KatHO NRW Aachen Köln Münster Paderborn Wenn Eltern psychisch krank sind: Forschungsstand und Erfordernisse der Praxis Vortrag auf der 6. Fachtagung der Klinischen Sozialarbeit Workshop 1: Klinische Sozialarbeit mit Familien und Kindern psychisch kranker Eltern Prof. Dr. Johannes Jungbauer
Zur Lebenssituation der betroffenen Kinder Beeinträchtigte Eltern-Kind-Interaktion (Mattejat, 2002); reduzierte emotionale Verfügbarkeit; Probleme, über Erkrankung zu sprechen Typisch: Zusätzliche Belastungen, z.b. soziale Randständigkeit; zersplitterte Familienstrukturen; diskontinuierlicher Familienalltag Oft unzureichende Befriedigung kindlicher Grundbedürfnisse Erhöhtes Risiko von Vernachlässigung, Misshandlung und Missbrauch (Ihle et al., 2001) Erhöhtes Risiko für Entwicklungsprobleme und Störungen (Jungbauer, Kuhn & Lenz, 2011; Lenz & Jungbauer, 2010)
Erkrankungsbezogene Belastungen der Kinder Belastungen Ängste Verwirrung Vernachlässigung Scham Stigmatisierung Unangemessene Verantwortung Ankerbeispiel Ich hatte total oft Angst, dass sich meine Mutter etwas antut. Ich konnte das einfach nicht verstehen, warum der Papa so komisch war. Dass der krank war. Wenn es ihr schlecht ging, hat sie meinen kleinen Bruder einfach in seinem Bettchen schreien lassen. Ich schämte mich, mit ihr auf die Straße zu gehen. In meiner Klasse haben sie mich aufgezogen. Mit acht Jahren hab ich schon den kompletten Haushalt geschmissen. (Lenz & Jungbauer, 2010)
Die Perspektive der Eltern Es gibt mir immer wieder Kraft, dass ich S. [Sohn] habe. Er ist der Dreh- und Angelpunkt in meinem Leben. (33-jährige schizophrene Mutter eines 2-jährigen Sohns)
Positive Aspekte / Ressourcen durch Elternschaft Liebe, Nähe, Zugehörigkeit Zufriedenheit und Stolz Lebens- und Alltagsstruktur Emotionale Stärkung und Sinnstiftung Stabilisierung der Elternbeziehung
Negative Aspekte / Belastungen durch Elternschaft Da habe ich gemerkt, dass ich noch zu krank bin. Dass ich das noch nicht so richtig schaffe mit meiner Tochter. (37-jährige schizophrene Mutter einer 8-jährigen Tochter)
Negative Aspekte / Belastungen durch Elternschaft Überforderungsgefühle Eingeschränkte Erziehungsfähigkeit Erziehungsfähigkeit wird in Frage gestellt Sorgen bezüglich der Kinder Probleme, mit den Kindern über Erkrankung zu sprechen Sorgerechtsentzug: Befürchtungen und negative Erfahrungen
Teufelskreis Verhaltensauffälligkeiten, Entwicklungsprobleme der Kinder Überforderung, Belastungseskalation Angst, die Kinder zu verlieren; Scham- und Schuldgefühle Nicht-Inanspruchnahme notwendiger Hilfen zur Erziehung
Indikatoren für Kindeswohlgefährdung Keine Krankheitseinsicht der Eltern Keine Behandlungsbereitschaft; Ablehnung von Hilfe Kein adäquates Fürsorgeverhalten, fehlender Bindungsaufbau Über- oder Unterstimulation des Kindes Unberechenbarkeit des elterlichen Verhaltens Kind wird in psychotische Symptomatik einbezogen Parentifizierung des Kindes Häusliche Gewalt Leugnen belegbarer Vernachlässigung (nach Kluck, 2010)
Indikatoren für Gewährleistung des Kindeswohls Krankheitseinsicht der betroffenen Eltern Behandlungsbereitschaft ( Compliance ; Therapiemotivation) Erkennbar positive Folgen der psychiatrischen Behandlung Adäquates Fürsorge- und Erziehungsverhalten Bereitschaft, Unterstützung anzunehmen (z.b. HzE; Beratung) Aktives Hilfesuchverhalten Vorhandene soziale, finanzielle und materielle Ressourcen (nach Kluck, 2010)
Zusammenfassung Erkrankte Eltern bewerten Beziehung zu Kindern als positiv und bereichernd, zugleich oft als überfordernd und verunsichernd Fast alle betroffenen Kinder erleben erhebliche Belastungen. Etwa die Hälfte zeigt klinisch relevante Entwicklungsprobleme Viele psychisch kranke Eltern stehen notwendigen Hilfen zur Erziehung misstrauisch bis ablehnend gegenüber Bedarf an geeigneten und frühzeitigen Präventions-, Beratungs- und Hilfeangeboten für betroffene Kinder, Eltern und Familien
Schlussfolgerungen für die Praxis Erwachsenenpsychiatrie: Die Themen Elternschaft und Kinder müssen adäquat berücksichtigt werden (Singleton, 2007) Kooperation zwischen Psychiatrie und Jugendhilfe (Lenz, 2010) Breites Spektrum von Präventions- Beratungs- und Hilfeangeboten: niedrigschwellig unterschiedliche Systemebenen (Kinder, Eltern, Familie) ressourcenorientiert Evaluation, Dokumentation und Wirksamkeitsforschung Aufbau nachhaltiger Finanzierungsstrukturen
KatHO NRW Aachen Köln Münster Paderborn Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Wenn Eltern psychisch krank sind: Zum aktuellen Stand der Forschung Vortrag auf der 6. Fachtagung der Klinischen Sozialarbeit Prof. Dr. Johannes Jungbauer