Resch, ADAC: Was wollen wir denn mit Fahrzeugen machen, mit Autos machen, die elektrisch angetrieben sind, die gar keine Kfz- Steuer zahlen? Bekomme ich dann eine Rückerstattung von Kfz-Steuer? Das kann ich mir sehr schlecht vorstellen. Wir haben darüber hinaus zehn Millionen Fahrzeuge in
Deutschland, die keine volle Kfz-Steuer zahlen. Wie sollen die jetzt behandelt werden? Wie ist das mit der Gleichheit zwischen Diesel-Fahrern, Benzin-Fahrern, Elektro-Fahrern, Gasfahrzeug-Fahrern? Das sind alles offene Fragen. Und die klagefreudigen Deutschen werden hier an die Grenzen gehen, um das herauszufinden. Die Große Koalition wird bis zur Schmerzgrenze gehen müssen. Ausgerechnet die Maut wird zur großen Belastungsprobe, für Merkel und den künftigen Koalitionspartner der Union. O-Ton Florian Pronold, SPD, MdB, verkehrspolitischer Sprecher: Die Wahrheit ist: Wenn eine Pkw-Maut eingeführt wird, werden zum Schluss die deutschen Autofahrer dafür zahlen und niemand sonst. Das Ganze schert den Mauthelden aus Bayern wenig. So geht es nur noch darum, dass er das Gesicht wahren kann. Abmoderation: Am Ende könnte unser Hochtechnologieland dann mit zwei Maut- Systemen dastehen. Einmal Toll Collect für die Lkw-Maut. Und irgendwelche Vignetten für Pkw. Oder fällt irgendwem noch was Komplizierteres ein? Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. Insbesondere darf er weder vervielfältigt, verarbeitet oder zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden. Die in den Beiträgen dargestellten Sachverhalte entsprechen dem Stand des jeweiligen Sendetermins.