Verkehrslärm und Gewerbelärm in der Bauleitplanung Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht Dr. Michael Oerder
4 Fallgestaltungen der Bauleitplanung 1. Die Gemeinde plant den Bau oder die Änderung einer Straße, die lärmtechnische Auswirkungen auf eine vorhandene schutzwürdige Nutzung hat. 2. Die Gemeinde plant eine schutzbedürftige Nutzung im Einwirkungsbereich eines vorhandenen Verkehrsweges. 3. Die Gemeinde überplant Flächen für einen neu anzusiedelnden oder die Erweiterung eines bestehenden Gewerbebetriebes, von dem Lärm auf eine vorhandene schutzwürdige Nutzung ausgeht. 4. Die Gemeinde plant eine schutzwürdige Nutzung im Einwirkungsbereich i i eines oder mehrerer emittierender Gewerbebetriebe. Kompetenz durch Spezialisierung 2
Fall 1: Gemeinde plant Straße ( 38 Abs. 4 StrWG NW) Verhältnis zwischen 16. BImSchV und DIN 18005 16. BImSchV: DIN 18005: Grenzwerte Orientierungswerte Anwendungsbereich 16. BImSchV: Bau oder wesentlicher Änderung einer Straße - Grenzwerte der 16. BImSchV sind WR, WA: WR: 50/35 zwingend - Bei Überschreitung der Grenzwerte der 16. BImSchV: Abwägung zwischen aktivem 59/49 db(a) WA 55/40 db(a) und passivem Schallschutz h MI MI: (vorangegangenes Referat) 64/54 db(a) 60/45 db(a) - Unterschreitung dieser Mindeststandards im Rahmen des vorbeugenden Immissionsschutzes möglich GE GE: Mit dem Ziel der Einhaltung der Werte der DIN 18005 oder 69/59 db(a) 65/50 db(a) Z.B. bei Mehrfachbelastungen Kompetenz durch Spezialisierung 3
Fall 1: Gemeinde plant Straße (Einzelfragen) Aktiver Schallschutz: Vorrang des aktiven Schallschutzes (s.o.) Festsetzung im Bebauungsplan nach 9 Abs. 1 Nr. 24 BauGB als Vorkehrungen zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen (i.d.r. Lärmschutzwall oder Lärmschutzwand oder Einhausung (Tunnel) Anforderungen an Bestimmtheit (Lage, Höhe; Bezugshöhe) Umsetzung: OVG Münster, Urteil vom 16.11.2001 7 A 3784/00: Ist eine Lärmschutzwand in einem Bebauungsplan festgesetzt, hat der begünstigte Bürger einen Anspruch auf Herstellung der festgesetzten t t Lärmschutzwand. Dieser ergibt sich dem Grunde nach aus 9 Abs. 1 Nr. 24 BBauG 1979 in Verbindung mit der Bebauungsplanfestsetzung Kosten: Können beitragsfähige Erschließungskosten oder Folgekosten i.s.v. 11 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 BauGB sein Kompetenz durch Spezialisierung 4
Gemeinde plant Straße (Einzelfragen) Passiver Schutzschutz (subsidiär (s.o.) Erforderlichkeit der Festsetzung passiven Schallschutzes nach 9 Abs. 1 Nr. 24 BauGB bei der Planung einer Straße? (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19.05.1995 4 NB 30.94 ) Regelmäßig wegen bestehenden Eigeninteresses entbehrlich (anders Planfeststellung) Kann im Einzelfall wegen 176 Abs. 1 Nr. 2 BauGB (Baugebot) erforderlich sein. Der Anspruch auf Kostenersatz für passiven Schallschutz ergibt sich aus 42 BImSchG Festsetzung erfolgt nach 9 Abs. 1 Nr. 24 BauGB als Vorkehrungen zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen. Festsetzung t von Schalldämmmaßen Problem: Darstellung im Bebauungsplan (OVG Münster, Urteil vom 19.07.2011 10 D 131/08.NE: Orientierung allein an Baugrenzen unbestimmt; Eine zeichnerische oder textliche Aussage zu den von der Straße aus gesehen hinter den Baugrenzen liegenden Grundstücksflächen trifft der Bebauungsplan nicht. ) DIN 4109 und Zitiergebot (z.b. OVG Münster, Urteil vom 21.05.2012 10 D 145/09.NE und a.a.o.)) Kompetenz durch Spezialisierung 5
Gemeinde plant Straße (Einzelfragen) Sonderfragen: Ampelzuschlag Pegelabzug wegen Einsatz von lärmminderndem Asphalt? vgl. hierzu auch BVerwG, Beschluss vom 1.04.1999 4 B 87/98 (grundsätzlich zulässig; zum Problem: dauerhafte Lärmminderung: Tatsachenfrage) Geschwindigkeitsbeschränkung als aktiver Schallschutz? Sicherbar? Kompetenz durch Spezialisierung 6
Fall 2: Gemeinde plant schutzwürdige Nutzung (z.b. Wohnbebauung) an Straße oder Schiene Kompetenz durch Spezialisierung 7
Beurteilung der Lärmimmissionen der vorhandenen Straße auf geplante Wohnbebauung Keine Anwendung der 16. BImSchV DIN 18005: Gebietsausweisung Schalltechnische Orientierungswerte [db(a)] tags/ nachts, bezogen auf Verkehrslärm: reine Wohngebiete (WR) 50/ 35 (40) allgemeine Wohngebiete (WA) 55/40 (45) Dorfgebiete (MD) und Mischgebiete (MI) 60/45 (50) Kerngebiete (MK) und Gewerbegebiete (GE) 65/ 50 (55) Bei zwei angegebenen Nachtwerten soll der niedrigere für Industrie-, Gewerbe- und Freizeitlärm sowie für Geräusche von vergleichbaren öffentlichen Betrieben gelten. Die Orientierungswerte sollten bereits auf den Rand der Bauflächen oder der überbaubaren Grundstücksflächen in den jeweiligen Baugebieten oder er Flächen sonstiger Nutzung bezogen werden. Sind die Wert eingehalten, ist grundsätzlich alles ok. Kompetenz durch Spezialisierung 8
DIN 18005 In Beiblatt 1 zu DIN 18005, Teil 1 heißt es zu der Problematik der Überschreitung der schalltechnischen Orientierungswerte "In vorbelasteten Bereichen, insbesondere bei vorhandener Bebauung, bestehenden Verkehrswegen und Gemengelagen, lassen sich sie Orientierungswerte oft nicht einhalten. Wo im Rahmen einer Abwägung mit plausibler Begründung von den Orientierungswerten abgewichen werden soll, sollte möglichst ein Ausgleich durch andere geeignete Maßnahmen (z.b. geeignete Gebäudeanordnung und Grundrissgestaltung, bauliche Schallschutzmaßnahmen, insbesondere für Schlafräume) vorgesehen und planungsrechtlich abgesichert werden. Kompetenz durch Spezialisierung 9
Fall 2: Gemeinde plant schutzwürdige Nutzung an Straße Hierzu und zu einer im Einzelfall zulässigen höheren Überschreitung der Werte der DIN 18005 bei einer Kombination aus aktivem und passivem Schallschutz vgl. BVerwG, Urteil vom 22.07.2007 4 CN 2/06: Zur Überschreitung der Orientierungswerte um 10 db(a) und mehr, wenn im Innern der Gebäude durch die Anordnung der Räume und die Verwendung schallschützender Außenbauteile angemessener Lärmschutz gewährleistet wird. Hier kann es im Ergebnis mit dem Gebot gerechter Abwägung vereinbar sein, Wohngebäude an der lärmzugewandten Seite des Gebiets auch deutlich über den Orientierungswerten liegenden Außenpegeln auszusetzen. Insbesondere kann in die Abwägung eingestellt werden, dass durch eine geschlossene Riegelbebauung die rückwärtigen Flächen derselben Grundstücke und gegebenenfalls weitere Grundstücke wirksam abgeschirmt werden. Allerdings ist bei derartigen Festsetzungen zugleich in besonderer Weise darauf zu achten, dass auf der straßenabgewandten Seite der Grundstücke geeignete geschützte Außenwohnbereiche geschaffen werden können. Kompetenz durch Spezialisierung 10
Gemeinde plant schutzwürdige Nutzung an vorhandener Straße Einzelfragen : Grenze Schwelle zur Gesundheitsgefährdung g ca. (70/60 db(a) tags/nachts: Abwägungsgrenze? Verhältnis aktiver / passiver Schallschutz Schutz von Außenwohnbereichen (bei heranrückender Wohnbebauung relativiert) Festsetzungsmöglichkeiten zum Lärmschutz Gliederung des der zulässigen Nutzungen innerhalb eines Gebietes 1 Abs. 4 BauNVO Aktiver Schallschutz (Lärmschutzwände pp). Aktiver Schallschutz durch Gewerberiegel (nachstehend)? baulicher Schallschutz am Gebäude - z.b. Glaswand zum Schutz des Innenhofes (Beispiele Mannheim) - vorgehängte Fassade oder seitliche Bauwerke (Schwerter) - Hamburger Fenster Ausschluss von Aufenthaltsräumen mit notwendigen Fenstern Anforderungen an Außenbauteile Belüfteter Schallschutz mit und ohne öffenbare Fenster Kompetenz durch Spezialisierung 11
Schallschutzriegel (Fragen) Kompetenz durch Spezialisierung 12
Gemeinde plant schutzwürdige Nutzung an Straße VGH Kassel, Urteil vom 29.03.2012 4 C 694/10.N: Es kann daher im Einzelfall auch durchaus angezeigt sein, neue Wohnbauflächen in bereits vorbelastete Bereiche hinein zu planen, bei denen gegebenenfalls eine umfassende Einhaltung der Orientierungswerte als Außenpegel durch aktiven Lärmschutz nicht stets t möglich ist. entscheidend ist, ob die Abweichung auch unter Berücksichtigung der Bedeutung der Orientierungswerte als Orientierungshilfe noch im Einzelfall mit dem Abwägungsgebot des 1 Abs. 7 BauGB vereinbar ist Die Überschreitungen der Orientierungswerte bewegen sich hier im Bereich von 8 bis 13 db(a) und sind damit im gesamten Plangebiet außerhalb des üblichen Abwägungsspielraums g von 5 db(a). Es kann hier offen bleiben, ob ein Abwägungsfehler bereits deshalb vorliegt, weil die Schwelle zur Gesundheitsgefährdung im unmittelbar an die Bahnlinie angrenzenden östlichen Plangebiet mit 66 db(a) nachts erreicht ist. Kompetenz durch Spezialisierung 13
VGH Kassel, Urteil vom 29.03.2012 4 C 694/10.N (Fortsetzung) Die Abwägung g ist jedenfalls deshalb fehlerhaft, weil Keine Ermittlung der Kosten-Nutzenrelation von aktivem Schallschutz Es im Ergebnis mit dem Gebot gerechter Abwägung vereinbar sein, Wohngebäude an der lärmzugewandten Seite des Gebiets auch deutlich über den Orientierungswerten liegenden Außenpegeln auszusetzen, wenn jedenfalls im Innern der Gebäude durch die Anordnung der Räume und die Verwendung schallschützender Außenbauteile angemessener Lärmschutz gewährleistet wird Insbesondere kann in die Abwägung eingestellt werden, dass durch eine geschlossene Riegelbebauung die rückwärtigen Flächen derselben Grundstücke und gegebenenfalls weiterer Grundstücke wirksam abgeschirmt werden. Allerdings ist bei derartigen Festsetzungen zugleich in besonderer Weise darauf zu achten, dass auf der straßenabgewandten Seite der Grundstücke geeignete geschützte Außenwohnbereiche geschaffen werden können Notwendigkeit einer bedingten Festsetzung bei Immissionsschutz durch einen Schallschutzriegel - Baulast als Sicherungsinstrument - Erfordernis der dauerhaften Sicherung (M.E.: problematisch, da bestehende bauliche Anlagen auch als Schallhindernis i berücksichtigt t werden. Kompetenz durch Spezialisierung 14
Fall 3: Gemeinde plant Gewerbeflächen mit Auswirkungen auf eine vorhandene benachbarte schutzwürdige Bebauung Maßgebliches Regelwerk: TA Lärm oder DIN 18005? Verhältnis zwischen Immissionsschutzrecht und Bauleitplanung (BVerwG, Urteil vom 22.02.2002 4 CN 5.01): Wenn städtebauliche Gründe dies rechtfertigen, darf die Gemeinde im Wege der Bauleitplanung unterhalb der durch 3 Abs. 1 BImSchG bestimmten Erheblichkeitsschwelle eigenständig gebietsbezogen das Maß hinnehmbarer (Geruchs-) Beeinträchtigungen nach den Maßstäben des Vorsorgegrundsatzes steuern. Da die TA Lärm die Schutzansprüche der in ihr erfassten Gebiete für die Genehmigungsbehörde verbindlich grundsätzlich von dem zugewiesenen Schutzanspruch des jeweiligen IO abhängig macht, kann der Bebauungsplan grundsätzlich nicht mehr an Emissionen zulassen, als sie dem vorhandenen schutzwürdigen Gebiet nach der TA Lärm zugemutet werden können. Passiver Schallschutz: Dürfte bei Heranrücken eines Gewerbebetriebes an eine bestehende Wohnbebauung in der Regel ausscheiden ( zum umgekehrten Fall s.u.) Kompetenz durch Spezialisierung 15
Fall 3: Gemeinde plant Gewerbeflächen mit Auswirkungen auf eine vorhandene benachbarte schutzwürdige Bebauung Kompetenz durch Spezialisierung 16
Fall 3: Gemeinde plant Gewerbeflächen mit Auswirkungen auf eine vorhandene benachbarte schutzwürdige Bebauung Steuerungsmöglichkeiten: g Einschränkende Festsetzungen: Gliederung des Gewerbegebietes nach 1 Abs. 4 BauNVO - Nach Art der zulässigen Nutzung Z.B. eingeschränktes GE(e): nur nicht wesentlich störende Betriebe z.b. Abstandsklasse und Anlagen mit ähnlichem Emissionsgrad - Bezogen auf ein bestimmtes Emissionsverhalten (z.b. Emissionskontingente nach DIN 45691 - Keine Zaunwerte Planerische Zurückhaltung? Steuerungsmöglichkeiten g Technischer Immissionsschutz 9 Abs. 1 Nr. 24 BauGB Freizuhaltende Flächen Flächen für besondere Schutzanlagen und Vorkehrungen (z.b. Lärmschutzwand/wall) Steuerungsmöglichkeiten durch bedingte Festsetzungen nach 9 Abs. 2 BauGB Kompetenz durch Spezialisierung 17
Fall 4: Die Gemeinde plant eine schutzwürdige Nutzung im Einwirkungsbereich einer gewerblichen Nutzung Kompetenz durch Spezialisierung 18
Fall 4: Die Gemeinde plant eine schutzwürdige Nutzung im Einwirkungsbereich einer gewerblichen Nutzung Schweinemästerfall BVerwGE Urteil vom 25.02.1977 4 C 22.75 : Heranrückende Wohnbebauung Maßgebliches Regelwerk: grundsätzlich DIN 18005 (nicht TA Lärm) Aktiver Schallschutz: Keine Besonderheiten Kosten: Erschließungskosten nur, wenn Lärmschutzeinrichtung Bestandteil einer Erschließungsanlage; sonst Folgekosten für Vorhabenträger des Wohngebietes Vorbelastetes Wohngebiet (nicht festsetzbar, kann gekennzeichnet werden): Z.B. MI- Werte bei der Beurteilung nach TA Lärm (Gemengelagenregel: Ziff. 6.7 TA Lärm) Kompetenz durch Spezialisierung 19
Fall 4: Die Gemeinde plant eine schutzwürdige Nutzung im Einwirkungsbereich einer gewerblichen Nutzung Passiver Schallschutz Früher: OVG Münster, Urteil vom 1.09.2005 8 A 2810/03: nicht zulässig A.A schon: OVG Münster, Urteil vom 22.05.2006 7 D 114/05.NE: passiver Schallschutz zum Schutz vor Gewebelärm möglich Jetzt: BVerwG, Beschluss vom 7.06.2012 4 BN 6/12: passiver Schallschutz bei heranrückender Wohnbebauung möglich; geringere Schutzbedürftigkeit des heranrückenden Wohnnutzers, architektonische Selbsthilfe Problem: Wertungswiderspruch zur TA Lärm? OVG Münster, Urteil vom 1.06.2011 2 A 1058/09: Sind die Anforderungen an gesunde Wohnverhältnisse durch Festsetzung passiver Schallschutzmaßnahmen gewahrt, so sind die geschützten Gebäudeteile so zu behandeln, als ob sie keine Immissionsorte im Sinne von Nr. 2.3 Abs. 1 der TA Lärm i.v.m. Nr. A.1.3 a) des Anhanges zur TA Lärm aufwiesen, an denen die Immissionsrichtwerte der Nr. 6.1, Nr. 6.7 der TA Lärm zu beachten wären. Kompetenz durch Spezialisierung 20
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit Kompetenz durch Spezialisierung 21